Protocol of the Session on September 3, 2003

(Dr. Verena Lappe GAL: Aber nicht im Haushalt!)

Wir hatten in der Tat den Traum, den Betriebshaushalt in Hamburg im Jahre 2004 auszugleichen. Wir hatten einen weiteren Traum, nämlich den Gesamthaushalt in der nächsten Legislaturperiode auszugleichen und damit die Netto-Neuverschuldung Richtung null zu führen.

Dieser Traum ist nicht im Wind verflogen, er ist in der Flaute einen stillen Tod gestorben, einer Flaute, die nun schon ins dritte Jahr geht. Deutschland, das einstige Wirtschaftswunderland, stets der Motor der europäischen Wirtschaftsentwicklung, ist heute Schlusslicht in Europa mit durchschnittlich 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum in exakt den letzten fünf Jahren, in denen Rotgrün in Berlin herrscht.

(Ingo Egloff SPD: Das war unter Helmut Kohl auch nicht anders, Frau Pauly. Das wissen Sie!)

Meine Damen, meine Herren, Unternehmen begegnen dieser schwierigen Wirtschaftslage mit Restrukturierungen, mit durchgreifenden Kostensenkungsprogrammen und haben damit auch vielfach Erfolg und erzielen trotz rückläufiger Einnahmen Gewinne.

(Ingo Egloff SPD: Mit Entlassungen!)

Viele schaffen es allerdings nicht, das muss man auch wissen, die Krise zu bewältigen. Die Zahl der Pleiten eilt

von einem Rekord zum anderen, wodurch immer mehr Arbeits- und auch Ausbildungsplätze verloren gehen, mit entsprechend negativen Auswirkungen auch auf die Steuereinnahmen. Da tut sich ein Teufelskreis auf.

Nur jammern hilft nichts, schon deshalb nicht, weil es dem Staat noch vergleichsweise gut geht, denn er muss nicht bei Banken vorstellig werden, die ihm ohne Rührung den Geldhahn zudrehen. Der Staat kann sich immer finanzieren, der Staat geht niemals Pleite.

(Dr. Willfried Maier GAL: Doch, zweimal ist er es schon! – Karl-Heinz Ehlers CDU: Da seien Sie man nicht so sicher!)

Ich habe außerdem ein Problem damit, wie wir in der Politik über das Thema Mindereinnahmen diskutieren.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Frau Pauly, warten Sie bitte einen kleinen Moment. Ich glaube, es gibt hier zu viele diskutierende Gruppen im Raum. Sie können das bitte draußen fortsetzen. Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit. – Frau Pauly, Sie haben das Wort.

Vielen Dank.

Mit den Steuermindereinnahmen hat das nämlich seine eigene Bewandtnis. Der Staat und auch Haushaltspolitiker sprechen in meinen Augen seltsamerweise immer von Mindereinnahmen, auch wenn in Wahrheit die Steuereinnahmen steigen. Nur, sie steigen halt nicht so hoch, wie man sich das gewünscht und auch geplant hat. Das sind natürlich keine Mindereinnahmen, jedenfalls nicht im Verhältnis zu dem, was ein Unternehmer als Mindereinnahme betrachtet. Bei Unternehmen sind Mindereinnahmen tatsächlich weniger als im Vorjahr. Das haben viele Unternehmen in den letzten drei Jahren alles hinter sich und müssen trotzdem sehen, wie sie zurechtkommen, und der Staat jammert herum und sagt, nun müssen wir unbedingt eine Steuer haben, die unabhängig von der Konjunktur verlässlich ist. Damit machen wir eine prozyklische Politik. Ich will nicht den alten Keynes wieder beleben. Doch zu sagen, wir wollen jetzt die Substanz besteuern, halte ich für einen kardinalen Fehler, weil wir damit den Wirtschaftsmotor noch mehr drosseln und damit in die Teufelsspirale der Rezession und Deflation kommen.

In Hamburg gab es lediglich im Jahre 2001 echte Steuermindereinnahmen, so wie ich das Wort Mindereinnahme verstehe, und das war hauptsächlich eine Folge der handwerklich misslungenen Körperschaftsteuerreform. Das heißt, damals floss wirklich weniger Geld in die Staatskasse als im Vorjahr.

