Protocol of the Session on January 19, 2005

Lassen Sie mich ein Wort zu den Vorschulen sagen. Sie haben vergessen, unter welcher Prämisse die Vorschulen einmal begonnen haben. Sie haben als Ersatz für die Schulkindergärten begonnen, in denen – das hat man damals als diskriminierend empfunden – die schulpflichtigen, aber nicht schulreifen Kinder zusammengenommen wurden. Das war eine Ausgrenzung, eine Abgrenzung und das wollte man abschaffen. Daraufhin hat man die Vorschulen für alle geöffnet, auch für noch nicht schulpflichtige Kinder. Das wurde von den Eltern sehr gerne angenommen

(Beifall bei der SPD)

und das unterstütze ich auch heute noch. Aber von Anfang an gab es einen harten Gegenwind, einmal von den Kindergärten, die ihre Klientel abwandern sahen. Es gab einen harten Gegenwind von den Lehrern, die plötzlich in die Vorschulen abgeordnet wurden. Ich musste aus einer sechsten Klasse in eine Vorschule und fühlte mich etwas herabgestuft. Heute weiß ich, dass die Vorschulbildung – ich habe es dreimal durchgemacht – die Wertvollste von allen gewesen ist. Und von den Sozialpädagogen gab es Gegenwind, denn die Sozialpädagogen fühlten sich benachteiligt, weil die Lehrer zwar die gleiche Arbeit machten, aber zwei Gehaltsstufen mehr bekamen.

(Doris Mandel SPD: Warum wollen Sie dafür noch Geld kassieren?)

Sie haben in den Achtzigerjahren angefangen, erst einmal Gerechtigkeit zu schaffen, wie Sie sagten, indem die Lehrer wieder aus den Vorschulen heraus- und die Sozialpädagogen hineinkamen. Dann haben Sie die Vorschulen ganz aus den Schulen nehmen wollen und heute machen wir ein Konglomerat, vielleicht nicht die beste aller Lösungen. Aber die Vorschulen sind keine billige Konkurrenz für die Kindergärten. Der Unterricht findet in den Schulen statt, denn das ist der eigentliche pädagogische Effekt gewesen. Als Sie die Vorschulen aus der Schule herausnehmen wollten, hat niemand auf unsere Proteste gehört.

Ich werde mir diesen Versuch erst einmal ansehen. Ob es der beste aller Versuche ist, weiß ich nicht, aber eine Evaluation wird das ergeben. Ich würde mir wünschen – das sage ich auch etwas vorbehaltlich dem Senat –, dass bei der nächsten Maßnahme die Praktiker vor Ort etwas eher gehört würden,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Leise oder laute Kritik, Frau Koop?)

als dies normalerweise der Fall ist.

Zweiter Punkt, die Schulbücher. Ich hätte Ihnen gerne einmal einen Stapel von Atlanten mitgebracht, die ich heute morgen ausgeben wollte.

(Wilfried Buss SPD: Alte Kamellen!)

Die alten Kamellen, Herr Buss.

Ich weiß nicht, wie Sie das sehen. Wenn sie von nagelneuen Atlanten ein Drittel nicht benutzen können, weil sie völlig verwarzt sind, dann geht mir diese Maßnahme, wie wir sie heute haben, mit dem Ausleihen der Bücher noch nicht weit genug. Ich möchte bei den Sach- und Fachbüchern einen Kauf haben, damit tatsächlich einmal das wertgeschätzt wird, was wir an wirklich guten Büchern ausgeben.

(Beifall bei der CDU)

Stellen Sie sich nur einmal sonnabendmorgens an die Kasse in einer Spielwarenabteilung und gucken, was da an Videospielen und dergleichen von den Eltern gekauft wird. Das steht in keinem Verhältnis zu dem, was an Büchern angeschafft wird.

(Beifall bei der CDU)

Zu den Kita-Einsparungen wird sicherlich Herr Weinberg noch etwas sagen können. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir natürlich eine andere Familienpolitik machen als Sie. Das ist auch nicht schwer, denn Sie haben vorher gar keine Familienpolitik gemacht. Sie haben Frauenpolitik gemacht, Sie haben Gleichstellungspolitik gemacht und Sie haben Schwulen- und Lesbenpolitik gemacht.

(Petra Brinkmann SPD: Frauenpolitik war Famili- enpolitik!)

Die Familie lief unter der bundesweiten "Gedönsarie"; erinnern Sie sich an Herrn Schröder.

(Beifall bei der CDU)

Und Frau Schmidt, von der wir uns viel versprochen haben, …

(Glocke)

Frau Abgeordnete, Ihre Erinnerung muss jetzt leider beendet werden.

Frau Schmidt hat sechs Jahre nichts gesagt. Jetzt fängt sie an und sagt, wir brauchen eine Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft; das machen wir in Hamburg schon lange.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Koop, zwei Anmerkungen zu den konkreten Beispielen, die Sie genannt haben. Sie haben keinen Vorschlag gemacht, sondern selbst zugegeben, dass das, was jetzt ausprobiert wird, vielleicht noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist; das lässt tief blicken. Gucken Sie sich unsere konkreten Vorschläge an, das

Bildungsjahr Fünf Plus und jetzt die Weiterentwicklung, jahrgangsübergreifend Klasse 0 bis 2, dann werden Sie etwas von uns lernen.

