Protocol of the Session on October 31, 2001

(Vizepräsident Berndt Röder)

Tatsächlich fanden die Briten das Lager menschenleer, Todesmärsche und die Verschleppung der Häftlinge zur „Cap Arcona“ hatten dafür gesorgt.

Die Nachkriegsnutzung des KZs als britisches Internierungslager und dann ab 1948 als Hamburger Gefängnis setzt die Tradition des Vergessens fort.

Erst auf Drängen und Kämpfen der Überlebenden, die sich in der Amicale Internationale zusammengeschlossen hatten, wurden in den fünfziger und sechziger Jahren die Mahnmale errichtet. Ich freue mich sehr, dass Fritz Bringmann, überlebender ehemaliger Häftling des KZs Neuengamme, Vizepräsident der Amicale Internationale Deutschland, heute zu uns in die Bürgerschaft gekommen ist.

(Beifall bei der GAL und der SPD sowie vereinzel- ter Beifall bei der CDU und der FDP – Glocke)

Frau Abgeordnete! Darf ich darauf hinweisen, dass wir uns insgesamt freuen, dass Herr Bringmann hier heute teilnimmt. Aber es ist nicht die Aufgabe der Abgeordneten, die Begrüßung vom Rednerpult aus vorzunehmen.

(Vereinzelter Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Erst Bürgermeister Voscherau sorgte 1989 dafür, dass die Hansestadt aktiv wurde. Die Unzumutbarkeit, das ehemalige KZ als Vollzugsanstalt zu nutzen, sollte endlich beendet werden. Es wurde eine hochkarätige Senatskommission unter Mitwirkung der Mitglieder der Amicale Internationale und auch des langjährigen FDP-Vorsitzenden und Bürgerschaftsabgeordneten Robert Vogel eingerichtet. Gerade Robert Vogel hat sich besonders für die Verlagerung des Gefängnisses engagiert.

Wir haben nun endlich den Beschluss erreicht, an diesem Ort, an dem zehntausende Menschen aus ganz Europa der Freiheit und ihres Lebens beraubt wurden, eine nationale Gedenkstätte im Rang von Dachau und Bergen-Belsen zu errichten, die auch für künftige Generationen stehen soll. Gerade das Gelände und die Gebäude der Haftanstalt XII sind von höchster historischer und emotionaler Bedeutung. Um gleich irgendwelchen Ansinnen aus bestimmten Reihen dagegenzustellen: Es geht nicht um die Vollzugsanstalt IX, die auf einem ganz anderen Gelände steht. Es sind der Appellplatz, mit dem die Häftlinge die furchtbarsten Erinnerungen verbinden, die Krankenbaracken, in denen die Häftlinge zu Tode gespritzt wurden, und die Unterkünfte der Häftlinge, die weiter als Gefängnis genutzt werden sollen. Es ist zynisch, allein den Gedanken daran zu verschwenden, geschweige denn im Koalitionsvertrag festzuhalten, man könne vielleicht einvernehmlich mit den Überlebenden oder den Angehörigen die weitere Nutzung der Strafanstalt auf diesem Gelände überlegen.

(Glocke)

Frau Abgeordnete! Ihre Redezeit ist bereits seit weitem überschritten.

Gestatten Sie mir noch einen Satz.

Ich wende mich an Herrn Bürgermeister von Beust: Sie tragen die Verantwortung für die ganze Stadt. Ich bitte Sie,

