Rosemarie Raab

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Herr Präsident! Frau Abgeordnete Goetsch, der Senat ist mit dieser Frage noch nicht befaßt worden.Da das aber in Kürze geschehen wird, gehe ich davon aus, daß die Bürgerschaft die Ersuchensantwort im April erhalten wird.
Herr von Beust, ich glaube nicht, daß ich Ihren Wunsch, auch wenn er nachvollziehbar ist, auf die Sekunde erfülle,
aber ich werde mich bemühen. Den guten Willen sollten Sie anerkennen.
Meine Damen und Herren! „Wie effizient ist unser Bildungssystem?“ hat die CDU gefragt. Um das herauszufinden, startet in diesen Wochen – Herr Frank hat das schon erwähnt – das Programm „Programme For International Student Assessment“ – kurz PISA – in 32 Staaten der Welt. Es ist das umfassendste und sorgfältigst vorbereitete Forschungsvorhaben zur Erhebung von Leistungsindikatoren, das je in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wurde. Diese Sorgfalt kann ich nicht erkennen, wenn die CDU die Frage der Effizienz eines Bildungswesens daran messen will, wie Green Card oder Anmeldezahlen sich dazu verhalten. Das sind zwei Themen, die zur Zeit debattiert werden. Sie sind aber gewiß keine Leistungsindikatoren für das Bildungswesen.
Was sagt das Anmeldeverhalten der Eltern über unser Bildungswesen aus? Zunächst einmal ist festzustellen – ich möchte Herrn de Lorent ausdrücklich widersprechen –, die Eltern verhalten sich absolut vernünftig, wenn fast drei Viertel für ihre Kinder eine Schulform wählen, die zum Abitur führt.
Rational ist es in zweierlei Hinsicht: Zum einen reagieren sie auf die gestiegenen Anforderungen in der Berufs- und Arbeitswelt, die in den nächsten zehn Jahren noch einmal gewaltig steigen werden. Zum anderen nehmen sie den gesetzlichen Auftrag der Schulen ernst. Sie vertrauen darauf, daß unsere Schulen – einerlei welcher Schulform – ihre Kinder bestmöglich fördern.
Wir haben in Hamburg nach dem Willen des Gesetzgebers ein Schulsystem, das auf Förderung setzt, auf das Begaben von Kindern, und auf keines, das Begabung schon voraussetzt. Wir haben ein Schulsystem, das eine maximale Bildungsbeteiligung anstrebt. Wir haben kein Auslesesystem, das Kinder frühestmöglich nach Begabung sortiert, und das aus gutem Grund.
Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist darauf angewiesen, daß die Bildungsbeteiligung weiter erhöht wird. Vielleicht ist einigen von Ihnen noch der SPD-Slogan aus dem Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre bekannt:
„Schick Dein Kind länger auf bessere Schulen.“
Dieser Slogan gilt auch heute noch, und zwar auch wegen des erhöhten Qualifikationsbedarfs und wegen der Chancen, die Kinder und Jugendliche haben – bezogen auf ihre
weitere berufliche Laufbahn –, wenn sie Qualifikationen im Schulsystem erwerben. Auch heute ist erkennbar, daß die Qualifikationsanforderungen wachsen. Es gibt mehr Anforderungen an Grundqualifikationen, Lesekompetenz, Fremdsprachenbeherrschung, Sozialkompetenz, Medienkompetenz, Problemlösefähigkeit. Daß unsere Schulen aber diese Entwicklungen nicht verschlafen, sondern die veränderten Anforderungen schon lange als Herausforderung angenommen haben, spiegelt sich in ihren pädagogischen Schwerpunktsetzungen wider, mit denen sie zugleich auf die spezifischen Merkmale ihrer Schülerschaften reagieren.
Als Beispiel sei nur erwähnt, mit welchem Engagement die Schulen die neuen Medien im Unterricht Eingang finden lassen. Es ist schon angebracht, noch einmal deutlich zu betonen, daß Hamburg den anderen Bundesländern nicht nur in der Ausstattung der Schulen – im Internetbereich, im Internetzugang, im Intranet – zwei Jahre voraus ist, sondern auch in der Fortbildung und in der Beratung. Auch mit der Einrichtung des Landesmedienzentrums, mit einer Projektagentur, die allen Schulen Hilfe und Unterstützung gibt, mit der Ausbildung von Multiplikatoren im Medienbereich, mit der Bereitstellung von Etats für jede Schule, sich Fortbildung einkaufen zu können, ist Hamburg Spitze.
