Protocol of the Session on September 6, 2000

Was ist zu tun? Erstens müssen alle staatlichen Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden. Mit aller Härte des Gesetzes gilt es, gegen rechtsextreme Gewalt vorzugehen.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Gegen jede Gewalt!)

Es ist bekannt, Herr Ehlers, daß Sie bei diesem Thema Spezialist in einer bestimmten Hinsicht sind, das wollen wir hier nicht diskutieren.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Hamburg zeigt und hat gezeigt, daß es das tut mit dem Verbot des „Hamburger Sturms“ – das war eine richtige Aktion –, auch mit dem Versuch, Demonstrationen, wo dies rechtlich möglich ist, zu verbieten.Wo das nicht möglich ist, muß man sie, wenn auch mit Ärger, hinnehmen, und dann muß die Polizei dafür sorgen, daß es nicht zu Gewalteskalationen kommt. Das ist eine schwierige und undankbare Aufgabe für die Polizei, aber es ist ihre Aufgabe im Rechtsstaat. Ich darf der Polizei hier für ihr umsichtiges Verhalten bei den letzten Demonstrationen danken.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der CDU)

Zweitens:Nicht vorrangig der Staat oder die Polizei sind gefragt, sondern das Engagement der Bürgergesellschaft, wenn wir das Problem tatsächlich bekämpfen wollen, mehr Alltagsmut, mehr Courage. Das fängt bei der Erziehung im Elternhaus, in der Schule an. Eltern, die auf die soziale Kompetenz ihrer Kinder achten, leisten einen wichtigen Beitrag für mehr Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der CDU)

Auch die Bekämpfung von Gewalt in der Familie ist ein wichtiger Teil, denn das verhindert die Entstehung von autoritären Persönlichkeitsstrukturen.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der CDU)

Ich wünsche mir noch viel mehr deutlichen, offenen Widerspruch, wenn Ausländer, Behinderte, Obdachlose, Stadtstreicher und andere Minderheiten abschätzig behandelt oder sogar bedroht werden.

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Wenn der Senat sich anders verhält!)

Das habe ich auch von Ihnen erwartet. – Es gilt, Tabus aufzubauen, Tabus bezogen auf Neofaschismus, aber eben auch Tabus, was den verächtlichen Umgang mit anderen Menschen angeht.Tabufreiheit ist nicht ein Kennzeichen einer zivilisierten Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der CDU)

Drittens gilt es, den rechtsradikalen Rattenfängern den Nachschub zu entziehen. Herr von Beust hat völlig recht, daß die Rechtsextremen nicht etwa aus dem Bereich der Arbeitslosen und so weiter stammen, sondern eher aus darüberliegenden Schichten. Aber wenn wir verhindern wollen, daß Rechtsextremismus eine Chance hat, ein Massenphänomen zu werden, dann gilt es, all diejenigen, die anfällig dafür sind, davor zu bewahren, und das sind eben junge Menschen ohne Perspektive, ohne Anerkennung und ohne Zukunft. Das ist auch die Erklärung für die etwas verschärfte Erscheinungsform in den neuen Ländern. Das hat nichts mit massenhafter Anwesenheit von Ausländern, Obdachlosen, Nichtseßhaften zu tun, sondern hat hiermit zu

tun. Diese Jugendlichen und Jungerwachsenen müssen wir in die Demokratie zurückholen, und das wird kein einfacher Weg sein. Den Jugendlichen und Jungerwachsenen insgesamt Perspektiven und Anerkennung und Selbstwertgefühle geben, ist das Mittel, um präventiv tätig zu sein.

Als Demokraten sind wir alle gefordert, gemeinsam gegen rechtsextreme Gewalt vorzugehen. Notwendig ist eine Gesamtstrategie aus hartem konsequenten staatlichen Auftreten – nur das verstehen diese –, aus Prävention und gesellschaftlicher Auseinandersetzung, um den Rechtsextremismus einzudämmen. Daß man Rechtsextremismus aus einer Gesellschaft insgesamt verbannen kann, halte ich nicht für möglich, wenn ich mir die Geschichte der verschiedenen Völker und Gesellschaften ansehe, aber Rechtsextremismus darf in Hamburg keine Chance haben.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der CDU)

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, weise ich noch einmal auf die Vereinbarung über die Redezeit von Senatoren während der Aktuellen Stunde hin.

