Protocol of the Session on February 5, 2003

Wir brauchen eine ernsthafte Debatte darüber, wie der absehbare Verlust der günstigen Zivis von den Sozialeinrichtungen kompensiert werden kann.

(Norbert Frühauf Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Wir sind gespannt! Ein soziales Pflichtjahr für alle Zwanzigjährigen lehnen wir klar ab, denn wir halten nichts von einer Zwangsverpflich- tung junger Menschen zu sozialer Arbeit. (Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Falsches Parla- ment, richtige Rede!)

Die Lösung besteht vielmehr im Ausbau des freiwilligen sozialen Jahres. Es ist erstaunlich, wie groß die Bereitschaft junger Menschen ist, dieses soziale Jahr abzuleisten. Herr Kollege Maier, es machen viele freiwillig, dazu verdonnern würde ich sie nicht.

(Beifall bei der GAL)

Nach einer Berechnung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes könnten jedoch in den sozialen Bereichen von den derzeit bundesweit circa 105 000 Zivildienststellen circa 75 000 Vollzeitarbeitsplätze kostenneutral geschaffen werden.

Der riesige Verwaltungsapparat des Bundesamtes für den Zivildienst ist absurd teuer und die Dienstzeiten sind sehr kurz. Es macht einfach mehr Sinn, statt eines mühsam rekrutierten Zivis einen Arbeitslosen zu beschäftigen, der dann auch Steuern und Sozialabgaben zahlt.

(Rolf Kruse CDU: Das macht der Zivi auch!)

Da auch die Zivis keine formalen Qualifikationen haben, könnten auf diese Weise dringend benötigte Arbeitsplätze für Menschen ohne breite Ausbildung geschaffen werden. Dadurch werden sie hoffentlich ermutigt, sich noch weiterzuqualifizieren.

(Beifall bei der GAL)

Wir wissen alle, dass der Bedarf an Hilfeleistungen im sozialen Bereich sehr groß ist. Er kann nicht allein durch tariflich entlohnte Arbeit gedeckt werden. Deshalb müssen wir das ehrenamtliche Engagement weiter stärken. Hierin sind wir uns einig; wir haben auch schon mehrfach darüber gesprochen.

(Frank-Thorsten Schira CDU)

Eine wichtige Alternative zum Zivildienst ist das freiwillige soziale Jahr, das wegen seiner Verbindlichkeit eine besonders wertvolle Form ehrenamtlicher Arbeit ist. Die Freiwilligen bekommen nicht mehr Geld ausbezahlt als die Zivis, nämlich knapp 500 Euro im Monat. Die Sozialversicherungsbeiträge müssten jedoch von den Trägern beziehungsweise vom Land aufgebracht werden.

In Hamburg sind – das sagte ich gerade – deutlich mehr Frauen und Männer bereit, ein freiwilliges soziales Jahr abzuleisten, als Plätze zur Verfügung stehen. Es ist ärgerlich und bedauerlich, dass dieses wertvolle Potenzial nicht ausgeschöpft werden kann. Wir fordern den Senat ausdrücklich auf, sich hier endlich etwas einfallen zu lassen und vernünftige Kostenverhandlungen mit den Trägern zu beginnen. Die Träger warten darauf.

(Beifall bei der GAL)

Das freiwillige soziale Jahr ist nicht nur für Zwanzigjährige, sondern auch für Sechzigjährige attraktiv. – Danke schön.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Schinnenburg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Brinkmann, ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie zu dem Ergebnis kommen konnten, die Schill-Partei hätte die Koalitionspartner in Schwierigkeiten gebracht, als sie dieses Thema zur heutigen Sitzung anmeldete. Ganz im Gegenteil. Wir sind sehr dankbar, dass sie uns Gelegenheit gibt, auf die unsoziale Politik der Bundesregierung hinzuweisen. Vielen Dank für die Anmeldung!

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Wir stehen vor dem nächsten unsozialen Keulenschlag dieser rotgrünen Bundesregierung.

(Lachen bei der SPD)

Ende letzten Jahres gab es ein ähnliches Problem mit den Krankenhäusern, die eine Nullrunde verordnet bekamen, die im Ergebnis aber eine Minusrunde war. Nun wurden die Zahlungen für Zivildienstleistende brutal gekürzt. Hier drängen sich wirklich Parallelen auf.

Erste Parallele: Das Ziel. In beiden Fällen mussten kurzfristig Löcher gestopft werden, die die Bundesregierung selbst verursacht hat. Zuerst war es das Loch bei den Krankenkassen, nun ist der eigene Haushalt an der Reihe.

