Protocol of the Session on November 14, 2002

Wenn ich jetzt etwas Falsches sage, bekomme ich keinen Ordnungsruf, sondern Stubenarrest.

(Heiterkeit bei der Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive, der CDU und FDP)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Böwer! Gestern war dem „Hamburger Abendblatt“ zu entnehmen und Sie haben es ja hier auch erneuert, dass Sie uns konstruktive Mitarbeit beim Kita-Gutscheinsystem anbieten, aber nur wenn der Senat die Einführung des Gutscheinsystems verschiebt.

Natürlich nehmen wir gern jedes ernst gemeinte Gesprächsangebot an. Aber, Herr Böwer, Ihr Angebot bedeutet doch, dass Sie bisher nicht konstruktiv mitwirken wollten. Was glauben Sie eigentlich, wozu die Ausschüsse in diesem Hause sind?

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL: Das fragen wir uns auch manchmal!)

Da soll sachlich und konstruktiv mitgearbeitet werden. Hierzu haben Sie als Opposition auch einen Wählerauftrag.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP – Uwe Grund SPD: Das ist ja ein starkes Argument!)

Ich muss also fürchten – da gebe ich Herrn Weinberg Recht –, dass es hier eine Showeinlage ist, die lediglich dazu dient, die Eltern und die Träger zu verunsichern.

Jetzt möchte ich auf Ihren Antrag eingehen, Herr Böwer. Im ersten Absatz des Antrags beziehen Sie sich auf die ermittelten Daten der ISKA-Studie für das Jahr 2002. Herr Böwer weiß, dass die ISKA-Studie veraltet ist, dass sie aus dem Jahre 2000 stammt, stark umstritten und daher weder aktuell noch repräsentativ ist.

Inzwischen wurde eine bereits neue empirische Analyse in Auftrag gegeben, die verlässlichere Daten ermittelt.

(Günter Frank SPD: Und, und?)

Ich komme noch darauf.

Das Kindergeld bei der Berechnung des Eigenanteils nicht mehr zum Nettoeinkommen einer Familie hinzurechnen, ist keine neue Idee und stammt auch nicht von Ihnen. Trotz

dem fordern Sie es in Ihrem Antrag. Damit haben Sie wieder einmal bewiesen, wie wenig innovativ Ihre Anträge sind.

Kontrovers zu Ihrem Antrag ist auch die Aussage von Herrn Böwer gegenüber seiner Lieblingszeitung, der „taz“, vom 28. Oktober. Dort führt Herr Böwer aus:

„Das Dramatische ist, dass Schinnenburg und Lange jetzt noch mal Geld aus dem System nehmen, indem sie das Kindergeld bei den Elternbeiträgen nicht mehr anrechnen.“

Ihr Antrag ist vom 23. September. Dramatisch ist in diesem Zusammenhang wohl eher die Erkenntnis, dass Herr Böwer in einem Zeitraum von einem Monat und fünf Tagen zwei unterschiedliche Auffassungen veröffentlicht. Eine so konträre Aussage, Herr Böwer, ist wohl nur damit zu erklären, dass Sie und die SPD sich wieder einmal uneins sind.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Das neue Kita-Gutscheinsystem deckt das Angebot des Elementarbereichs bei einer Betreuungszeit von vier Stunden pro Tag dreiundneunzig- bis vierundneunzigprozentig ab. Damit ist der Elementarbereich gesichert. In Bezug auf die Bewilligungskriterien – das bewegt Sie ja eher – ist festzuhalten, dass die Prioritätsstufen eins bis vier eine Garantie auf einen Platz geben und die Betreuung der Kinder in den Bereichen sichergestellt ist. Es wird davon ausgegangen – diese Zahlen sind repräsentativ –, dass wir bei den Prioritätsstufen eins bis vier insgesamt einen Andrang von circa zwei Dritteln des Gesamtbedarfs erwarten können. In den Leistungsstufen fünf bis sieben wird von einer Inanspruchnahme von circa einem Drittel ausgegangen.