Bereits im letzten Jahr sind im Verhältnis zum Vorjahr die Einnahmen wieder gestiegen und dieses Jahr steigen sie weiter. Es ist richtig, wir haben mit den Steuereinnahmen noch nicht das Niveau des Jahres 2000 erreicht, aber gegenüber 2001 wachsen sie wieder.

Viele Unternehmer wären in der heutigen Situation froh, wenn sie nur eine solche Jahresdelle gehabt hätten.

(Dr. Willfried Maier GAL: Wir können aber keine Staatsbürger entlassen!)

In Wahrheit müssen sie mit jährlich sinkenden Umsatzzahlen rechnen und damit auch noch klarkommen.

Man muss sich dieses vergegenwärtigen, damit man das Thema öffentliche Finanznot auch in einem gerechten Licht betrachtet und beleuchtet. Ich will damit die finanziellen Probleme, Herr Dr. Maier, die der Staat durch die augenblickliche Entwicklung hat, überhaupt nicht wegdiskutieren. Ich sehe auch, dass die See rau ist, das ist gar keine Frage, und trotzdem bemühen wir uns als Koalition, unserem Konsolidierungsziel treu zu bleiben, auch wenn wir es jetzt zeitlich strecken müssen. Das Ziel lautet immer noch: Ausgleich des Betriebshaushalts, jedoch 2006 statt 2004, schrittweise Rückführung der Neuverschuldung, Verstetigung der Investitionen auf jährlich eine Milliarde Euro – unter den gegebenen Rahmenbedingungen eine große Leistung – und Finanzierung der politischen Schwerpunkte. Da ist für die FDP natürlich das Thema Bildung ein wichtiger Punkt. Dass wir mit Nachhilfe unseres Koalitionspartners jetzt zusätzlich 2 Millionen Euro für Lehr- und Lernmittel ausgeben, ist sicher eine gute Sache, denn die Schulbücher waren hoffnungslos veraltet. Da musste etwas geschehen, nur deshalb wollten wir sie mit einem privaten Finanzierungsanteil aufforsten. Jetzt soll das Geld aus dem Haushalt kommen. Das wird hoffentlich gelingen.

100 Lehrerstellen werden neu ausfinanziert und es gibt zusätzlich 5 Millionen Euro Bewirtschaftungsmittel für die Schulen. Ein sehr wichtiger Punkt ist, dass die privaten Schulen auch mehr Geld bekommen, denn die wurden aus ideologischen Gründen immer benachteiligt.

Die strukturellen Sparmaßnahmen, die wir uns vorgenommen haben, werden durch einige Neuerungen untermauert. Da geht es zunächst um die Einführung der DOPPIK, einer kaufmännischen Buchführung. Damit wird transparent, ob und wie sich Investitionen und Werteverzehr die Waage halten, ob wir mehr oder weniger verzehren, als wir wieder investieren. Ob das Vermögen wächst oder schmilzt, wird aufgedeckt, ebenso die Verbindlichkeiten, zum Beispiel aus Pensionsverpflichtungen.

Das nächste Thema sind die Zuwendungen. Dieser Senat hat es fertig gebracht, einen Zuwendungsbericht zu erstellen. Das haben Sie in 40 Jahren nicht geschafft.

(Beifall bei Burkhardt Müller-Sönksen FDP)

Sie sagen, wir würden nur auf die Kleinen gucken und uns im sozialen Bereich schadlos halten wollen. Wir dürfen nicht verkennen, dass nicht überall da, wo bei einem Zuwendungsempfänger „Sozial“ draufsteht, auch „Sozial“ drin ist. Aber nach dieser Devise haben Sie gehandelt. Er brauchte sich nur sozial zu nennen, dann war er in Ihren Augen auch sozial. Das Allerschlimmste war, dass man bei Erteilung von Zuwendungsbescheiden noch nicht einmal darauf geachtet hat, dass überhaupt Verwendungsnachweise abgeliefert wurden, und wenn doch, nicht richtig geprüft wurde. Wir haben einen Berg ungeprüfter Zuwendungsbescheide vorgefunden. So geht es nicht, auch wenn man das Geld für noch so gute Zwecke ausgibt. Die Ausgaben müssen auf rechnerische Richtigkeit und auch auf inhaltlichen Sinn geprüft werden.

Die Systematisierung der Privatisierungspolitik ist ein wichtiger Aspekt. Welche Unternehmen sind für uns wichtig? Es darf uns nicht noch einmal passieren, dass ein großes Unternehmen verkauft wird und dann schnurstracks abwandert, wie Ihnen das bei den HEW passiert ist.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Barbara Du- den SPD: Wann ist denn das passiert?)

