Protocol of the Session on November 13, 2002

Meine Damen und Herren! Ziel des Vorschaltgesetzes ist es, kurzfristig das Beitragsniveau zu stabilisieren beziehungsweise die Anhebung der Beitragssätze über den durchschnittlichen Satz von derzeit immerhin 14 Prozent zu verhindern. Eine weitergehendere Reform soll dann für alle Sozialversicherungssysteme von einer Reformkommission bis Herbst 2003 vorbereitet und voraussichtlich ab 2004 umgesetzt werden.

Ich frage: Ist dies angesichts der Reformvorschläge, die bereits in den letzten Monaten von Politik und Gesundheitsexperten entwickelt wurden – ich erinnere an die zahlreichen Runden Tische –, wirklich zielführend oder wird hier nicht vielmehr Sand in die Augen einer durch das Vorschaltgesetz ohnehin bereits hoch emotionalisierten Fachöffentlichkeit gestreut?

Ich bezweifele, dass mit den Einzelmaßnahmen, die im Vorschaltgesetz enthalten sind, kurzfristig ein erneutes Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung für das Jahr 2003 verhindert werden kann. Vielmehr ist zu befürchten, dass insbesondere die Nullrunden bei den ambulanten und stationären Leistungserbringern zur Rationierung in der gesundheitlichen Versorgung und – wir haben dieses heute auch schon angesprochen – zu einer nachhaltigen Verunsicherung von Patienten und Versicherten führen werden. Das wird leider Gottes von der Bundesregierung offensichtlich billigend in Kauf genommen.

Würde man hingegen bis zu einer echten Reform des Gesundheitswesens den gegenwärtigen Status quo beibehalten, dann wären die Vergütungsanpassungen, die an die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen gebunden sind, sehr maßvoll. Die Anpassung von 0,81 Prozent würde ohne Nullrunde für das Jahr 2003 – die Zahl

(Senator Peter Rehaag)

A C

B D

wurde bereits genannt – äußerst gering ausfallen, aber dennoch der Selbstverwaltung einen gewissen Spielraum zur Anpassung an die Ausgabenentwicklung lassen.

Ich warne – gerade hinsichtlich der Zahlen, die bei den aktuellen Ärzteprotesten kursieren –, zu einer sachlichen und differenzierten Betrachtung zu kommen.

(Uwe Grund SPD: Aha! – Petra Brinkmann SPD: Sehr richtig!)

Nach ernst zu nehmenden gesundheitsökonomischen Berechnungen sind eher die Fachärzte mit Umsatzrückgängen bis zu 2000 Euro jährlich pro Praxis betroffen. Diese Summe fällt aber nicht so ins Gewicht, während hingegen die Hausärzte und auch die Internisten, die an Chronikerprogrammen im Rahmen von DRG-Management teilnehmen, dagegen Umsatzzuwächse von bis zu 20 000 Euro jährlich erreichen könnten.

(Uwe Grund und Petra Brinkmann, beide SPD: So ist es!)

Ohne jetzt auf die Unzulänglichkeiten des Maßnahmenpakets im Vorschaltgesetz in allen Punkten einzugehen, möchte ich einmal beispielhaft zwei Paradoxien benennen.

Erstens: Bei den Ausgaben für Zahnersatz und zahntechnische Leistungen werden die jetzt angestrebten Einsparungen für die Krankenkassen durch die vorgesehene Erhöhung der Umsatzsatzsteuer für zahntechnische Leistungen von sechs auf 16 Prozent wieder kompensiert werden. Es handelt sich also im wahrsten Sinne des Wortes um eine Nullnummer. Keiner weiß, was das bewirken soll.

Zweitens: Die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze schränkt die Wahlmöglichkeit für die freiwilligen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung erheblich ein. Jüngeren Versicherten mit Einkommenszuwächsen wird erst eine spätere Wechselmöglichkeit eröffnet. Eine Fehlentwicklung der vergangenen Jahre, nämlich die Abwanderung von Versicherten mit so genannten guten Risiken in die privaten Krankenversicherungen oder in beitragssatzgünstige, virtuelle Betriebskrankenkassen wird hier mit unverhohlenem staatlichen Dirigismus begegnet.

(Uwe Grund SPD: Redezeit, Herr Senator, Rede- zeit!)

Dies kann und muss bereits auf der Ebene der Kostenträger als Absage an den Wettbewerbgedanken verstanden werden. Wettbewerb ist aber genau das, was das System auch aufseiten der Kostenträger dringend braucht. Deswegen muss in diesem Bereich der Wettbewerb mehr Einfluss nehmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Damit befinden wir uns bei der Redezeit in Paragraph 22 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung. Zunächst aber habe ich Veranlassung, noch einmal nachhaltig an die Verabredung zwischen Bürgerschaft und Senat betreffend die Redezeit der Senatoren in der Aktuellen Stunde zu erinnern. Soeben waren es 220 Prozent der Redezeit eines Abgeordneten.

(Beifall bei der SPD – Dr. Verena Lappe GAL: Dafür war es auch besonders interessant!)

Nunmehr bekommt die Abgeordnete Dr. Freudenberg das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch für mich ist das Vorschaltgesetz ärgerlich, weil es eine Hauruck-Aktion ist. Es ist wirklich ärgerlich, dass es die rotgrüne Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode nicht geschafft hat, die nun beschlossene Kommission für Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme einzusetzen und wirkliche Reformen einzuleiten.

Es ist seit langem klar, dass wir eine radikale Strukturreform der Sozialversicherungen brauchen. Wir kommen darum nicht herum, weil die immer größer werdende alte Generation nicht auf Kosten der relativ wenigen Jungen ihre Sicherung erhalten kann.

