Protocol of the Session on April 4, 2001

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „Alte, Kranke und Behinderte nicht warten lassen.“ So eine Pressemitteilung der SPD vom 26. Februar 2001. An dieser Pressemitteilung möchte ich gerne erläutern, wie es in Hamburg läuft, wie man Alte, Kranke und behinderte Menschen nicht warten läßt.

Seit 1992 ist ein stetiger Anstieg bei der Abarbeitung beziehungsweise bei den Fallzahlen beim Eingang der Sozialgerichte festzustellen. Wir sind ab 1997 massiv darauf aufmerksam geworden. Herr Grund, Sie werden sich erinnern, es war lange Thema im Sozialausschuß. So hat sich die CDU im April 1998 entschlossen – dort wurde erst der Haushalt 1998 beraten –, einen Antrag zur Effizienzsteigerung und zur Personalausstattung bei den Sozialgerichten einzubringen.

Dieser Antrag ist dann gnädigerweise an den Sozialausschuß zur Debatte und zur weiteren Erörterung überwiesen worden, und da schmort er heute noch. Haushalt 1998 sage ich nur, und genauso geht es den Menschen, die in Hamburg vor das Sozialgericht ziehen. Sie müssen zur Zeit mit einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von mindestens zweieinhalb Jahren rechnen. Unserem Antrag ergeht es heute genauso, denn wir können ihn heute für erledigt erklären, also per Aktenlage eine Entscheidung „wie das wahre Leben so spielt“. Nicht nur das Jahr 1998 ist überholt – das haben wir auch schon länger festgestellt –, der Antrag ist seitdem auch nicht mehr im Sozialausschuß behandelt worden.

Zum Haushalt 1999 hat die CDU wiederum einen Antrag zur Personalaufstockung bei den Sozialgerichten gestellt. Hier wurde konkret die Zahl drei genannt. Was passierte? Die SPD und die GAL haben diesen Antrag abgelehnt und statt dessen einen SPD-Antrag beschlossen, der ein Berichtsersuchen enthielt, nämlich einen Bericht über die Bearbeitungszeiten in den Sozialgerichten abzugeben. Es sollte bis zum Mai 2000 darüber berichtet werden. Auch hier liegt der Bericht der zuständigen Senatorin bis heute nicht vor.

(Andrea Franken GAL: Kommen Sie mal zur Sa- che!)

Das ist sachlich, hören Sie ruhig zu. Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor dem Sozialgericht und warten zweieinhalb Jahre. So geht es Ihnen zur Zeit, und deshalb müssen Sie dieses auch ertragen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Franken, wir können uns unserer Haut hier erwehren, wir können das Wort ergreifen. Alte und kranke Menschen, die zum Sozialgericht gehen, sollen Sie verteidigen, die sollen Sie nicht warten lassen, und für die sollen Sie sich einsetzen. Hätten Sie unseren Anträgen 1998 und 1999 zugestimmt, wäre der Bearbeitungsstau nicht so angestiegen. Dafür tragen Sie als Regierungsfraktion ganz allein die Verantwortung.

(Dr. Monika Schaal SPD)

(Beifall bei der CDU)

Als das „Hamburger Abendblatt“ am 26. Februar massiv über die Zustände bei den Sozialgerichten berichtete, hat die CDU sich wiederum entschlossen, einen dritten Versuch zu wagen und einen entsprechenden Antrag für drei zusätzliche Sozialrichterstellen und fünf befristete Richterstellen zu stellen. Was passierte dieses Mal? Es kam der besagte Presseartikel von Herrn Grund. Ganz aktiv hat er offensichtlich Gespräche geführt, und es kam ihm die Erkenntnis, daß die CDU so dumm auch nicht gewesen sein kann. Unter dem heutigen Datum liegt uns ein Antrag vor, ein gemeinsamer Antrag der Regierungsfraktionen, in dem die Forderungen der CDU aufgegriffen werden. Ich gratuliere Ihnen, Sie waren sogar noch mutiger. So mutig sind wir hier ja gar nicht mehr, weil wir nicht immer gegen die Wand laufen wollen, Sie haben sogar nichtrichterliche Stellen beantragt. Dieses finden wir richtig. Deshalb stimmen wir Ihrem Antrag selbstverständlich zu, weil wir nicht wie Sie die Barrieren im Kopf haben.

