Protocol of the Session on February 14, 2001

Die Fraktionen und die Gruppe sind übereingekommen, zwei Veränderungen in der Debattenreihenfolge vorzunehmen. Zuerst werden die Tagesordnungspunkte 20 und 50 gegeneinander ausgetauscht. Abweichend von der Empfehlung des Ältestenrats wird also Tagesordnungspunkt 50 bereits heute und Tagesordnungspunkt 20 erst morgen debattiert werden. Außerdem werden heute die Tagesordnungspunkte 13 und 50 gegeneinander ausgetauscht.

Wir kommen zur

Aktuellen Stunde

Dazu sind drei Themen angemeldet worden, und zwar von der CDU-Fraktion

Offene Drogenszenen – alles nur Gewöhnung?

von der GAL-Fraktion

„Der perfekte Mensch um jeden Preis“

sowie von der SPD-Fraktion

Brinkmann – ein Stück Hamburger Innenstadt

Ich rufe zunächst das erste Thema auf. Wird hierzu das Wort gewünscht? – Der Abgeordnete Wersich hat es.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die offene Drogenszene in Hamburg ist mit etwa 2000 Menschen die größte in Deutschland und wahrscheinlich sogar in ganz Europa. Offene Drogenszene heißt nicht nur eine ungeheure Belastung für Anwohner, Besucher und Geschäftsleute, sondern sie ist auch sozial eine Katastrophe. Sie zieht labile Menschen an, fördert den Abstieg in Not und Elend, entfernt sie von Hilfe. In der Szene gedeihen Gewalt, Verbrechen und Prostitution. Drogen und deren riskanteste Konsumform wuchern, Dealer haben leichtes Geschäft. Genau in dieser Szene explodiert derzeit in Hamburg der Crackkonsum, eine Kokaindroge mit kurzer Wirkung, aggressivsten Erregungszuständen und langer Depression.

Wie, meine Damen und Herren, reagiert die Regierungskoalition? Die GAL läßt letzte Woche im „Abendblatt“ durch Herrn Mahr verkündigen, man müsse in Hamburg mit der offenen Drogenszene leben. Ich stelle fest: Die CDU wird in dieser Stadt niemals mit der offenen Drogenszene leben,

(Manfred Mahr GAL: Dann müssen Sie wegziehen!)

und sie wird sich niemals an die offene Drogenszene gewöhnen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn die GAL zu einem derart gravierenden Problem in der Stadt als Botschaft für den Bürger lediglich hat, man müsse mit dem Problem leben, zeigt es, daß sie weder ein Konzept hat noch eine Idee, wie man dieses Problem ändern kann.

(Jürgen Schmidt SPD: Nur Herr Wersich kann das!)

Das ist politische Resignation bei der GAL.

(Beifall bei der CDU)

Bei der SPD liegt der Fall nur wenig anders. Dort scheint man die Defizite bewußter wahrzunehmen; von Umsetzung aber keine Spur. Was soll das? Der Bürger merkt in Hamburg, daß nicht die Drogenpolitik fortschrittlich, sondern daß das Drogenproblem weit fortgeschritten ist.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben aufgrund des Methadon-Programms einen Rückgang der Drogentoten und der Beschaffungskriminalität und somit eine positive Entwicklung. Aber dem stehen gravierende Mißstände gegenüber. Jeder in der Stadt kann Goldkettchen-behängte Jugendliche in Markenklamotten beobachten, die hier – oft als minderjährige unbegleitete Flüchtlinge getarnt – leben, ohne jede Spur von Elend und Vertreibung, die den verwahrlosten Süchtigen mit ausgemergelten Gesichtern und zittrigen Händen Stoff verkaufen. Wem von diesen beiden nützt es eigentlich, wenn der Staat hilflos zuschaut? Es nützt nur dem Dealer und nicht den Süchtigen.

(Beifall bei der CDU)

In Hamburg sind die Haftanstalten mit Drogen überflutet. Insassen kommen dort überhaupt erst auf Droge. Das Drogenproblem hat nicht ab-, sondern zugenommen. Trotz vieler Aussteiger und trotz vieler Toter haben wir offenbar einen ungebremsten Nachwuchs neuer Konsumenten. Die Vielfalt und die Menge des Stoffes ist in Hamburg so groß wie nie, und die Todesrate ist immer noch größer als in Frankfurt, Berlin und München. Offenbar ist Hamburg ein Paradies des Drogenhandels: wenig Risiko, hohe Gewinne.

Mit einem ungeheuren Marktdruck, der auf die labilen und suchtbedrohten Menschen in der Stadt ausgeübt wird, wird die Elendsspirale immer wieder neu angetrieben. Wie blind muß man sein, um keine Zusammenhänge mit der Politik des Senats wahrzunehmen? Sie können nicht sagen, die Drogenpolitik ist vorbildlich, und auf der anderen Seite sagen wir, wir haben ein paar Probleme mit der Inneren Sicherheit. Es muß eine Drogenpolitik geben mit gemeinsamen Zielen, an der alle Behörden in Hamburg mitwirken.