(Beifall bei der GAL – Uwe Grund SPD: Die Radi- kalen sind außerhalb des Parlaments!)

Wir müssen außerdem bald die Lohnnebenkosten senken, denn sonst werden wir die Massenarbeitslosigkeit nie überwinden können.

(Beifall bei Norbert Frühauf und Rolf Gerhard Rut- ter, beide Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Vor diesem Hintergrund müssen wir überlegen, was wir tun müssen.

Dieses Vorschaltgesetz ist aber nicht aus dem Grund ärgerlich, weil damit die ärztlichen Existenzen bedroht würden oder unsere Hamburger Krankenhäuser in die Pleite gehen würden. Das meine ich nicht.

Die erheblichen Defizite der Krankenkassen erzwingen das Ziehen der Notbremse. Es muss gespart werden, weil die Kosten in den letzten Jahren so rasant gestiegen, alle Versuche der Kostenbegrenzung im Gesundheitswesen und alle Verabredungen mit den Leistungserbringern gescheitert sind, weil sie sich nicht an Verabredungen halten.

Jeder weiß, dass das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich zwar sehr teuer, aber in der Qualität nicht besonders gut ist. Kostenbegrenzungen sind möglich, ohne dass dadurch die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung gefährdet wird. Wir müssen es endlich schaffen, unnötige und Doppeluntersuchungen und anderes Unsinnige zu vermeiden. Das ist schwer durchsetzbar, weil die Leistungserbringer immer gleich behaupten, dass damit die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung gefährdet sei.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Nein, weil Sie in Berlin regieren!)

Ich möchte bei aller berechtigten Kritik an dem Vorschaltgesetz noch einmal sagen: Die medizinische Versorgung wird dadurch nicht gefährdet. Die größte Sparquote muss der Arzneimittelbereich bringen. Das hat Herr Senator Rehaag schon gesagt. In diesem Bereich sind die Kosten in den letzten Jahren rasant gestiegen, obwohl Verabredungen zur Kostenbegrenzung getroffen wurden. Es gab seit Anfang letzten Jahres einen Ausgabenzuwachs von 3,2 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund ist die nun beschlossene Einsparquote von 1,4 Milliarden Euro, die dort erbracht werden muss, absolut zumutbar.

Ich hoffe, dass wir bald eine Positivliste bekommen, damit die Arzneimittelverordnung kritisch erfolgt und nicht so wahllos und teuer wie jetzt.

(Beifall bei der GAL)

Für Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser soll es eine Nullrunde geben. Das heißt, es wird auf Honoraranpassungen

(Senator Peter Rehaag)

an die Grundlohnentwicklung verzichtet, die mit 0,81 Prozent schon sehr niedrig berechnet wurde. Niedergelassene Ärzte und Zahnärzte werden dadurch durchschnittlich – das haben wir gehört – Einkommenseinbußen von 160 Euro haben.

(Elke Thomas CDU: Da sprechen Sie mal mit denen selbst! Da werden Sie interessante Informationen erhalten!)

Diejenigen, die sich auf moderne Management- und Behandlungsprogramme von chronischen Erkrankungen umstellen, werden davon nicht betroffen sein.

Problematischer ist die Nullrunde im Krankenhausbereich. Auch wir Grünen haben versucht, den Krankenhausbereich aus dieser Nullrunde ganz auszunehmen; das ist uns nicht gelungen. Aber gerade für Hamburg können wir relativ beruhigt sein, denn 60 Prozent der Hamburger Krankenhäuser haben bereits auf die Fallpauschalen umgestellt und werden von der Nullrunde nicht betroffen sein. Außerdem sind die psychiatrischen Kliniken ausgenommen, weil dort die DRG-Systeme gar nicht eingeführt werden. Es ist für mich problematisch, dass den Kinderkliniken und auch den Geriatrien diese Fallpauschalen so schnell nahe gelegt werden. Sie brauchen mehr Zeit, um vernünftige Dinge zu entwickeln. Wir müssen sehen, wie wir hier zu guten Lösungen kommen.

Insgesamt kann ich nur wiederholen: Wir brauchen grundlegende Reformen. Das Vorschaltgesetz ist eine Notbremse, die leider erforderlich war. Wir werden aber demnächst anfangen, über Gesundheitspolitik und Einsparungen wirklich zu diskutieren.

(Beifall bei der GAL)

Dann bekommt der Abgeordnete Dr. Schinnenburg das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Dr. Freudenberg, den letzten Satz hätten Sie doch lieber gelassen. Ich wollte Ihnen ein großes Lob aussprechen. Aber Sie haben den Satz – wir werden demnächst anfangen, über Gesundheitspolitik zu diskutieren – noch angehängt. Diesen Satz streichen wir einmal. Der Rest war gar nicht schlecht.

(Wolfgang Franz SPD: Ja, Herr Lehrer!)

Man sah nämlich einen deutlichen Unterschied zwischen Ihnen und dem Kollegen Petersen von der SPD. Sie haben zugestanden, dass dies eine Hauruck-Aktion war und für Sie deshalb das Vorschaltgesetz so ärgerlich ist. Über das Weitere sind wir unterschiedlicher Auffassung, darüber können wir diskutieren. Aber Sie haben sich wenigstens damit auseinandergesetzt.

Kollege Petersen hat demonstriert, wie man es nicht macht.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Es gibt eine massive Angst, Verunsicherung und Panik. Kollege Petersen weigert sich, sich irgendwie damit auseinander zu setzen. Er nennt das einfach nur Panikmache.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Wolfgang Franz SPD: Peinlich, peinlich!)

Das ist die Arroganz ehemaliger Macht und nichts anderes.