Protocol of the Session on June 16, 2004

Wenn Sie sich den Leitgedanken der Resozialisierung im Strafvollzugsgesetz anschauen, wird mit der de facto Schließung der Sozialtherapie die Resozialisierung vollständig aufgegeben und nur noch reiner Verwahrvollzug eingeführt. Das ist fachlich überhaupt nicht zu erklären. Wir waren in Hamburg bisher vorbildhaft. 80 Prozent derjenigen, die an der Sozialtherapie teilnehmen, finden erfolgreich wieder den Weg in die Gesellschaft zurück. Im geschlossenen Regelvollzug sind die Zahlen genau umgekehrt. Diese Abschaffung ist katastrophal.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Es ist nur vordergründig eine Haushaltsfrage. Es gibt viel bessere Einsparmöglichkeiten im Strafvollzug, indem Sie

zum Beispiel die Überkapazitäten im geschlossenen Vollzug abbauen. Es geht bei Ihnen nur darum, Ideologie und Rachegedanken in den Vordergrund zu stellen, anstatt Resozialisierung. Herr Kusch müsste eigentlich genau wissen, dass eine erfolgreiche Resozialisierung der beste Opferschutz ist. Insofern gefährden Sie wieder einmal die Sicherheit der Bevölkerung aus ideologischen Gründen. Sie handeln gegen das Gemeinwohl.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Der Bürgermeister versucht sich weiterhin als liberalen Menschen darzustellen. Das ist auch gut so. Aber er lässt gleichzeitig zu, dass so eine Strafvollzugspolitik der Schill´schen Denkart fortgeführt wird, die ungetrübt von fachlichen Erkenntnissen ist.

Ich muss an dieser Stelle auch noch einmal und nicht nur beiläufig erwähnen, dass es bei den Flüchtlingen nicht anders aussieht. Wir haben eine entspannte Situation, aber Sie schieben ab und geben qualifizierten Flüchtlingen keine Arbeit, keine Ausbildung und keine Studienmöglichkeit. Eben wurde vom Welcome Center gesprochen, Herr Reinert. Das ist doch auch blanker Hohn. Sie tun nichts, denn auch das wäre wachsende Stadt, hier beispielsweise den 17 500 jungen afghanischen, hochqualifizierten Flüchtlingen eine Chance zu geben, anstatt sie ewig zu traktieren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Herr von Beust, Ihr Senat hat das Misstrauen, das ihm entgegengebracht wird, nicht nur verdient, sondern er macht auch keine glaubhaften Anstrengungen, dieses zu beseitigen.

Die Hamburgerinnen und Hamburger glauben Ihnen nicht mehr, dass Sie sich für eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung in dieser Stadt stark machen. Die Menschen glauben Ihnen nicht mehr, dass der Bildungsbereich bei Ihnen nach PISA ein Schwerpunkt ist, geschweige, dass Sie darauf Antworten haben, wenn ich diesen wirklich widersinnigen Vorschlag höre, nur die Hauptschulen zu stärken, anstatt den Hauptschülern die Chance zu geben, die sie haben müssten, um sich besser zu qualifizieren und nicht getrennt in die Restschule zu gehen.

Was überhaupt nicht mehr geglaubt wird, was Sie auch in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben, ist, dass man auch hier in Hamburg an die sozial Schwächeren denkt. Derartige Kürzungen, ein solcher Haushalt und ein solcher Politikstil – das ist klar – werden Widerstand erzeugen. Die Hamburgerinnen und Hamburger haben das in den Volksentscheiden LBK, Kita und Wahlrecht deutlich gemacht und gesagt, was sie von so einer Politik halten. Was für eine Schlappe für Sie, wie vom vergangenen Sonntag, wo die Bürger nicht nur in einer konkreten Sache entschieden haben, sondern mehr Demokratie im System der Volksvertretung einforderten.

Doch was machen Sie und das ist bezeichnend, Sie haben Angst vor den Bürgern. Sie haben in Ihrem Haushalt vorsichtshalber gleich die Mittel für Volksbegehren reduziert, damit ein Erfolg der Bürgerinnen und Bürger gegen Ihre Politik in Zukunft schwerer wird. Sie würgen die Volksentscheide ab. Das ist doch unglaublich.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wir, die Grünen, die GAL, haben keine Angst vor den Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben auch keine Angst,

den Bürgern klar zu sagen, dass es nur einen Schwerpunkt gibt. Man kann sich nicht überheben, wie Sie, und dann immer wieder Innenpolitik und Verkehr und so weiter als Schwerpunkte setzen. Wir fordern, im kommenden Haushalt nur einen Schwerpunkt zu setzen, und zwar ausschließlich für Kinder und Bildung. In der gegenwärtigen Situation ist alles andere nicht finanzierbar.

(Beifall bei der GAL)

Wir setzen weiterhin, weil vielleicht nicht alle die Anträge gelesen haben, auf die frühkindliche Bildung, die Einrichtung von echten Ganztagsschulen und das schrittweise Umsteuern in der Schulbildung in Richtung auf individuelle Förderung. Dazu gehört das kostenfreie und durchfinanzierte Bildungsjahr Fünf Plus. Die vorschulische Bildung sparen Sie gerade total kaputt.

Herr von Beust, Frau Schulsenatorin, liebe Kollegen von der CDU! Wenn Sie wirklich konsolidieren wollen, wenn Sie wirklich die Zukunft Hamburgs sichern wollen, wie Sie immer so vollmundig sagen, und wenn Sie Hamburg wirklich wachsen lassen wollen, dann bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als in die Kinder und Jugendlichen unserer Stadt zu investieren. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt Bürgermeister von Beust.