Hamburgs Eltern verhalten sich absolut vernünftig. Sie setzen auf die pädagogische Leistungsfähigkeit unserer Schulen. Wenn die Lernausgangslagenuntersuchung allen Schulformen hohe Förderungserfolge bei den leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern bescheinigt, wenn sie außerdem zeigt, daß der Lernzuwachs in den Klassen 5 und 6 alle bisher in der Forschung berichteten Fördererfolge übertrifft, dann ist zunächst festzuhalten, daß unsere Schulen ihren Bildungsauftrag mit hoher Verantwortung wahrnehmen.
Daß es viel einfacher wäre, die Kinder zu sortieren, statt die unterrichtlichen Anforderungen zu differenzieren, versteht sich, aber das ginge, wie wir ebenso hinlänglich wissen, zu Lasten der Bildungsbeteiligung. Wer Sortieren statt Qualifizieren will, der soll das klar und deutlich benennen. Dann ist es konsequent, wenn das Elternwahlrecht abgeschafft wird, dann ist es konsequent, die Schulabschlüsse zu quotieren, und dann ist es ebenso konsequent, den Bildungsauftrag der Schulen zurückzunehmen.
Wer glaubt, anhand des Notenschnitts oder der Ergebnisse einer Aufnahmeprüfung bereits zu Beginn der Klasse 5 hinreichend sicher feststellen zu können, über welches Entwicklungspotential das einzelne Kind verfügt, der geht fahrlässig mit den Zukunftschancen unserer Kinder um.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine Untersuchung aus dem Jahre 1994 verweisen, die das MaxPlanck-Institut für Bildungsforschung in Hamburg durchgeführt hat. Damals hat jeder dritte Gymnasiast der Stichprobe das Gymnasium ohne Grundschulempfehlung besucht. Ich weiß nicht, Herr de Lorent, woher Sie Ihre Angaben über eine zunehmende Zahl von Gymnasialschülerinnen und -schülern ohne Grundschulempfehlung nehmen, aber 30 Prozent scheinen mir für 1994 schon eine beachtliche Zahl. Ich glaube nicht, daß die heute übertroffen wird. Immerhin waren von diesen 30 Prozent, die keine Gymnasialempfehlung hatten, im Laufe der Gymnasialzeit
wiederum 30 Prozent den Anforderungen des Gymnasiums gewachsen.
Von den Kindern mit Grundschulempfehlung waren 81 Prozent erfolgreich. Das bedeutet umgekehrt, daß bei jedem fünften Kind eine Fehleinschätzung seiner Lern- und Leistungsentwicklung seitens der Grundschule vorlag.
Wir haben – bezogen auf den Schulformwechsel und das Sitzenbleiben – ähnliche Ergebnisse. Auch hier zeigt sich, daß es nicht von den Noten abhängig ist, ob jemand die Schulen gewechselt oder ob er die Klasse wiederholt hat. Im Gegenteil. Die Schulformwechsler hatten die besseren Durchschnittsnoten. Die Vermutung aus der damaligen Untersuchung war, daß es die Bildungsaspiration der Eltern war, die entscheidend darüber bestimmt hat, ob ein Kind sitzenblieb oder die Schule wechselte. Auch die Lernausgangslagenuntersuchung hat deutlich gemacht, daß Kinder Alleinerziehender und Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien es immer noch schwerer haben, einen höheren Bildungsabschluß zu erwerben. Deshalb, meine Damen und Herren, hat es keinen Sinn, jetzt wieder zu den Instrumenten der sechziger und siebziger Jahre – Auslese durch Probewochen oder durch Noten – zurückzukehren. Dieses ist die Rückkehr zur Ausleseschule.
Meine Damen und Herren! Wir brauchen eine höhere Bildungsbeteiligung. Deswegen werden wir nicht zulassen, daß die Schulen in Hamburg zu Ausleseschulen werden.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon gesagt worden, die Gesamtbilanz ist – bezogen auf die allgemeinen Parameter – positiv. Wir haben einen Zuwachs an Ausbildungsplätzen. Die Ausbildungsplatzlücke ist geringer geworden, und das Auswahlangebot hat sich im Jahr 1999 gegenüber 1998 etwas verbessert. Dennoch hat es die vom Bundesverfassungsgericht vorgeschriebene Höhe von 112,5 Prozent noch nicht erreicht.
Ich will nicht darüber streiten, wer für die positive Bilanz verantwortlich ist. Aber eines muß ich doch sagen, Herr Drews. Wenn Sie meinen, daß die Leistung der Stadt im Ausbildungsbereich allein daran zu messen ist, wieviel die Stadt selbst ausbildet, dann liegen Sie falsch. Die Leistung der Stadt liegt vor allem in den vielen Förderprogrammen für Benachteiligte. Sie liegt vor allem in immensen finanziellen Leistungen, die wir in ein berufliches Schulwesen investieren, das Tausende von Jugendlichen teil- und vollqualifiziert, weil sie in der Wirtschaft keine entsprechenden Ausbildungsplätze finden.
