Protocol of the Session on March 1, 2000

Wir tun gut daran, für unsere Schülerinnen, Schüler und Studierenden eine breite Qualifikation zu ermöglichen, gerade sozial Schwache und Leistungsstarke besonders zu fördern, aber nicht eine Gruppe zu vernachlässigen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wenn man schon gezwungen ist, in Glaubensbekenntnisse einzutreten,

(Dr. Holger Christier SPD: Na, denn mal los!)

dann entgegne ich: Natürlich fordert die GAL nicht die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium. Natürlich halten wir es nach wie vor für richtig, den Kindern länger Entwicklungsmöglichkeiten zu geben und sich erst später festzulegen. Wer kann gegen ein Elternwahlrecht und grundsätzlich gegen ein Wahlrecht sein! Das ist aber nicht der Punkt gewesen.

(Zuruf von Wolfgang Beuß CDU)

Hören Sie bis zum Ende zu. Sie hören jetzt etwas aus erster Hand oder aus erstem Mund.

Der Punkt ist – da fängt es an, interessant und auch differenziert zu werden –, daß diese Anmelderunde stärker als alle anderen zuvor mehrere Probleme aufgezeigt hat. 45 Prozent der Kinder eines Jahrgangs werden an eine Schule gemeldet, die darauf organisatorisch, räumlich, personell und pädagogisch nicht vorbereitet ist.

(Günter Frank SPD: Das ist doch Quatsch!)

Außerdem werden Kinder zunehmend an Gymnasien angemeldet, deren Grundschullehrer – mit Recht – sagen, daß das Scheitern dieser Kinder vorprogrammiert ist. Alle Kolleginnen und Kollegen, die an Haupt- und Realschulen arbeiten, sagen – ich bin zum Beispiel einer davon, der jahrelang sogenannte Rückläuferkinder aus den Gymnasien unterrichtet hat –, daß sie ab der siebten bis zur zehnten Klasse brauchen, um diese Kinder einigermaßen wieder zu stabilisieren. Das ist ein ernsthaftes Problem, über das man sich unterhalten muß. Man muß sich genau überlegen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Es ist sicherlich sehr verkürzt gedacht, es auf ein Einfachmodell mit dem Einziehen von Notenschwellen zu reduzieren und das Hauptaugenmerk der Diskussion darauf zu legen.

(Zuruf von Julia Koppke REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Der REGENBOGEN muß mit seinen Billigrezepten ganz vorsichtig sein, die sagen, die Gesamtschule solle jetzt flächendeckend eingeführt werden. Das wäre ungefähr so, als würden sie Wohlstand für alle oder Rückenwind auf allen Radfahrwegen fordern. Das ist zu einfach und hat mit Politik überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der GAL und der SPD sowie Heiterkeit im ganzen Hause)

Was machen wir, um Eltern vernünftig zu beraten? Da gibt es ein zweites Problem. Die Informationsveranstaltungen für Eltern der vierten Klasse sind nämlich mittlerweile sehr schwierig und problematisch, weil ihr Erfolg daran geknüpft ist, daß Schulstandorte erhalten bleiben. Das führt dazu, daß häufig absolut irrwitzig und verkürzt argumentiert wird. Eltern nehmen manchmal im guten Glauben die Argumente an und treffen dann für ihre Kinder Entscheidungen, die zwar manchen Schulstandort retten, aber für ihre Kinder verkehrt sind. Das muß kritisch überprüft werden. Es wäre hilfreich, wenn eine unabhängige Kommission überprüft, welches die Gründe für Eltern sind, bestimmte Schulstandorte und bestimmte Schulformen zu wählen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

(Günter Frank SPD)

Das Wort erhält Frau Senatorin Raab.

(Ole von Beust CDU: Fünf Minuten!)

Herr von Beust, ich glaube nicht, daß ich Ihren Wunsch, auch wenn er nachvollziehbar ist, auf die Sekunde erfülle,

(Heino Vahldieck CDU: Das glauben wir auch nicht!)

aber ich werde mich bemühen. Den guten Willen sollten Sie anerkennen.

(Ole von Beust CDU: Der gute Wille ist schon viel! – Heino Vahldieck CDU: Wenn Sie nur 50 Prozent überziehen, wäre es schon gut!)

