Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Antrag der AfD sind Fragen aufgerufen, die keine einfachen oder wirklich schnellen Antworten zulassen, wenn man sie angemessen beantworten will.
Die Frage nach dem islamischen Religionsunterricht steht wirklich in einem größeren Zusammenhang, in einem integrationspolitischen, in einem verfassungsrechtlichen und in einem bildungspolitischen. Sie hat auch eine Geschichte, und an ihr hängen relativ viele Weichenstellungen für die Zukunft.
Vor diesem Hintergrund kann ich das geordnete Verfahren, das der Kultusminister gestartet hat, einfach auch nur loben. Ich glaube, es ist die richtige Weise, auf die Bedenken zu reagieren. Es wurden verschiedene Sichtweisen eingeholt, unterschiedliche Aspekte beleuchtet, es wurden nachvollziehbare Forderungen nach strukturellen und organisatorischen Reformen bei DITIB formuliert. Der Sachstand heute besagt, dass DITIB darauf reagiert hat, es aber die Aufforderung, wir haben es gerade gehört, zu Nachbesserungen gibt.
Es wäre gut und hilfreich, wir könnten dieses Thema auf dieser Sachebene bedenken und verhandeln. Ich fürchte, sehr verehrte Damen und Herren, und das stimmt mich besorgt, es schwingen doch ganz viele unterschiedliche Befindlichkeiten und Einschätzungen mit. Es wird etwas Mühe machen, das so zu sortieren, dass wir für Hessen eine wirklich gute Entscheidung finden. Keine gute Entscheidung wäre es, um das ganz deutlich zu sagen, dem Antrag der AfD-Fraktion zuzustimmen.
Schon der Antrag der AfD selbst offenbart so viele Missverständnisse, dass der Gesprächsbedarf offenbar ist.
Wenn man einen bekenntnisorientierten Islamunterricht, geleitet von Art. 7 Grundgesetz, will, wie in Punkt 5 formuliert, kann man nicht in Punkt 2 DITIB vorhalten, dass mit ihnen als Partner ein sunnitisches Kerncurriculum herauskommt. Das wäre so, wie wenn Sie beklagen würden, dass mit der evangelischen Kirche ein Kerncurriculum evangelischer Religion entstanden ist oder mit der katholischen Kirche ein katholisches. Das ist absurd.
Das, was Sie unter der Punkt 5 vorschlagen, ist dann eben genau kein bekenntnisorientierter Islamunterricht, das wäre konfessionsübergreifender Unterricht. Hier sind die Begrifflichkeiten unscharf und belegen mangelnde Fachkenntnis. Damit verrutscht alles, die Problembeschreibung und die Problemlösung.
Es sei außerdem an dieser Stelle daran erinnert, dass es den Versuch, organisatorisch einen Dachverband der Muslime in Hessen als Partner für einen verbandsübergreifenden Religionsunterricht zu bilden, mit der IRH, Islamische Religionsgemeinschaft Hessen, bereits gegeben hat. Er ist gescheitert. Hier ist nicht der Platz, das nachträglich einer Bewertung zu unterziehen, obwohl es spannend wäre.
Wenn Sie in Ihrem Antrag eine Verengung im Curriculum auf den sunnitischen Islam beklagen, dann empfehle ich Ihnen den Satz des Abschnitts 3 des Kerncurriculums unter dem Stichwort „Kompetenzorientierung“ zu lesen. Da heißt es:
Das Fach Islamische Religion zielt darauf, Unterschiede zu erkennen, Differenzen zu markieren und auszuhalten. In diesem Sinne setzen sich die Lernenden mit ihrer Verschiedenheit auseinander und begegnen sich in wechselseitigem Respekt und Toleranz.
Spätestens, wenn wir in die Begründung des Antrags schauen, wird deutlich, was geschieht, wenn die Entwicklungsgeschichte nicht mitbewertet wird. Dass DITIB-Imame aus der Türkei finanziert und geschickt wurden, das galt schon, als der Vertrag mit DITIB geschlossen wurde. Zur Klarstellung: Wir sprechen von Imamen und nicht von Lehrerinnen und Lehrern, die islamischen Religionsunterricht an Schulen unterrichten.
Ich bin seit über 20 Jahren im christlich-islamischen Dialog unterwegs. Ich beklage es seit über 20 Jahren, dass Imame nach drei oder fünf Jahren abgezogen werden. Das ist ein Integrations- und Dialoghindernis. Immer hat man es mit Menschen zu tun, die kaum Deutsch sprechen. Es ist auch für die Gemeinden das falsche Signal. Es ist aber unglaubwürdig, dieses Argument jetzt nachträglich anzuführen, um die Partnerschaft aufkündigen zu wollen. Da stimmt etwas nicht.
