Protocol of the Session on June 26, 2002

Weitere Wortmeldungen zum ersten Thema der Aktuellen Stunde liegen mir nicht vor. Ich frage die antragstellende SPD-Fraktion, ob ich für noch restliche dreidreiviertel bis vier Minuten das zweite Thema aufrufen soll. – Das ist der Fall.

Halbe Betreuung oder volle Bezahlung: Kinderbetreuung nur noch für Hausfrauen?

Die Abgeordnete Dr. Stöckl bekommt es wunschgemäß.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wieder einmal haben Sie, Herr Senator Lange, für Aufregung gesorgt. Dieses Mal sind es nicht die Eltern, die Schüler und die Lehrer, die Sie durch voreilig getroffene Entscheidungen und rigorose Sparauflagen total verunsichert haben, dieses Mal gilt Ihr Schnellschuss den Kindergärten.

Herr Senator! Sie wollen den Besuch des Kindergartens ein Jahr vor der Einschulung kostenfrei machen, allerdings nur für jene, die einen Vierstundenplatz beanspruchen. Damit versetzen Sie all jenen Frauen einen Schlag ins Gesicht, die Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Mit einer vierstündigen Betreuung lässt sich kaum die Berufstätigkeit mit Kindern in Einklang bringen. Berufstätige Mütter sind mindestens auf einen Fünf- oder Sechsstundenplatz angewiesen. Diese Frauen sollen aber nach Ihren Plänen weiterhin voll zur Kasse gebeten werden. Oder sollen sie gar ihren Job aufgeben? Wollen Sie die Frauen wieder an den Herd zurückschicken? Wo bleiben die Wahlversprechungen, die Kinderbetreuung für alle kostenfrei zu machen?

Ihr Vorstoß hat System. Ich denke dabei auch an die von Ihnen in Auftrag gegebene Studie, die die lenkende Wirkung der Kita-Beiträge auf doppelt berufstätige Ehepaare abfragen soll.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Meine Damen und Herren! Ich freue mich, wenn so viele Kollegen im Saal sind, aber man muss es nicht gleich hören. Frau Dr. Stöckl, bitte fahren Sie fort.

Dahinter lässt sich unschwer die Absicht erkennen, Alleinerziehenden die Berufstätigkeit zu ermöglichen, damit sie der Sozialhilfe

(Volker Okun CDU)

nicht zur Last fallen, verheirateten Frauen jedoch wieder den Weg zur Hausfrau frei zu machen.

Statt Frauen Wege zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufzuzeigen, werden ihnen von diesem Senat immer nur Steine in den Weg gelegt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Dazu passt auch Ihr Vorschlag zur Neufassung des Kindergartengesetzes. Danach sollen Kinder bis zum dritten Lebensjahr in Hamburg keinen Rechtsanspruch auf eine Betreuung haben. Es ist aber lediglich für Kinder vom vollendeten dritten bis sechsten Lebensjahr an eine vierstündige Betreuung garantiert. Dies ist nichts Neues und, wie wir wissen, für berufstätige Frauen bei weitem nicht ausreichend.

(Petra Brinkmann SPD: So ist es!)

Die Pläne für eine kostenfreie Vierstundenbetreuung für wenige soll die Stadt 4 Millionen Euro kosten. Nehmen Sie doch stattdessen das Geld und geben Sie das in den bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuung, und zwar für alle.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Herr Senator Lange! Ihre Kita-Pläne sind frauenfeindlich und ignorieren die Erfordernisse einer zeitgemäßen Familienpolitik.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Sie sind dafür verantwortlich, wenn immer mehr Frauen – vor allem gut qualifizierte – die Familienphase ganz auslassen. Von einer familienfreundlichen Programmatik sind Sie weit entfernt und die Versprechungen in Ihrem Wahlprogramm haben Sie bisher bei weitem nicht gehalten.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt Senator Lange.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der SPD scheint es offensichtlich an Themen zu mangeln.

(Lachen bei der SPD)

Wie sonst kann ich mir erklären, dass Sie zum wiederholten Male vermeintliche Ergebnisse eines von meiner Behörde ausgelösten Diskussionsprozesses aufgreifen, obwohl die Diskussion keineswegs beendet ist.

Manch einer wird sich noch an die schwierige Frage erinnern, nach welchen Kriterien künftig Ganz- und Teiltagsbetreuung in Kindertageseinrichtungen bewilligt werden soll. Dies ist, wie ich im Ausschuss für Jugend und Sport kürzlich dargelegt habe, noch offen. Die SPD ficht das aber nicht an. Sie sagt erst einmal ein Ergebnis voraus und kritisiert es dann anschließend.

Mit einem weiteren Beispiel dieser Phantomdiskussion haben wir es heute zu tun. Die SPD hat zur Kenntnis nehmen müssen, dass in meiner Behörde ernsthaft darüber nachgedacht wird, wie endlich damit begonnen werden kann, die vom rotgrünen Senat verantwortete, viel zu hohe Beteiligung der Eltern an den Kosten der Kindertagesbetreuung zu ermäßigen. Offenbar bereitet es ihr Verdruss zu hören, dass die fatalen prohibitiven Wirkungen von Elternbeiträgen thematisiert werden und gefragt wird, wie dieser skandalösen Tatsache begegnet werden kann, dass es

noch immer Kinder gibt, die keinerlei vorschulische Förderung erfahren, weil ihre Eltern die geforderten Elternbeiträge für den Kindergarten als zu hoch empfinden.