(Beifall bei der CDU)

An diesem Beispiel sehen Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, so kann man auch mit Anträgen umgehen, indem man sie überprüft und vielleicht noch verbessert. Deswegen stimmen wir diesem Antrag zu und ziehen unseren Antrag zurück. Wir hoffen, daß uns nicht nur in Wahlkampfjahren etwas gelingt, sondern fordern die Presse ausdrücklich auf, weiter die Probleme dieser Stadt zu benennen. Wir fordern Sie weiterhin auf, Ihre Sozialsenatorin anzumahnen, daß sie den Bericht vom vergangenen Jahr endlich nachholt.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Grund.

Meine Damen und Herren! Wir haben uns schon daran gewöhnt, daß wir nicht nur beschimpft werden, wenn wir Anträge der CDU ablehnen, sondern wir werden auch dafür beschimpft, wenn wir sie verbessern.

(Beifall bei der SPD)

Es steht außer Zweifel – ich sage das mit der gebotenen Deutlichkeit –, daß der Senat und die BAGS in dieser Frage – vielleicht mit uns zusammen, insoweit liegt der Fehler dann wohl auch bei uns – eindeutig zu lange gewartet und darauf gehofft haben, daß sich die Zugangszahlen beim Sozialgericht wieder stabilisieren und die am neuen Standort mit hohen Investitionen und viel Kraft eingeleiteten Maßnahmen, wie neue Technik und neue Verfahrensabläufe, dazu führen werden, den Aktenberg abzuarbeiten. Das ist deshalb nicht eingetreten, weil sich die Zugänge beim Sozialgericht nicht stabilisiert haben, sondern weil auch in diesen Tagen die Eingänge beim Sozialgericht weiter ansteigen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die erfolgten Rationalisierungs- und Verstärkungsmaßnahmen nicht ausgereicht haben. Frau Blumenthal, wie Sie wissen, wurde in vielen anderen Bereichen eingespart, im Bereich des Sozialgerichts erfolgen dagegen personelle Verstärkungen. Wir stehen vor der realen Situation, daß der Zustand nicht mehr haltbar ist.

Der Kontakt zum Sozialgericht ist in den vergangenen Monaten nie abgebrochen. Ich bin der Überzeugung, daß das, was durch diesen Antrag, den wir vielleicht einstimmig verabschieden werden, heute geschieht, eine der wenigen Ausnahmen ist, mit der wirklich eine Menge Personal in der

Hamburger Verwaltung, aktuell beim Sozialgericht, bewegt wird. Wenn dieser Antrag vom Parlament angenommen wird, werden nicht nur drei dauerhafte Richterstellen, sondern auch fünf befristete geschaffen werden, also insgesamt acht Stellen. Wir werden im nichtrichterlichen Bereich sechs dauerhafte Stellen schaffen und acht befristete, zusammen 14 Stellen. In der Gesamtsumme bedeutet das, daß das Personal beim Sozialgericht Hamburg um ein Drittel aufgestockt wird. Das ist beachtlich viel. Wenn der Antrag so verabschiedet wird, macht das den Willen dieses Parlaments deutlich, daß nun wirklich energisch umgesteuert werden muß.

(Beifall bei der SPD)

Es kann nicht akzeptiert werden – durch dieses Parlament nicht, durch den Senat nicht und schon gar nicht durch die Betroffenen –, daß die Betroffenen im Schnitt zweieinhalb Jahre warten müssen. Im Schnitt bedeutet doch, daß schnelle und einfache Fälle kürzere Bearbeitungszeiten erfahren, kompliziertere Fälle aber noch länger dauern. Wir beobachten mit großer Sorge und müssen mit Erschütterung sehen, daß sich viele Fälle dadurch erledigen, daß die Menschen sterben, bevor sie im Einzelfall ihre Gerichtsentscheidung bekommen. Das ist die bittere Wahrheit, das ist eine Realität, die nicht akzeptabel ist.

Es muß jetzt über die Ursachen geredet werden. Die Ursachen bestehen nicht darin, daß wir mehr kranke Menschen, mehr Menschen hätten, die wegen ihrer besonderen Nöte zum Sozialgericht gehen, sondern die Ursachen – das sagen uns auch die Fachleute – sind vielfach ganz andere. Die Ursachen sind eine Unmenge von Klagen von Ärzten, von Verbänden, von Pflegeeinrichtungen und von Kassen, die sich miteinander vor allem über Leistungsfragen streiten. Diese Rechtsauseinandersetzungen sind in einer Art und Weise angestiegen, die wirklich problematisch ist. Ich meine, es reicht nicht aus, lediglich mehr Personal zur Verfügung zu stellen, sondern es muß an den Ursachen etwas geändert werden.