Die Anbindung an das Amt für religiöse Angelegenheiten, Diyanet, war auch immer schon gegeben. Jetzt kommt der spannende Punkt: Das ist jetzt durch die politische Situation in der Türkei eine problematische Zuspitzung. Ich wäre der Letzte, der das bestreiten will. Die politische Situation in der Türkei ist so besorgniserregend, die Menschenrechtsverletzungen sind so wenig akzeptabel, und es ist richtig und wichtig, dass wir den Blick schärfen, welche Konsequenzen das bei DITIB hat und damit auch für uns. DITIB wird vor diesem Hintergrund kritisch wahrgenommen, und das hat sein Recht.
Auch im interreligiösen Gespräch, wenn ich Ihnen das erzählen darf, ist eine neue Zurückhaltung von beiden Seiten zu spüren, die mich aber auch schmerzt, weil auf der konkreten Ebene vor Ort mit den Menschen in den Vereinen
eine Beziehung besteht, die über 20 Jahre gewachsen ist und die es zu bewahren gilt, weil es ein integrationspolitischer Erfolg ist, dass wir miteinander im Gespräch sind.
Ob also der Abbruch der diplomatischen Beziehungen – so nenne ich das einmal – zu DITIB als bildungspolitischem Partner zu diesem Zeitpunkt die richtige Antwort ist, ist eine wirklich offene Frage. Hier hoffe ich auf ein sorgfältiges Abwägen der Landesregierung.
Herr Minister, das ist mehr, als Forderungskataloge zu verschicken. Mir klang das eben ein bisschen wie: „Wir kriegen das noch rechtssicher hin“. Ich finde, man ist mit einem Partner losgezogen, und ich würde mir in dieser Phase immer noch ein partnerschaftliches Krisenmanagement wünschen. Das bräuchte Gespräche, Erläuterungen, gemeinsame Lösungsstrategien, wenn es mehr sein soll als die rechtliche Absicherung, irgendwann gut begründet aus der Nummer herauszukommen.
Ja, es braucht Klärung, und die Beendigung der Partnerschaft muss bei ergebnisoffener Prüfung auch eine Option sein. Aber ich hoffe sehr darauf, dass die Sorgfalt, die dem Gutachten zugrunde liegt, in den weiteren Bewertungen beibehalten wird. Im Gutachten heißt es nämlich auch – ich bitte, jetzt zuzuhören –:
Nach ungewöhnlich intensiver interner Prüfung liegen keinerlei Hinweise darauf vor, dass seitens der Lehrkräfte bzw. durch Einflussnahme von DITIB Hessen, DITIB Köln oder der türkischen Auslandsvertretungen in Hessen und Deutschland politische Inhalte verbreitet oder türkische Staatsinteressen vertreten wurden. …
Im Rahmen der vorliegenden Begutachtung haben sich keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass sich Lehrkräfte und die anderen an der Einrichtung und Durchführung des islamischen Religionsunterrichts beteiligten Organisationen und Personen nicht rechtstreu verhalten haben oder verhalten.
Wenn wir also berechtigte Kritik an einer Organisationsstruktur und den damit verbundenen Abhängigkeiten haben, sollten wir bei der Risikoabwägung auch berücksichtigen, was auf dem Spiel steht.
Wir haben mit DITIB und Ahmadiyya als Partner in Hessen für ca. 3.200 Schülerinnen und Schüler an 56 Grundschulen einen Islamunterricht unter staatlicher Schulaufsicht aufgebaut, haben Lehrerinnen und Lehrer dafür ausgebildet, haben einen staatlichen Lehrplan, haben gute und anerkennende Rückmeldungen auf allen Ebenen bekommen, bei Eltern, Schulleitungen, Lehrenden, haben ein Gutachten, das bescheinigt, dass es auf der praktischen Ebene keine Gründe zur Beanstandung gibt. Das alles steht auch auf dem Spiel, und das ist viel; denn wir alle wollten dieses Thema aus der Privatheit der Hinterhöfe in das öffentliche Feld der Bildung holen.
Wir alle haben in der Akzeptanz bei den muslimischen Familien auch eine Integrationskomponente gesehen. Man
kann Zweifel anmelden, ob eine rein staatlich verantwortete Islamkunde das auch wird leisten können.
Auf das Ende einer Kooperation werden neue Fragen folgen. Auch das muss hier gesagt werden. Wie ist das verfassungsrechtlich zu bewerten, wenn rein staatlich verantwortete Islamkunde angeboten wird? Was bedeutet das für den Vertrag mit Ahmadiyya? Bleibt dieser Islamunterricht dann mit Alleinstellungsmerkmal bekenntnisorientiert angeboten? Das sind offene Fragen, die dann auf uns zukommen.
Sehr verehrte Damen und Herren, vielleicht darf es auch ein Aspekt in der Debatte sein, dass es gerade auf der Grundlage der Kooperation mit DITIB möglich und nötig wurde, anzusprechen, was dringend angesprochen werden musste. DITIB wird weiterhin ein bedeutender Verein bleiben, in dem sich zahlreiche muslimische Bürgerinnen und Bürger beheimaten. Da finde ich es gut und hilfreich, dass es auf der Seite von DITIB ein Interesse gibt, sich mit unseren Erwartungen auseinanderzusetzen – und ich sehe Bewegung. Die Hermeneutik des Verdachts, dass das alles nur geheuchelt ist, ist grundsätzlich kein guter Ratgeber in partnerschaftlichen Prozessen.
