Protocol of the Session on August 25, 2005

Ich nenne Ihnen Beispiele. Auf dem Gelände der LettowVorbeck-Kaserne in Jenfeld hat der Senat zusammen mit der Regierungsfraktion die richtigen Weichenstellungen vorgenommen: 60 Prozent familienfreundliches Wohnen, 20 Prozent wohnortnahes Gewerbe, 20 Prozent Grünfläche. Alles wird aus einer Hand gestaltet, in einem Stadtteil, der bisher nicht von der Sonne beschienen wurde. Gerade dort machen wir mit ganz konkreten Projekten Stadtentwicklungspolitik. Hamburg kann auf den neuen Konversionsflächen wachsen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Auf dem Gelände der Röttiger-Kaserne haben wir ein Potenzial von 55 Hektar Wohnbauflächen für Einfamilienhäuser. Die Nutzungsaufteilung wird noch verfeinert.

Auf den frei werdenden Flächen des Krankenhauses Rissen, des Klinikums Nord, des Klinikums Eilbek haben wir erhebliche Potenziale für familienfreundliches Wohnen und für Gewerbe.

Was andere Senate nicht geschafft haben, hat dieser Senat umgesetzt, er hat den ersten Konversionsflächenbericht vorgelegt. Es werden Nägel mit Köpfen für die wachsende Stadt gemacht. Wir werden diesen Plan Punkt für Punkt abarbeiten.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Herr Lieven.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin. Herr Senator, ein One-Dollar-Man zur Beschleunigung der Entwicklung der Konversionsflächen reicht nicht aus. Man mag von Herrn Echternach halten, was man will, aber dass das wirklich Ihre große Initiative zur Beschleunigung dieses Dramas sein soll, das können Sie doch nicht wirklich versuchen, dem Parlament und der Öffentlichkeit weiszumachen.

Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie dieses schöne, bunt bedruckte Papier hier präsentieren, um von anderen Dingen abzulenken, beispielsweise, dass Sie neue Evokationen in landschaftlich und ökologisch hochwertigen Gebieten vorbereiten und dass Sie 3000 Kleingärten zum Abschuss frei geben.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das ist ein Faktum. 2100 dieser Kleingärten sind bereits in Ihrer ersten und zweiten Tranche enthalten. Es laufen Bebauungsplanverfahren, Evokationen sind auf dem Wege oder es ist bereits Planungsrecht vorhanden. Der Flächennutzungsplan weist bereits einige dieser Kleingartengebiete als Gewerbeflächen aus, vor allem innerhalb des zweiten grünen Ringes. Ich möchte Sie daran erinnern, dass im Umweltbericht 2001 des vorletzten Senats als Ziel stand, bis 2010 sollten alle Kleingartenflächen innerhalb des zweiten grünen Ringes planungsrechtlich abgesichert sein. Sie machen jetzt genau das Gegenteil. Für Sie lautet die Devise, dass bis 2010 alle Kleingartenflächen innerhalb des zweiten grünen Ringes möglichst

gewerblich oder zu Wohnbauzwecken genutzt werden sollen, wenn es planungsrechtlich irgend machbar ist. Dann verlagern Sie die Kleingärten an den Stadtrand.

(Olaf Ohlsen CDU: Das ist doch dummes Zeug, Herr Lieven!)

Das ist Ihre Politik. Darüber kann jetzt hier auch keine Rhetorik hinwegtäuschen.

Man muss diesen Konversionsflächenbericht in den Rahmen einsetzen und dann sieht man, dass dort enorm viel Schatten und sehr wenig Licht ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft von der Drucksache 18/2650 Kenntnis genommen hat.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 71, dem Antrag der SPD-Fraktion: Senatspolitik gefährdet "Wachsende Stadt".

[Antrag der Fraktion der SPD: Senatspolitik gefährdet "Wachsende Stadt" – Drucksache 18/2696 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Neumann.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Das ist jetzt die Fortsetzungsdebatte dessen, was wir uns schon gerade anhören mussten, nämlich die Debatte darüber, wie weit der Senat in der Lage ist, sein zentrales Leitmotiv, das Konzept der Wachsenden Stadt, erfolgreich umzusetzen.