A C
B D
Ich will auf das eingehen, was uns Sorgen macht und was hier schon genannt worden ist. Die Zahl der Auszubildenden aus dem Hamburger Umland hat 1999 noch einmal zugenommen; ebenso die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die berufliche Vollzeitschulen besuchen, obwohl die Zahl der Schulabgänger aus dem allgemeinbildenden Schulwesen abgenommen hat. Schließlich, Herr Grund hat es schon erwähnt, geht der Anteil der Auszubildenden ausländischer Herkunft seit 1995 zurück und ist im Jahre 1999 um 2,3 Prozent auf 9,3 Prozent gesunken, während der Anteil der ausländischen Jugendlichen an den Schulabgängern etwa doppelt so hoch ist. Diese Fakten könnten auf den ersten Blick als Anzeichen für einen weiter forcierten Verdrängungswettbewerb von Schulabgängern mit höheren Abschlüssen gegenüber solchen mit niedrigeren Abschlüssen bewertet werden. Vieles aber deutet darauf hin, daß wir eher von einem zunehmend gespaltenen Ausbildungsmarkt ausgehen müssen, der in seinen beiden Teilen kaum mehr Durchlässigkeit zeigt. Es gibt einerseits die anspruchsvollen Ausbildungsberufe im Dienstleistungs- und im IT-Bereich und zum Teil auch in den neugeordneten Handwerksberufen, die in aller Regel höhere Qualifikationen bei den Auszubildenden voraussetzen. In diesem Teilbereich des Ausbildungsmarkts gibt es einen Zuwachs an Ausbildungsplätzen, der sich in den kommenden zehn Jahren noch fortsetzen wird.
Nach den neuesten Untersuchungen, die die Prognos AG im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit zur Entwicklung des Tätigkeitsniveaus und Qualifikationsniveaus bis zum Jahre 2010 durchgeführt hat, werden die Ausbildungsmöglichkeiten im Dienstleistungsbereich in den nächsten zehn Jahren noch deutlich steigen.
Im Hinblick auf das Tätigkeitsniveau gewinnen Tätigkeiten auf mittlerem und insbesondere hohem Ausbildungsniveau weiter an Gewicht. Dementsprechend werden die Kombinationen mittlerer Schulabschluß plus Berufsausbildung sowie alle Qualifikationsstufen mit einer längeren Bildungszeit als Realschulabschluß plus Lehre an Bedeutung gewinnen. Den größten Zuwachs, so die Prognos AG, wird die Kombination Hochschulreife oder Fachhochschulreife plus Lehre haben. Auf der anderen Seite des Ausbildungsmarkts gibt es für Schulabsolventen mit Hauptschulabschluß oder ohne Hauptschulabschluß immer weniger Chancen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. So ist der Anteil der Auszubildenden im Bereich der Handwerkskammer Hamburg zwischen 1992 und 1998 von 40 Prozent auf 48 Prozent gestiegen. Hinsichtlich des Qualifikationsbedarfs im Jahr 2010 geht die Prognos AG entsprechend davon aus, daß es die ausgeprägtesten Veränderungen bei den Geringqualifizierten geben wird. Der Anteil der Erwerbstätigen mit Hauptschulabschluß ohne Berufsausbildung wird sich erneut vermindern. Auch die Kombination Hauptschule plus Lehre wird danach erheblich an Bedeutung verlieren. Dem entspricht ein starkes Schrumpfen der Tätigkeiten im produzierenden Gewerbe. Generell ist von einer deutlichen Abnahme der Zahl der Arbeitsplätze für Un- und Angelernte auszugehen. Die Wirtschaft selbst prognostiziert einen Abbau von Arbeitsplätzen für Minderqualifizierte um 40 Prozent.