Verehrte Damen und Herren, man könnte am Ende versucht sein, aus all den Komplikationen den Schluss zu ziehen, dass das mit den Religionsgemeinschaften an Schulen zu kompliziert ist und man es ganz einfach lassen sollte. Es sprengt den Rahmen der heutigen Debatte, tiefer darauf einzugehen. Ich will es einmal in einer These verdichten.
Religion als Privatsache ist die elegante Variante zu Religion der Hinterhöfe, und das macht es nicht besser. Vielmehr sollten wir in einem aufgeklärten Land alle die Erwartung haben, dass Religion selbst auskunftsfähig wird, sich darstellen und erklären kann, sich in vernünftigen Diskurs begibt, wissenschaftliche Fragen zulässt, Antworten und Antwortgrenzen benennt, diskursfähig ist. Das ist mehr als private Befindlichkeit.
Genau das geschieht an unseren Schulen. Gäbe es diesen Religionsunterricht nicht – ich finde, wir müssten ihn in diesen Zeiten, die auf vielen Seiten zu Fundamentalismus neigen, geradezu erfinden. Auch das ist ein Aspekt, warum das mit dem islamischen Religionsunterricht in Hessen Erreichte so wertvoll ist und alle Anstrengungen wert ist, es zu erhalten.
Herr Minister, all das sage ich mit dem Respekt vor dem Verfahren, mit dem Sie geprüft und Nachbesserungsbedarf festgestellt haben. Ich weiß auch, dass die Zeit drängt, zu einer Entscheidung zu kommen, die aus genannten Gründen nicht einfach ist. Aber ich bitte Sie, die Abwägung nicht zu eng zu führen. Ich bitte Sie, dem Gedanken partnerschaftlicher Hilfestellung mehr Platz einzuräumen als dem Gedanken, reinen Tisch zu machen. Wir dürfen Transparenz über Ihre Entscheidungen und Beweggründe erwarten und können, glaube ich, in den Ausschüssen und Gremien alle Hilfe bei der Bewertung anbieten. Hier sollte keine Expertise des Parlaments liegen gelassen werden. Dafür geht es um zu viel,
Vielen Dank, Herr Abg. Becher. – Für die Freien Demokraten hat sich Herr Abg. Promny zu Wort gemeldet.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht begann in Kooperation mit DITIB Hessen und der Ahmadiyya-Gemeinde im Schuljahr 2013/2014. Unter der Verantwortung des damaligen Integrationsministers Jörg-Uwe Hahn und der Kultusministerinnen Dorothea Henzler und Nicola Beer führte Hessen als erstes Bundesland den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht gemäß Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes ein.
Vorausgegangen waren intensive Verhandlungen mit dem Ziel, eine verfassungskonforme Umsetzung eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts in Hessen zu realisieren. Mit dieser Konzeption wurde sichergestellt, dass der Unterricht als ordentliches Lehrfach durchgeführt wird. Es ist bei Vorrednern schon angeklungen, dass er nach einem einheitlichen Curriculum, in deutscher Sprache und durch staatliche Lehrkräfte durchgeführt wird.
Meine Damen und Herren, diese Kriterien sind für uns maßgeblich, weil sichergestellt sein muss, dass die Grundlagen des Kooperationsvertrags eingehalten werden. Aus diesem Grunde ist es auch wichtig, dass die Einhaltung überprüft wird und auch die Schulaufsicht ihre Aufgaben wahrnimmt. Die Freien Demokraten haben in den vergangenen Jahren den zögerlichen Kurs der Landesregierung diesbezüglich kritisiert, aber nicht, weil diese aus ideologischen oder politischen Gründen infrage gestellt wurde bzw. wird, sondern weil die Einhaltung der Kriterien zwingend notwendig ist, um den bekenntnisorientierten Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach anzubieten.
Hier trägt das Land Verantwortung für über 3.000 Schülerinnen und Schüler in den Jahrgängen 1 bis 6, in denen an dem bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht teilgenommen wird, und auch für die Lehrkräfte, die als hessische Lehrerinnen und Lehrer tätig sind. Die bisherige Verzögerungstaktik der Landesregierung ließ die nötige Ernsthaftigkeit vermissen und schaffte darüber hinaus auch Freiräume für Spekulationen und Gedankenspiele, die der ursprünglichen Zielsetzung zuwiderliefen.
Wir wollten mit dem Angebot die Integration stärken und die Kinder und Jugendlichen durch einen verfassungskonformen Unterricht davor bewahren, auf die sogenannten religiösen Lehren in diesen sogenannten Hinterhofmoscheen zu bauen.