Es gab in den ersten Jahren nach der Regierungsübernahme 2001 keine Presseerklärung und keinen Debattenbeitrag ohne die beiden Zauberworte "Wachsende Stadt". Auch eben in der Rede von Herrn Freytag kam es 14-mal vor.

Das Konzept der Wachsenden Stadt ist jedoch keineswegs neu und originell ist es auch nicht. Hamburg war von Beginn an eine wachsende Stadt und sie ist es seit mehr als 800 Jahren, ganz besonders nach den furchtbaren Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, als Hamburg zu dem wurde, was es dann lange Jahrzehnte war, nämlich die schönste und erfolgreichste Stadt unserer Republik.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Hamburg hat das auf der Grundlage seines ökonomischen Erfolges und auf der Grundlage des sozialen Fortschritts erreicht. Wir waren immer eine wachsende Stadt, die gemeinsam wuchs und die vor allen Dingen zusammenwuchs. Als Bürgermeister Voscherau im Überseeclub die HafenCity-Rede hielt, war allen klar, das wird der nächste Schritt des Erfolgsmodells Wachsende Stadt Hamburg sein.

Mit der Regierungsübernahme durch Herrn von Beust, seinen ersten Senat, ging die Verantwortung für die wachsende Stadt Hamburg auf Sie über.

(Barbara Ahrons CDU: Gott sei Dank, kann ich nur sagen!)

Gerne führten Sie dieses hamburgische Erfolgsmodell im Munde, Sie vergaßen dabei nur vor lauter Begeisterung, dass es mindestens zwei Säulen gab, warum Hamburg immer eine erfolgreiche Stadt gewesen ist: Sie war immer ökonomisch erfolgreich und sie war sozial fortschrittlich und beide Gründe waren Voraussetzung füreinander.

(Beifall bei der SPD und vereinzelter Beifall bei der GAL)

Wir müssen heute feststellen, dass die Entwicklung ins Stocken geraten ist, es geht nicht richtig voran. Es geht vor allem deshalb nicht richtig voran, weil eine Stadt nicht wächst und sich Menschen nicht für Kinder und Familie entscheiden nur weil Herr Peiner für seinen Länderfinanzausgleich gern zwei Millionen Einwohner hätte oder weil Herr Kusch so große Gefängnisse baut und nun hofft, dass ein wachsendes Hamburg auch ein kriminelleres Hamburg ist. Sie haben Investitionsentscheidungen getroffen, die helfen sollen – darüber haben wir heute auch schon diskutiert –, die Infrastruktur in Hamburg zu verbessern. Sie wollen mehr als eine Viertel Milliarde Euro für zwei U-Bahn-Stationen in der HafenCity ausgeben, von der U-Bahn nach Bramfeld und Steilshoop, glaube ich trotz aller Beteuerungen heute, haben Sie sich schon lange verabschiedet.

Sie produzieren am Wochenende Schlagzeilen mit der Falschmeldung, dass der Bund dieses Projekt mit 100 Millionen Euro unterstützen wird, gleichwohl Sie – das haben wir heute auch nach Aussage des Senators erfahren – in Berlin weder einen Antrag abgegeben haben, noch abschließend die belastbaren Zahlen geprüft worden sind.

(Hartmut Engels CDU: Haben Sie das vorhin nicht verstanden?)

Ich will auch noch etwas dazu sagen, was heute der Stadtentwicklungssenator geäußert hat. Er hatte sich gefreut, dass Hamburg 100 Millionen Euro spart. Ich weiß nicht, wie Ihr Staatsverständnis ist, aber auch diese 100 Millionen Euro – kämen sie denn aus Berlin – sind Steuergelder und sind auch von den Menschen dieser Stadt bezahlt.

(Barbara Ahrons CDU: Ach nee!)

