Protocol of the Session on April 16, 2002

Lassen Sie mich noch einmal ganz kurz – einige Vorredner haben es auch schon getan – neun Monate zurückdenken. Ich komme auf den Sommer 2001. Erst haben die Richter des Hanseatischen Oberlandesgerichts, die Amtsrichter, dann erst die Richter am Landgericht Hamburg und zuletzt sogar die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft in einem in der Bundesrepublik Deutschland einmaligen Hilfeschrei vor einem drohenden Kollaps der Hamburger Justiz gewarnt. Zunächst wurde von der Justizsenatorin und der SPD nach dem bekannten Motto reagiert: Die Richter machen Wahlkampf! Frau Peschel-Gutzeit witterte sogar eine Medienkampagne.

Zählt man die bereits als verfassungswidrig gerügten Verfahrenszeiten vor dem Sozialgericht hinzu – darüber haben wir hier noch gar nicht gesprochen: die Sozialgerichtsbarkeit und die Arbeitsgerichtsbarkeit haben wir jetzt ebenfalls

(Christian Maaß GAL)

in die bewährten Hände von Herrn Dr. Kusch als Justizsenator gelegt –, dann kommt man zu einem Schluss: Law is no labour issue! Diese Bürgerkoalition hat aber von Anfang an klargemacht – und dafür steht auch die FDP als Rechtsstaatspartei –, die Funktionsfähigkeit der Gerichte ist kein Wunschprogramm einer Regierung, an der man beliebig sparen kann. Die dritte Gewalt gehört zu den unverzichtbaren – hören Sie einmal zu, das sagt ein Liberaler ganz selten, was jetzt kommt – Kernaufgaben des Staates, die zu gewährleisten sind.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Walter Zuckerer SPD: Warum sagen Sie das denn selbst! – Dr. An- drea Hilgers SPD: Das ist so banal!)

An dieser Stelle hatte ich allerdings gehofft, dass Sie dem auch zustimmen, denn sonst privatisieren wir lieber ganz gern.

Den größten Teil der Investitionen – das ist noch nicht Gegenstand dieses Haushaltes, sondern eine Zukunftsbetrachtung – nimmt der Ausbau der Justizvollzugsanstalt Billwerder ein. Hier lag es abermals an der vorherigen SPDRegierung, dass wir zu diesen Umbaumaßnahmen gezwungen sind. Die Senatorin hatte sich zu sehr in die Fußfesseln verliebt, dass sie das bedarfsgerechte Bereitstellen von Haftplätzen darüber vergessen hat. Von dieser geistigen Fußfessel befreien wir aber diese Hamburger Justizpolitik.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Herr Kollege Maaß, es geht – Sie sind leider erst ganz am Ende Ihrer Rede überhaupt auf das Thema gekommen – bei der Justizpolitik auch oder vor allem um die Opfer. Der Schwerpunkt, den Sie gebracht haben, nämlich Täter, Täter, Täter und dann Opfer, ist falsch. Wir müssen hier zu einem neuen ausgewogenen Gleichgewicht kommen. Schon deshalb ist es notwendig, beim Täter-Opfer-Ausgleich diese Leiden dem Täter drakonisch vorzuführen. Häufig sind sich gerade junge Täter der Folgen ihres Handelns nicht bewusst. Hierbei müssen vermehrt das Opfer und seine Rechte im Strafverfahren Berücksichtigung finden. Aber das kann nicht zu einem Nulltarif stattfinden. Dafür brauchen wir Leute, die das moderieren. Dazu gehören nicht nur die Richter, sondern vor allen Dingen die Staatsanwälte, die mit den Opfern auch kommunizieren müssen.

(Manfred Mahr GAL: Bauen Sie das aus, Sie haben unsere Unterstützung!)