gegenüber den Überlebenden des Konzentrationslagers, gegenüber den Angehörigen der 50 000 Opfer, gegenüber allen Menschen der Lagergemeinschaft, beispielsweise Fritz Bringmann und Günther Wackernagel, keinen Wortbruch Hamburgs zu begehen. Ich bitte Sie darum, damit die Überlebenden nicht noch einmal kämpfen müssen. Das ist eine Frage des Anstands und der Würde.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Christier.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist bedauerlich, eigentlich würde ich sagen, es ist sogar peinlich und ärgerlich, dass nach jahrelanger Diskussion, nach intensiver Vorarbeit und nach einem einstimmigen Beschluss der Bürgerschaft Anfang September 2001 und wenige Tage nach dem sechzigsten Jahrestag des Beginns der Deportationen aus Hamburg der Koalitionsvertrag leider Anlass bietet, erneut über den Ausbau der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und die Verlagerung der Justizvollzugsanstalt XII zu diskutieren. Ich sage dazu ganz klar vorweg: Dieser in Erwägung gezogene Affront gegen die Opfer des KZ-Terrors darf keine Realität werden.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Dabei ist doch endlich eigentlich alles klar. Am 5. September 2001 stimmte die Bürgerschaft einstimmig dem Konzept für die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte zu einem Informations-, Begegnungs- und Dokumentationszentrum zu. Alles, was damals von allen Fraktionen übereinstimmend als Begründung gesagt wurde, bleibt richtig, insbesondere zur historischen Verpflichtung der Stadt. Ich zitiere stellvertretend Frau Dr. Weiss:

„Weil die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit für uns alle von entscheidender Bedeutung ist, wenn wir Gegenwart verstehen und Zukunft gestalten wollen, wünsche ich mir für dieses Projekt eine parteienübergreifende Unterstützung.“

Diese Feststellung bleibt auch heute völlig richtig.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Protokoll verzeichnet am 5. September an dieser Stelle: „Lang anhaltender Beifall im ganzen Hause“. Daraus ergibt sich zwingend, dass es den überlebenden Opfern nicht zuzumuten ist, mit ihrem Kampf für einen Ausbau der Gedenkstätte Neuengamme erneut von vorne anzufangen. Hamburg ist gegenüber den KZ-Häftlingen und ihren Angehörigen im Wort. Hamburg muss dieses Wort halten – ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Besorgt macht mich der gedankenlose und fahrlässige Stil, mit dem in der Koalition eine solch sensible Frage behandelt worden ist. Herr Schill, der bekanntermaßen immer gegen die Verlagerung war, musste bei den anderen Fraktionen nicht einmal Überzeugungsarbeit leisten. Das ist peinlich, CDU, FDP. Kurzes Gedächtnis? Moralisch unbewegt? Historisch uninteressiert? Das kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen. Dies ist ein peinlicher Vorgang und Frau Goetsch hat Recht, es ist national wie international Schaden entstanden und es fällt in Ihre Verantwortung.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die Reaktion ist ebenso eindeutig wie katastrophal. Herr Bringmann ist bereits zitiert worden. Robert Pinçon, der

(Christa Goetsch GAL)

Vorsitzende der Amicale Internationale, sagt, das wäre für Hamburg und ganz Deutschland eine große Schande. Paul Spiegel nimmt es mit Befremden zur Kenntnis und hofft auf eine breite Front der Empörung. Die „Times“ macht den neuen Senat „dominated by a right wing populist“ – so schnell wird alles vermengt – für diese Entwicklung verantwortlich. Frau Jepsen sagt, wir haben unsere Stimme dafür zu erheben, dass die Fehler, die in den fünfziger Jahren begangen wurden, korrigiert werden, soweit das überhaupt möglich ist. Allen diesen Aussagen können wir uneingeschränkt zustimmen.

Nun wird ein bisschen zurückgerudert, es sollen in der endgültigen Fassung des Koalitionsvertrags Gespräche geführt werden. Das ist auch das Mindeste, was jetzt geschehen muss, um den Schaden zu begrenzen. Das genügt in dieser Situation aber nicht mehr. Deshalb mein dringlicher Appell an den Senat und insbesondere an Sie, Herr Bürgermeister von Beust, stellen Sie sich bitte bei dieser Sache in die Kontinuität der Verantwortung. Nehmen Sie hier und heute durch ein klares Wort die Unsicherheit vom weiteren Schicksal der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Wer die historischen Zusammenhänge kennt, der weiß, Ausbau und Verlagerung gehören historisch und moralisch zusammen. Beides ist unverzichtbar und beides sollte jetzt zügig in Angriff genommen werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Freytag.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Bürgermeister, werter Senat, gestatten Sie mir, dass ich diesen Ausblick kurz genieße. Nach den Geburten meiner Kinder, bei denen ich dabei sein konnte, ist dies mit Abstand der zweitschönste Anblick meines Lebens. Willkommen an Bord.

