Protocol of the Session on February 22, 2006

(Lars Dietrich CDU: Sagen Sie doch mal etwas zu Finnland!)

Ich sage im Moment überhaupt nichts zu Finnland.

(Lars Dietrich CDU: Sie vergleichen immer Finn- land mit Deutschland. Der Vergleich hinkt auch! – A C B D Gegenruf von Katja Husen GAL: Melden Sie sich doch!)

In der Klasse wartet man, bis die Schüler ruhig sind, Herr Dietrich.

In manchen Punkten decken sich die inhaltlichen Forderungen der Grünen sogar mit Ihren, meine Damen und Herren von der CDU. Man muss nur schauen, wie die Ausgestaltung und die Realität aussieht. Herr Buss hat es eben schon angesprochen, Sie haben mehr Ganztagsschulen geschaffen – meine ehemalige Schule ist auch eine Ganztagsschule geworden –, aber Sie haben an den bestehenden um 60 Prozent gekürzt. Das ist nicht nur mit Honorarmitteln ausgleichbar, um vernünftige Ganztagskonzepte mit Rhythmisierung zu machen. Das ist auch nicht der Jugendhilfe zu überlassen. Sie wollen aber eine frühere Förderung ab der Kita – das wollen wir auch, wunderbar –, ich frage mich nur, warum gerade Kinder aus armen Familien keine Ganztagesplätze mehr bekommen dürfen, obwohl gerade sie es dringend nötig hätten.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Sie wollen mehr Sprachförderung? Warum soll die Sprachförderung bei Ihnen schon nach der Vorschule enden, abgesehen davon, dass Sie die Vorschule kostenpflichtig gemacht haben? Einen größeren Blödsinn kann man gar nicht machen. Die Schülerinnen brauchen in der Grundschule und auch weiter im Fachunterricht ab Klasse 5 Sprachförderung, und zwar mit der Methodik und der Didaktik Deutsch als Zweitsprache. Fachunterricht ist auch später Deutschunterricht.

Dann kommen wir zur Einführung Ihrer Standards, von denen Sie immer schwärmen. Wir wollen auch Standards. Aber Sie meinen, Sie könnten den Output mit zentralen Prüfungen kontrollieren und dann würden die Schülerinnen schon besser werden; von der Input- zur Output-Kontrolle, wie Sie immer stolz verkünden. Das ist so, als würden Sie Hochspringer höher springen lassen, wenn Sie die Latte höher hängen, aber nichts tun, nur weil die Latte höher liegt. Das hat Ihnen, aber vor allen Dingen auch der Senatorin, Professor Lehmann ins Buch geschrieben. Der sagte in der Pressekonferenz ganz deutlich im Widerspruch zur Senatorin, man schaffe allenfalls Mindestleistungen, aber keine Höchstleistungen. Wir brauchen also Standards, um die Förderung der Schülerinnen zu organisieren, und nicht, um sie zu testen und auszusortieren.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich komme noch einmal zu den Aufgaben der EnqueteKommission. Wir müssen es leisten und schaffen, dass wir von der sozialen Ungerechtigkeit und dem Aussortieren der Schülerinnen wegkommen. Wie bekommen die Kinder mit Migrationshintergrund ihre Chancen, wie schaffen wir es, alle Fähigkeiten und Talente zu entfalten – ich sage nur: "Neun macht klug" –, wie bekommt Hamburg weniger Abbrecher und mehr Abiturienten? Meine Damen und Herren, das ist nicht möglich ohne radikale Änderung der Strukturen und damit meine ich auch eine radikale Veränderung des Unterrichts: Weg vom langweiligen 45-Minuten-Takt, weg vom reinen Fächerunterricht, individuelle Förderung im Lernbüro. Wir haben wunderbare Beispiele, wir müssen gar nicht mehr nach Finnland schauen, Herr Dietrich.

(Lars Dietrich CDU: Sie machen hier die Verglei- che, ich nicht!)