Hierbei wollen wir uns nicht nur – jetzt werde ich mir wahrscheinlich wieder die Gegenstimmen der Opposition einhandeln – auf staatliche Leistungen allein verlassen, sondern setzen auch auf privates Know-how, wie es zum Beispiel der Weiße Ring hat. Gerade ein zeitnahes Gespräch kann spätere Traumata bei den Opfern verhindern helfen.

Es gibt auch kluge kriminologische Untersuchungen, Stichwort: Resozialisierung. Es macht keinen Sinn, Häftlinge für teures Geld in den Vollzugsanstalten auszubilden, und draußen finden sie wegen des flexiblen Arbeitsmarktes überhaupt keine Jobs. Dann können wir uns auch die Ausbildung in den Vollzugsanstalten sparen, wenn wir ihnen draußen solche Arbeitsbedingungen gar nicht liefern können.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Was ist denn das für eine Logik?)

Sie brauchen also eine Chance und diese schafft dieser Senat außerhalb der Gefängnismauern.

(Michael Neumann SPD: Freigänger?)

Deshalb müssen wir mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt

(Manfred Mahr GAL: Wollen Sie mehr Freigänger?)

auch für weniger Qualifizierte im Wirtschaftsleben schaffen. Resozialisierung kann nicht nur in den Gefängnissen stattfinden, sie muss draußen in der Realität stattfinden.

(Manfred Mahr GAL: Ja, denn man zu!)

Dafür sind zwar Sozialarbeiter nötig, aber diese können ihnen auch nur die Chancen aufzeigen, die es draußen auch gibt; sie können keine Traumwelten aufbauen. Auf jeden Fall haben wir nicht vor, ihnen draußen Traumwelten aufzubauen, in denen sie hinterher scheitern. Das unterscheidet uns auch von Ihrer Politik.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Besonderes Augenmerk wollen wir auf den Bereich der Jugendkriminalität legen. Auch das gehört zu unserer Verantwortung für die nächsten Generationen. Insgesamt müssen wir die verschiedensten Institutionen der Behördenstellen in einem Haus der Jugend zusammenführen. Ich habe gerade gehört, dass wir da auch die Bereitschaft der Opposition haben und Sie uns auf diesem integrativen und sehr wichtigen Weg, Jugendliche möglichst früh aufzuhalten, begleiten wollen.

(Michael Neumann SPD: Gegen Häuser der Ju- gend haben wir nichts!)

Wenn man sich die jugendlichen Straftäter einmal genauer anschaut, dann müssen wir diese gruppendynamische Spirale von Schwarzfahren, Diebstahl geringwertiger Sachen bis hin zur räuberischen Erpressung – in Hamburg auch Abziehen genannt – so früh es geht unterbrechen.

(Michael Neumann SPD: Wer schwarz fährt, klaut auch!)

Dabei ist Tätern die Hand zu reichen, um sie durch attraktive Angebote aus dieser unsäglichen Spirale herauszuführen. Dabei kann zum Beispiel Sport – auch eine dritte Sportstunde in der Schule – eine erhebliche Rolle spielen. Die Jugendlichen brauchen Erfolgserlebnisse jenseits der Illegalität. Das ist eine Aufgabe – das sage ich jetzt auch in den Haushaltsberatungen –, die nicht nur etwas mit Geld, sondern auch mit viel frischem Wind und Kreativität zu tun hat, genau das, was wir mit dieser Bürgerkoalition in dieser Regierung einbringen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort erhält jetzt Herr Senator Dr. Kusch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Maaß, Sie haben sich freundlicherweise Gedanken darüber gemacht, welche Rolle ein Justizsenator in Hamburg spielen und wie er sich um sein Rollenverständnis kümmern sollte. Ich finde es sehr freundlich,

(Christian Maaß GAL: Gerne gemacht!)