Das Wort bekommt der Abgeordnete Professor Dr. Salchow.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde das Hetzen von Ausländern in den Tod, das Ermorden von ein oder zwei Obdachlosen, die Jagden auf Vietnamesen in Mecklenburg, die Brandsätze in Asylheimen in einem solchen Maße furchtbar, daß ich ganz dankbar bin, daß wir die Debatte offensichtlich ohne parteipolitische Spaltereien hinter uns bringen.

Wir müssen unterscheiden zwischen den 500 oder 1000 gewaltbereiten Extremisten einerseits und der leider – Herr Bürgermeister, Sie sagten eben, wir hätten Rechtsextremismus immer wieder gehabt, jetzt ist aber etwas anderes hinzugekommen: Wir müssen nämlich die immer größer werdende Zahl von Menschen sehen, die Gewalt nicht tun, die aber Verständnis für rechtsextremes Verhalten aufbringen. Eine Forsa-Untersuchung hat das vor zwei Wochen gezeigt; danach ist die Situation substantiell anders geworden. In Ostdeutschland antworteten auf die Frage „Glauben Sie, daß der Ausländeranteil zu hoch ist?“ 51 Prozent mit Ja, und selbst in Westdeutschland sind es noch 31 Prozent. Wir können diese Menschen nicht einfach als rechtsextrem über den Rand abdrängen, sondern müssen uns um sie kümmern, da das in Ostdeutschland schon die Mehrheit ist.Wir alle, von welcher Partei auch immer, müssen uns sorgen, daß wir mit unserer eigenen Wortwahl nicht etwas begünstigen, was wir eigentlich gar nicht begünstigen wollen.

Auf der anderen Seite müssen wir auch sehen, daß wir in unserer politischen Klasse mitunter politische Wege gegangen sind, die die Bevölkerung nur zum Teil mitmacht.Es muß irgendwo auch möglich sein, diese Dinge anzusprechen, selbst wenn wir dies nicht teilen. Die Leute haben überhaupt kein Verständnis dafür, daß immer wieder Untersuchungsgefangene entlassen werden, wie vor einigen Tagen sechs Leute in Hamburg, die etwa wegen Vergewaltigung, Raub und Großbetrugs angeklagt waren und nun entlassen wurden, weil die Verfahren nicht zu Ende gebracht werden konnten. Sie haben kein Verständnis, wenn in gewissen Stadtteilen nichts getan wird, um den Menschen, die durch einzelne Täter bedroht werden – Herr von Beust hat vor einem Jahr auf solche Fälle hingewiesen –,

(Erster Bürgermeister Ortwin Runde)

zu helfen, und sie damit in ihrer Angst vor einigen gewaltbereiten Leuten alleine gelassen werden.

(Beifall bei der CDU)

Viele Leute haben kein Verständnis dafür, wie bei uns die Drogenszene funktioniert. Wir müssen einfach sehen, daß wir da etwas tun müssen, um die Bevölkerung in großen Breiten nicht einfach zu verlieren.

Ein letzter Punkt. Der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf wird im Bundesrat ein Gesetz einbringen, das die Bürger vor solchem Bedrohungspotential schützen soll.Ich habe jetzt nicht die Zeit, darauf einzugehen.Wir werden jedenfalls von unserer Seite sehr darauf achten, was der Bürgermeister und der Senat im Bundesrat mit dem sächsischen Gesetzentwurf tun, um gegen die immer breiter werdende Bedrohung der Bürger in den Stadtteilen etwas zu tun. Wir werden darauf achten, daß Sie bei diesem Gesetz hilfreich mit dabei sind und wir zu neuen Ufern kommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Pumm.

