Protocol of the Session on September 22, 2004

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL – Wolfgang Drews CDU: Das ist doch Legenden- bildung!)

Um Missverständnissen vorzubeugen: Qualität von Schule entscheidet sich im Unterricht. Hier hat auch Hamburg viel nachzuholen, hier haben auch integrierte Systeme nachzuholen und da hat sich Hamburg auf den Weg gemacht, lange bevor schwarz die Regierung übernahm. Das Landesinstitut wird zu einem Serviceunternehmen der Schulen für ihre Qualitätssteigerung. Öffnung, also Individualisierung von Unterricht, wird zunehmend an den Schulen praktiziert. Individualisierte Grundschulzeiten mit jahrgangsübergreifenden Klassen waren zu unserer Regierungszeit nichts Neues mehr; die Fortentwicklung lässt allerdings auf sich warten. Aber guter und anregender und alle Leistungsreserven ausschöpfender Unterricht kann nicht in einer Schule gemacht werden, deren Begründung aus der Vergangenheit kommt und deren tragender Kern die frühzeitige Sortierung nach Lebenschancen ist.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, darf ich Sie an die Gegenwart erinnern; Ihre Redezeit ist beendet.

Sie haben es zum ersten Mal angemahnt, ich bin fertig.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt Senatorin Dinges-Dierig.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! "Im Hühnerhof der Bildungspolitik" hat der renommierte Publizist Konrad Adam vor wenigen Tagen seinen Leitartikel in der "Welt" überschrieben, aus dem ich zu Beginn zitieren möchte.

"Die OECD hat ein Ei gelegt, und alle Welt hat es begackert. Das Ei sieht aus wie alle Eier, und das Gegacker ist danach. Die Hühner schlagen mit den Flügeln und fordern aufgeregt, was sie schon immer gefordert hatten. Nur eben jetzt mit dem erborgten Hinweis auf die Ergebnisse der OECD. Die aber nichts von dem hergeben, was ihnen angedichtet wird."

Das aufgeregte Gegacker über lange gelegte Eier geht nun auch bei uns in Hamburg wieder los, in diesem Fall durch Sie, Frau Goetsch, indem Sie alte Konzepte wieder hervorkramen. Sie wollen das herkömmliche gegliederte Schulwesen hinter sich lassen und wiederholen Ihren alten Wunsch nach der Einheitsschule, genauso wie die SED es getan hat und die PDS es heute tut.

(Oh-Rufe bei der SPD und der GAL – Petra Brinkmann SPD: Das ist das Letzte!)

Dass Sie sich dazu aber auf die OECD berufen, ist völlig unverständlich.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Meine Damen und Herren, darf ich um etwas Ruhe bitten.

Frau Senatorin, mir steht es nicht zu, einen Senator zu rügen, aber einen Abgeordneten hätte ich für diese Aussage gerügt.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Petra Brinkmann SPD: Richtig! – Michael Neumann SPD: Entschuldigen Sie sich wenigstens mal! – Petra Brinkmann SPD: Das ist jetzt fällig!)

Dass Sie sich bei diesem Wunsch nach einer Einheitsschule auf die OECD berufen, ist für mich völlig unverständlich, denn die gibt so etwas nicht zwingend her. Unter den Ländern mit Einheitsschulsystemen befinden sich nicht nur solche, die besser abschnitten als Deutschland, sondern auch viele Verlierer. Aussagekräftiger als der internationale ist der Vergleich von Bundesland zu Bundesland und bei denen liegen die Länder mit gegliedertem Schulsystem an der Spitze. Bremen dagegen, das Land, das kompromissloser als alle anderen auf die Einheitsschule gesetzt hat,

(Wilfried Buss SPD: Stimmt doch gar nicht!)

ist im OECD-Bericht und in IGLU ganz weit hinten gelandet.

Ähnlich klug äußert sich übrigens die GEW. Sie verlangt mehr Unterricht, aber auf die OECD-Studie hätte sie sich lieber nicht berufen sollen, denn die weist aus, dass ausgerechnet Finnland, der PISA-Sieger, seinen Schülern am wenigsten Unterrichtszeit abverlangt, wie gesagt, am wenigsten und nicht am meisten.

Schließlich verschafft sich noch ein grüner Fachmann Luft, nämlich Fritz Kuhn. Er macht es sich besonders leicht und verlangt mehr Geld. Mehr Geld mag der Schlüssel zu vielem sein, zu guter Bildung ist er es aber nicht zwingend; das haben wir in Hamburg gelernt.

Meine Damen und Herren! Was wir brauchen, ist mehr Nachweis von Leistung, mehr Qualitätskontrolle und mehr Selbstverantwortung.

(Beifall bei der CDU – Christiane Blömeke GAL: Das ist ja ganz neu!)

Wir brauchen mehr externe und interne Evaluation. Wir brauchen Übernahme von Verantwortung für die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrerinnen und Lehrer. Wir brauchen mehr Öffentlichkeit für gute Schulergebnisse, auch um dem Lehrerberuf wieder zu der gesellschaftlichen Anerkennung zu verhelfen, den er wahrlich verdient. Wir brauchen aber überhaupt keine Diskussion von gestern über Schulformen und Systeme.