Meine Damen und Herren! „Wie effizient ist unser Bildungssystem?“ hat die CDU gefragt. Um das herauszufinden, startet in diesen Wochen – Herr Frank hat das schon erwähnt – das Programm „Programme For International Student Assessment“ – kurz PISA – in 32 Staaten der Welt. Es ist das umfassendste und sorgfältigst vorbereitete Forschungsvorhaben zur Erhebung von Leistungsindikatoren, das je in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wurde. Diese Sorgfalt kann ich nicht erkennen, wenn die CDU die Frage der Effizienz eines Bildungswesens daran messen will, wie Green Card oder Anmeldezahlen sich dazu verhalten. Das sind zwei Themen, die zur Zeit debattiert werden. Sie sind aber gewiß keine Leistungsindikatoren für das Bildungswesen.

Was sagt das Anmeldeverhalten der Eltern über unser Bildungswesen aus? Zunächst einmal ist festzustellen – ich möchte Herrn de Lorent ausdrücklich widersprechen –, die Eltern verhalten sich absolut vernünftig, wenn fast drei Viertel für ihre Kinder eine Schulform wählen, die zum Abitur führt.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Das habe ich nicht bestritten!)

Rational ist es in zweierlei Hinsicht: Zum einen reagieren sie auf die gestiegenen Anforderungen in der Berufs- und Arbeitswelt, die in den nächsten zehn Jahren noch einmal gewaltig steigen werden. Zum anderen nehmen sie den gesetzlichen Auftrag der Schulen ernst. Sie vertrauen darauf, daß unsere Schulen – einerlei welcher Schulform – ihre Kinder bestmöglich fördern.

(Rolf Harlinghausen CDU: Aber bitter werden sie enttäuscht!)

Wir haben in Hamburg nach dem Willen des Gesetzgebers ein Schulsystem, das auf Förderung setzt, auf das Begaben von Kindern, und auf keines, das Begabung schon voraussetzt. Wir haben ein Schulsystem, das eine maximale Bildungsbeteiligung anstrebt. Wir haben kein Auslesesystem, das Kinder frühestmöglich nach Begabung sortiert, und das aus gutem Grund.

Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist darauf angewiesen, daß die Bildungsbeteiligung weiter erhöht wird. Vielleicht ist einigen von Ihnen noch der SPD-Slogan aus dem Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre bekannt:

„Schick Dein Kind länger auf bessere Schulen.“

Dieser Slogan gilt auch heute noch, und zwar auch wegen des erhöhten Qualifikationsbedarfs und wegen der Chancen, die Kinder und Jugendliche haben – bezogen auf ihre

weitere berufliche Laufbahn –, wenn sie Qualifikationen im Schulsystem erwerben. Auch heute ist erkennbar, daß die Qualifikationsanforderungen wachsen. Es gibt mehr Anforderungen an Grundqualifikationen, Lesekompetenz, Fremdsprachenbeherrschung, Sozialkompetenz, Medienkompetenz, Problemlösefähigkeit. Daß unsere Schulen aber diese Entwicklungen nicht verschlafen, sondern die veränderten Anforderungen schon lange als Herausforderung angenommen haben, spiegelt sich in ihren pädagogischen Schwerpunktsetzungen wider, mit denen sie zugleich auf die spezifischen Merkmale ihrer Schülerschaften reagieren.

Als Beispiel sei nur erwähnt, mit welchem Engagement die Schulen die neuen Medien im Unterricht Eingang finden lassen. Es ist schon angebracht, noch einmal deutlich zu betonen, daß Hamburg den anderen Bundesländern nicht nur in der Ausstattung der Schulen – im Internetbereich, im Internetzugang, im Intranet – zwei Jahre voraus ist, sondern auch in der Fortbildung und in der Beratung. Auch mit der Einrichtung des Landesmedienzentrums, mit einer Projektagentur, die allen Schulen Hilfe und Unterstützung gibt, mit der Ausbildung von Multiplikatoren im Medienbereich, mit der Bereitstellung von Etats für jede Schule, sich Fortbildung einkaufen zu können, ist Hamburg Spitze.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Hans-Peter de Lo- rent GAL)

Hamburgs Eltern verhalten sich absolut vernünftig. Sie setzen auf die pädagogische Leistungsfähigkeit unserer Schulen. Wenn die Lernausgangslagenuntersuchung allen Schulformen hohe Förderungserfolge bei den leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern bescheinigt, wenn sie außerdem zeigt, daß der Lernzuwachs in den Klassen 5 und 6 alle bisher in der Forschung berichteten Fördererfolge übertrifft, dann ist zunächst festzuhalten, daß unsere Schulen ihren Bildungsauftrag mit hoher Verantwortung wahrnehmen.