Herr Präsident, verehrte Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß am letzten Freitag Vertreter sehr vieler gesellschaftlicher Gruppen dieser Stadt meiner Einladung gefolgt sind und wir uns zu einem „Ratschlag“ getroffen haben. Es waren Vertreter aller Hamburger Gewerkschaften, aber auch der jüdischen Gemeinde Hamburg, der Hochschule für Wirtschaft und Politik, des Hamburger Sportbundes, der Bürgerschaftsfraktionen und der Parteien – die F.D.P.war auch dabei –, die Handelskammer und die Handwerkskammer, Bildungseinrichtungen, der Bundeswehrverband, die Kirchen, sowohl die nordelbische als auch die katholische Kirche, die Vereinigung der Unternehmensverbände, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die Universität Hamburg anwesend; der Beamtenbund mußte kurzfristig absagen. Es waren viele, die mit mir der Auffassung sind, daß die Stabilisatoren einer demokratischen Gesellschaft die Demokraten selbst und ihre demokratischen Institutionen sein sollten und nicht in erster Linie Justiz und Polizei und der Staat insgesamt.

Eine zivile Bürgergesellschaft, die sich der Demokratie verpflichtet fühlt, wird auch Angriffe gegen die Demokratie abwehren können. Dies wird man nur erreichen, wenn man die Menschen mit ihrem Herz und mit ihrem Kopf gewinnt. Deswegen nützt es auch bei diesen Diskussionen und den Überlegungen, wie man vorgeht, nichts, sich nur gegen Rechtsextremismus zu wenden.Wir sollten die Chance nutzen, diese Initiativen auszuweiten für Demokratie, für Toleranz, für Anerkennung und eben auch gegen Rechtsextremismus und Gewalt.

Für viele von uns als Nachkriegskinder ist Demokratie etwas Selbstverständliches geworden. Wir mußten Demokratie nie erkämpfen, wir haben sie geschenkt bekommen. Jetzt erleben wir durch Rechtsextremismus, durch Rassismus, daß die Demokratie auch gefährdet werden kann.Wir sind aufgefordert, als Demokraten tätig zu werden und ganz viele Menschen in dieser Gesellschaft mitzunehmen im Kampf gegen Rechtsextremismus, im Kampf für den Erhalt von Demokratie und Freiheitsrechten. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der GAL und bei REGEN- BOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Daß Rassismus in seinen deutlichsten Formen bekämpft wird, daß es Gesetze gibt gegen Mord und daß dies gesellschaftlich geächtet wird, ist selbstverständlich; da besteht ein großer Konsens.

Ich möchte aber intensiver auf das Thema Rassismus eingehen, denn Rechtsradikalismus und Rassismus kommt nicht von irgendwo her, vom Himmel oder aus dem Nichts. Rassismus ist ein Problem für alle, die hier in einem gesellschaftlichen Kontext leben, wenn weiterhin Ausgrenzungspraktiken aufrechterhalten bleiben. Und da ist der eigentliche Ansatz für längerfristige Veränderungen.Das ist ein langer Weg, und es gibt keine Patentrezepte oder kurze Lösungen und schon gar nicht, wie in der DDR erlebt, irgendeinen verordneten Antifaschismus. Weiterhin werden andere Ethnien kulturell abgewertet und die eigenen überbewertet.

