Protocol of the Session on April 12, 2006

(Barbara Ahrons CDU: Aber nicht die Wahl!)

Sie haben Ihr Gesetz zur Verhinderung von Volksentscheiden beim Verfassungsgericht in einem entscheidenden Punkt verloren. Jetzt stellen Sie sich allen Ernstes hin und tun so, als sei nichts geschehen, Herr Jäger? Das ist unglaubwürdig. Sie machen eine Figur wie ein Geisterfahrer, der nach dem unvermeidlichen Frontalschaden von einigen kleinen Kratzern am Lack spricht, während im Hintergrund die Trümmer rauchen.

(Christian Maaß GAL: Die Colts!)

Da muss man sich schon die Frage gefallen lassen, wo bleibt eigentlich Ihr Respekt vor dem Unfallgegner – in diesem Fall dem Volk?

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Einzige, was Ihnen zu dem Urteil einfällt, sind Ausflüchte, die Bundespolitik, die hier nichts zu tun hat. Dabei wäre aus meiner Sicht eine Entschuldigung fällig gewesen.

(Lachen bei der CDU)

Sie wollten die direkte Demokratie in voller Fahrt zur Strecke bringen. Als schon alle Welt um uns herum "anhalten, anhalten" geschrieen hat, haben Sie noch aufs Gas gedrückt.

Seien Sie doch ehrlich, nachdem Sie bei Volksentscheiden mehrere krachende Niederlagen kassieren mussten, wollten Sie dem Volk das Mitentscheiden vermiesen. Früher, als Sie hier in der Opposition saßen, hat es Sie nicht gekratzt, dass Unterschriften frei gesammelt werden konnten. Im Gegenteil. Sie haben es mit uns eingeführt. Aber jetzt, wo Sie am Drücker sitzen, entdecken Sie auf einmal Ihre Skrupel. Sie wollen das Volk vor Unterschriftensammlern schützen, aber das Volk fühlt sich gar nicht bedroht. Gehen Sie einmal in die Stadtteile, die Leute wollen sich engagieren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Um das Maß voll zu machen, sagen Sie auch noch in aller Öffentlichkeit, die Amtseintragung sei jetzt schon erschwert, aber wer wirklich einen Volksentscheid will, der würde diese Hürde schon auf sich nehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Volksentscheid ist kein Gesinnungstest, er ist verfassungsmäßiges Recht.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Statt Ihre Energie dazu zu verwenden, den Menschen in dieser Stadt das Mitmachen am politischen Geschehen zu vermiesen, sollten Sie lieber etwas Sinnvolles tun. Für Demokratieabbau hat Sie hier niemand gewählt. Damit fahren Sie vor die Wand – Kreisverkehre hin oder her, Herr Kollege Hesse.

(Beifall bei der GAL und bei Dr. Andrea Hilgers SPD)

Vor genau einem Jahr habe ich Ihnen an dieser Stelle klipp und klar gesagt, dass Sie in diesem Punkt, der nicht verfassungsgemäß ist, vor dem Verfassungsgericht scheitern werden. Sie haben uns damals mangelnde Seriosität vorgeworfen. Nun haben wir das Ergebnis. Sind die Verfassungsrichter in dieser Stadt etwa nicht seriös? Die politische Konsequenz heißt, machen Sie alles rückgängig. Weder die Verfassung lässt eine Aushöhlung zu, die Richter schon gar nicht, noch will das Volk von Ihnen hören, es sei zu dumm, um irgendetwas zu entscheiden.

Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie sich dafür, ziehen Sie das Gesetz zurück. Der Bürgermeister hat darin Übung, er hat schon öfter gesagt, es tut mir Leid, ich habe mich getäuscht, beispielsweise beim HHLAVerkauf, beim Bahnumzug, bei den Protokollen, bei der Entlassung von Roger Kusch. Auf ein Gesetz und auf einen Fehler mehr kommt es in dieser Stadt offenbar nicht mehr an.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wenn Sie das Gesetz nicht zurücknehmen, dann werden die Wählerinnen und die Wähler es Ihnen zerreißen, und zwar beim Volksbegehren, die jetzt drohen, oder beim Volksentscheid entweder kurz vor der Wahl oder am Wahltag. Sie haben es in der Hand. Wie lange wollen Sie noch vor dem Volk verlieren?