Schauen Sie sich die Max-Brauer-Schule oder die Gesamtschule Winterhude an. Dort gibt es Projektunterricht und fächerverbindenden Unterricht. Wir brauchen aber neben der radikalen Veränderung des Unterrichts auch andere Strukturen, damit Kinder gemeinsam lernen. Schauen Sie sich heute die Anmeldezahlen an. Wir haben 60 Prozent mehr Anmeldungen in der Kooperativen Gesamtschule. Die Eltern wollen ihre Kinder nicht schon nach Klasse 4 sortiert haben. Wenn wir so weitermachen, Herr Heinemann, werden jedes Jahr tausende von Kindern demotiviert und aussortiert.

(Beifall bei der GAL)

Nun haben wir zurzeit den guten Professor Muñoz in Deutschland, was ein richtiger Segen ist. Ich musste darüber schmunzeln, dass nun alle die, die nicht pädagogisch qualifiziert sind, meinen, da kommt jemand aus Costa Rica und will uns sagen "was Sache ist". Es ist eine Schande, dass in der Kultusministerkonferenz kein Kultusminister anwesend war, als Professor Muñoz dort gesprochen hat.

(Lars Dietrich CDU: Weil sie den nicht ernst neh- men!)

Alle haben sich vertreten lassen. Stellen Sie sich vor, Herr Dietrich, wie es ausgesehen hätte, wenn einer aus den USA oder aus Finnland gekommen wäre?

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Professor Muñoz von der UNO hat es gewagt, die heilige Kuh der Deutschen anzugreifen. Na ja, er hat höflich darauf hingewiesen, man sollte die Dreigliedrichkeit des Schulwesens überwinden, und hat uns das ins Aufgabenbuch der Enquete-Kommission geschrieben. Das sollten wir ernst nehmen. Ich denke, wir kommen nicht drum herum.

Ein letzter Punkt, der aber nicht direkt mit PISA verbunden ist, obwohl es sich auf Dauer auswirken wird. Professor Muñoz hat auch auf das Zusammenwirken der Länder und des Bundes hingewiesen, weil er weltweit eine große Erfahrung hat. Nicht nur bei der Bildungsfinanzierung, sondern auch bei der Umsetzung von Erkenntnissen müssen Länder und Bund zusammenarbeiten. Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen der SPD, ihren Einfluss im Bund wahrzunehmen. Der Bund muss weiterhin die Möglichkeit haben, sich an der strategischen Planung und der Finanzierung von Bildung zu beteiligen. Ich habe große Bedenken, wenn Frau Schavan sagt, mit der Föderalismusreform würde ein innovativer Föderalismus entstehen. Da kann ich nur sagen: Hilf Himmel, das ist fast so schlimm, als würde man Herrn Kusch die Länderhoheit über die Justiz geben. Allein auf diesen guten Willen und die gute Vernunft aller Beteiligten und dieser Kultussenatorin zu hoffen, darauf kann ich nicht setzen. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Lein.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Heinemann, nur zwei kleine Anmerkungen.

Sie haben Glück mit Ihrem Redebeitrag, weil Sie sich auf PISA 2003 und PISA-E-2003 beziehen können. Sie hätten Pech, wenn die KESS-7-Ergebnisse schon auf dem Tisch lägen, denn da zeigt sich in der Tat sehr deutlich, Hamburg hat sehr wohl ein Bekenntnis zur Leistung abgelegt und das schon lange vor Ihrer Zeit. Hamburg hat gegen Ihre Stimmen die Verlässliche Halbtagsgrundschule entstehen lassen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn die ersten Vorberichte stimmen, ist das ein Zuwachs, der in KESS 7 sehr deutlich nachgewiesen wird. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Zuwachs an Lernen erhebliche Auswirkungen hat. Das haben die Kinder, die in PISA 2003 getestet worden sind, noch nicht mitbringen können.