(Beifall bei Dr. Wieland Schinnenburg FDP)

Ich verstehe daher sehr gut, dass die SPD, die dies zu verantworten hat, unter diesen Umständen nervös wird. Dass sie allerdings so nervös ist und sich nicht in der Lage sieht abzuwarten, bis die von meinen Fachleuten angestellten Überlegungen politisch bewertet worden und zu Plänen gereift sind, überrascht doch.

Ich werde mich jedenfalls von dieser Nervosität nicht anstecken lassen. Ich werde auch zukünftig dafür sorgen, dass wichtige Themen gründlich durchdacht und dann einer Entscheidung zugeführt werden.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Lachen bei der SPD und der GAL)

Über diese Entscheidung kann man dann diskutieren. Bis dahin kann die SPD weiterhin versuchen, sich mit der Erörterung nicht abgeschlossener verwaltungsinterner Vorgänge in Szene zu setzen. Was das Geld anbetrifft, kann ich Ihnen nur sagen, wir nehmen nur Geld in die Hand, das tatsächlich vorhanden ist, und nicht – wie Sie – Geld, das gar nicht da ist.

Abschließend kann ich nur feststellen, die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Uwe Grund SPD: Sie sollten nicht vergessen, dass es in der Karawane auch Kamele gibt!)

Meine Damen und Herren! Nach der Geschäftsordnung ist jetzt wieder Redezeit vorhanden. Frau Pawlowski hatte sich gemeldet, sie zieht zurück. Die Abgeordnete Frau Dr. Lappe hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Staatliche und politische Entscheidungen sollten in einer demokratischen Gesellschaft nach Möglichkeit zielführend und gerecht sein.

(Michael Neumann SPD: Und transparent!)

Ich gehe davon aus, dass darüber in diesem Hause Einigkeit besteht.

Für mich und meine Fraktion sind insbesondere soziale Gerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit zentrale Kriterien. Die angestrebte Kostenfreiheit eines vierstündigen Kita-Platzes für Kinder im Vorschulalter wird aus unserer Sicht allerdings weder zielführend noch gerecht sein. Warum das so ist, hat Frau Stöckl ausgiebig dargestellt. Ich habe aus den Worten des Senators entnommen, dass das noch lange nicht sicher ist, und ich habe Hoffnung, dass es in den Behörden noch vernünftige Menschen gibt, die diesen Entwurf einer Drucksache wieder zurückziehen oder ihn gründlich überarbeiten.

Niemand hier im Hause wird sich inhaltlich gegen die Absicht wenden, Vorschulen und Kitas gleichzustellen und beides kostenfrei anzubieten. Doch der geplante Vierstundenschritt ist in der Richtung falsch und kostet zudem noch Geld, ohne Aussicht darauf, dass alle Kita-Angebote

(Dr. Ingrid Stöckl SPD)

kostenfrei werden, was eigentlich das Ziel – so habe ich jedenfalls bisher den Senat verstanden – sein sollte.

Was heißt das in der Konsequenz? Es ist der Behördenleitung nicht möglich, zielführende, gerechte Konzepte für die Versprechen, die im Wahlkampf gemacht worden sind und die in der Koalitionsvereinbarung stehen, zu entwickeln.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wenn der Behördenleitung und dem Senator nichts mehr einfällt, müssen die Frauen als billige Verschiebemasse herhalten. Das werden die Frauen nicht mitmachen. Offensichtlich hat es in den Behörden auch schon jemand gemerkt, dass das nicht klappen wird. Aber, dass diese Möglichkeit überhaupt in Erwägung gezogen wird, zeigt den Geist, der seit Jahrzehnten in Deutschland dafür sorgt, dass wir Schlusslichter bei der Geburtenrate, bei der Rate der Kinder pro Frau und auch inzwischen bei der Erwerbstätigkeitsrate von Frauen sind. Dem muss Einhalt geboten werden und es muss endlich das eingerichtet werden, was eigentlich geplant war, nämlich kostenlose Kindertagesbetreuung und am besten auch noch Ganztagsschulen und alles, was dazu gehört.

Dass es in dieser Behörde überhaupt möglich war, in diese Richtung zu denken, ist ein weiterer Fehltritt der schon lange andauernden Fehltritte in dieser Behörde. Ich kann nur hoffen und wünschen, dass Sie endlich wahr machen, was Sie eigentlich wollen, nämlich Kostenfreiheit für die Kindertagesangebote. Dann wird es bei uns vielleicht noch etwas mit der Geburtenrate und der Frauenerwerbsquote und vielleicht auch das nächste Mal mit der PISA-Untersuchung. Aber, wenn es in dieser Behörde noch allzu lange so weitergeht wie bisher, sehe ich derzeit keine Chance. – Danke.