Protocol of the Session on December 11, 2000

Wenn ich mir Ihre bisherigen Planungen angucke,

(Günter Frank SPD: Die haben Sie abgelehnt im Parlament!)

wie es in Zukunft mit diesen Kindern und der Entwicklung der Ganztagsschulen aussehen soll, dann stelle ich fest, daß Sie eine Ganztagsschule pro Jahr einrichten wollen. Das bedeutet, daß Sie in 120 Jahren flächendeckend Ganztagsschulen geschaffen hätten. Das ist doch ein erbärmliches Zeichen.

(Beifall bei der CDU)

Sie lassen die Schwachen im Stich.

(Erster Bürgermeister Ortwin Runde: Wir helfen den Schwachen!)

Sie sind kein Schwacher, Herr Runde, Sie bedienen sich ja munter selber als Bürgermeister. Das dürfen Sie auch und sei Ihnen gegönnt, aber Ihre Regierung läßt die Schwachen im Stich. Da brauchen Sie gar nicht zu lachen. Gehen Sie mal in diese Viertel und sprechen Sie mit den Menschen.

(Beifall bei der CDU)

Was ist, meine Damen und Herren, mit dem Angebot – unabhängig von schulischen Einrichtungen –, das Bildung und Freizeitmöglichkeiten für junge Leute schaffen soll? Was ist zum Beispiel mit einer alten hamburgischen Institution, die das viele Jahre erfolgreich gemacht hat, den Öffentlichen Bücherhallen? Die haben sich umgestellt in ihrem Angebot, weg von einer reinen Leihanstalt, hin zur Kinderbetreuung, wo vorgelesen wird, wo qualitativ gute Videofilme ausgeliehen werden, wo gelesen wird, wo Internet-Studien gemacht werden? Was tun Sie eigentlich

(Ole von Beust CDU)

oder tun Sie nicht, damit diese Öffentlichen Bücherhallen eine Chance haben, den Kindern, die sie von zu Hause nicht bekommen, eine Chance im Leben zu geben? Seit 1995 wurden 90 Stellen bei den Hamburger Öffentlichen Bücherhallen gestrichen, seit Juni 1999 wurden eine Gebührenpflicht für Kinder eingeführt und drastische Angebotsreduzierungen vorgenommen, zum Beispiel in den Öffentlichen Bücherhallen in Dehnhaide, Dulsberg, St.Pauli, Wilhelmsburg, Holstenstraße. Alles die Viertel, wo die Schwachen wohnen.Auch hier lassen Sie die Kinder im Stich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Ganz zu schweigen von den Häusern der Jugend, die ja auch komplementäres Freizeitangebot anbieten sollen.Wie sieht es hier aus? Ausgerechnet in den Ferien sind die Häuser der Jugend geschlossen. Wenn die Kinder von Eltern, die kein Geld haben, nicht verreisen können und in Hamburg bleiben, während die anderen ihre Reise machen, sind sie auf ein gutes Freizeitangebot angewiesen, aber dann und an den Wochenenden sind die Häuser der Jugend geschlossen. Auch hier lassen Sie die Jugendlichen in der Stadt im Stich. Das Kindertagesstättenchaos spricht doch auch dafür: Die Schwachen, die Kleinen, die Wehrlosen haben Sie nicht mehr auf Ihrer sozialdemokratischen Rechnung. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU)

Das, meine Damen und Herren, erfaßt alle politischen Bereiche. Es geht nicht nur um den Bildungsbereich. Ich habe einige Beispiele genannt.

Wie sieht es eigentlich bei der Justiz aus? Können Sie sich in die Lage von Menschen hineinversetzen, deren Eltern pflegebedürftig sind und deren Einstufung in die Pflegeversicherung zu unbefriedigenden finanziellen Ergebnissen geführt hat, einer Einstufung, wo die Kinder sagen, wir müssen höher eingestuft werden, weil wir sonst zu wenig von der Pflegeversicherung bekommen und nicht über die Runden kommen? Wissen Sie, wie lange es in Hamburg dauert, bis sie ein Urteil der Sozialgerichte in solchen Fällen haben, bei denen es um die Interessen der Schwachen geht? 17 Monate dauert es, meine Damen und Herren. Auch hier lassen Sie die Schwachen im Stich, die Hilfe brauchen.

(Beifall bei der CDU)

Wissen Sie, wie lange es dauert, bis Leute einen ersten Beratungstermin bei der Schuldnerberatung aufgrund verfehlter Personalpolitik bekommen, die nach dem neuen Insolvenzrecht, das gerade dazu dienen soll, Leute, die am Ende sind, zu beraten und ihnen noch eine Chance zu geben, bevor der Offenbarungseid geleistet wird? Fast fünf Monate.Sie sind schon finanziell und menschlich am Ende, bis sie zu der Beratung kommen. Sie haben diese Menschen nicht mehr auf der Rechnung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Daß wir uns da richtig verstehen, wenn es um den Wahlkampf geht

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Jetzt erst?)

ja, natürlich, was ist daran so komisch? –, wird das Thema Innere Sicherheit eine große Rolle spielen und natürlich das Problem und der Umstand, daß Hamburg die Stadt mit den meisten Raubüberfällen in Deutschland ist, daß Ham

burg die Stadt mit der größten Jugendgewaltkriminalität in Deutschland ist, daß Hamburg die Stadt mit der größten öffentlichen Drogenszene in Deutschland ist, daß Hamburg die Stadt ist, die eine Spitzenstellung bei Wohnungseinbrüchen und Autoaufbrüchen einnimmt. Dabei geht es mir nicht um die Statistik.Mir geht es auch nicht um ein schmallippiges Law and order, sondern um die schlichte Frage: Wer sind eigentlich die Opfer von solchen Verbrechen und Straftaten, meine Damen und Herren? Sind das die Starken? Sind das die, die sich wehren können? Sind das die, die genug Geld haben, um sich einen privaten Wachdienst zu leisten, und genug Geld haben, eine große Alarmanlage einzubauen? Nein, meine Damen und Herren, es sind die Schwachen, es sind die Kinder, es sind die Jugendlichen, es sind die Armen, es sind die alten Leute. Bei der Inneren Sicherheit geht es darum, daß der Staat eine Schutzmacht für die Schwachen bildet, und diese Leute lassen Sie mit Ihrer Politik bei der Inneren Sicherheit schamlos im Stich.