(Rolf Harlinghausen CDU: Deswegen machen 12 Prozent keinen Abschluß!)

Daß es viel einfacher wäre, die Kinder zu sortieren, statt die unterrichtlichen Anforderungen zu differenzieren, versteht sich, aber das ginge, wie wir ebenso hinlänglich wissen, zu Lasten der Bildungsbeteiligung. Wer Sortieren statt Qualifizieren will, der soll das klar und deutlich benennen. Dann ist es konsequent, wenn das Elternwahlrecht abgeschafft wird, dann ist es konsequent, die Schulabschlüsse zu quotieren, und dann ist es ebenso konsequent, den Bildungsauftrag der Schulen zurückzunehmen.

Wer glaubt, anhand des Notenschnitts oder der Ergebnisse einer Aufnahmeprüfung bereits zu Beginn der Klasse 5 hinreichend sicher feststellen zu können, über welches Entwicklungspotential das einzelne Kind verfügt, der geht fahrlässig mit den Zukunftschancen unserer Kinder um.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine Untersuchung aus dem Jahre 1994 verweisen, die das MaxPlanck-Institut für Bildungsforschung in Hamburg durchgeführt hat. Damals hat jeder dritte Gymnasiast der Stichprobe das Gymnasium ohne Grundschulempfehlung besucht. Ich weiß nicht, Herr de Lorent, woher Sie Ihre Angaben über eine zunehmende Zahl von Gymnasialschülerinnen und -schülern ohne Grundschulempfehlung nehmen, aber 30 Prozent scheinen mir für 1994 schon eine beachtliche Zahl. Ich glaube nicht, daß die heute übertroffen wird. Immerhin waren von diesen 30 Prozent, die keine Gymnasialempfehlung hatten, im Laufe der Gymnasialzeit

wiederum 30 Prozent den Anforderungen des Gymnasiums gewachsen.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Und 70 Prozent nicht! – Dr.Martin Schmidt GAL: Das ist aber ein ho- her Schwundsatz!)

Von den Kindern mit Grundschulempfehlung waren 81 Prozent erfolgreich. Das bedeutet umgekehrt, daß bei jedem fünften Kind eine Fehleinschätzung seiner Lern- und Leistungsentwicklung seitens der Grundschule vorlag.

Wir haben – bezogen auf den Schulformwechsel und das Sitzenbleiben – ähnliche Ergebnisse. Auch hier zeigt sich, daß es nicht von den Noten abhängig ist, ob jemand die Schulen gewechselt oder ob er die Klasse wiederholt hat. Im Gegenteil. Die Schulformwechsler hatten die besseren Durchschnittsnoten. Die Vermutung aus der damaligen Untersuchung war, daß es die Bildungsaspiration der Eltern war, die entscheidend darüber bestimmt hat, ob ein Kind sitzenblieb oder die Schule wechselte. Auch die Lernausgangslagenuntersuchung hat deutlich gemacht, daß Kinder Alleinerziehender und Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien es immer noch schwerer haben, einen höheren Bildungsabschluß zu erwerben. Deshalb, meine Damen und Herren, hat es keinen Sinn, jetzt wieder zu den Instrumenten der sechziger und siebziger Jahre – Auslese durch Probewochen oder durch Noten – zurückzukehren. Dieses ist die Rückkehr zur Ausleseschule.

Meine Damen und Herren! Wir brauchen eine höhere Bildungsbeteiligung. Deswegen werden wir nicht zulassen, daß die Schulen in Hamburg zu Ausleseschulen werden.

(Beifall bei der SPD und bei REGENBOGEN – für eine neue Linke sowie vereinzelter Beifall bei der GAL – Dr. Roland Salchow CDU: Das waren nur acht Minuten!)

Das Wort erhält Frau Koop.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auf einen aktuellen Anlaß zurückkommen. Im übrigen, Herr Marx, bin ich schon seit 30 Jahren eine Verfechterin der Mathematik und der Naturwissenschaften. Den gesunden Menschenverstand haben Sie auch nicht alleine gepachtet.

(Beifall bei der CDU)