Die Kirche darf sich politisch äußern, sie muss es sogar tun, wenn sie ihrem Auftrag gerecht werden will. Wir, die Politik, müssen diese Kritik nicht teilen, aber wir müssen sie aushalten und sich mit ihr auseinandersetzen. Genauso muss die Kirche unsere Kritik aushalten, wenn sich zum Beispiel Politiker kritisch über den Verkauf von Gotteshäusern äußern.
Das sind an sich selbstverständliche Regeln der politischen Kultur. Sie gelten für Kirchen, für andere Institutionen und für alle engagierten und kritischen Bürger dieser Stadt. Ich sehe mich leider veranlasst, festzustellen, dass die Regierungsparteien diese Regeln zum Teil nicht mehr einhalten.
In der republikanisch-hanseatischen Tradition kniet niemand vor niemandem, kein Bürger vor der Kirche und kein Vertreter dieser Stadt vor einer auswärtigen Macht. Aber es gilt etwas anderes:
Die Bürger waren und sind frei denkende Bürger. Es ist von ihnen nicht zu erwarten, dass sie sich devot gegenüber Senat oder Bürgerschaft verhalten. Das soll so bleiben.
Die Dialog- und Kooperationsbereitschaft eines Senats oder auch von Parteien kann doch nicht vom Wohlverhalten und der Anpassungsbereitschaft von Gewerkschaften, Kaufleuten und – wie aktuell – Kulturschaffenden oder der Kirche abhängig gemacht werden. Das ist doch keine hanseatische Grundlage für Politik.
Meine Damen und Herren! Der Erste Bürgermeister dieser Stadt, Herr von Beust, hat sich mitten im Trubel um die unsäglichen Äußerungen seines Stellvertreters und Koalitionspartners
zu seiner Kirche – er meinte die evangelische Kirche – bekannt. Auf der Feier zum 475. Jahrestag der Reformation hat Ole von Beust dieses Bekenntnis abgelegt. Er hat es mit der Aussage verbunden, dass die Verhandlungen über den Kirchenvertrag wieder aufgenommen werden.
Der Erste Bürgermeister hat die Kirche ermutigt, weiterzumachen. Wenn er das getan hat, dann muss auch Wort gehalten werden. Worthalten heißt: Dieses würdelose Trauerspiel,
Die Menschen in dieser Stadt wollen diese Aufführung ganz sicher nicht. Es ist unzweifelhaft, dass das Verhältnis von Staat und Kirche und das Ansehen unserer Stadt Schaden genommen haben, sie müssen wieder hergestellt werden. Das ist Ihre Aufgabe. Deshalb erwarten wir, dass der Kirchen-Staatsvertrag der Bürgerschaft nach der Sommerpause vorgelegt wird.
Ein Wort zu Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien. Es gibt unterschiedliche parlamentarische Übungen, gute und schlechte.
Zu den schlechten gehört, einen Antrag, den man nicht ablehnen kann, zu überweisen. Es gibt nichts im Verfas
sungsausschuss zu diskutieren, das wissen Sie so gut wie wir. Es gilt, den Vertrag zu Ende zu verhandeln und ihn der Bürgerschaft vorzulegen. Wenn Sie sich die Peinlichkeit in dieser Angelegenheit zumuten wollen, dann nur zu! Es ist nicht nur peinlich, sondern würdelos, genauso wie die Veranstaltung vorhin auf der Bank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es besteht in dieser Stadt eine historische Partnerschaft von Staat, Kirche und Wirtschaft.
(Uwe Grund SPD: Länger als 44 Jahre! – Gegen- ruf von Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Trotz 44 Jahren!)
Wir alle haben alle Achtung und Respekt vor der Institution Kirche. Sie leistet hervorragende Arbeit für unser Gemeinwesen; darauf hat auch mein Vorredner hingewiesen.
Die vertrauensvolle Partnerschaft von Stadt und Kirche hat sich bewährt. Es bestehen alle Regelungen, die in diesem Zusammenhang erforderlich sind. Alles ist in rechtliche Regelungen gegossen und funktioniert – das hat auch Herr Zuckerer gesagt – seit vielen Jahren reibungslos.
Herr Zuckerer tut sich und auch der Kirche keinen Gefallen, wenn er das Thema dazu benutzt, eine PR-Aktion für die SPD vom Zaum zu brechen, und versucht, Zwietracht zu säen. Dieses Parlament muss über die Frage, ob es sinnvoll ist, einen Vertrag zu schließen oder nicht, nicht in Panik geraten oder sich nicht beleidigen, Herr Zuckerer, und auch nicht in Zwietracht auseinander gehen.
Die Frage, ob es sinnvoll ist, einen Vertrag zu schließen, hängt im Wesentlichen davon ab, ob zur Regelung der Vertragsgegenstand allseits bekannt und bezeichnet ist sowie für notwendig empfunden wird. Da genau liegt das Problem. Tun Sie nicht so, als habe Herr Schill allein Zweifel über die Notwendigkeit eines solchen Vertrages geäußert. Die SPD äußert offensichtlich seit 44 Jahren solche Zweifel, sonst hätte sie doch längst einen solchen Vertrag geschlossen.
Sie sind die Antwort schuldig geblieben, Herr Zuckerer, warum dies nicht geschehen ist, wenn dies – wie Sie es sagen – doch die Normalität und seit dem Kriege bereits überall gang und gäbe ist.
Nach dem Krieg bestand nach einer totalitären Unrechtsherrschaft das Bedürfnis, die Kirche, die auch sehr unter dieser Herrschaft gelitten hatte, in feste Rechtssicherheit und Verträge zu binden; das ist selbstverständlich. Das Gleiche gilt für die neuen Bundesländer.
Der Kirchenexperte von Campenhausen hat gesagt, dass die Kirchenverträge geschlossen wurden, weil in der damaligen DDR die Kirchen jahrelang schlechter gestellt waren, und dass sie unter dem Regime und unter den Beamten des DDR-Verwaltungsapparates leiden mussten. Dies ist in der Tat ein Motiv, nach einer solchen Wende endlich Rechtssicherheit und verlässliche Regelungen für die Kirchen auch in den neuen Bundesländern zu schaffen.
Aber gilt dieses Motiv auch hier und heute? Die Frage, ob ein Vertrag geschlossen werden soll oder nicht, ist in diesem Parlament noch nicht erörtert worden. Seit 1946 war das Parlament nicht mit dem Thema befasst. Was begründet also konkret die Erforderlichkeit eines solchen Vertrages? Dazu will ich gleich das Für und Wider erläutern.
Es sei mir erlaubt, nicht an der Person der Bischöfin – diese ist mir relativ gleichgültig – Kritik zu üben,
sondern an der Kirchenführung, die gerade zu diesem Punkt des Kirchenvertrages nicht mit uns gesprochen hat, nicht in einen Dialog mit dem Parlament getreten ist und bis heute den Fraktionen keine Unterlagen – wie etwa Entwürfe eines Vertrages – zugeleitet hat. Es hat kein Gesprächsangebot gegeben, das es hätte geben müssen, bevor man über einen solchen Vertrag spricht.
Was ist geschehen? Der Senatskanzlei wurde quasi als Geheimsache ein Papier am Parlament vorbei zugeschoben mit der Bitte, dieses zu prüfen.