Protocol of the Session on April 16, 2002

Herr Senator Kusch, Sie sind jetzt nicht mehr sicherheitspolitischer Angestellter der CDU-Fraktion, Sie sind Justizsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, seien Sie auch der Anwalt der Bürgerrechte, anstatt hier permanent zu versuchen, der bessere Schill zu sein.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Zum zweiten Punkt, dem zentralen Anliegen des Justizsenators und der Rechtskoalition: der öffentlichen Sicherheit, um das sich hier die Debattenbeiträge dementsprechend gedreht haben. Über die 15 Staatsanwälte ist bereits hinlänglich gesprochen worden. Aber das, was der Justizsenator am vergangenen Freitag an Maßnahmen angekündigt hat, sind – was die daraus folgenden Umschichtungen betrifft –, gegen das, was in diesem Haushalt verhandelt wird, ja noch Peanuts. Ich spreche von der Verdoppelung der Haftkapazität der gerade im Bau befindlichen Anstalt Billwerder. Anstatt, wie geplant, 400 Plätze im offenen Vollzug soll es dort nun 800 Plätze im geschlossenen Vollzug ab dem Jahr 2004 geben. Und auf die von Rotgrün für 2006 geplanten zusätzlichen 350 Plätze in Hahnöfersand soll verzichtet werden. Das macht also pro Jahr netto 400 Haftplätze und langfristig 50 zusätzliche Haftplätze mehr aus – und das, obwohl in Hamburg wie in der gesamten Bundesrepublik die Haftkapazitäten in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen sind. Diese Justizpolitik der hohen Mauern ist aus meiner Sicht in mehrerer Hinsicht eine Sackgasse. Sie ist finanzpolitisch, rechtspolitisch und auch sicherheitspolitisch nicht zielführend.

Zur finanzpolitischen Dimension dieser Art von Justizpolitik: Jeder Tag eines Gefangenen in einer Zelle kostet den Steuerzahler etwa 100 Euro. Das bedeutet für Hamburg ab 2004 jährliche Zusatzkosten in Höhe von 14,6 Millionen Euro sowie die Vorziehung der zusätzlichen Baukosten für die Haftanstalt um zwei Jahre in Höhe von 43 Millionen Euro.

(Dr. Michael Freytag CDU: Wollen Sie die Gefäng- nisse abschaffen?)

Jetzt sollte man ja hoffen, dass für diese immensen Kosten auch ein wirklich großer Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt in Form von mehr Sicherheit dabei herausspringt. Wenn das so wäre und mehr Gefängnisse tatsächlich zu mehr Sicherheit führen würden, dann wäre diese Stadt international der erste Ort, dem diese Relation gelingt. Denn es ist eine kriminologische Binsenweisheit, dass die allerwenigsten Straftäter besseres Verhalten dadurch erlernen, dass man sie für Jahre mit anderen Straftätern in einen Bau sperrt. Das ist allenfalls ein etwas pervertierter Beitrag zur Bildungspolitik, denn Gefängnisse sind nicht nur, wie Herr Klooß sagte, die Schulen des Verbrechens, sondern Ganztagsschulen des Verbrechens. Vier von fünf Häftlingen werden nach ihrer Entlassung wieder rückfällig.

(Zuruf von der CDU-Fraktion)

Nein, wir wollen die Gefängnisse nicht abschaffen, ich weise lediglich darauf hin, dass eine Justizpolitik, wie sie hier vertreten worden ist, nicht zielführend ist.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Ihre hat doch total versagt!)

Schauen wir uns in der Welt um, ob der Bau von Gefängnissen in anderen Ländern Erfolg gehabt hat. Das westliche Land mit den wohl höchsten Gefangenenzahlen sind die USA. Dort sitzen zwei Millionen Menschen hinter Gittern, also ein knappes Prozent der Bevölkerung. Das sind, verglichen mit Deutschland oder Westeuropa, immense Zahlen.

(Katrin Freund Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Das ist doch kein sinnvoller Vergleich!)

Das hindert die Straftäter in den USA mitnichten daran, weitere Straftaten zu begehen, alle drei Sekunden einen Diebstahl, jede Minute einen Raub zu begehen, alle halbe Stunde einen Menschen zu ermorden. Dagegen ist Hamburg ein Sicherheitsparadies.

