Protocol of the Session on June 26, 2003

In Hamburg galt seither im Umgang mit den Kirchen das so genannte Kaufmannsprinzip. Per Handschlag wurden die Geschäfte besiegelt. Aber welche Geschäfte waren damit besiegelt? Deswegen möchte ich einmal zur Rolle und zur Funktion der Kirche – insbesondere der evangelischen Kirche – in dieser Stadt kommen.

Gestatten Sie mir – ohne Wertung – etwas darüber zu sagen, was die Kirchen in dieser Stadt erledigen, die mir persönlich wichtig sind. Ich denke dabei an die Stiftung Alsterdorf, die über Jahrzehnte bis heute ein ganz wichtiger Faktor bei der Betreuung schwer- und schwerstbehinderter Menschen ist. Ich denke dabei an die vielen evangelischen Krankenhäuser in dieser Stadt – zum Beispiel an die Diakonissen im Krankenhaus Alten Eichen –, die sich mit großer persönlicher Zuwendung um die Patienten kümmern. Ich denke aber auch an die zahlreichen Kindergärten, die die Kirchen in dieser Stadt vorhalten. Ich habe die Kindergartenbetreuung aus eigener Erfahrung bei meiner Tochter in Kirchsteinbek und jüngst bei meinem Sohn in St. Andreas in Eimsbüttel kennen gelernt. Beide Erfahrungen haben gezeigt – neben den guten pädagogischen Erfahrungen –, dass die kirchlichen Kindergärten immer in großer finanzieller Bedrängnis waren.

Ich denke an die Sozialstationen in dieser Stadt, die für die Bürger wertvolle Arbeit leisten,

(Beifall bei Burkhardt Müller-Sönksen FDP)

oder an die Wichern-Schule, die sich einer sehr großen Nachfrage erfreut und deshalb in vielen Klassenstufen seit Jahren fünfzügig arbeiten konnte, weil sie eine so gute Arbeit leistet. Ich nenne das Rauhe Haus mit seiner Jugendarbeit in der Tradition von Wichern und die Altenheime. Eine Stadt in der Stadt stellt zum Beispiel das Hospital zum Heiligen Geist in Poppenbüttel dar. Weiter gibt es die Jugendarbeit der Kirchengemeinden. Dort werden im Interesse der Kinder und Jugendlichen Freizeitaktivitäten – Ferienangebot, Zeltlager – angeboten. Es gibt die Erzieher- und Sozialpädagogenausbildung, die Telefonseelsorge, die Suchtberatung und vieles anderes mehr.

Was wäre Hamburg ohne seine Kirchen, deren Angebote, deren Einrichtungen und deren Menschen? – Die Stadt wäre pleite.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Christian Maaß GAL: Sagen Sie das mal alles Herrn Schill!)

Sie hätte überhaupt nicht das Geld und die Mittel, um die Aufgaben der Kircheneinrichtungen durchzuführen, die diese in Hamburg wahrnehmen. In diesem Bewusstsein haben auch die anderen Bundesländer in den letzten Jahren Kirchen-Staatsverträge geschlossen. Es geht nebenbei nicht darum, ob dies einen Kniefall darstellt, sondern es ist die nüchterne Erkenntnis, dass man aufeinander angewiesen ist.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Maaß?

Welche Zielsetzung hat ein solcher Vertrag? Er soll den Rahmen festschreiben, der regelt, dass sich die Stadt und die Kirche bei allen unterschiedlichen Auffassungen aufeinander verlassen können. Ein solcher Vertrag muss Perspektiven für die gebenden Kirchen in Hamburg aufzeigen, auch wenn Personen – der Senator, der Bürgermeister oder die Regierung – wechseln. Letztlich muss ein Vertrag Verlässlichkeit, Vertrauen, Akzeptanz voreinander und Sicherheit beinhalten. Diese Rahmenbedingungen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, werden – da bin ich mir ganz sicher – im Laufe der nächsten Zeit eingelöst, und zwar auch wegen der bedrohlichen finanziellen Situation beider Partner; deshalb scheint es mir ein Muss zu sein, dass dieser Vertrag kommt.

Angesichts dieser für mich zwangsläufigen Entwicklung rufe ich Ihnen allen im Haus mit dem Auszug aus dem Römerbrief, Kapitel 12, Vers 12, zu:

"Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet."

(Beifall bei Rolf Kruse CDU)

In diesem Sinne überweisen wir Ihren Antrag zur Beratung an den Verfassungsausschuss.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Zuckerer.

Meine Damen und Herren! Da es uns um die Sache geht, rede ich doch noch. Ansonsten war das eine Provokation, die sich die SPD-Fraktion kein zweites Mal bieten lassen wird.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Hamburg ist das letzte Bundesland ohne einen KirchenStaatsvertrag, also einen Vertrag, der in unserem Fall das Verhältnis zwischen dem Senat, der Nordelbischen und der Evanglisch-lutherischen Kirche verbindlich regelt. Trotzdem hat das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Hamburg jahrelang unbestritten gut funktioniert und war auch weitgehend – hierin unterscheiden wir uns von Ihnen – ohne Irritationen.

Andere Bundesländer haben bereits in den Fünfzigerjahren – so wie Niedersachsen – Kirchen-Staatsverträge unterschrieben. Nachzügler war das Land Bremen, das als vorletztes Bundesland im vergangenen Jahr einen Kirchen-Staatsvertrag in Kraft gesetzt hat.

