Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dankenswerterweise hat die GAL zum Thema Gesundheit im Strafvollzug einen umfangreichen Fragenkatalog vorgelegt, der die Situation in den Hamburger Strafvollzugsanstalten abbilden soll.
Denn wie Frau Husen schon zu Recht bemängelt hat, hat sich gezeigt, dass ein Großteil der wesentlichen Daten und Zahlen vom Senat schlicht nicht erhoben werden und daher einer statistischen Auswertung nicht zur Verfügung stehen.
Gerade zu den interessantesten Fragen bleibt es daher allzu oft bei der stereotypen Antwort: Die erfragten Daten werden nicht erfasst, die Ermittlung ist mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich.
Dies ist schon deshalb ein schweres Versäumnis, weil es den Handelnden in Politik und Verwaltung auf diese Weise nicht möglich ist, Maßnahmen zu bewerten und Fehler gegebenenfalls zu korrigieren. Eine an objektiven Kriterien zu messende und zu prüfende Strafvollzugspolitik kann ohne solches Datenmaterial nicht stattfinden. Darüber hinaus muss man sich aber auch die Frage stellen, ob die mangelhafte Datenerhebung nicht auch insoweit System hat, als man die dabei mutmaßlich zutage tretenden Ergebnisse fürchtet.
Frau Husen hat schon einige Beispiele genannt. Ich werde Ähnliches tun. Es mag Wiederholungen geben, aber das macht nichts, denn man kann manches offenbar gar nicht oft genug sagen. Frau Spethmann hat sich bemüht, die unangenehmen Wahrheiten auszublenden. Ich will nicht verkennen, Frau Spethmann, dass gesundheitlich bestimmte Maßnahmen auch im Hamburger Strafvollzug ergriffen werden, aber das sind doch wohl Aufgaben, die selbstverständlich sind und darauf muss man nicht besonders stolz sein. Das ist pure Pflichterfüllung. Aber es bedarf einiger Anstrengungen, und zwar erheblicher Anstrengungen mehr.
Ich will hier einmal exemplarisch den Abbau der Spritzenautomaten herausgreifen. Dieses war bekanntlich eine der ersten Maßnahmen, mit denen sich der Justizsenator Dr. Kusch einen Namen als Law- and OrderMann in Hamburg schaffen wollte. Von Experten und vonseiten der beiden Oppositionsparteien ist damals vor den gesundheitlichen Folgen, die ein Verzicht auf diese Automaten bedeuten würde, gewarnt worden. Die Gefahr eines Anstiegs von Hepatitis-Erkrankungen haben wir Ihnen, Herr Senator, damals deutlich vor Augen geführt.
Dass es keine drogenfreien Knäste gibt, ist eine bittere Wahrheit, die wir als Rechtspolitiker leider anerkennen müssen. Dieser Erkenntnis war die Einrichtung der Spritzentauschprogramme und der Spritzenautomaten geschuldet, denn zumindest sollte man verhindern, dass sich Dutzende von Gefangenen eine Spritze teilen oder – und Sie wissen, dass das keine Gruselgeschichten sind,
Das Mindeste, was Sie schon in Ihrem eigenen Interesse hätten tun müssen, Herr Senator, wäre gewesen, die Zahl dieser Erkrankungen statistisch zu erfassen und auszuwerten, um zu sehen, welche Folgen der Abbau der Spritzenautomaten hat.
Dies haben Sie unterlassen und ich behaupte, dass Sie es mit Absicht unterlassen haben, um sich nun keiner Diskussion in der Sache stellen zu müssen und womöglich anzuerkennen, was unsere Befürchtungen waren und Sie falsch lagen.
Jedenfalls ist es eine ungeheuere Leichtfertigkeit, mit der Sie hier Ihre Aufgaben versehen, Herr Senator, denn den Strafvollzug nannten Sie hier als einen Ihrer politischen Schwerpunkte. Die Frage der Gesundheit spielt dabei eine große Rolle, denn wenn man zum Beispiel Drogensucht als eine Krankheit begreift, eine Einsicht, die sich auch auf der rechten Plenumsseite vermehrt durchsetzen sollte, dann muss man feststellen, dass über ein Drittel der Insassen der Hamburger Strafvollzugsanstalten schwer krank, nämlich drogenabhängig sind. Die Drogensucht der Insassen ist eines der Hauptübel, an denen der Strafvollzug auf der ganzen Welt, jedenfalls in den westlichen Industrienationen, krankt. Im Übrigen, die Frage, wie viele Menschen bei Strafantritt schon drogenabhängig waren und wie viele es erst im Knast wurden, konnten Sie mangels entsprechender Erhebungen nicht beantworten. Das ist mehr als bedauerlich, zeigt aber, wie wenig wichtig Ihnen dieses Thema ist.