(Dr. Michael Freytag CDU: Wollen Sie die Gefäng- nisse dichtmachen?)

Nein, wir wollen die Gefängnisse nicht dichtmachen. Strafgefangene sollen natürlich eingesperrt werden, aber eine Justizpolitik, die allein darauf setzt, Gefängnisse zu bauen und dann vorgibt, diese Stadt würde sicherer, macht Menschen in dieser Stadt etwas vor.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Schauen wir nicht nur in die USA, sondern einfach nach Schleswig-Holstein, bleiben wir ganz nah an Hamburg. Dort wurden sinnvolle Maßnahmen zur Senkung der Zahlen der Strafgefangenen ergriffen. Nicht, dass dort Schwerstverbrecher herumgelaufen lassen werden, das wollen wir auch nicht. Aber Täter, die beispielsweise zu Geldstrafen verurteilt werden, diese aber nicht zahlen können, wandern in Hamburg in den Knast, als so genannte Ersatzfreiheitsstrafe,

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Das steht im Ge- setz!)

obwohl sie nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurden. In Schleswig-Holstein können diese Menschen anstelle dessen gemeinnützige Arbeit verrichten.

(Zuruf von der CDU: In Hamburg auch!)

In Hamburg wird das auch gemacht, aber nicht in dem Maße, wie es in Schleswig-Holstein und auch in Mecklenburg-Vorpommern praktiziert wird. Das Ergebnis dieser Politik in Schleswig-Holstein ist, dass es in diesem Land die niedrigste Gefangenenquote pro Einwohnerzahl in der Republik gibt und dass Schleswig-Holstein außerdem sicher ist, weil die Straftäter über die Arbeit wieder in die Gesellschaft integriert werden, anstatt sie an den Rand der Gesellschaft zu drängen.

(Beifall bei der GAL – Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Träumer!)

Diese Zahlen sind kein Zufall, sondern das Ergebnis der grünen Justizministerin Anne Lütkes in Kiel, die ihr Gehirn einschaltet, bevor sie auf populistische Forderungen hereinfällt.

(Christian Maaß GAL)

(Beifall bei der GAL)

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wenn Sie Hamburg wirklich sicherer machen wollen, dann ergreifen Sie Maßnahmen, die zur Resozialisierung von Gefangenen beitragen, statt diese bloß zu verwahren.

(Beifall bei der GAL)

Nutzen Sie die Möglichkeiten, Straftäter zur gemeinnützigen Arbeit heranzuziehen, anstatt sie den ganzen Tag hinter Gittern zu halten. Sorgen Sie dafür, dass Gefangene ihre Arbeit und familiären Bindungen nicht vollkommen aufgeben müssen, indem Sie den offenen Vollzug stärken und nicht zusammenstreichen. Sorgen Sie auch dafür, dass Gefangene auf ihre Rückkehr in die Freiheit besser vorbereitet werden, indem Sie den Gefangenen Arbeit anbieten, anstatt die Mittel für die Gefangenenarbeit zusammenzustreichen. Sorgen Sie auch dafür, dass Drogenprävention und Drogenhilfe ausgebaut werden, um die Beschaffungskriminalität zu senken. Jede Mark, die Sie heute bei den Drogenprojekten einsparen – das prophezeie ich Ihnen –, werden Sie in zehn Jahren zehnfach wieder zurückzahlen müssen, weil Sie sie durch die dadurch entstehende Beschaffungskriminalität für die Gefängnisse zehnmal wieder ausgeben werden müssen.

(Beifall bei der GAL und bei der SPD – Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Täter, Täter, Täter!)

Sorgen Sie auch dafür, dass Strafverfahren weiter beschleunigt werden, so wie es Rotgrün in den letzten Jahren auch gelungen ist.

(Oh-Rufe bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Gucken Sie sich meine Kleine Anfrage dazu an, darin können Sie die Zahlen ganz klar ersehen.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Da reicht keine Große Anfrage!)

Machen Sie sich einfach einmal kundig, Herr MüllerSönksen.