Zweitens zu den Lernmitteln: Da haben Sie ein Modell gewählt, das sicherlich nicht lernfreudiger macht beziehungsweise die Familien nicht entsprechend entlastet, dass es vertretbar ist. Aber Sie haben mir das Stichwort gegeben, nämlich Familienpolitik. Das ist im Titel bei der Anmeldung der SPD zum Haushalt auch enthalten.

(Marcus Weinberg CDU: Aber nur im Titel!)

Das meiste zur Schulpolitik ist von Frau Boeddinghaus schon gesagt worden, aber Fazit ist: Diese Republik und auch Hamburg sind familien- und kinderunfreundlich.

(Beifall bei der GAL)

Das zeigt sich am ehesten, wenn Sie sich die Zahlen angucken. In Deutschland leben 6 Millionen Kinder weniger als noch vor 30 Jahren. Die Geburtenrate hat sich in den letzten 40 Jahren halbiert. Es gibt keine Patentrezepte, aber es gibt ein ganzes Bündel von Gründen und Ursachen und die möchte ich gerne ein bisschen übergeordnet beleuchten.

Man kann natürlich wie die Meinungsforscher es erklären, dass 40 Prozent auch glücklich ohne Kinder sind, aber ich glaube, das ist nicht die Perspektive für eine Gesellschaft. Angst vor Arbeitslosigkeit sind unter anderem Gründe. Man kann sich auch die Soziologen angucken, die sagen, dass es im Augenblick einen Zerfall menschlicher Bindungen durch die immer beschleunigenderen Märkte, raschen Genuss und so weiter gebe. Trotzdem wissen wir, dass junge Leute immer noch an erster Stelle eine Familie gründen und Kinder bekommen wollen und trotzdem tun sie es nicht. Dann muss man natürlich fragen, ob wir als Politiker, als Sozialingenieure versagt haben oder woran es sonst noch liegt. Verlässliche Kinderbetreuung, frühere Kinderbetreuung und Ganztagsschulen sind da sicherlich ganz zentrale Forderungen, denn sonst kann ich gar nicht erst anfangen, in dieser Gesellschaft Kinder zu bekommen, wenn ich meine Arbeit nicht verlieren will. Da müssen natürlich die Betriebe, wie das im Augenblick in der Öffentlichkeit diskutiert und gefordert wird, und nicht nur der öffentliche Dienst Teilzeit anbieten, Beurlaubungs- und Rückkehrmöglichkeiten schaffen. Die angesprochenen Kosten sind letztendlich noch eins obendrauf, um zu erschweren, Kinder zu bekommen.

Von der GAL sei gesagt, dass zum Beispiel Schwimmbäder und Bücherhallen zur Grundversorgung gehören. Das sind keine Luxusgüter, die gehören zum Gemeinwesen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wenn dieser CDU-Senat und Sie als Fraktion so weitermachen, verursachen Sie eine sozialpolitische Klimakatastrophe in den Stadtteilen. Das wird volkswirtschaftliche Folgen haben. Aber das scheint Ihnen egal zu sein.

(Beifall bei der GAL)

Unseres Erachtens muss vorschulische Bildung kostenfrei sein. Wenn Sie trotz PISA die Vorschulen mit Schulgeld belegen, dann ist das ein bildungs- und sozialpolitisches Himmelfahrtskommando für die Zukunft in Hamburg.

(Beifall bei der GAL)

Wir haben – ich betone es noch einmal – sauber durchfinanzierte Haushaltsanträge gestellt. Wir haben das vorschulische Jahr kostenfrei für alle konzeptionell vorgestellt. Das ist die Grundlage, denn auf den Anfang kommt es an.

Aber wie sieht es eigentlich mit der Durchführung und ein bisschen auch mit dem Geist in dieser Gesellschaft und vor allen Dingen in den Männerköpfen aus, um in Hamburg kinderfreundlicher zu werden, nicht nur auf die Schule bezogen? Es wird ausschließlich als Frauenproblem dargestellt, wenn man jetzt die Zeilen über diese "Hamburger Allianz für Familien" liest. Das ist ja gut, aber in erster Linie wird die Vereinbarkeit von Frauenerwerbstätigkeit und Kinderkriegen ganz konservativ in den Fokus gestellt. Vor allen Dingen die CDU-Politiker und CDUPolitikerinnen greifen schnell zum alten Mutterbild – Sie haben es eben angesprochen, Frau Koop –, um eine andere Familienpolitik zu machen. Wohl wahr, das haben wir zu spüren bekommen. Es ist frauenfeindlich, familienfeindlich und letztendlich ist die Frau, die arbeitet, wieder die Rabenmutter. Dieses Bild tragen wir nicht mit, Sie tragen richtig negativ dazu bei und Ihre Obermutter, Frau von der Leyen in Niedersachsen, macht es Ihnen nach. Das ist nicht unser Familienbild.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Meine Damen und besonders meine Herren! Die über Familie reden, müssen auch die Väter in die Pflicht nehmen oder besser noch vorleben.

(Beifall bei der GAL – Glocke)

Solange wir keine Teilzeit für Männer haben, der Anspruch auf Erziehungsurlaub nur auf dem Papier steht, wird sich wenig ändern – ich komme zum Schluss, Herr Präsident – vielleicht sollte man lieber die Kinderzimmer von der Steuer absetzen können und nicht die Arbeitszimmer. Aber Sie sollten erst einmal mit den einfacheren Hausaufgaben anfangen.

(Glocke)

Frau Abgeordnete, wir haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was Schluss heißt.

Ich möchte, dass die Kinder in Hamburg weiter schwimmen und lesen lernen können. – Danke schön.