(Beifall bei der CDU)

Was glauben Sie eigentlich, was in jungen Leuten vorgeht, wenn ein Elf-, Zwölf-, Dreizehnjähriger abgezogen wird, wie es so nett verharmlosend heißt, überfallen wird, wo wir die Spitze in Deutschland sind. Das ist ja nicht nur eine Zahl. Was glauben Sie, was solch ein Kind oder Jugendlicher denkt? Der verliert doch in seiner Kindheit oder Jugend das Grundvertrauen in Grundansprüche, an Geborgenheit und staatlicher Autorität.Denken Sie bitte mal an diese Jugendlichen und lassen Sie sie nicht im Stich.

Was glauben Sie eigentlich, was Menschen empfinden, wenn bei ihnen eingebrochen wird? Es geht doch nicht um den materiellen Schaden, nicht um das Geld und die Sachen, die gestohlen worden sind, sondern es geht darum, daß Menschen natürlich das furchtbare Gefühl empfinden, wie es ist, wenn in ihre Privatsphäre eingedrungen wird und die Geborgenheit nicht mehr da ist. Wie ist Ihre Antwort auf die Mißstände der Inneren Sicherheit? – Mißtrauen gegenüber der Polizei wird von Ihnen gesät, Stellen abgebaut und Täterfürsorge statt Opferschutz. Das ist sozialdemokratische Politik.

(Beifall bei der CDU)

Die Schwachen werden systematisch von Ihnen im Stich gelassen, und Sie spielen sich in Worten auf, Sie seien die Schutzmacht der kleinen Leute. In Wirklichkeit bedienen Sie sich munter selbst, wobei ich sagen muß, daß es durchaus auch ein, zwei Senatoren gibt, die mit dieser Schimäre der Schutzmacht der kleinen Leute nicht operieren

(Zuruf: Wer?)

ja, das werde ich Ihnen gleich sagen –, sondern sie ganz schamlos im Stich lassen und das auch sagen.Ein Paradebeispiel dafür – er guckt schon freundlich – ist Eugen Wagner.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Wie der mit den Mieterinnen und Mietern dieser Stadt umgeht, ist zwar schäbig, aber zumindest ehrlich.

(Beifall bei der CDU)

Während in nahezu allen anderen Städten Mieterinnen und Mieter von öffentlich geförderten Wohnungen das Recht haben, ihre Wohnung kaufen zu können,

(Erster Bürgermeister Ortwin Runde: Aha! – Zurufe von der SPD)

(Ole von Beust CDU)

um damit Altersvorsorge treffen zu können, ihren Kindern etwas vererben zu können, Eigentum bilden zu können, sagen Sie selber, ich will diese Mieterinnen und Mieter lieber schön an meinem Gängelband und unter meiner Knute behalten, statt Eigentum zu schaffen. Wenigstens sind Sie in diesem Zynismus ehrlich, Herr Wagner.

(Beifall bei der CDU)

Wenn ich mir angucke, mit welcher zum Teil schamlosen Arroganz die SAGA, deren Aufsichtsratsvorsitzender Eugen Wagner ist, mit Mieterinnen und Mietern umgeht, so ist das schon abenteuerlich. Hat vielleicht einer von dem Hohen Senat einmal die Häuser in der Riedsiedlung besichtigt

(Barbara Duden SPD: Die werden doch moder- nisiert!)

ja, ich war da –, einer Siedlung mit billigen Mieten? Da geht es um 315 Wohnungen

(Michael Neumann SPD: Dann ziehen Sie doch da mal ein!)

von Mieterinnen und Mietern, die teilweise mit großem Aufwand ihre Wohnungen instand gesetzt haben, liebevoll eingerichtet haben, die an dem Viertel hängen in Horn, SAGAMieter, die dort wohnen bleiben möchten, Nachbarschaftshilfe leisten, Treffs und Grünanlagen haben, teilweise seit 40 Jahren und mehr dort wohnen und dort bleiben möchten. Das ist doch zynisch, wenn Sie Leute belehren wollen, wie sie wohnen sollen. Die lieben ihre Wohnung. Akzeptieren Sie das mal. Die lieben ihr Viertel.

(Beifall bei der CDU)

Und was sagen die SAGA und Eugen Wagner: Die müssen raus, und wenn die nicht freiwillig weggehen, sagt man, wenn mit eurer Wohnung etwas nicht in Ordnung ist, wird nicht mehr repariert. Wenn dort Fensterscheiben zu Bruch gehen, wissen Sie, was die SAGA macht? Es werden Spanplatten vor die Fensterscheiben genagelt, damit die Mieter irgendwann so verzweifelt sind, daß sie ihre Wohnung verlassen. Das ist sozialdemokratische Wohnungspolitik. Das ist Zynismus gegenüber Mieterinnen und Mietern.Typisch für diese Stadt und Eugen Wagner, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Herr von Beust, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Nein, aber wir können uns nachher freundlich unterhalten, Herr Kollege.