Kirchen-Staatsverträge sind also die Normalität und keine Ausnahme in dieser Republik. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass dies eine Normalität ist, ist es einfach bizarr, dass es in Hamburg einen politischen Streit darüber gibt, ob es überhaupt einen Kirchen-Staatsvertrag geben soll. Das ist der Anlass der heutigen Debatte.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Es wird noch ein bisschen bizarrer, wenn man sich vergegenwärtigt, um was es eigentlich bei diesem KirchenStaatsvertrag gehen soll. Deshalb zur Erinnerung:

Unter dem Dach der Diakonie arbeiten in dieser Stadt 16 000 Menschen in circa 600 Einrichtungen, von der Stiftung Alsterdorf über Hinz & Kunz, 173 Kindertagesstätten bis hin zu den Krankenhäusern. In 200 Gemeinden in dieser Stadt wird eine aktive Jugendarbeit angeboten, sieben Familienbildungsstätten bereiten Mütter und Väter auf ihre Elternrolle vor, in 30 Altentagesstätten und 35 ambulanten Pflegediensten kümmert sich die Kirche um Senioren, 21 000 Menschen nehmen jährlich die Telefonseelsorge wahr und 35 Krankenhausseelsorger sind im Einsatz. Ich füge hinzu: Die Kirche betätigt sich auch im Bereich Schule und Bildung.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensi- ve: Das will auch keiner ändern!)

Im Übrigen ist Hamburg – das wissen vielleicht nicht alle – die Hauptstadt der Kirchenmusik mit jährlich circa 1000 Konzerten.

(Dietrich Wersich CDU: Und das alles ohne Staatsvertrag!)

Von daher übernehmen die Menschen von den Kirchen Aufgaben und Leistungen für das Gemeinwohl. Alle diese Menschen, ob sie es nun hauptamtlich oder ehrenamtlich tun, verdienen zunächst unseren Dank und unsere Anerkennung.

(Beifall im ganzen Hause)

Was ist ein Kirchen-Staatsvertrag? Es ist nichts anderes, als eine bestimmte moderne Form des Miteinanderumgehens,

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Dann waren Sie ja 44 Jahre unmodern!)

und vielleicht ist er auch für die hanseatischen Kirchen eine Form der Anerkennung. Deshalb ist es in Wirklichkeit ein Trauerspiel, dass wir heute über einen Antrag und nicht über den Entwurf eines Vertrages debattieren müssen.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Dr. Michael Freytag CDU: Sie hätten ja schon lange einen Staatsvertrag schließen können! Wo ist er denn?)

Hier nützt auch kein Hinwegreden.

Ihnen allen ist wahrscheinlich der 11. Juni nicht sonderlich präsent, aber vielleicht Ihnen, Herr Bürgermeister. Der 11. Juni ist einer der Namenstage unseres amtierenden Innensenators und Zweiten Bürgermeisters: Barnabas. Der Apostel Barnabas – einer der späten Apostel –

ist in der Apostelgeschichte erwähnt. Lukas berichtet, dass er die Gnade Gottes sah. Barnabas – der Name bedeutet übrigens im Hebräischen "Sohn des Trostes" – sei für das Neue offen gewesen.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensi- ve: Das fällt auf Sie zurück, Herr Zuckerer!)

Ich weiß nicht, ob der jetzt amtierende Innensenator – ehemals Richter Gnadenlos – jemals die Gnade Gottes sah oder sehen will.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Mir scheint, hier ist einer heilig!)

Im Umgang mit der Kirche und mit den Gefühlen von engagierten Christen in Hamburg scheint er mir aber eher von allen guten Geistern verlassen zu sein.

(Lachen bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Man könnte auch sagen, er ist offensichtlich nicht bei Trost.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Burkhardt Müller-Sönksen FDP: So ein Verständnis haben wir nicht! – Zurufe von der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Ich kann das Schreien gut ertragen, sie können ruhig weiter schreien.

Niemand – weder in der Politik noch in der Kirche – verlangt, dass ein Vertragspartner niederkniet. Daher ist das wirklich absurd.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Genau!)

In Deutschland und auch in Hamburg sind Staat und Kirche seit langem getrennt. Man darf vielleicht auf eines hinweisen: Das Verhältnis zwischen den Religionsgemeinschaften und dem Staat ist unabhängig von der jeweils regierenden Partei, es ist nach sachlichen Gesichtspunkten zu regeln. Ein Staatsvertrag ist kein Akt der Niederwerfung, das ist vollkommen absurd. Ein Vertrag schließt auch nicht aus, dass man unterschiedlicher Meinung ist.

Die evangelische Landeskirche hat in der letzten Wahlperiode den SPD-/GAL-geführten Senat häufig kritisch begleitet – das ist vielleicht sogar eine Untertreibung –, und zwar nicht zuletzt in der Flüchtlingspolitik. Ich habe diese Kritik – im Übrigen hat die CDU sie auch nicht geteilt – damals nicht geteilt und teile sie auch heute nicht. Aber ich respektiere sie. Ich respektiere die Bischöfin, wenn sie Kritik äußert.

(Beifall bei der SPD und der GAL)