Und dann noch etwas anderes: Die meisten Kollegen werden den Bericht des Schulausschusses nicht intensiv gelesen haben. Aber schauen Sie auf Seite 23. Da stehen Zahlen zu den Rangplätzen der Hamburger Fünfzehnjährigen nach Migrationsstatus. Die mag Herr Heinemann natürlich nicht so gern lesen. Da sieht Hamburg besser aus als Bayern. Das wollen wir einmal festhalten.

Oder ein Zweites: Schauen Sie auf Seite 25. Da geht es um den Ländervergleich bei den Leistungsrückständen der Fünfzehnjährigen mit Migrationshintergrund. Da sieht Ihr gelobtes Bayern auch nicht doll aus und Bayern hat nicht einmal allzu viele Fünfzehnjährige mit Migrationshintergrund.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft von der Drucksache 18/3707 Kenntnis genommen hat.

Tagesordnungspunkte 45 und 46. Drucksache 18/3668 (Neufassung) , Antrag der SPD-Fraktion: Schulische Integration verbessern: Sprachförderung durch Sommercamps ausbauen – alle Kinder zum Lesen bringen, und Drucksache 18/3669, Antrag der SPD-Fraktion: Schulische Integration verbessern: Sitzen bleiben durch Frühjahrscamps verhindern – Förderung intensivieren.

[Antrag der Fraktion der SPD: Schulische Integration verbessern (I): Sprachförderung durch Sommercamps ausbauen – alle Kinder zum Lesen bringen – Drucksache 18/3668 (Neufassung) –]

[Antrag der Fraktion der SPD: Schulische Integration verbessern (II): Sitzen bleiben durch Frühjahrscamps verhindern – Förderung intensivieren – Drucksache 18/3669 –]

Die Drucksache 18/3668 (Neufassung) möchte die CDUFraktion an den Schulausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Frau Özoguz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bürgermeister von Beust wird heute in einer großen Hamburger Zeitung mit den Worten zitiert, die Integration von Ausländern und Migranten sei nicht gelungen.

Die Frage, die sich automatisch aufdrängt, ist: Was hat Bürgermeister von Beust bisher für die Integration von Ausländern und Migranten getan?

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch und Christian Maaß, beide GAL)

Da sieht es nicht besonders üppig aus. Kein Wunder, dass dieses Thema dann lieber beiseite gedrängt und stattdessen ein bisschen länger über Islamunterricht philosophiert wird. Auch hier ein bemerkenswerter Fehltritt. Wir haben keine Berliner Verhältnisse und wir sind froh darüber. Bei uns können Kinder in der Schule über ihre eigene, aber auch über andere Religionen etwas lernen und das soll auch so bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Zu unserem Antrag: In allen Ländern mit starker Einwanderung gibt es die einheitliche Erfahrung, dass Zuwanderer sich zunächst in bestimmten Wohnquartieren konzentriert ansiedeln. Wir wissen auch, dass die Zuwanderung hauptsächlich in die Großstädte stattgefunden hat. Fast die Hälfte aller Einwohner Deutschlands mit ausländischer Staatsangehörigkeit lebt in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern, während dies bei nur rund 30 Prozent der Deutschen der Fall ist. Heute gehen wir davon aus, dass rund 40 Prozent aller Grundschülerinnen und Grundschüler einen Migrationshintergrund haben. Sie sind also überproportional in den Ballungsgebieten vertreten. Da bedarf es einer besonderen Anstrengung, diese Kinder systematisch zu fördern.

Die PISA-Studie, die heute schon mehrfach zitiert wurde, belegt, dass viele dieser Kinder sprachliche Probleme haben, die mit den bisherigen schulischen Mitteln nicht ausreichend behoben werden können. Die Studie belegt aber auch, dass die Leistungsrückstände im engen Zusammenhang mit der sozio-ökonomischen Lage der Schülerfamilien stehen. In keinem anderen Bundesland – das hat Frau Goetsch gesagt, ich möchte es aber trotzdem gern noch einmal wiederholen – klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander wie in Hamburg. Es geht um Armut in wirtschaftlicher Hinsicht und um Armut in der Verfügung über kulturelle Ressourcen und Bildung. So entstehen Armutsstrukturen, Armutsmilieus und verfestigte Bildungsarmut.

