Protocol of the Session on April 5, 2000

Das hörten wir schon. Ich will aber die Quantitäten deutlich machen. Green Card in Amerika bedeutet geregelte und begrenzte Zuwanderung, jährlich von 50 000 Menschen, aber das meinen wir mit Green Card hier in der Debatte nicht. Die Amerikaner orientieren sich in der Zuwanderung befristet für Fachkräfte auf einem weit höheren Niveau als 50 000. Bei uns geht es heute um das Schließen einer kurzfristigen Lücke, weil wir leider aufgrund einer fehlerhaften Einschätzung der Wirtschaft und der CDU-Bundesregierung seit Anfang der neunziger Jahre nicht in der Lage sind, Hochschulkräfte für den Markt zu produzieren und zur Verfügung zu stellen.

Meine Damen und Herren! Die gebrachten Hinweise allerdings, mit denen auch Herr Rüttgers im Wahlkampf argumentiert, daß angeblich genügend arbeitslose ausgebildete EDV-Kräfte zur Verfügung ständen, sind falsch. Es geht schlicht und ergreifend nicht um die Betrachtung der gesamten Arbeitslosen in diesem Bereich, sondern um ein kleines Segment, nämlich um hochqualifizierte Informatiker mit Hochschulabschluß. Und dort weist die Bundesanstalt für Arbeit im November 1999 gerade mal 2400 Arbeitslose

aus, die zur Vermittlung anstehen. Insofern ist die Entscheidung, 20 000 Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, richtig.

Eines bleibt doch klar: Diese Entscheidung, diese Investition – und es ist eine Investition –, 20 000 Spezialisten nach Deutschland zu holen, davon möglichst viele nach Hamburg, bedeutet im Grundsatz eine Investition in die Zukunft unserer Jugend, und das wollen wir Sozialdemokraten.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Herr Professor Dr. Salchow.

Nur ein paar kurze Bemerkungen zum Schluß. Herr Mirow, Sie loben die gute Ausstattung in Hamburg bei Schulen und Hochschulen; ich bin da etwas skeptischer. Ich weiß, daß sich der Fachbereich Informatik beklagt, daß sich der Fachbereich Wirtschaftsinformatik beklagt; ich habe das vor vierzehn Tagen hier alles schon gesagt. Gerade der Fachbereich Informatik hat zusammen mit den Dekanen vor drei, vier Tagen eine Erklärung herausgegeben, und wir hatten auch ein Gespräch mit einigen Kollegen.

(Vizepräsident Berndt Röder übernimmt den Vor- sitz.)

Sie haben gesagt, unter den Bedingungen der Hamburger Hochschulpolitik, sprich des Sparkurses, sei eine Erneuerung des Spektrums nicht möglich. Das muß man berücksichtigen, Herr Senator, wenn Sie sagen, es sei alles so gut ausgestattet; das ist es nicht. Es heißt dort wörtlich, durch die hamburgische Hochschulpolitik werde der Kurs eigeninitiierter struktureller Reformen und Innovationen gefährdet. Das sagen alle beteiligten Leute inklusive des Hochschulpräsidenten.

Herr Dobritz verweist auf die Bundesregierung. Natürlich kann man überall etwas kritisieren, aber letzten Endes wissen wir alle, daß Bildungspolitik Ländersache ist, und das bedeutet, daß die handelnden Akteure und die handelnden Finanziers primär in den Ländern sind. Darum habe ich Klage zu Hamburg geführt.

Man kann sich auch einmal überlegen, was denn der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder 1997 gemacht hat, als er mit einem Federstrich 20 Prozent der Informatikstellen in Niedersachsen gestrichen hat. Diese konkreten Fehlentscheidungen sind 1997 passiert, als die Informatikuniversität in Hildesheim einfach dichtgemacht wurde. Da hat es Proteste gegeben, da haben die Leute demonstriert.Und die neue Bundesregierung hat am 28.Januar dieses Jahres auf CDU-Anfrage gesagt, wir wollen keine Green Card, keine Erleichterung; und mit einem Mal wird das geändert. Ich beklage an der Bildungspolitik in Hamburg und bei Rotgrün, daß sie viel zu spontan ist, um einen langen Atem zu haben.