Deshalb wird es nicht besser, nur weil das Geld aus Berlin kommt. Die grundsätzliche Entscheidung einer U-Bahn in die HafenCity ist und bleibt falsch.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Sie wollen daneben die Elbphilharmonie mit mindestens 70 Millionen Euro Steuergeldern finanzieren und – Sie mögen das für kleinteilig halten – Sie streichen gleichzeitig bei der Jugendmusikschule. Bezeichnend für Ihre Politik in dieser Stadt ist, dass Sie noch nicht einmal versuchen, ein Bündnis für die Kultur zu schmieden und darüber nachzudenken, ob man vielleicht die große richtige Vision der Elbphilharmonie mit der Förderung der Jugend, der Kultur der Musik verbinden könnte, um darüber eine soziale Symmetrie in der Stadt herzustellen. Sie sagen, wir machen das, wir wollen das, wir ziehen das durch, weil wir davon überzeugt sind, dass es richtig ist.

(Vizepräsidentin Bettina Bliebenich übernimmt den Vorsitz.)

Diese wenigen Beispiele machen aber deutlich, dass Sie die Grundlage der Idee der Wachsenden Stadt Hamburg nicht verstanden haben. Hamburg wird nicht wachsen, nur weil unsere Polizei jetzt in blauen und nicht mehr in grünen Uniformen herumläuft. Die Menschen in Bramfeld und Steilshoop werden sich nicht für Kinder und Familie entscheiden, nur weil eine U-Bahn-Station der HafenCity gebaut werden wird. Die wachsende Stadt Hamburg braucht soziale Balance. Mit Ihrer Politik haben Sie den Bezugspunkt unserer Stadt verloren, denn der Bezugspunkt sind die Menschen in unserer Stadt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelter Beifall bei der GAL)

Die wachsende Stadt war nach dem Zweiten Weltkrieg nie bloßer Selbstzweck, das sollte dem Wohle der Menschen dienen. Sie haben nicht verstanden, dass der zukünftige Wohlstand unserer Stadt, die Lebensqualität, die Chancen der Menschen, wesentlich davon abhängen, welche Art von Kinder-, von Familien- und Bildungspolitik wir heute betreiben, und dass ökonomischer Erfolg sozialen Fortschritt voraussetzt und umgekehrt. Ich nehme das Beispiel der Familien- und Kinderpolitik, der Bildungspolitik.

Familien leisten nachgewiesenermaßen unendlich viel für unsere Gesellschaft, aber die Gesellschaft hat auch die Aufgabe, viel für unsere Kinder und Familien zu tun.

In einer wachsenden Stadt muss es auch eine Politik für Familien geben, weil wir dringend mehr Kinder in unserer Stadt brauchen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Vor über 40 Jahren sagte ein Mann im Rheinland, – er ist vielleicht nicht der Richtige, ihn hier zu zitieren, aber er hat etwas Kluges gesagt, nämlich –

"dass die Zukunft unseres Volkes weniger stark von der Zahl der Kraftwagen, als von der Zahl der Kinderwagen abhängt."

Ich glaube, dass er damit den zentralen Punkt getroffen und beschrieben hat, den wir heute einfach in der Fehlentwicklung feststellen müssen. Die Zahl der zugelassenen Kraftwagen hat sich seit 1960 vervierfacht, die Zahl der Kinder ist um ein Viertel gesunken. Auch unsere Stadt Hamburg ist in weiten Teilen eine kinderentwöhnte Stadt geworden.

Ich hatte heute morgen einen Termin in dem Kindergarten in Marienthal, der jetzt geschlossen werden soll. Herr Klimke war dort auch zu späterer Stunde anwesend. Mein erster Gedanke war, dass es nicht die Nachbarschaft ist, die vor dem Kinderlärm geschützt werden muss, sondern eigentlich sind es die Kinder, die vor dem Straßenlärm geschützt werden müssen.

(Beifall bei der SPD, der GAL und vereinzelt bei der CDU)