Hein Gas ist ja dasselbe Thema. Darüber wurde heute schon gesprochen.

Herr Dr. Maier, Sie dürfen nicht vergessen, dass Sie in den letzten Jahren für sage und schreibe 5 Milliarden Euro Vermögen versilbert haben, um es in den Betriebshaushalt zu stecken. Heute ist fast nichts mehr da. Mit Ihrer Konsolidierungspolitik war es nicht allzu weit her.

Jetzt möchte ich noch ein paar Worte zum Thema Gewerbesteuerreform beziehungsweise Reform der Gemeindefinanzen sagen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Jetzt wird es spannend!)

Ja, jetzt wird es wirklich spannend, das ist wahr.

(Ingo Egloff SPD: Dann erklären Sie auch gleich, wie Sie die Ausfälle kompensieren wollen!)

Ich bin der Meinung, dass zur Finanzierung einer Gemeinde alle diejenigen beitragen müssen, die von den Gemeindeleistungen profitieren. Das ist das Anliegen der FDP. Deshalb möchte die FDP die Gewerbesteuer abschaffen.

(Beifall bei der FDP)

Es kann nicht sein, dass nur diejenigen, die wir als Gewerbebetrieb definieren – wir haben zu den Inhalten dieser Definition schon einiges gehört –, Gewerbesteuer zahlen, alle anderen aber, die auch gewerbeähnliche Unternehmen und Betriebe unterhalten, nicht zur Kasse gebeten werden.

(Erster Vizepräsident Berndt Röder übernimmt den Vorsitz.)

Auf der anderen Seite muss man natürlich Folgendes überlegen: Man sagt, wenn wir die Gewerbesteuer durch einen Zuschlag zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer ersetzen, dann wäre das der Tod der Stadtstaaten. Die FDP ist zurzeit auf Bundesebene dabei nachzurechnen, wie man das Modell so gestalten kann, dass die Stadtstaaten auch in Zukunft weiter existieren können. Wir wollen nicht den Tod der Stadtstaaten herbeiführen. Das ist völlig klar.

Was mit uns nicht geht, ist eine Substanzbesteuerung. Wir können nicht in Zeiten der Not sagen, wir müssen ertragsunabhängige Komponenten besteuern, weil wir damit die Unternehmen noch mehr, als es bisher der Fall ist, in die Pleite treiben.

Mir ist völlig klar, dass es bei der Gestaltung der Gewinne unglaubliche Fälle von Missbrauch gibt, um keine Steuern zu zahlen. Dieser Missbrauch ist zwar legal, aber da müssen wir Löcher stopfen. Wir müssen uns bundesweit überlegen, wie wir das intelligent machen.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Erster Vizepräsident Berndt Röder (unterbrechen): Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie entweder die Debattierclubs auflösen oder aber sie nach draußen verlegen würden.

(Barbara Duden SPD: Dann ist doch keiner mehr hier drinnen!)

A C

B D

Ich habe gestern von höchster Stelle und aus sehr berufenem Munde ein haarsträubendes Beispiel erzählt bekommen, wie Unternehmen in Deutschland agieren, um den Gewinn in ein Niedrigsteuerland zu verlagern. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden.

Meines Erachtens geht das nicht mit einer Besteuerung der Mieten und Pachten und Ähnlichem, weil da nämlich der Mittelstand, der nicht verlagern kann und der nicht die großen Möglichkeiten der Gestaltung von Steuertatbeständen wie Großunternehmen und Konzerne hat, enorm betroffen wäre und wir dann in Deutschland noch mehr Pleiten bekämen, als wir sie ohnehin schon haben. Darüber muss intensiv nachgedacht werden.

Die Anforderungen des Stabilitätsgesetzes hinsichtlich Vollbeschäftigung und angemessenen Wirtschaftswachstums werden zurzeit nicht erfüllt. Das ist ohne Frage richtig. Damit ist natürlich das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht in Deutschland gestört.

Einer, der das amtlich festzustellen hat, ist der Bundesfinanzminister, und er ist gleichzeitig derjenige, der dieses gesamtwirtschaftliche Ungleichgewicht zu verantworten hat.

(Beifall bei Ekkehard Rumpf FDP)