Protocol of the Session on February 28, 2019

Selbst die schwarz-grüne Landesregierung hatte in der Antwort auf unsere Große Anfrage gesagt, dass es verbindlich vereinbarter Bemessungskriterien als Basis für eine adäquate Finanzierung in Hessen bedürfe und dass geeignete Instrumente zur Feststellung des Schutz- und Beratungsbedarfs seitens der Landesregierung entwickelt werden müssten. Das steht in der Antwort der schwarz-grünen Landesregierung auf unsere Anfrage, und das zeigt: Es gibt eine solche Datengrundlage nicht. An dieser Stelle ist bisher in Hessen nichts geschehen. Hier sehen wir dringenden Handlungs- und Nachbesserungsbedarf.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Momentan gibt es in Hessen 31 Frauenhäuser mit insgesamt 727 Frauenhausplätzen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, davon ausgenommen ist nach wie vor der Vogelsbergkreis. Wir haben eben nicht in allen Regionen in Hessen ein Frauenhaus – und das seit der „Operation düstere Zukunft“ 2003 mit dem sozialen Kahlschlag von Roland Koch.

Die Mittel, die jetzt Frauenhäusern bereitgestellt werden, reichen nicht, um in allen Landstrichen, wo Frauenhäuser weggefallen sind, wie im Vogelsbergkreis wieder neue Frauenhäuser aufzubauen. Auch hier sehen wir, dass die vorhandenen Mittel nicht ausreichen.

Die Landesregierung räumte in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage ein, dass Frauenhäuser in jüngster Zeit immer öfter berichteten, dass die passende Zahl an Frauenhausplätzen fehlt. Das ist also erkannt worden. Wir erwarten aber auch, dass Abhilfe geschaffen wird. Wir wissen, dass gerade im Rhein-Main-Gebiet, wo die Wohnraumsituation insgesamt angespannt ist – wir haben in dieser Plenarwoche bereits darüber diskutiert –, eine Wohnrauminitiative gestartet werden muss, um angesichts dieser Problematik Abhilfe zu schaffen.

(Beifall SPD)

Es gibt noch weitere Themen wie die Barrierefreiheit. Nach Angaben der Landesregierung sind die Einrichtungen überwiegend nicht ausreichend barrierefrei. Auch das hat die Landesregierung erkannt, aber fünf Jahre lang nicht gehandelt.

Frau Kollegin, ich muss Sie auf die Redezeit hinweisen.

Ich komme zum Schluss. – In diesem Bereich geht es um eine Gruppe, die besonders stark betroffen ist. Bei Frauen mit Behinderungen ist fast jede zweite Frau von Gewalt betroffen. Daher besteht an dieser Stelle ebenfalls dringender Handlungsbedarf.

Ich kann Sie nur alle dazu aufrufen, tatsächlich auf die spezifischen Notlagen besser einzugehen und endlich Abhilfe zu schaffen und deutlich zu machen, dass wir mit einem aktuellen Landesaktionsplan die Vorgaben der IstanbulKonvention endlich auch hier in Hessen umsetzen. – Danke schön.

(Beifall SPD)

Herzlichen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ravensburg für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, auch in Deutschland muss ein Viertel aller Frauen in Paarbeziehungen körperliche, psychische oder auch sexuelle Gewalt erleben. Es ist keineswegs zu vernachlässigen, dass auch Männer Opfer von Gewalt werden können. Besonders psychische Gewalt trifft Männer in Paarbeziehungen in Form von Bedrohungen, Beleidigungen oder Geringschätzung. Trotzdem sind es meist Frauen, die von verschiedensten Formen häuslicher

Gewalt betroffen sind. Das gilt besonders – da stimme ich Frau Gnadl zu – für Frauen mit Behinderungen. Leider werden allzu oft in solchen Fällen häuslicher Gewalt Kinder einbezogen.

Deshalb ist es richtig, dass Deutschland die Istanbul-Konvention, ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von häuslicher Gewalt, ratifiziert hat. Da sind wir uns einig.

Doch die Gewaltbekämpfung in Hessen hat nicht etwa damit begonnen, sondern bereits im Jahr 2006 haben wir in Hessen die Bekämpfung der häuslichen Gewalt auf sehr große Füße gestellt. Wir haben nämlich die Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt eingerichtet. Das Sozialministerium sowie das Innen- und Justizministerium arbeiten hierbei ganz eng zusammen. Diese Landeskoordinierungsstelle ist am Justizministerium angesiedelt. Herr Hahn, Sie wissen das sicherlich sehr genau. Dies wird vom Landespräventionsrat begleitet. Dieser bezieht alle wichtigen Institutionen in Hessen ein und entwickelt Maßnahmen auf der Grundlage des Aktionsplans zur Bekämpfung häuslicher Gewalt und auch anderer Aktionspläne. Ich will ausdrücklich den Aktionsplan gegen sexuelle Gewalt erwähnen. Herr Kollege Bocklet hat sich an dieser Stelle sehr eingesetzt. Zu erwähnen ist aber auch der Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt.