Erst gestern hat der UNO-Sonderberichterstatter, Muñoz Villalobos, kritische Anmerkungen zur Integration von Ausländerkindern und auch zu diesem engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg gemacht, wie heute in der Zeitung zu lesen war.

Herr Heinemann, in diesem Zusammenhang möchte ich Sie daran erinnern, weil Sie sich selbst eben so sehr gelobt haben, es war kein Erfolg Ihres Senats, gerade in solchen Brennpunkten beispielsweise Vorschulgebühren einzuführen und damit zu leben, dass gerade in diesen Brennpunkten plötzlich keine Vorschulklassen mehr zusammen kamen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Uns erscheint daher das Konzept des Max-PlanckInstituts als sehr erfolgversprechend, das bereits in Bremen angewandt wurde. 150 Drittklässler aus 23 Grundschulen haben in 2004 an Sommercamps teilgenommen, in 2005 waren es bereits 200 Kinder. Hierfür werden ganz besonders Kinder aus Migrantenfamilien mit Sprachförderbedarf ausgesucht. In Freizeithäusern und in Schul

landheimen werden anhand von Gruppen unterschiedliche Projekte wie zum Beispiel Theaterspielen durchgeführt. Im Vordergrund steht dabei – das ist eben das Besondere – immer der Gebrauch der deutschen Sprache, und zwar spielerisch. Skeptisch war man, ob beispielsweise die Eltern mitmachen und Ihre Kinder in solche Camps geben würden. Viele haben das ganze Projekt für unrealistisch gehalten. Tatsächlich aber gingen beim Bremer Bildungssenator im ersten Gang 251 Bewerbungen für die vorhandenen 150 Plätze ein. Auch die ausgewerteten Ergebnisse zeigen an einigen Stellen deutliche Sprachverbesserungen. Ich denke, dass die fertige Evaluation auch zur Verfeinerung an weiteren Stellen führen wird. Man sollte kein Konzept von Anfang an für das beste halten, aber insgesamt ist hier mit Sicherheit ein guter Ansatz gefunden worden und wir unterstützen dieses auch.

Natürlich noch ein paar Worte zum zweiten Antrag, der hier zusammengefasst wurde und der auf das Vermeiden von Sitzenbleiben zielt. PISA hat gezeigt, dass die Wiederholerquote in Hamburg im Bereich der Grundschulen leicht über dem bundesdeutschen Durchschnitt liegt. Nun hat wiederum Bremen im vergangen Jahr zum ersten Mal Ostercamps eingeführt, in denen Schülerinnen und Schüler, deren Versetzung in die nächst höhere Klassenstufe gefährdet ist, gezielt gefördert werden. Rund 50 Prozent – das ist eine bemerkenswerte Zahl – der zunächst versetzungsgefährdeten Schülerinnen und Schüler, die in den Osterferien 2005 an dieser Förderung teilgenommen haben, sind versetzt worden. Außerdem haben sich fast 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler um eine Notenstufe in den Fächern verbessert, in denen sie gefördert worden sind.

Wir alle wollen im Bereich der Sprachförderung weiterkommen und wir müssen auch endlich diesen Teufelskreis durchbrechen, dass Kinder aus sozialen Brennpunkten schlechtere Bildungschancen haben als andere. Diese Modellprojekte können gute, praktische und schnell wirksame Schritte sein, um zu besseren Lernerfolgen zu kommen. Wir würden uns daher sehr freuen, wenn Sie unseren Anträgen zustimmen würden.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält der Abgeordnete Lemke.