Eine letzte Bemerkung zu REGENBOGEN und den Grünen. Mir fällt bei den Beiträgen von Herrn Müller, Herrn Hackbusch, Frau Uhl und Herrn Erdem intensiv auf, daß Sie nach wie vor ausschließlich die Einwanderungspolitik thematisieren. Sie wollen das Ganze als eine Möglichkeit nutzen, an dieser Stelle eine Einfallschance für viele ausländische Arbeitnehmer zu haben mit dem Argument, man bräuchte noch Leute für IT, ihr seid zu alt, ihr kriegt nicht genügend Kinder, und das machen wir mit ausländischen Arbeitskräften. Das stört mich an der Debatte, das ist nämlich eine Argumentation – da hat Herr Dobritz völlig recht –,

(Norbert Hackbusch REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Klagen über Fehler in der deutschen Bildungspolitik mit Einwanderungspolitik zu verbinden. Genau das werfen Sie Herrn Rüttgers vor.Das Problem ist die Bildungspolitik, und wo ist die Lösung? Die Lösung liegt in der Bildungspolitik und in der Finanzierung der Bildungspolitik.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Aber nicht allein! – Zu- rufe von der SPD und der GAL: Das ist falsch!)

Wir können dies nicht so schnell machen. Darum bin ich auch der Meinung, daß man das mit den 10 000 bis 20 000 Green Cards machen muß, aber es ist keine Dauerlösung. Wir können nicht auf Dauer die Fehler unserer Bildungspolitik dadurch lösen, daß wir die im Ausland gut ausgebildeten Leute hierherholen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält die Abgeordnete Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sowohl Herr Salchow als auch Herr Hackbusch haben wieder mal das Thema verfehlt.

Ich möchte noch einmal in kurzen Worten auf das zurückkommen, was wir zur Aktuellen Stunde angemeldet haben: „Wir brauchen beides“, und das ist viel zu kurz gekommen. Das nur auf deutsche und Hamburger Bildungspolitik zu reduzieren, ist auch daneben;darüber haben wir vor vierzehn Tagen schon debattiert.

Es sind zum einen Ausbildungssituationen verschlafen worden, aber nicht nur. Die rasante Entwicklung im IT-Bereich in den letzten drei, vier, fünf Jahren haben selbst die Wirtschaft oder auch Bildungsexperten nicht vorausgesehen. Bei der Steigerung der Anzahl der Ausbildungsberufe kann sich Hamburg sehen lassen. Wir haben im letzten Jahr in den Bereichen IT-Systemelektroniker und IT-Kaufleute 603 Plätze geschaffen, eine Steigerung von 43 Prozent. Da ist eine Menge getan worden, soweit es überhaupt möglich war.

Was aber nicht gelaufen ist und wo wir auch alle aufgrund der rasanten Entwicklung umdenken müssen, ist, daß im Bereich Qualifizierung und Weiterbildung modulartig fortgebildet werden muß. Dieser ganze Bereich muß viel mehr in den Fokus kommen, und in der gesamten Weiterbildung ist viel nachzuholen. Auch in Hamburg muß dieser Bereich und die Verzahnung von Berufs- und Weiterbildung weiterentwickelt werden.Es ist schon gesagt worden, daß an den Hochschulen viele ausgebildet werden, aber diese Kräfte dann nicht arbeiten dürfen.Das ist natürlich verschwendete Ressource, um diesen Begriff zu benutzen.

Ich könnte noch stundenlang etwas zur Einwanderung sagen, das ist sicherlich ein Lieblingskind von mir. Aber man vertut eine weitere Ressource, sofern man über Menschen so überhaupt reden darf. Wir haben hochausgebildete junge Leute, die hochqualifizierte Abschlüsse machen oder die die Höhere Handelsschule besuchen und mathematisch begabt sind. Man braucht ja schon einen gewissen Typus, um in diese Berufe zu gehen, dazu sind wir nicht alle geeignet, und auch nicht alle sind zum Nachqualifizieren im IT-Bereich geeignet.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Das ist aber neu bei Ih- nen!)

Ich bin Physik- und Chemielehrerin, das wissen Sie, und bilde mich permanent fort.

Diese jungen Leute – auch die jungen Flüchtlinge, die hier an den Schulen sind und hochqualifiziert sind – dürfen dann keine Ausbildungen machen, dürfen nicht studieren. Wir müssen überlegen, inwieweit wir da „Ressourcen“ verschleudern. – Danke.

(Beifall bei der GAL und bei Doris Mandel SPD)

Dann bekommt der Abgeordnete Hajen das Wort.

Weil wir über die ernsthaften Argumente reden, wie wir die Dinge ändern können, Herr Salchow.Die neunziger Jahre waren dadurch geprägt, daß die naturwissenschaftlichen Fachbereiche und die Informatikfachbereiche mit dem Lasso hinter den Leuten hergelaufen sind. Es war nicht die Frage des Angebots, sondern es war das Signal aus der Wirtschaft, wir brauchen euch nicht. Mit Verlaub, ich studiere auch lieber irgend etwas, wozu man richtige Lust hat – Geschichte oder kunsthistorische Themen würde ich auch gerne studieren –, nur können wir doch nicht immer Markt und Marktverhalten predigen und uns dann wundern, wenn die jungen Leute sich so verhalten.