Ich füge hinzu, dass das nicht nur auf Landesebene ein wichtiges Thema ist. Ich bin sehr dankbar, dass sich auch auf kommunaler Ebene überall in Hessen runde Tische gegründet haben, die dieses Thema vor Ort gemeinsam mit der Polizei, mit Sozialämtern, mit den Institutionen und natürlich auch mit den Frauenhäusern zum Thema machen.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines will ich auch sagen: Die Bekämpfung häuslicher Gewalt – das ist vorhin sehr richtig erwähnt worden – ist kein Thema, mit dem sich nur die Landesregierung oder die Hilfsorganisationen auseinandersetzen sollten. Häusliche Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem und geht uns alle an. Das ist nicht etwa ein Kavaliersdelikt, wie es manchmal gesagt wird. Das ist schon gar keine private Angelegenheit. Nein, wir brauchen eine Kultur des Hinsehens, und das gilt für uns alle.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Opfer stark machen, sie unterstützen und sie aus der Gewaltspirale herausziehen. Das beginnt mit Prävention. Eltern sollten durch eine gewaltfreie Erziehung mit gutem Beispiel vorangehen. In den Schulen, aber auch zuvor in den Kindertagesstätten ist die Gewaltprävention mittlerweile ein sehr wichtiges Thema. Wir müssen uns dieses Themas so früh wie möglich annehmen. Das bedeutet aber auch, dass der Gesetzgeber gefragt ist.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle zwei wichtige Gesetzesinitiativen erwähnen, die zwar nicht mehr ganz neu sind, die uns aber bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt wesentlich vorangebracht haben.

Das ist zum einen das Gewaltschutzgesetz. Damit ist die Möglichkeit geschaffen worden, einen Platzverweis zu erteilen. Das heißt, dass Frauen, die von Gewalt betroffen sind, nicht mehr wie früher aus der Wohnung fliehen mussten, dann oft nicht wussten, wohin, und schließlich im Frauenhaus gelandet sind. Durch den Platzverweis können diese Frauen in ihrer eigenen Wohnung verbleiben, und die

Männer haben sich fernzuhalten. Das ist eine ganz wegweisende Neuerung.

(Vereinzelter Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist zum anderen das neue Sexualstrafrecht. Das Sexualstrafrecht zu erwähnen ist mir sehr wichtig. Ich glaube, da waren wir uns im Landtag auch alle einig. Nein heißt nein, und das ist wichtig.

(Vereinzelter Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD, Beifall Janine Wissler (DIE LINKE))

Das war ein ganz wichtiger Meilenstein zum Schutz vor sexueller Gewalt und für die sexuelle Selbstbestimmung. In Hessen haben wir in der vergangenen Legislaturperiode dafür gesorgt, dass die Interventionsstellen sowie die Notfall- und Beratungsstellen flächendeckend unterstützt werden. Mit dem Sozialbudget ist die finanzielle Förderung der Frauenhäuser verankert worden. Das war ein sehr wichtiger Schritt, den wir gegangen sind.

Jetzt haben wir, darauf aufbauend, gesagt, dass wir die Frauenhäuser weiter unterstützen wollen. An dieser Stelle gibt es ein Problem. Wenn Frauenhäuser Platzmangel haben, liegt das natürlich auch daran, dass wir einen so angespannten Wohnungsmarkt haben, dass uns Wohnungen fehlen, dass Frauen leider zu lange im Frauenhaus verweilen müssen. Deshalb müssen wir auch auf kommunaler Ebene alle Anstrengungen unternehmen, dass wir Schutzwohnungen für Frauen finden, die aus Frauenhäusern kommen.

(Vereinzelter Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch einen Satz zum Vogelsbergkreis sagen. Im Vogelsbergkreis wurde eine Kooperation mit Fulda geschlossen, um über Frauenhausplätze zu verfügen. Der Vogelsberg hat eben diese Schutzwohnungen. Dort gibt es eine enge Zusammenarbeit und auch einen runden Tisch. Die Polizei vor Ort weiß, wo solche Wohnungen zu finden sind, und unterstützt die Frauen dort.

Zu diesem Thema gehört auch die Täterarbeit. Das ist bisher hier noch nicht angesprochen worden. Täter sind oft Männer, die Angst haben, zum Täter zu werden. Sie suchen Hilfe. Es gibt aber auch Männer, die bereits gewalttätig waren. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Männer nicht zu Wiederholungstätern werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Beratungsstellen haben; denn Täterarbeit ist eine sehr wichtige Präventionsmaßnahme.

Im „Wegweiser für die Beratung von Männern mit Gewaltproblemen“ werden Therapieangebote und Anlaufstellen bekannt gegeben.