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Klooß.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es lässt sich nicht vertuschen und nicht übersehen, dass die CDU und auch der Senat, der hinter ihr steht, mit diesem Urteil in einem bedeutenden Punkt eine entscheidende und vernichtende Niederlage erlitten hat. Was Sie, Herr Kollege Dr. Jäger, hier versucht haben, ist ein bloßes Ablenkungsmanöver, es ist der untaugliche Versuch, diese Niederlage zu bagatellisieren.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich habe mir die Mühe gemacht, in den Ausschussberichten nachzulesen. Wir hatten am 8. Februar 2005, vor etwas mehr als einem Jahr, eine öffentliche Sitzung des Verfassungsausschusses unter Vorsitz – man kann es sich schon denken – des Abgeordneten Herrn Dr. Jäger. In dieser Ausschusssitzung ging es um genau dieses Gesetzesvorhaben. Ich zitiere Ihnen einige wenige Worte aus den Äußerungen der zahlreich erschienen Öffentlichkeit. Ich beginne mit Herrn Dr. Manfred Brandt von der Initiative, der zu dem entscheidenden Punkt – nur zu dem will ich heute auch reden –, nämlich der Entkoppelung von Wahltag und Volksabstimmungstag, gesagt hat:

"Der nächste und auch der entscheidende Punkt ist, dass selbst, wenn ein Volksbegehren einmal erfolgreich sein sollte und es kommt zum Volksentscheid, dann soll dieser Volksentscheid nicht mehr am Tag einer Wahl stattfinden. Dieses so zu entkoppeln, gibt es sonst nicht in Deutschland. Ich weiß im Moment auch weltweit kein Beispiel. Warum machen Sie diese beiden Sachen? Ich spreche jetzt direkt den CDUSenat an: Es ist Wortbruch gegenüber den Menschen, denen Sie 1998 versprochen haben, die Volksgesetzgebung zu erleichtern. Sie führen ein Verfahren ein,

das nicht erfolgreich sein wird. Es bleibt in der ersten Stufe der Volksinitiative relativ leicht – auch im nationalen Vergleich – und hinterher läuft das Volk gegen die Wand."

Es kam dann unter anderem Herr Teichmüller, Vorsitzender des Bezirks Küste der IG Metall, zu Wort. Er hat auf Folgendes hingewiesen. Ich zitiere wiederum:

"Vor 2001 haben wiederum … alle vier Fraktionen die Notwendigkeit einer hohen Beteiligung am Volksentscheid betont und haben gerade das als Grund genommen, warum man einen Volksentscheid nicht vor der Wahl durchführen kann, weil da ja Wahlkampf ist, aber am Wahltag selbst, weil damit die Garantie einer hohen Beteiligung des Volkes und damit eines hohen Quorums gegeben ist. Ich glaube, das ist ein sehr einfacher und auch sehr verständlicher Grund, dass man sagt, wenn das Volk entscheidet, dann möchten wir, dass möglichst viele daran teilnehmen und diese möglichst vielen sind am Wahltag. Auch das ist ein einheitliches Votum aller vier Fraktionen, auch der Fraktion, die das heute ändern und sagen will, wir möchten eine möglichst niedrige Beteiligung und deswegen darf es nicht mehr am Wahltag sein."

Es kam dann der frühere Abgeordnete Markus Wegner zu Wort. Er war zwei Jahre lang Vorsitzender des Verfassungsausschusses. Er hat bestätigt, dass die Regelung, die angegriffen werden und wegfallen sollte, eine Kanalwirkung haben sollte, damit dieses auf den Wahltag kanalisiert und damit eine hohe Wahlbeteiligung erzielt wird.

Ich zitiere zum Schluss die Äußerung des früheren, uns wohl bekannten und von uns allen geschätzten Abgeordneten, Dr. Martin Schmidt. Er hat gesagt, dass die so genannte Trichterwirkung bewusst und gewollt war. Er hat zum Schluss seiner Ausführungen Folgendes gesagt:

"Es geht darum, eine Verfassung teilweise außer Kraft zu setzen, nämlich den Punkt der Trichterwirkung, und man denkt nicht daran, was sonst dran ist. Ich bin ja nicht der Meinung, dass die CDU damit gewinnen wird. Sie wird entweder vor dem Verfassungsgericht oder vor dem Volk damit scheitern."