(Beifall bei der CDU, bei der Partei Rechtsstaat- licher Offensive und bei der FDP – Zurufe von der SPD)

Ich korrigiere mich: Es ist der drittschönste Anblick meines Lebens, sonst bekomme ich heute unangenehme Nachfolgegespräche mit meiner Frau.

(Antje Möller GAL: Haben Sie das Thema über- haupt verstanden?)

Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten dieses Thema nicht zum Auftakt Ihrer Oppositionsarbeit gewählt, denn es gibt welche, die sich nicht für den politischen Meinungsstreit unter Parteien eignen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Dr. Andrea Hilgers SPD: Das entscheiden wir selbst!)

Die schrecklichen Seiten unserer Geschichte verpflichten alle demokratischen Parteien, nicht das Trennende untereinander zu betonen und heraufzubeschwören, sondern Gemeinsamkeiten zu suchen. So werden wir es tun.

Was Sie hier entfachen wollen, liegt neben der Sache. Eben hatte Herr Christier es schon angedeutet. Die Grundlage dessen, was Sie zur Aktuellen Stunde anmelden, ist nicht gegeben. Es wird sich an der Beschlusslage – das steht in unserem Koalitionsvertrag – nichts ändern, wenn es kein Einvernehmen mit den Betroffenen, den Institutio

nen, den jüdischen Organisationen, den Opferverbänden gibt.

(Anja Hajduk GAL: Nichts ändern!)

Damit ist die Geschäftsgrundlage für den Versuch, hier einen unglücklichen Start der Opposition zu vertuschen, schlichtweg gescheitert.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Wir strecken Ihnen die Hand aus. Dieses Thema ist zu ernst, um es auf dem Altar der Aktuellen Stunde zu opfern. Wir müssen uns der Verantwortung als Stadt insgesamt bewusst sein. Wer hier nicht die Gemeinsamkeiten der Demokraten sucht, sondern parteipolitisches Gezänk vorzieht, der beschädigt sich selbst, der schadet diesem Parlament und – noch schlimmer – der schadet dieser Stadt. Wir werden uns daran nicht beteiligen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Herr Woestmeyer bekommt das Wort.

Verehrtes Präsidium, meine Damen und Herren! Jede Rede, die ich hier zum Thema Neuengamme halten kann, muss sich mit etwas auseinander setzen, was man eigentlich nicht in Worte fassen kann. Das gewaltige Gelände dieses ehemaligen Konzentrationslagers, die unglaubliche Anzahl seiner 80 Außenstellen, die damit verbundene Systematik des Terrors, die dahinter steht, die unerzählbare Menge von Menschenleben und die Vielfalt der Schicksale gemahnen zum Gedenken. Eine Gedenkstätte lässt uns dem allen sehr nahe kommen, aber niemals auch wirklich gerecht werden. Ich sage Ihnen dies aus der Sicht eines Kulturpolitikers und aus der Sicht eines jungen Abgeordneten, der auch im Interesse der künftigen Generationen Erinnerungen bewahren möchte.

Die KZ-Gedenkstätte in Neuengamme versucht, Erinnerungen lebendig und erfahrbar zu machen. Sie stellt sich damit auch den heutigen Formen des Erinnerns. Sie misst sich somit an gesellschaftlichen Entwicklungen. Auch die Politik muss sich daran messen lassen und sich den Notwendigkeiten stellen. Sie darf Bedarfsgesichtspunkte bei der Planung von Haftanstalten nicht aus dem Auge verlieren. Sie darf aber auch nicht den besonderen und den kulturellen Wert der Gedenkstätte Neuengamme missachten. Sie darf ebenso wenig beides gegeneinander stellen. Hier hat niemand einen Alleinvertretungsanspruch für „richtiges Gedenken“. Hier gilt es, den Ausgleich zwischen politischen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten zu finden.