Zweite Parallele: Das Ergebnis. Es hat verheerende Folgen für die Schutzbedürftigen. Im November waren es die Patienten, heute sind es die Pflegebedürftigen und die Alten.

Dritte Parallele: Die Methode. Die Krankenhäuser wurden erpresst. Die bisher optionale Einführung von Fallpauschalen wurde als einziger Ausweg aus der Nullrunde angeboten, um mit Hilfe dieser Erpressung das durchzusetzen, was man erreichen wollte. Auch hier findet – darauf wurde bereits hingewiesen und von Ihnen zugegeben – eine Erpressung statt. Die Verbände wurden vor die Wahl gestellt: Entweder weniger Stellen oder weniger Geld pro Stelle. Das ist Erpressung! Das ist unanständig!

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Es gibt aber auch Unterschiede. Und zwar insofern, als sich die rotgrüne Bundesregierung gesteigert hat. Bei den Kranken gab es nur eine nominale Nullrunde, jetzt aber wird der Zuschuss um fast ein Drittel drastisch gekürzt. Sie legen eine gesteigerte Rücksichtslosigkeit an den Tag.

Es ist sogar noch schlimmer. Die SPD spricht mit gespaltener Zunge. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Hamburger SPD keine Gelegenheit auslässt, der Bürgerkoalition eine soziale Kälte zu attestieren.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Stimmt ja auch!)

Was Sie machen, das ist soziale Kälte! Wir haben genau das Gegenteil getan, nämlich darüber diskutiert, wie eine wohl dosierte und wohl überlegte Strukturierung im Sozialbereich erreicht werden kann.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Eine derart brutale Kürzung von fast einem Drittel würden wir keinem Bereich zumuten.

Zur Frage der Befristung. Naive Menschen glauben noch, was die rotgrüne Bundesregierung oder Bundeskanzler Schröder sagen. Das ist wirklich naiv. Solange Gerhard Schröder regiert, ist jede Befristung einer Sparmaßnahme Augenwischerei.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Die Ursache für die Sparmaßnahmen – eine katastrophale Haushaltslage – besteht nämlich fort, denn sie folgt wiederum einer katastrophalen Wirtschaftspolitik. Solange die Wirtschaftspolitik des Bundes nicht geändert wird, gibt es keine befristeten, sondern nur unbefristete Sparmaßnahmen; es kommen auch immer noch neue dazu, die meistens zulasten von sozial Schwachen gehen. Das ist der Punkt.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Die Hamburger Bürger können sich eigentlich nur auf zwei Dinge verlassen.

Erstens: Von der rotgrünen Bundesregierung sind nur undurchdachte Keulenschläge zu erwarten.

Zweitens: Die Bürgerkoalition in Hamburg wird versuchen, wenigstens die schlimmsten Folgen dieser Keulenschläge aufzufangen. Das haben wir schon bei den Krankenhäusern getan und werden es auch bei den Pflegebedürftigen tun. Das ist nicht einfach, aber eine solche Kaltschnäuzigkeit, wie sie die Bundesregierung an den Tag legt, ist uns völlig fremd. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Rutter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ihnen, Frau Brinkmann und Frau Dr. Freudenberg, bin ich dankbar dafür, dass Sie den Bogen zur Bundeswehr geschlagen haben. Endlich kommen wir einmal dazu, Deutsch miteinander zu reden.

Der wahre Grund – neben dem Sparen – ist doch, dass der Aufbau einer Berufsarmee angestrebt wird. Dazu ist es

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

notwendig, den Zivildienst ganz brutal abzuwürgen. Davor scheut man sich. Deshalb wird der Zivildienst jetzt auf kaltem Wege schlicht und einfach damit ausgehebelt, dass man ihn finanziell austrocknet. Das ist doch der Trick, so läuft doch der Hase!

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP – Barbara Duden SPD: Mär- chenstunde!)

Im Moment sind wir im Sozialbereich auf die Zivildienstleistenden angewiesen; das weiß jeder. Wenn die Forderung gestellt wird, diese Stellen in normale Arbeitsplätze umzuwandeln, dann ist das einfach unrealistisch, weil dies kein Mensch bezahlen kann. Wollen wir die Lohnnebenkosten noch weiter nach oben drücken? Wie wollen wir diese denn bezahlen?

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Damit Klarheit besteht: Wenn es nach mir ginge, würde ich für alle ein soziales Pflichtjahr einführen, das bis zum 35. Lebensjahr abgeleistet werden müsste. Diejenigen, die Kinder haben, werden davon ausgenommen. Alle anderen sollten es jedoch leisten, damit ihr soziales Bewusstsein gestärkt wird und wir Kosten sparen.