Die Drogen sind einer der wesentlichen Faktoren bei der Bildung der so genannten Subkulturen, die das Leben für die Gefangenen vor allem in den geschlossenen Anstalten, aber auch den Dienst von Vollzugsbeamtinnen und -beamten derart schwer machen. Man würde einen Beitrag zur Bekämpfung dieser Subkulturen leisten und damit auch einen Beitrag zur Resozialisierung der Gefangenen insgesamt, wenn es gelänge, den Drogensüchtigen eine Chance zum Ausstieg zu ermöglichen. Dies kann aber nur durch umfangreiche Therapieangebote stattfinden, welche Sie, Herr Senator, aber leider nicht auf Ihrer Agenda haben. Ihnen scheint schlicht die Einsicht in die komplexen Zusammenhänge innerhalb der Anstalten zu fehlen. Wie sonst käme man auf die Idee, einen Mammutknast, eine Schule des Verbrechens, wie Billwerder, mit der einen Hand hochzuziehen und mit der anderen Hand kleine, fachlich hoch geschätzte Vollzugseinrichtungen, wie die Sozialtherapeutischen Anstalten, dichtzumachen.
Es bleibt dabei: Was hier in Hamburg vollzogen wird, ist der Rückmarsch in alte unselige Zuchthauszeiten.
Das Motto heißt nach wie vor: Verwahr- und Wegsperrvollzug statt Resozialisierung mit der bekannten Folge, dass immer mehr Strafgefangene rückfällig werden.
Unter dieser neuen, alten Vollzugsphilosophie haben vor allem die Bediensteten zu leiden, denen Sie unter erschwerten äußeren Bedingungen zumuten, ihren harten
Dienst zu leisten. Der Personalschlüssel, den Sie mittlerweile für die Hamburger Anstalten anlegen, ist vollkommen unzureichend und stellt eine Unzumutbarkeit für alle Beteiligten dar. Der in den letzten Monaten sprunghaft gestiegene Krankenstand hat dies belegt. Dieses, Herr Senator, ist doch ein Hilfeschrei aus den Anstalten. Sie müssen hier reagieren und handeln. Es muss endlich ein tragfähiges Gesamtkonzept für den Hamburger Strafvollzug her, denn die Sicherheit der Bevölkerung ist nur durch eine funktionierende Resozialisierung einmal straffällig gewordener Menschen zu erreichen. Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, kurz darauf hinzuweisen, dass wir in Wahlkampfzeiten sind, wo der politische Blick manchmal etwas schärfer ist als in den Zeiten, in denen das politische Fahrwasser ruhiger ist.
(Katja Husen GAL: Unterstellung! – Claudius Lieven GAL: Bleiben Sie so sachlich wie Ihr Vor- redner!)
Ich möchte meiner persönlichen Freude darüber Ausdruck verleihen, dass ich fest davon überzeugt bin, dass das Gedächtnis der deutschen Wählerinnen und Wähler deutlich besser ist als das Gedächtnis der Oppositionsabgeordneten in der Hamburgischen Bürgerschaft.
Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft Oppositionsabgeordnete dem Senat und auch mir persönlich vorwerfen, dass wir relativ früh nach Amtsübernahme den Spritzentausch eingestellt haben.
Ich weiß noch nicht mal, ob ich hier schon zwei- oder drei- oder fünfmal die Argumente genannt habe, denn ich fühlte mich in den letzten Jahren schon so oft genötigt, immer wieder auf dasselbe hinzuweisen, sodass ich aufgehört habe zu zählen. Aber, Herr Klooß, Sie haben so ausführlich diese Kritik erhoben, dass ich die beiden Kernargumente doch noch einmal in Erinnerung rufen will und sei es auch nur Ihnen zuliebe.
Meine Vorgängerin Peschel-Gutzeit hatte in ihrem persönlichen Bücherschrank ein Gutachten des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover, und zwar von einem späteren SPD-Justizminister aus Niedersachsen, in dem wissenschaftlich die Folgen des Spritzentauschs analysiert wurden und Professor Pfeiffer zu zwei zentralen Aussagen gekommen ist.
Zwei Ziele wurden nicht erreicht. Erstes Ziel des Programms war, die Zahl der unsterilen Spritzen zu senken. In Wahrheit ist aber die Zahl der unsterilen Spritzen, die unerkannt in den Vollzugsanstalten vagabundierten, drastisch gestiegen. Das heißt, der als Spritzentausch verkaufte Vorgang war in Wahrheit eine Spritzenausgabe. Die Beamten haben nicht darauf geachtet und die Automaten wurden vielfach übertölpelt mit primitiven technischen Mitteln, sodass nicht für jede sterile Spritze eine unsterile zurückgegeben wurde. Das heißt, Sie haben bewusst und billigend in Kauf genommen, dass durch Hunderte unsteriler Spritzen auch die Gesundheit der Bediensteten bei Zellenkontrollen in höchster Gefahr war.