(Erhard Pumm SPD: Jetzt muss doch mal die Fraktion ran, Herr Reinert! – Gegenruf von Bernd Reinert CDU: Ich habe große Ohren für alle!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer das Vergnügen hatte, auch die letzten Jahre in diesem Haus gewesen zu sein, wird feststellen können, dass die Haushaltsdebatte, wie sie bislang gelaufen ist, in den ersten Reden zumindest einen großen Vorteil hatte: Sie war im Ton und Stil sachlich und fair. Das finde ich in Ordnung. Polemik in dieser Situation zahlt sich nicht aus.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind uns sicher einig, dass die Situation, in der wir uns nicht nur in Hamburg, sondern natürlich auch auf Bundesebene und in vielen anderen Bundesländern befinden, eine Situation ist, die, wenn man in die Geschichte der Bundesrepublik oder unserer Stadt vermutlich bis in die Fünfzigerjahre zurückschaut, in der finanzpolitischen Dramatik nicht zu überbieten ist.

Die Kollegen haben darauf hingewiesen, dass seit der Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres klar ist, dass wir in den nächsten Jahren nochmals Mindereinnahmen beziehungsweise Verpflichtungen an den Länderfinanzausgleich haben. Das bedeutet, dass wir über Jahre hinaus durchschnittlich noch einmal Mindereinnahmen in Höhe von 250 bis 270 Millionen Euro zur Verfügung haben. Das ist ein dramatischer Einnahmeverlust, den wir in Hamburg zu verzeichnen haben. Allerdings, verehrter Herr Neumann, die Analyse, woran dieser Einnahmeverlust liegt, die trennt uns. Sie sagen, Helmut Kohl habe die Schuld. Ich sage, wesentliche Ursache dafür ist die schlechte Politik dieser Bundesregierung.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU)

Und, verehrter Herr Neumann, ich darf Sie darauf hinweisen, dass Helmut Kohl schon seit langem nicht mehr

Bundeskanzler ist und Deutschland nicht unter seiner Regierung in Sachen Wachstum Schlusspunkt und in Sachen Arbeitslosigkeit Spitzenreiter in Europa war. Das ist das Verdienst der rotgrünen Regierung in Berlin.

(Beifall bei der CDU)

Mit Verlaub, die Änderung der Steuergesetze, die zu einer Privilegierung der Kapitalgesellschaften geführt hat, hat dazu beigetragen, dass viele Mindereinnahmen darauf zurückzuführen sind. Das ist das, was Sie unter gerechter Steuerpolitik verstehen. Das ist alles andere als gerecht, Herr Neumann.

(Beifall bei der CDU und bei Christian Maaß GAL)

Zum Glück konnte das Vorziehen der nächsten Entlastungsstufe der Steuerreform, die von Ihrem Bundeskanzler vorgeschlagen wurde, noch weitgehend verhindert werden und wurde nachher glücklicherweise auf niedrigerer Stufe vollendet. Das hätte uns in Hamburg nochmals über 200 Millionen Euro weniger beschieden. Das wäre sozialdemokratische Politik gewesen, Herr Neumann. Mit Helmut Kohl hat das nun wirklich nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der CDU – Dr. Willfried Maier GAL: Aber mit Herrn Merz!)

Mögen wir uns also in der Analyse, dass die Situation katastrophal ist, einig sein, auch wenn wir in der Ursachenfindung unterschiedlicher Meinung sind. Die Frage ist, was ist zu tun. Ja, Herr Neumann oder Frau Goetsch, was ist zu tun? Sie haben keinen einzigen Vorschlag gemacht,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Nicht zugehört!)

wie wir diese Finanzkrise in Hamburg lösen können, nicht einen einzigen Vorschlag.

(Beifall bei der CDU)

Verzeihung, ich korrigiere mich. Sie haben vorgeschlagen, dass der Bund in Sachen Eigenheimzulage und Entfernungspauschale etwas ändern soll. Ihre Sanierung für Hamburg geschieht durch Bundesgesetze. Das ist tapferes Heldentum, Herr Neumann, ganz großartig.

(Beifall bei der CDU)

Dann haben Sie, Herr Neumann, vorgeschlagen, dass die Fluktuationsquote im öffentlichen Dienst, die in den nächsten Jahren durch Altersabgänge rund 25 000 Plätze freisetzt, gut genutzt werden soll, um den Haushalt zu sanieren. Ich hoffe, Ver.di hat gut zugehört.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Sie haben nichts ver- standen!)

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, soll also diese Fluktuationsquote von 25 000 Plätzen zur Haushaltssanierung genutzt werden. Wir brauchen trotz der schwierigen Lage gute Beamte und Angestellte in Hamburg, Herr Neumann.

(Beifall bei der CDU)

Sie sagen doch gerade, die Stadt und der Staat dürften sich nicht aus der Verantwortung zurückziehen, und dann machen Sie einen solchen Vorschlag. Das intelligente Personalmanagement, hier vernünftig

(Christian Maaß GAL: Wer ist jetzt SPD und wer ist CDU!)

A C

B D

dafür zu sorgen, dass frei werdende Stellen im internen Arbeitsmarkt so ausgeglichen werden, dass diese intelligent genutzt werden können und trotzdem die Qualität der Verwaltung nicht gesenkt wird, ist erst durch diesen Senat eingesetzt worden und arbeitet effektiv und gut. Da brauchen wir, mit Verlaub, Ihre Ideen nicht.

(Beifall bei der CDU)

Entscheidend wird doch sein, wie wir uns trotz dieser Schwierigkeiten der Einnahmesituation und im Betriebshaushalt in mühevoller Kleinarbeit den Freiraum erkämpfen, um dort, wo es um Zukunftsinvestitionen dieser Stadt geht, die nötige Manövrierfreiheit zu haben.

(Gesine Dräger SPD: Ja, wo sind sie denn?)