Mit unserem Antrag wollen wir dazu einen Beitrag leisten, indem wir es für notwendig halten, daß über das Sozialgerichtsgesetz, das jetzt ohnehin zur Novellierung ansteht, dafür gesorgt wird, daß Beschleunigungen eintreten, vor allem bei den gutachterlichen Verfahren und Stellungnahmen. Wir haben das Problem, daß dies eine sehr langwierige Angelegenheit ist. Wir sollten darauf schauen, ob es Möglichkeiten gibt, dort zu Beschleunigungen zu kommen.

Wir wollen außerdem dafür sorgen, daß geprüft wird – das ist eine sehr sensible Angelegenheit –, ob die Kostenfreiheit der Rechtsstreitigkeiten unangetastet bleiben kann. Ich sage ausdrücklich aus Sicht der SPD-Fraktion, daß wir damit nicht die Kostenfreiheit der Verfahren der Versicherten meinen, also der kranken Menschen, die wie bisher vor Arbeitsgerichten und Sozialgerichten Kostenfreiheit haben. Damit meinen wir, wenn Verbände, Arbeitgeber, Ärzte, Kassen und andere Einrichtungen Massenklagen durchführen, dann sollte geprüft werden, ob hier nicht andere Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Diese Lösung steht an, wenn wir zusammen darüber diskutieren, wie das Sozialgerichtsgesetz novelliert werden kann.

(Dietrich Wersich CDU: Können Sie mal sagen, was Sie damit meinen!)

Wir meinen, daß juristische Personen...

(Dietrich Wersich CDU: Den Rechtsweg beschrei- ten!)

(Antje Blumenthal CDU)

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Wenn es Streitigkeiten zwischen der AOK und Pflegeeinrichtungen in der Stadt gibt und ein Verband seinen Mitgliedern – den Arbeitgebern, den Unternehmen – empfiehlt, in diesem Streit eine Massenklage beim Sozialgericht einzureichen, dann erklärt uns das Sozialgericht, daß folgendes passiert: Es ist nicht möglich, wie in anderen Fällen, einen Fall exemplarisch für alle anderen Fälle zu entscheiden, sondern alle 110 Verfahren müssen einzeln durchgeprüft und einzeln entschieden werden. Und weil die einzelnen Einrichtungen darauf bestehen, müssen auch einzeln schriftliche Urteile gefertigt werden. Dadurch entstehen unglaubliche Kosten. Deswegen sind wir der Auffassung, wenn ein Wirtschaftsunternehmen, eine Pflegeeinrichtung eine Klage gegen eine Kasse führt und mit einer Regelung nicht einverstanden ist, dann muß dieses Unternehmen, wie es sich im deutschen Rechtswesen gehört, für die Kosten auch aufkommen.

Um es noch klarer zu machen: Es geht nicht darum, jetzt nur auf solchen Einrichtungen herumzutrampeln. Wir haben auch gemerkt, daß es nicht nur Konstruktionsfehler gibt, die von der alten Regierung gemacht worden sind, sondern auch Lücken in neueren gesetzlichen Regelungen. Bei solchen Streitigkeiten müßte erst ein Schiedsstellenverfahren zwischen den Beteiligten eingeführt werden, um zu Lösungen zu kommen, damit nicht so viele die Meinung vertreten, sie müßten ihre Konflikte und Probleme im Leistungsrecht im wesentlichen durch die Gerichte entscheiden lassen. Deshalb ist das ein weiterer Weg, um zu Vereinfachungen zu kommen.