Deswegen plädiere ich dafür, doch bitte nicht auf diese Art von Kasino-Kapitalismus einzugehen, immer nur auf kurze Zeit zu planen. Ausbildung ist Investition auf Dauer,

(Beifall bei der SPD)

und dazu muß man Mut machen und auch einen langen Atem zeigen. Diese Signale finde ich wichtig, das ist nun vergossene Milch, aber wir wollen für die Zukunft lernen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Karl-Heinz Ehlers.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Hajen, wenn Sie recht haben, haben Sie recht. Sie haben eben deutlich gemacht, daß wir nicht nur einer bestimmten Art von Schule hinterhergelaufen sind – ich habe das vorhin überspitzt dargestellt, wie das gelegentlich meine Art ist –, sondern die Frage ist, wie ich jemanden begeistern kann, etwas Schwieriges zu machen, das mit Lernen, Knüppeln und Pauken verbunden ist, wenn ich Alternativen anbiete, die dieses alles nicht beinhalten, aber den gleichen Stellenwert bekommen. Wie wollen Sie jemandem abverlangen, daß er für Mathematik, Latein und Englisch büffeln soll, Vokabeln lernen soll, wenn gleichzeitig Werken und Nadelarbeit unter dem Strich zum gleichen Ergebnis führen?

(Zurufe: Na, na, na! und Unmutsäußerungen bei der SPD und der GAL)

Ich habe es überspitzt. Daß dort bequeme und leichte Wege gewählt werden, ist doch klar.Und wir sind alle, auch wir, einem solchen Zeitgeist hinterhergelaufen. Deutlich wird jedoch der Unterschied zwischen Rot und Grün bei den angemeldeten Themen. Bei der GAL heißt es: „Ausbildung und Einwanderung – Hamburgs Zukunft braucht beides“, und bei der SPD heißt es: „Green Card und Qualifizierungsoffensive“, Green Card und Qualifizierung wird gebraucht und nicht Ausbildung und Einwanderung. Da liegt der fundamentale Unterschied, und ich finde, die Sozis haben recht.

(Beifall bei der CDU – Petra Brinkmann SPD: Ge- nau richtig!)

(Dr. Roland Salchow CDU)

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Dann ist die Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 4 auf, Drucksache 16/4013: Wahl zum Verfassungsgericht.

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl einer ständigen Vertreterin oder eines ständigen Vertreters (vertretendes Mitglied) des Hamburgischen Verfassungsgerichts – Drucksache 16/4013 –]

Da das Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht in seinem Paragraphen 4 eine geheime Wahl vorschreibt, findet die Wahl in Wahlkabinen statt. Wir verfahren so wie vorhin: Frau Rudolph, Frau Pawlowski und Frau Vogel werden in abwechselnder Reihenfolge die Mitglieder der Bürgerschaft aufrufen. Sie gehen dann bitte zur Kanzleibank und nehmen dort die Stimmzettel entgegen. Der Stimmzettel enthält Felder für Zustimmung, Ablehnung oder Wahlenthaltung. Mit dem Stimmzettel gehen Sie dann bitte in eine der Wahlkabinen und nehmen dort Ihre Wahlentscheidung vor. Ich bitte, den Stimmzettel nur mit einem Kreuz zu versehen. Stimmzettel, die den Willen des Mitglieds nicht zweifelsfrei erkennen lassen oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Nach der Wahlhandlung stecken Sie den Stimmzettel bitte in den Wahlumschlag und geben diesen dann an der Wahlurne ab. Ich darf nun Frau Pawlowski bitten, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Der Namensaufruf wird vorgenommen.)

Meine Damen und Herren! Ist ein Mitglied des Hauses nicht aufgerufen worden? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Stimmabgabe geschlossen. Ich erkläre die Wahlhandlung für beendet und bitte, die Stimmenauszählung vorzunehmen.Für die Dauer der Stimmenauszählung ist die Sitzung unterbrochen.

Unterbrechung: 17.30 Uhr

Wiederbeginn: 17.38 Uhr

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen.

Ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt. Es sind 110 Stimmzettel abgegeben worden; es waren alle gültig. Frau Rahardt-Vahldieck erhielt 92 Ja-Stimmen, 13 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen. Damit ist Frau Susanne RahardtVahldieck zum vertretenden Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts gewählt worden. Ich bitte Frau Rahardt-Vahldieck, auf den freien Platz vor dem Rednerpult zu kommen.