Herr Böwer bemängelt und bezeichnet es als unsozial, dass berufstätige Eltern auf den Plätzen vier und fünf der Prioritätsstufe landen. In der Stufe vier, Herr Böwer, ist ein Platz immer noch garantiert und deswegen keinesfalls unsozial. Für die Stufe fünf gilt – mit einem Zusatz festgehalten –, der Betreuungsbedarf von Kindern wird im Rahmen von Tagespflege und durch von Wirtschaftsunternehmen kofinanzierte Angebote vorrangig berücksichtigt. Zusätzlich wird für die Prioritätsstufe fünf einmal im Monat ein Wartelistenlauf erstellt. Das heißt, es werden die noch oder wieder freien Plätze ermittelt. Dadurch wird in dieser Prioritätsstufe ein zügiges Nachrückverfahren ermöglicht.

Und, Herr Böwer, das habe ich auch erwartet: Wenn Sie meinen, dass die Prioritäten der Kriterien geändert werden sollten, müssen Sie auch sagen, was Sie wollen, und vor allen Dingen, welche Gruppe Sie dafür herausnehmen wollen.

(Gesine Dräger SPD: Ausbau wollen wir!)

Herr Böwer, aus der neuen Umfrage ist uns schon bekannt, dass der Bedarf an Tagesmüttern und preiswerteren Angeboten gestiegen ist und somit bei weniger Ausgaben der gleiche Versorgungsgrad beibehalten werden kann. Außerdem gibt es tatsächlich Vorschulklassen, die nicht einmal ausgebucht sind. Diese Lücke müssen wir schließen.

(Dr. Mathias Petersen SPD: Was?)

Durch die Einführung des Gutscheinsystems schaffen wir ein effizientes und bedarfsgerechtes Angebotssystem, welches unter anderem den Ansprüchen der Nachfrage Genüge tut. Im neuen Kita-Gutscheinsystem können die Leistungsanbieter ihre Angebotsstrukturen flexibel, ohne Vorgaben einer behördlichen Planungsinstanz, gemäß den

(Marcus Weinberg CDU)

von Familien artikulierten Bedürfnissen eigenständig weiterentwickeln.

Jedes neue System bringt Umstellschwierigkeiten mit sich. Da gebe ich Ihnen Recht. Deshalb werden wir, das war Ihr großer Wunsch, Herr Böwer, Gespräche mit Eltern und Trägern suchen,

(Dr. Mathias Petersen SPD: Jetzt erst!)

um die Unsicherheiten auszuräumen. „Jetzt erst“ ist nicht ganz richtig, wir führen bereits seit einem Dreivierteljahr diesbezügliche Gespräche, wozu Sie sich ja haben nicht sehen lassen.

(Christa Goetsch GAL: Das ist ja etwas ganz Neues!)

Ich bin froh, dass die Regierungskoalition es im Gegensatz zur SPD geschafft hat, ein faires System zu entwickeln, welches Eltern und Träger gleichermaßen berücksichtigt. Da die SPD nach Aussage von Herrn Grund keine Fundamentalopposition betreibt, begnügen Sie sich jetzt wohl damit, in Ihren Anträgen bereits entwickelte Konzepte zu fordern, um den Anschein zu erwecken, konstruktiv und innovativ zu sein.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Da Sie nicht einmal, wie leider inzwischen üblich, in Ihre Anträge geschrieben haben, wie Sie Ihre Forderungen finanzieren wollen, betrachten wir Ihren Antrag als reine Verunsicherungsstrategie der Eltern und der Träger.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Das Wort hat Frau Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Weinberg, ich glaube, Thomas Böwer ist nicht wie „Gott aus der Maschine“ gekommen – so weit ist er noch nicht –,

(Klaus-Peter Hesse CDU: Noch lange nicht! Er glaubt es aber!)

sondern es ist das Chaos eingezogen, was wir immer schon prophezeit haben. Wir haben in einem Jugendausschuss nach dem anderen nach den Bewilligungskriterien gefragt. Es konnte keine Antwort gegeben werden. Ich bin erst seit einem Jahr in diesem Geschäft Kita-Card dabei. Ich kann das noch mit dem nötigen Abstand und vielleicht nicht ganz so emotional sehen und habe feststellen müssen, dass Sie nicht in der Lage waren, Antwort zu geben. Es ist der GAU eingezogen. Wenn man sich vorstellt, dass Thomas Böwer, der mit als Erfinder der Kita-Card gilt, so die Notbremse ziehen muss, dann muss man wirklich sagen, es ist nicht nur bedenklich, sondern es ist ein Riesenproblem aufgetaucht.