(Beifall bei der CDU)

Diese Debatte um Schulstrukturen ist wahrlich eine Geisterdebatte. Deshalb bitte ich Sie, lassen Sie uns gemeinsam die Eckpunkte für eine Orientierung an den Ergebnissen von Unterricht und Schule erarbeiten. Schauen Sie mit uns nach vorne, in die Zukunft, auf die Ergebnisse und nicht auf die Strukturen von Schule.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Senatorin, ich glaube, Sie haben sich selbst diskreditiert und ansonsten gebe ich Ihnen noch einmal einen guten Rat mit auf den Weg – ich zitiere:

"Die reaktionärste Einrichtung der Bundesrepublik ist die Kultusministerkonferenz. Im Vergleich dazu ist der Vatikan noch weltoffen."

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Zitat Helmut Kohl.

(Heiterkeit bei der GAL und der SPD)

Meine Damen und Herren! Jetzt zu Ihnen. Wir sprechen von einer neuen Schule. Wir sprechen nicht von irgendwelchen Klassenkämpfen, sondern von einer Schule, die sich weiterentwickelt, auch von der Gesamtschule, die sich weiterentwickelt, wie Herr Lein richtigerweise gesagt hat. Wir hatten vor zwei Jahren einmal ganz ketzerisch gesagt, sowohl das Gymnasium als auch die Gesamtschule seien gescheitert, aber aus dem Grunde, weil das Gymnasium den pädagogischen Auftrag hat, zu sortieren und die Gesamtschule nicht alle Kinder nach der vierten Klasse bekommt.

Wir sprechen von einer neuen Schule, Frau Senatorin, die genau das schon längst beinhaltet. Da sind wir ein bisschen früher als Sie gewesen. In dem Heft "Die Zukunft der Schule ist die autonome Schule" stand das alles schon 1996. Da sind die Schulinspektion, das Lehrerarbeitszeitmodell, die Vergleichsarbeiten, das Schulmanagement aufgeführt – alles wunderbar nachlesbar. Wie gesagt, wir wollten schon 1994 die Schule zum Lernort machen. Insofern waren wir da ein bisschen schneller als Sie.

Aber ich will hier nicht in Konkurrenz treten, sondern Sie bitten, uns doch anfangen zu lassen, dieses System umzubauen. Die Handwerkskammerleute in Baden-Würt

temberg haben doch auch gesagt, wir müssen erst alle Eckpunkte haben, und dann haben sie gesagt, an dieser Schule geht das aber nicht. So, wie Schule in Deutschland funktioniert, ist das nicht umsetzbar und deshalb müssen wir in leistungsheterogene Gruppen investieren und dort entsprechende Leistungen bringen.

Herr Heinemann

(Wolfgang Drews CDU: Das ist doch die einzige Handwerkskammer, die Sie zitieren können!)

Herr Drews, halten Sie bitte einmal einen Moment den Mund, ich möchte Herrn Heinemann antworten –, Sie haben mich konkret gefragt, wie wir das finanzieren wollen. Wir haben einen in sich konsistenten Plan von der Abschaffung des Sitzenbleibens bis zu dem Punkt, eine heilige Kuh zu schlachten. Es muss Gymnasien ohne Oberstufe geben, Sie müssen die Oberstufen zum Beispiel zusammenlegen. Warum beharren Sie auf dem Ständesystem. Dieses System hat Verlierer produziert und wird weiter Verlierer und Verliererinnen produzieren und das wollen wir nicht.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Schauen Sie sich die Schulen doch einmal an. Wir haben best practise in Hamburg. Gucken Sie sich nur einmal die integrativen Regelklassen an, das sind erste Schritte und Schulen, in die alle Kinder dürfen und niemand aussortiert wird. Die Starken können zum Beispiel schon in der ersten Klasse und nicht erst in der zweiten den Matheunterricht der zweiten Klasse mitmachen. Und der Junge, der ein logopädisches Problem hat, wird nicht aussortiert, sondern bekommt entsprechend eine ambulante Betreuung von Sonderschulkollegen.

(Marcus Weinberg CDU: Mit Klasse 4 in die För- derschule!)

Es gibt für jedes Kind eine Eingangsdiagnostik, die jedes Jahr fortgeschrieben wird. Warum machen Sie nicht aus den 36 integrativen Regelschulen 100 und bringen das kompetente Fachpersonal dahin, wo es hingehört, nämlich in die Schulen vor Ort? So könnten wir das dann auch weiter in der Sekundarstufe I machen; das wäre der Weg.

(Beifall bei der GAL – Marcus Weinberg CDU: Wa- rum haben die das nicht umgesetzt, als Sie an der Regierung waren?)

Wir haben damit begonnen, die autonome Schule mit Leistungskontrollen, Standards und Schulprogrammen einzuführen.

Meine Damen und Herren! Wir wurden belächelt, als wir das vor acht und zehn Jahren forderten, was ich eben noch einmal deutlich gesagt habe. Wir wollen wirklich diesen langen Atem haben. Sie haben das Problem, dass Sie sich nicht an die Dreigliedrigkeit rantrauen. Das ist keine altmodische Debatte, sondern eine ganz moderne. Als wir den Atomausstieg gefordert haben, da sind die Lichter nicht ausgegangen, als wir die Homo-Ehe gefordert haben, ist die Familie nicht untergegangen, und es wird auch bei der Dreigliedrigkeit kein Untergang sein, sondern es wird moderne Schule und Bildung für unsere Kinder in Hamburg sein. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Heinemann.