Jeder Mann, der nicht wieder gewalttätig wird, ist zugleich ein Schutz für mögliche Opfer und Kinder. – So wurde es einmal formuliert, und ich finde, das ist treffend formuliert.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wichtig ist: Wir müssen uns klarmachen, dass Frauen, wenn sie Gewalt erlebt haben und in einer Beziehung leben, oft Angst vor ihrem Partner haben und deshalb keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Der Mann könnte das erfahren; es könnte ja eine Anzeige erstattet werden. Deshalb ist es richtig, dass wir die Schutzambulanz in Fulda haben. Das ist erstens deshalb richtig, weil wir ein gerichtsfestes System für die Dokumentation häus

licher Gewalt brauchen. Häusliche Gewalt findet leider auch im Bereich der Pflege statt. Deshalb ist es wichtig, dass man sich auch diesem Thema widmet, sowohl bezüglich älterer Menschen als auch Behinderter.

Zweitens brauchen wir das Modellprojekt medizinische Versorgung nach einer Vergewaltigung; denn in diesem Rahmen können sich Frauen anonym an Kliniken wenden. Sie brauchen nicht zu fürchten, dass automatisch Anzeige erstattet wird. So können sie selbst entscheiden, ob sie eine Anzeige erstatten, wenn die Beweise gesichert sind, oder ob sie davon absehen – Hauptsache, sie bekommen erst einmal eine medizinische Versorgung. Mittlerweile haben wir in neun Landkreisen und Städten in Hessen Kliniken – vom Rhein-Main-Gebiet bis nach Waldeck-Frankenberg –, die sich an dem Projekt beteiligen. Wir wollen dieses Angebot flächendeckend auf ganz Hessen ausweiten.

Meine Damen und Herren, wir werden nicht nachlassen, alle Formen sexueller und häuslicher Gewalt weiter zu bekämpfen. Die Finanzierung dieses Vorhabens – das hat meine Kollegin Brünnel eben schon gesagt – haben wir im hessischen Sozialbudget verankert.

Der Landesaktionsplan ist die Grundlage, aber bei diesem Plan bleiben wir nicht stehen, sondern wir entwickeln Maßnahmen, um die Ziele der Istanbul-Konvention umzusetzen. Unsere Maßnahmen und Ziele haben wir in unserem Antrag dargestellt. Ich finde es gut, dass wir das Thema so wichtig fanden, dass wir es auch im Koalitionsvertrag umgesetzt haben. Ich bitte um Zustimmung für unseren Antrag.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Ravensburg. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatsminister Klose das Wort. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Geschätzter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Istanbul-Konvention, die Anlass der heutigen Debatte ist, bündelt vielfältige Impulse aus dem verbindlichen Völkerrecht und ist seit dem 1. Februar 2018 unmittelbar geltendes Recht in Deutschland. Die Konvention ist ein wirklich modernes Menschenrechtsabkommen. Ich glaube, sie bringt uns in der Sache wirklich voran.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Die Vorbeugung und Bekämpfung jeder Form von Gewalt, besonders auch geschlechtsspezifischer Gewalt, ist uns als Landesregierung besonders wichtig. Die Istanbul-Konvention macht dies auch zu unserer bürgerrechtlichen Verpflichtung.

Wir haben mit der Umsetzung bereits in der letzten Legislaturperiode begonnen, und wir werden dieses Engagement mit Nachdruck fortsetzen. So werden wir unsere Landesaktionspläne insgesamt evaluieren und weiterentwickeln. Wir haben außerdem spezifische Maßnahmen verabredet, beispielsweise den landesweiten Ausbau der medizinischen Soforthilfe nach einer Vergewaltigung, die Investivförderung für Frauenhäuser – die es in Hessen erstmals gibt – und die Reduzierung sprachlicher Zugangsbarrieren durch den Aufbau eines Dolmetscherdienstes.

Die Istanbul-Konvention beschränkt sich aber gerade nicht auf Gewalt im häuslichen Bereich. Sie umfasst in ihrem Art. 4 vielmehr das Verbot der Diskriminierung, insbesondere der Frauen. Sie stellt klar, dass Gewalt, ganz egal, in welcher Form sie auftritt, die Gleichstellung und Chancengleichheit der Geschlechter verhindert. Gewalt gegen Frauen kommt weiterhin auch in unserer Gesellschaft viel zu oft vor.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es muss uns deshalb erschüttern und noch viel mehr aufrütteln, dass die Gewalt gegen Frauen in Deutschland nach den neuesten Zahlen der bundesweiten Polizeilichen Kriminalstatistik zunimmt, und zwar im Delikt Partnergewalt. Das dürfen und werden wir als Landesregierung nicht hinnehmen.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit es an dieser Stelle deutlich gesagt wird: Niemand von uns toleriert Genitalverstümmelungen. Das ist eine verbrecherische Menschenrechtsverletzung. Deshalb haben wir in Hessen zusammen mit pro familia ein eigenes Projekt gegen Genitalverstümmelungen gestartet, und wir werden im Kampf gegen diese grausame Praxis nicht nachlassen.