Ich will als GAL-Vertreterin deutlich sagen, dass wir am Prinzip der Nachfrageorientierung an der Kita-Card weiterhin festhalten. Es geht nicht darum, diese nachfrageorientierte und bedarfsgerechte neue Systematik umzustürzen. Aber wir haben eine Situation bekommen, wo die nicht mehr durchführbar ist. Die CDU und die anderen Regierungsfraktionen haben ein Riesenproblem, weil sie das Gutscheinsystem 1:1 übernommen haben. Sie haben nur einen großen Fehler gemacht. Mitgekoppelt ist erstens, wenn man die Kita-Card einführen will, dass man Plätze

ausbauen muss. Zweitens muss man das Stundenangebot ausbauen, sonst kann eine solch nachfrageorientierte Systematik nicht umsetzen. Da liegt der Knackpunkt bei Ihnen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Sie kommen jetzt in diesen Zielkonflikt, Umsetzung und Finanzierung, weil Sie – dilettantisch und wieder mit den üblichen handwerklichen Fehlern – diese Ausweitung nicht geschaffen haben. Wir haben Ihnen von Anfang an Anfang gesagt, Sie können nicht die Elternbeiträge senken und gleichzeitig den Ausbau durchführen. Sie haben aber inzwischen überhaupt nichts getan. Deshalb kann es nicht klappen.

Die Dramatik ist aber, dass die Träger die Verträge paraphiert haben, sich aber etwas ganz anderes eingehandelt haben, als was sie unterschrieben haben.

(Rolf Harlinghausen CDU: Wenn Sie schon die Kin- der als Geschäft ansehen, wird es dramatisch!)

Insofern sind in den Bezirken die Probleme aufgetaucht, weil die Rahmenbedingungen und Bewilligungskriterien nicht mehr stimmen. Ich will noch einmal vier hervorheben, die in den Stadtteilen, die große soziale Probleme haben, dramatisch sind. Die Warteliste ist schon angesprochen worden. Es wird dazu führen, dass Kinder langzeitarbeitsloser Eltern überhaupt keine Chance haben, durch einen Besuch einer Kita aus ihrer sozialen Isolation herauszukommen. Eltern, die beide nicht arbeiten, ihre Arbeit verlieren oder ein weiteres Baby bekommen, stehen in der Hierarchie an letzter Stelle. Die können es ganz vergessen, einen Kita-Platz zu bekommen. Kinder mit Migrationshintergrund, die bisher in der Regel eine Ganztagsbetreuung hatten, fallen bei der Kita-Betreuung ganztags heraus. Und das, wo Sie doch die großen Vertreter der Sprachförderung und der Integration sind. Da haben Sie nun ein echtes Problem.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Zur Prioritätsstufe fünf. Da gilt die erstmalige Förderung bei Berufstätigkeit. Wer zuerst kommt, bekommt den Platz. Das heißt, für Mütter, die nach der Elternzeit wieder in den Job wollen, wird es mit Sicherheit nicht leichter werden.

Ich könnte die Liste weiter fortsetzen. Das lasse ich jetzt aber. Herr Lange, Sie sind im Augenblick wirklich in eine Falle geraten, es ist schlecht gelaufen für die Regierungsfraktionen. Sie haben sich übernommen und versuchen, uns jetzt zu verklaren, dass das alles wunderbar geht und mit den Eltern abgesprochen wird. Ich glaube, Sie wissen gar nicht, was vor Ort los ist an Verunsicherungen,

(Stephan Müller Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Selbstverständlich. Wir waren da, aber Sie nicht!)

weil Sie nicht diesen Ausbau betrieben haben. Sie sitzen jetzt in dem Chaos.