Zweitens hat, darauf habe ich hier auch schon hingewiesen, Professor Pfeiffer festgestellt, dass sich die Gefangenen leider nicht an die Regeln des Spritzentauschs hielten, sondern zum Spritzentausch Kuriere einsetzten. Das heißt, solche Gefangenen, die selbst gar kein Interesse an Drogen hatten, sollten für die drogensüchtigen Gefangenen, die nicht aus der Deckung und der Anonymität heraustreten wollten, Kurierdienste leisten. Diese Kuriere wurden entlohnt durch die Heroinreste in den Spritzen. Das war eigentlich Anstiftung zu gefährlicher Körperverletzung, was da passiert ist, und deshalb war es keine politische Entscheidung, sondern eine menschlich und rechtlich unumgängliche Entscheidung, mit diesem ungeheuerlichen Vorgang Schluss zu machen.
Ich möchte mir aber ein Kompliment an die Fraktion der GAL nicht verkneifen, dass Sie zumindest einen ganz geschickten Versuch unternommen haben, mit dieser Großen Anfrage den Blick der hamburgischen Öffentlichkeit in die von Ihnen gewünschte Richtung zu lenken, denn die Große Anfrage ist, was die Zahl und Detailliertheit der Fragen angeht, dazu angetan, bei jedem, der dieses Werk einmal diagonal liest – manche Fragen auch vielleicht ganz und gar –, den Eindruck zu erwecken, als sei es ein komplettes Kompendium dessen, was wir uns unter Gesundheit im Strafvollzug vorstellen.
Ich kann nur an das anknüpfen, was Frau Spethmann gesagt hat. Diese Debatte hat bereits jetzt deutlich gemacht, dass die Oppositionsfraktionen und die Fraktion der CDU grundlegend unterschiedliche Gesundheitsbegriffe haben, und mein persönlicher Gesundheitsbegriff ist sehr viel näher an dem, den Frau Spethmann hier dargestellt hat, als an dem Gesundheitsbegriff, den ich aus den Oppositionsreihen gehört habe.
Sie haben in Ihrer Anfrage auf ein wesentliches Phänomen nicht nur nicht hingewiesen, sondern durch die Fülle der anderen Anfragen versucht, von einem zentralen Gesundheitsthema abzulenken, denn es gibt nicht nur Krankheiten, bei denen man sich durch Viren und andere Dinge ansteckt, sondern auch Krankheiten, die dadurch entstehen, dass ein Gefangener den anderen zusammenschlägt. Es ist auch eine Krankheit, wenn ein Gefangener einen anderen misshandelt. Deshalb war es vom ersten Tag meiner Amtsführung an mein persönliches Anliegen, den Hamburger Strafvollzug so zu organisieren, dass schwache Gefangene vor brutalen starken Gefangenen geschützt werden. Das war und ist mein Anliegen und ich danke der CDU-Fraktion, dass sie mich in vollem Umfang dabei unterstützt.
Was sich geändert hat, lässt sich besonders plastisch an Haus II der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel darstellen, der Anstalt, die früher den Spitznamen Santa Fu hatte. Vorgefunden haben wir von Rotgrün einen nach innen offenen Vollzug; wir haben einen nach innen geschlossenen Vollzug geschaffen. Vorgefunden haben wir von Rotgrün, dass sich während der Aufschlusszeit bis zu 450 Gefangene auf dem Hof beziehungsweise im Hafthaus frei und unkontrolliert bewegen konnten. Wir haben nunmehr den Zustand, dass nur noch 150 Gefangene in kontrollierter Form in begrenzter Weise miteinander Kon
takt haben können. Und schließlich gab es unter Rotgrün Freizeit- und Spielgruppen ohne behördliche Aufsicht; das gibt es nicht mehr. Freizeit- und Gruppenaktivitäten finden heute nur noch unter der Aufsicht von Bediensteten statt.
Ich kann Ihnen sogar eine Zahl nennen, die belegt, dass unsere Maßnahmen nicht ganz wirkungslos waren. Im Jahr 2001 gab es in Haus II, damals noch Santa Fu, 32 Übergriffe von Gefangenen an anderen Gefangenen. Das heißt, in 32 Fällen wurden Gefangene durch andere Gefangene misshandelt. Diese 32 Fälle sind durch unsere Maßnahmen im Jahr 2004 auf fünf Fälle gesunken.
Von 32 Misshandlungen sind wir auf die Zahl fünf gekommen und im Jahr 2005 hatten wir bisher, was ich bedauere, weil jeder Fall ein Fall zu viel ist, drei Übergriffe in Haus II gegenüber 32 im Jahre 2001. Das verstehe ich unter Gesundheit im hamburgischen Strafvollzug.