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP)

dass Sie sich aus Oppositionsbänken heraus die Gedanken der Regierung machen. Ich kann Ihnen zu meinem Rollenverständnis einfach sagen, dass Imagepflege vermutlich für Politiker, die sich um Sachfragen wenig kümmern, eine abend- oder noch länger füllende Tätigkeit ist. Für mich als Justizsenator ist es die Aufgabe, das Ansehen der Hamburger Justiz zu stärken

(Manfred Mahr GAL: Dann man zu! – Michael Neu- mann SPD: Wann fangen Sie damit an?)

und die Leistungsfähigkeit der Hamburger Justiz zu verbessern. Wenn ich mit dieser Rolle identifiziert werde, dann bin ich schon sehr zufrieden und brauche Ihre Ratschläge nicht.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Anja Hajduk GAL: Es reicht nur nicht, wenn Sie es selber feststellen!)

Herr Maaß, Sie haben eine interessante statistische Analyse vorgenommen, als Sie feststellten, dass vier von fünf Häftlingen rückfällig werden. Das ist eine sehr pauschale Aussage; ich will mich jetzt nicht in Details ergehen, im Groben haben Sie Recht. Sie haben sogar Recht, dass, wenn man jemanden nicht inhaftiert, er auch nicht rückfällig werden kann. Das liegt in der Logik der Sprache.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Anja Hajduk GAL: Was ist das für ‘ne Logik? – Dr. Dorothee Freudenberg GAL: Es ging um Verurteilungen!)

Die Frage ist nur, ob diese vielleicht unterhaltsam wirkende Sprachlogik politisches Programm sein kann. Für diesen Senat jedenfalls ist es kein Programm.

Herr Klooß, bei den Vorwürfen, die Sie erhoben haben, waren zumindest eineinhalb Vorwürfe, die mich nachdenklich gemacht haben; sie waren nicht ganz falsch. Sie haben mir vorgehalten, dass wir nach wie vor ein Landgericht ohne Stelle des Landgerichtspräsidenten oder der Landgerichtspräsidentin haben. Die Stelle haben wir, aber sie ist nicht besetzt. Ich gebe zu, als Sie den Vorwurf erhoben haben, habe ich mich daran erinnert, dass ich im Februar und auch noch Anfang März darüber nachdachte, wenn ich mich so verhalten würde, wie sich Sozialdemokraten in den letzten Jahren bei der Besetzung von Spitzenpositionen verhalten haben, in Hinterzimmern Strippen zu ziehen, dann hätte ich den Richterwahlausschuss Anfang April durchaus erreicht. Das gebe ich zu.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das offene Gespräch mit den Mitgliedern des Richterwahlausschusses jeder Couleur kostet etwas mehr Zeit als die früheren Methoden, wie Posten vergeben wurden.

(Michael Neumann SPD: Vor allem mit den Män- nern! Wann sprechen Sie mit den Frauen?)

Und die Qualität der Entscheidungsfindung scheint mir bei einem so herausragenden Posten der Hamburger Justiz wichtiger zu sein als die Frage, ob wir Anfang April oder Ende Mai den Posten besetzen können. Ende Mai werden wir ihn besetzt haben.

(Uwe Grund SPD: Sie haben hervorragende Ange- bote!)

Sie haben zu meinem eigenen Verhalten in der Justizbehörde die Vermutung geäußert, ich würde tüchtige Mitarbeiter mobben, was meiner Beliebtheit in der Behörde

nicht zuträglich sei. Vielleicht haben Sie Recht: Über die eigene Beliebtheit sollte man sich keine Gedanken machen, das ist Sache anderer, das zu beurteilen.

(Michael Neumann SPD: Stimmt! Da haben Sie Recht!)

Ich kann Ihnen versichern, dass nach meiner sehr oberflächlichen Beobachtung die Zahl der SPD-Mitglieder in der Justizbehörde immer noch höher ist als die Zahl der CDU-Mitglieder und dass auch bei den SPD-Mitgliedern sehr viele hervorragende Mitarbeiter tagtäglich ausgezeichnete Arbeit leisten.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Manfred Mahr GAL: Dann müssten sie ja ihre Parteibücher vorzeigen!)