Dazu hat die CDU in den vergangenen drei Jahren eine ganze Reihe von Bausteinen in Form von Anträgen vorgelegt. Sie haben keine dieser Initiativen von uns ergriffen oder genutzt.

(Petra Brinkmann SPD: Sie haben ja nicht einmal eine eigene Meinung!)

Das rächt sich nun, weil Sie dem Drogenproblem in der Stadt weiter hinterherlaufen.

Meine Damen und Herren! Eine Erneuerung der Drogenpolitik ist in Hamburg dringend erforderlich. Wir müssen zu dem Ziel kommen, daß der Drogenkonsum mit all seinen negativen Auswirkungen sowohl auf die Süchtigen als auch auf die Nichtsüchtigen in der Stadt spürbar reduziert wird. Es kann in der Drogenpolitik ohne Auflösung der offenen Szene in der Stadt keinen Fortschritt geben. Das wird die CDU tun.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Schäfer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Bild, das Sie, Herr Wersich, von den Zuständen dieser Stadt gemalt haben, stimmt so nicht.

(Antje Blumenthal CDU: Dann kommen Sie mal eben mit nach St. Georg!)

Ich darf Sie an den Zustand beim und um den Hauptbahnhof herum Mitte der neunziger Jahre erinnern. Ich darf Sie auffordern, sich heute anzugucken, wie es dort aussieht. Es ist deutlich besser geworden.

Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie es 1996/1997 in der Drogenhandelsszene im Schanzenviertel ausgesehen hat. Das Bild ist dort deutlich besser geworden. Ich lade Sie ein, mit mir zu jeder beliebigen Tages- oder Nachtzeit durch den Sternschanzenpark zu gehen. Sie werden sich wundern,

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Lieber nicht!)

wie gut das geht. Sie wissen das lediglich nicht. Sie sprechen über Dinge, von denen Sie nichts wissen.

(Beifall bei der SPD, der GAL und bei REGEN- BOGEN – für eine neue Linke – Karl-Heinz Ehlers CDU: Gott sei Dank, daß wir Sie immer dort treffen!)

Die Drogenpolitik, die der Senat und die Bürgerschaft in dieser Stadt seit über zehn Jahren machen, ist erfolgreich. Sie beruht auf vier Säulen: Prävention, medizinische Hilfe bis zur Ausstiegshilfe, Überlebenshilfen. Drei der vier Säulen sind erfolgreich. Darüber herrscht weitgehend Einigkeit, bis hin zur Gewerkschaft der Polizei, die das nun auch begriffen hat.

Richtig ist, daß es im Bereich der Drogenhandelsszene Probleme gibt. Richtig ist auch, daß die Polizei dieser Stadt in den letzten Jahren erfolgreich auf diesem Gebiet gearbeitet hat, auch wenn das Problem selbst noch nicht vollständig beseitigt ist.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Heino Vahldieck CDU: Nicht vollständig?)

Das Bild, das Sie gemalt haben, hat nichts mit der Realität in dieser Stadt zu tun.

Zum Thema Crack, das Sie angesprochen haben: Es ist richtig, Herr Wersich, die Situation im Bereich von Drogen und Sucht ändert sich im Laufe der Zeit. Deswegen müssen die Maßnahmen auf diesem Gebiet diesen veränderten Verhaltensweisen der Szene angemessen angepaßt werden. Daß Hamburg davon ganz besonders heftig betroffen sei, ist falsch. Das Crackproblem gab es zuerst in Frankfurt. Kürzlich konnte ich im Pressespiegel lesen – auch Sie bekommen ihn –, daß es dieses Problem auch in Hannover gibt. Es entspricht nicht den Tatsachen, daß es ein spezifisch hamburgisches Problem ist.

Richtig ist, daß es weltweit kein wirkliches Therapiekonzept gegen Crackkonsum gibt. Gleichwohl werden in Hamburg in absehbarer Zeit auf diesem Gebiet Hilfemaßnahmen angeboten werden, und selbstverständlich wird die Polizei, speziell beim Handel mit Crack, entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Das Problem in der Drogenhandelsszene besteht in Hamburg zur Zeit maßgeblich darin, daß der Straßenhandel mit Drogen überwiegend durch schwarzafrikanische Jugendliche oder schwarzafrikanische junge Männer, die sich als Jugendliche ausgeben, durchgeführt wird.

An dieser Stelle gibt es in der Tat ein Problem.

(Bernd Reinert CDU: Ach!)

Dieses Problem sorgt aber nicht dafür, daß wir, wie von einem Berater Ihrer Partei vorgeschlagen, Kinder einsper

ren werden. Wir werden es nicht zulassen, daß die Strafmündigkeit auf zwölf Jahre heruntergesetzt wird. Wir werden nicht das fortschrittliche Jugendstrafrecht, das wir haben und das für den weit überwiegenden Teil aller Jugendlichen, die vor Gericht kommen, richtig ist, so aushebeln, daß es dort nicht mehr auf die Weise greift, wie es das jetzt tut.