Wir wollen mit Ihnen erreichen, daß das Dilemma in Hamburgs Sozialgericht zügig beendet wird. Selbst wenn diese Stellen sehr schnell besetzt werden, was nicht einfach sein wird, weil qualifizierte Kräfte nicht so leicht auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen sind – zumindest nicht in der hamburgischen Verwaltung – , wird es doch eine Zeit dauern, bis diese Bugwelle abgebaut sein wird. Deshalb gehen wir davon aus, daß die befristeten Stellen mindestens für vier Jahre eingerichtet werden müssen. Ich setze mit Ihnen darauf, daß das auch wirkt. Die anderen Maßnahmen müssen dazu ergänzend wirksam werden. – Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Frau Franken.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herrn, Frau Blumenthal! Ich möchte an dieser Stelle sagen, daß im letzten Jahr der Umzug des Sozialgerichts angestanden hat, der damit verbunden war, eine technische Ausrüstung zu optimieren. Außerdem hat auch eine Reorganisation der Arbeitsverläufe stattgefunden. Damit war natürlich die Hoffnung verbunden, daß es zu Verbesserungen im Gericht kommen würde.

Sie wissen auch – das ist im Sozialausschuß diskutiert worden –, daß es mittlerweile zwei Richter gibt, die die Sozialbehörde an das Gericht abgeordnet hat. Trotzdem – und das haben wir jetzt erfahren – haben wir unser Ziel nicht erreicht,

(Antje Blumenthal CDU: Das haben Sie seit 1998 nicht erreicht!)

die Verfahrensdauer von durchschnittlich 26 Monaten zu reduzieren. Ich denke, das liegt einerseits daran, daß wir

beim Gericht noch eine Steigerung bei den Eingängen der Fälle haben, andererseits müssen wir vielleicht auch feststellen, daß diese Modernisierungsmaßnahmen noch nicht umfassend ausreichen. Deswegen ist es jetzt auch richtig, daß GAL und SPD sofort das Personal beim Gericht aufstocken wollen. Der Bestand der Fälle, aber auch die Verfahrensdauer sollen möglichst auf den Bundesdurchschnitt reduziert werden.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal kurz auf Ihren Antrag eingehen, in dem es heißt, daß Hamburg im Ländervergleich im Hinblick auf die Verfahrensdauer auf dem letzten Platz liegt. Deswegen möchte ich noch einmal ganz eindeutig eine Lanze für das Hamburger Sozialgericht brechen, denn ich denke, Statistiken können sehr trügerisch sein. Ich möchte ein Beispiel erwähnen: In Hamburg liegt die bundesweite Zuständigkeit für die sogenannten Rentenauslandsverfahren zwischen Deutschland, den USA und Kanada.

(Antje Blumenthal CDU: Wer hat Ihnen das eigent- lich alles aufgeschrieben?)

Hiervon sind viele ehemalige Zwangsarbeiter und Verfolgte des NS-Regimes betroffen. Diese Fälle sind hochkomplex und werden immer wieder den Durchschnitt drücken.

(Antje Blumenthal CDU: Das haben wir schon 1999 im Sozialausschuß besprochen, das ist nicht neu!)

Frau Blumenthal, ich finde, dieser Kammer kommt aus Sicht der GAL eine sehr hohe Bedeutung zu. Und gerade in diesem sensiblen Bereich dürfen wir uns keine langen Verfahren leisten.

(Beifall bei der GAL)

Gerade in den Bereichen, in denen die Kläger ältere und kranke Menschen sind, muß eine schnelle Verfahrensabwicklung gewährleistet sein. Nach Auskunft des Sozialgerichts wird auch schon so verfahren. Zum Beispiel sieht es bezüglich der Rückstände in der Kammer, in der die Angelegenheiten zur Pflegeversicherung behandelt werden, verhältnismäßig günstig aus. Zur Zeit haben wir sogar eine Stagnation der Fälle. Dort sieht es nicht so schlimm aus, wie Sie in Ihrem Antrag versucht haben, es darzustellen.

Ich denke auch – das haben Sie eingesehen und ziehen Ihren Antrag zurück –, daß es nicht reicht, nur eine Stellenaufstockung zu fordern, sondern daß unser Antrag weit darüber hinausgeht. Wir wollen zum Beispiel auf Bundesebene erreichen, daß Verfahren verkürzt werden, daß im Gesundheitsbereich zunächst Schiedsstellen angerufen werden können, so daß nicht alles sofort vor Gericht landet. Ich denke, das alles ist richtig. Und wenn wir dann gemeinsam an einem Strang ziehen, dann werden wir auf Dauer eine befriedigende Lösung für alle Hamburger und Hamburgerinnen finden, die das Sozialgericht anrufen. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat Frau Blumenthal.