Weit voraus geblickt, er hatte mit beidem Recht. Vor dem Verfassungsgericht sind Sie gescheitert und im Ansehen vor dem Volk sind Sie auch gescheitert. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält der Abgeordnete Voet van Vormizeele.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kollegen! Jetzt haben wir eine ganze Reihe martialischer Wortschöpfungen gehört, was wir alles erlebt haben, verheerende Niederlagen, schallende Ohrfeigen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Arsenal an kriegerischen Ausdrücken war heute bei der Opposition sehr weit gefasst. Leider, verehrte Kollegen, haben Sie sich in der Sache wenig bewegt.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wann bewegen Sie sich? – Dr. Till Steffen GAL: Sie nicht!)

Sie stehen noch da, wo Sie vor einem Jahr gestanden haben, Sie haben in der Zeit nichts dazu gelernt, Sie haben vor allen Dingen nicht einmal den Mut gehabt zu bekennen, dass Sie bei vier Punkten, zu denen Sie uns allen erzählt haben, diese seien Gesetzesbrüche und moralische Verfassungsbrüche, nicht den Mut gehabt haben, das Gericht anzurufen. Sie haben ganz ge- nau gewusst, dass diese Punkte in Ordnung sind, und genau das haben wir jetzt vom Gericht bestätigt bekommen.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und der GAL)

Ich will aber noch einen Satz aufnehmen, den eben der Kollege Müller gesagt hat. Er sprach davon, ein solches Bürgererfolgsbegehren sei kein Gesinnungstest. In der Tat, ich gebe Ihnen Recht, aber liebe Kollegen, er ist auch keine Spielwiese für Lobbyisten. Genau darum geht es in einem ganz entscheidenden Punkt.

(Zurufe von der GAL)

Herr Klooß, Sie haben eben sehr schön vermeintliche Leumundszeugen für phantastischen Äußerungen zitiert. Die meisten Kollegen kennen wir, weil sie irgendwann in diesem Hause gesessen haben und mehr oder weniger Berufsfunktionäre sind. Das, verehrte Kollegen von SPD und GAL, ist nicht das Volk.

(Ingo Egloff SPD: Sie auch nicht!)

Wenn Sie meinen, das wäre die Bevölkerung, dann liegen Sie weit daneben.

(Beifall bei der CDU)

Wir sollten uns in Ruhe anschauen, was das Gericht in diesem Urteil gemacht hat.

(Dr. Willfried Maier GAL: Reden Sie gerade über das Verfassungsgericht?)

Das Gericht hat nicht gesagt, dass die berühmte, eben schon zitierte Trichterwirkung verfassungswidrig ist. Das Gericht hat keine Ausführungen dazu gemacht, ob es politisch oder gar verfassungsrechtlich materiell sinnvoll ist, am Tag einer Wahl ein Volksbegehren durchzuführen. Das Gericht hat nicht die staatsrechtlich sehr umstrittene Frage aufgenommen, ob es demokratisch gewünscht wird, an einem Tag Wahl und Volksbegehren durchzuführen. Das Gericht hat nur festgestellt, dass wir eine klare, einfach formulierte, formale Frist haben. Diese Frist kann gesetzestechnisch nicht mit einem einfachen Gesetz aufgehoben werden. Das ist aus unserer Sicht bedauerlich, das haben wir zur Kenntnis zu nehmen. Nur wir wollen eines klar feststellen: Das Gericht hat keine materiell rechtlichen Ausführungen gemacht, dass wir in irgendeiner Frage falsch liegen, was wir inhaltlich bewegen wollten. Es hat uns deutlich gesagt, hier hat man einen formalen Fehler gemacht. Diesen formalen Fehler haben wir zur Kenntnis zu nehmen, den haben wir klarzustellen, aber es hat das Gesetz als solches nicht in Frage gestellt.