Ich bin Ihnen, Herr Runde, dankbar, daß Sie gesagt haben, es sei keine Neuerscheinung, sondern wir haben das seit 1990 unter anderem in Rostock, Mölln und Solingen erlebt. Es geht darum, längerfristig Konzepte zu entwickeln, die greifen.Die Situation in der Mehrheitsgesellschaft bildet die Grundlage für Rassismus, gerade wenn man mit den entsprechenden Machtmitteln Ausgrenzung öffentlich definiert und durchsetzt. Das fängt ganz konkret an, wenn Jugendliche keine Arbeitserlaubnis bekommen, obwohl sie einen Ausbildungsplatz haben, oder wenn immer wieder Minderheiten als Fremdkörper gesehen werden, als Belastung der Gesellschaft oder als defizitäre Wesen dargestellt werden und nicht als integraler Bestandteil dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der GAL und bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Und genau das passiert in der Öffentlichkeit, auch in den Medien. Es gibt ein sehr schönes Buch eines Journalisten „Manche mögen es weiß“, wo gerade diese Situation in der Öffentlichkeit, in den Medien deutlich wird. „Sprache ist Macht“ ist schon gesagt worden, und ich halte es mit Cem Özdemir: „Wir brauchen Migrantinnen und Migrantinnen brauchen uns.“ Es geht um tiefgreifende Maßnahmen, und da helfen keine Rhetorik- oder Sonntagsreden und keine schnellen Lösungen, sondern Konzepte und stetige Arbeit.

Wir Grüne fordern schon lange ein Einwanderungsgesetz, aber ich räume ein, daß die besten Gesetze den Rassismus nicht abschaffen, und das bedeutet, weitere politische Handlungsfelder erarbeiten zu müssen.Denken Sie einmal an die Darstellung von Migrantinnen in Schulbüchern, in Kinderbüchern, in Unterrichtsmaterial. Da wird öfter das heimliche Lehrziel Rassismus als das Gegenteil erreicht oder eine positive Diskriminierung. Der Umgang mit Schwarzen oder auch die Darstellung von Afrikanern in Schulbüchern ist ein schlimmes Beispiel. Hier wird zum Beispiel in anderen Einwanderungsgesellschaften, in Holland, Großbritannien und den USA selbstverständlich jegliches Unterrichtsmaterial geprüft hinsichtlich der gleichberechtigten Darstellung von Minderheiten. Hier ist es auch wichtig, daß sie nicht als Opfer dargestellt oder als schwach stigmatisiert werden, hier haben wir – in diesen Ländern gibt es Kommissionen, die diese Materialien überprüfen – politischen und bildungspolitischen Handlungsbedarf.

Die rotgrüne Schulpolitik in Hamburg hat zumindest begonnen, seit einiger Zeit mit einem Dogma aufzuräumen,

(Dr. Roland Salchow CDU)

nämlich der sprachlichen Monokultur, und sie durch die Förderung der Mehrsprachigkeit ersetzt. Auch hier gilt es, konsequent weiter daran zu arbeiten wie auch an neuen Methoden der politischen Weiterbildung.

Weitere politische Handlungsfelder sind auch Antidiskriminierungsmaßnahmen.Sie werden in Holland praktiziert.Da gibt es in jedem Stadtteil Antidiskriminierungsbüros – ich habe mich selbst in Amsterdam und Rotterdam überzeugen können –, die eng mit den Schulen, den Kindergärten, der Polizei und der Kirche zusammenarbeiten. Es ist eine Selbstverständlichkeit für alle Bürger. Das Lernziel ist nicht nur Toleranz. Sie wissen selbst, meine Damen und Herren, daß sie aufhört, wenn es um eine Moschee oder eine Flüchtlingsunterkunft geht, die im eigenen Stadtteil gebaut wird. Umgang mit Gleichheit und Differenz ist mehr.

Anerkennung und Akzeptanz werden gefordert, und das ist ein langwieriger Weg. Dazu wird sicherlich auch die Arbeit der Ausländerbeauftragten beitragen, aber auch Leitlinien, die wir uns in Hamburg geben müssen für eine Integrationsund Migrationspolitik, die den Namen verdienen, denn Integration ist immer eine beidseitige Angelegenheit.

Wir brauchen ein politisches Klima, das Einwanderer als Gleichberechtigte respektiert, das natürlich auch durch Gesetze die Gleichstellung unwiderruflich festlegt, damit keine Zweifel aufkommen: Deutschland ist und bleibt ein demokratisches Land.

(Beifall bei der GAL und der SPD)