Das Stuttgarter Haus des Jugendrechts, das in den letzten Tagen durch die Presse gegeistert ist, scheint mir tatsächlich eine gute Idee zu sein, um eine engere Kooperation der Behörden zu ermöglichen und die Verfahren zu beschleunigen. Wenn Sie das tatsächlich hinbekommen, dann haben Sie auch unsere volle Unterstützung bei solchen Maßnahmen.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Das hört sich gut an!)

Unsere Unterstützung haben Sie jedoch nicht, wenn Sie eine Politik auf Kosten der Opfer machen. Denn das, was Sie jetzt an neuem Geld ausgeben – wir haben es ja bereits gestern gehört –, geht eben auch auf Kosten der Opfer, und es geht perverserweise auch auf Kosten beispielsweise der Kinder von Drogenabhängigen. Das müssen Sie sich auch immer klarmachen: Wo Sie das Geld, das Sie jetzt in Gefängnisse stecken, jetzt wegnehmen, scheint mir als eine der ganz wesentlichen unsozialen Folgen zu sein, die dieser Justizhaushalt zu verantworten hat.

(Beifall bei der GAL)

Herr Kusch, Ihre Rechtspolitik macht Hamburg nicht sicherer, aber sie macht sie ein ganzes Stück kälter.

(Beifall bei der GAL und bei Elisabeth Kiausch SPD)

Das Wort hat Herr Müller-Sönksen.

(Michael Neumann SPD: Jetzt kommt die liberale Handschrift!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Maaß, ich weise Ihre Andeutungen, dass dieser Justizsenator nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht und dieses auch nicht verteidigt, also den alten Spruch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, auf das Schärfste zurück.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Anja Hajduk GAL: Sie sind ein Vereinfacherer! – Christian Maaß GAL: Das habe ich nicht gesagt!)

Ich habe es so gesagt, wie es bei mir angekommen ist. Und ich kann es deswegen sagen, weil ich weiß, woher es gekommen ist.

(Anja Hajduk GAL: Sie können nicht argumentieren, als wenn wir es so einfach gesagt hätten!)

Wenn wir die eher kleinen Änderungen im Haushalt der Justizbehörde betrachten, können wir eigentlich nur von Feinsteuerung sprechen. Dennoch war es uns möglich, eine sofortige Aufstockung bei den Staatsanwälten durchzusetzen. Das haben wir – und ich spreche von allen drei Parteien – im Wahlkampf gefordert, das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart und das haben wir auch in kürzester Zeit umgesetzt.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Während die Justizbehörde uns einerseits auf einem Papier, das Frau Dr. Nümann-Seidewinkel als Haushaltskonsolidierung stolz präsentierte, eine Einsparung von 6 Millionen DM vorgaukelte, stellten wir später in den hinterlassenen Haushaltsunterlagen von Justizsenatorin PeschelGutzeit fest, dass es sich um einen rechtlich zwar zulässigen, aber politisch höchst fragwürdigen Taschenspielertrick handelte. Linke Tasche, rechte Tasche, sorry, bei Sozialdemokraten natürlich rechte Tasche, linke Tasche.

(Anja Hajduk GAL: Das ist ja unglaublich beeindru- ckend, was Sie hier erzählen! Sagen Sie doch mal etwas Politisches zur Sache!)

Das haben wir in der Bürgerkoalition wieder bereinigt und auf solide Füße gestellt. Wir haben den besonders sensiblen Justizhaushalt von unzumutbaren Kürzungen verschont und eben noch draufgesattelt.

Lassen Sie mich noch einmal ganz kurz – einige Vorredner haben es auch schon getan – neun Monate zurückdenken. Ich komme auf den Sommer 2001. Erst haben die Richter des Hanseatischen Oberlandesgerichts, die Amtsrichter, dann erst die Richter am Landgericht Hamburg und zuletzt sogar die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft in einem in der Bundesrepublik Deutschland einmaligen Hilfeschrei vor einem drohenden Kollaps der Hamburger Justiz gewarnt. Zunächst wurde von der Justizsenatorin und der SPD nach dem bekannten Motto reagiert: Die Richter machen Wahlkampf! Frau Peschel-Gutzeit witterte sogar eine Medienkampagne.