Das Arbeitsvolumen wird künftig – sowohl insgesamt als auch insbesondere bei den einfachen Tätigkeiten mit hohem Automatisierungspotential – deutlich sinken. Alle Effekte wirken in die gleiche Richtung und verstärken sich wechselseitig, und zwar einseitig zu Lasten der Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für geringqualifizierte Schulabgänger. Diese hätten aber auch dann keine
Chance, in den oberen Sektor des Arbeitsmarkts zu gelangen, wenn die Zahl der Schulabgänger mit höheren Abschlüssen nicht ausreichen würde. Da die Qualifikationsvoraussetzungen dieser jungen Menschen für eine Ausbildung zum Beispiel im kaufmännischen Bereich, in dem das Wachstum an Ausbildung stattfindet, nicht ausreichen, kommen sie für die Betriebe als Bewerber überhaupt nicht in Frage. Eher orientieren sich die Betriebe bei der Suche nach Auszubildenden überregional, oder sie besetzen Ausbildungsplätze gar nicht, so daß sie mit Jugendlichen ohne die erforderlichen Eingangsvoraussetzungen auch keine Ausbildungsverträge abschließen. Aber genau dies ist das Merkmal eines gespaltenen Ausbildungsmarkts, der sich auch nicht entlasten und verändern wird, wenn die Marktlage es hergäbe. Insofern, Herr Drews, drückt sich bei dem steigenden Anteil von Auszubildenden aus dem Umland kein Verdrängungswettbewerb zwischen Hamburger Schülerinnen und Schülern und denen aus dem Umland aus, der sich an schulischen Leistungen festmachen ließe, sondern hier findet die Tatsache ihren Niederschlag, daß es in Hamburg mehr Ausbildungsplätze für höherqualifizierte Schulabgänger gibt als Hamburger Schulabsolventen mit entsprechenden Abschlüssen und einem Interesse an einer dualen Ausbildung. Umgekehrt gibt es zu wenig Ausbildungsplätze für geringer qualifizierte Schulabgänger. Probleme auf dem Ausbildungsmarkt haben also entsprechend auch nicht die Abiturienten und guten Realschüler, sondern die Hauptschüler und die Jugendlichen ohne Abschluß.
Für sie gilt es, nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit sowohl Lösungen im Beschäftigungssektor als auch im Ausbildungsbereich zu finden. Es müssen neue Tätigkeitsfelder und Ausbildungsmöglichkeiten erschlossen werden, wenn nicht eine große Gruppe von Jugendlichen künftig überhaupt von einer beruflichen Perspektive mit allen Folgen für deren soziale Integration ausgeschlossen werden sollen.
Zu den Benachteiligten auf dem Ausbildungsmarkt gehören insbesondere die ausländischen Jugendlichen, die einen eindeutig überproportionalen Anteil an Schulabgängern ohne und mit Hauptschulabschluß ausmachen. Als Teilgruppe auf dem Ausbildungsmarkt haben die jungen Frauen dagegen weniger Schwierigkeiten. Nach wie vor erreichen häufiger mehr Mädchen als Jungen die höheren Schulabschlüsse. Sie haben deshalb insgesamt bessere Möglichkeiten auf dem Ausbildungsmarkt. Bezieht man die vollqualifizierenden Ausbildungsgänge der beruflichen Schulen mit ein, liegt der Anteil junger Frauen bei der beruflichen Erstausbildung über ihrem Bevölkerungsanteil. Umgekehrt liegt der Frauenanteil bei den arbeitslosen Jugendlichen deutlich unter ihrem Anteil an der Bevölkerung.
Auch wenn das Berufswahlverhalten junger Frauen als zu eingeschränkt erscheint, erweist es sich bei genauerer Betrachtung als durchaus rational. Junge Frauen entscheiden sich bundesweit vor allem für Berufe im Dienstleistungsbereich, beispielsweise als Büro-, Bank- und Versicherungskauffrau sowie als Kauffrau im Groß- und Außenhandel. Insoweit verhalten sie sich marktkonform, als gerade in diesen Bereichen der Zuwachs an Ausbildungsplätzen stattfindet. Das gilt im übrigen auch für einen Teil der neuen Medienberufe und die Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste, die Kauffrau für audivisuelle Medien wie die Mediengestalterin für Digital- und Printmedien. Hier liegen die Frauenanteile bei über 50 Prozent. Nach wie vor
sind junge Frauen dagegen in den Elektronik- und Informatikberufen im Medienbereich unterproportional vertreten.
Für junge Frauen wie für junge Männer gilt: Unterstützung bedürfen vor allem die Schülerinnen und Schüler mit geringem schulischen Qualifikationsniveau. Deshalb ist die Ausrichtung der Aktivitäten des Arbeitsamts, des Senats und der freien Träger auf diese Zielgruppen, sei es mit QUAS, HAP, mit der Jugendberufshilfe, mit der Einzelfallförderung oder mit der Produktionsschule und den berufsorientierenden Projekten, überaus konsequent. Die Fördermittel müssen auf die Problemgruppen des Ausbildungsmarktes konzentriert werden, und zwar so lange, bis die Wirtschaft auch ihre Verantwortung für diese Zielgruppen wahrnimmt.