Protocol of the Session on February 28, 2019

(Beifall Freie Demokraten)

Es darf nach unserer Auffassung nicht mehr sein, dass Fälle von häuslicher Gewalt, nachdem sie aufgedeckt wurden, nicht weiterverfolgt werden, weil es beispielsweise an Informationen und an der notwendigen Vernetzung zur Beratungsstelle mangelt. Schutz, Prävention und Vernetzung – das ist für uns der Dreiklang, der Erfolg verspricht.

Schutzräume müssen selbstverständlich in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, wenn – meist – Frauen Opfer häuslicher Gewalt geworden sind: Schutzräume mit der notwendigen Beratung und natürlich auch dem Angebot einer Vermittlung zur medizinischen Beweissicherung. Auch wir haben im letzten Jahr mit den Vertreterinnen der Frauenhäuser in Hessen gesprochen und wissen um die Überbelegung der Plätze und die Schwierigkeit, für Frauen mit Kindern bezahlbaren Wohnraum zu finden, damit die dringend benötigten Plätze wieder frei werden und neu besetzt werden können. Hier besteht in der Tat dringender Handlungsbedarf, der aber offensichtlich auch auf Koalitionsseite erkannt worden ist.

Der zweite Baustein ist für uns die Vernetzung. In unserem digitalen Zeitalter sollte es an der Vernetzung aller beteiligten Akteure nicht mehr scheitern, um unnötige Klippen in der Versorgung umschiffen zu können.

(Beifall Freie Demokraten)

Der dritte, ganz wesentliche Baustein ist indes die Prävention. Wie auch im medizinischen Bereich kann eine gut durchdachte Prävention den Ausbruch von Krankheiten verhindern. Deshalb sollte man hier einen Schwerpunkt setzen. Gewaltfreie Konfliktlösungen sind erlernbar, und wir sollten hier früh ansetzen. In den Kindertageseinrichtungen, in den Schulen und überall dort, wo sich Kinder in Gruppen oder Vereinen außerhalb von Kita und Schule be

wegen, wird bereits viel getan. Doch fehlt es an verbindlichen Vorgaben, um Prävention flächendeckend zum Erfolg zu verhelfen.

(Beifall Freie Demokraten)

Ich denke da auch insbesondere an die vielfältige Gewalt im digitalen Raum, an Cyber-Mobbing, an Cyber-Grooming und vieles mehr. Hier haben wir Freie Demokraten in der letzten Legislaturperiode eine Reihe von Forderungen aufgestellt, die über mehr Verbindlichkeiten in der Ausund Fortbildung von Lehrkräften, der Polizei und der Justiz zu einer Reduktion solcher Vorfälle führen sollten. Wir haben als Freie Demokraten dazu eine Fraktionsanhörung durchgeführt, weil wir die Gefahren und das Gewaltpotenzial in den digitalen Räumen für die Kinder und Jugendlichen in Hessen sehr wohl wahrgenommen haben und die Gefährlichkeit sowie den dringenden Handlungsbedarf gesehen haben.

(Beifall Freie Demokraten)

Es gibt so viele Stellschrauben, an denen man drehen und etwas verändern kann, um Gewalt im häuslichen wie auch im öffentlichen Bereich präventiv zu begegnen. Viele davon wirken sehr effektiv bei einem geringen Einsatz von finanziellen Mitteln.

Es ist nicht unbedingt hilfreich, wenn DIE LINKE, wie so oft, enorme Summen an Geld einfach großflächig über das Land verteilen möchte, um ihr Ziel zu erreichen. Wir Freie Demokraten hingegen machen uns immer auch Gedanken darüber, auf welche Weise wir mit begrenzten Finanzmitteln ein Problem lösen können, was dann vielleicht genauso effektiv oder eventuell sogar besser sein könnte. Deswegen können wir uns auch nur selten mit den linken Maximalforderungen anfreunden. Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag ab, auch wenn wir natürlich hinter den Zielen der Istanbul-Konvention stehen. – Vielen Dank.

(Beifall Freie Demokraten und Volker Richter (AfD))

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Knell. – Nächste Rednerin ist die fraktionslose Abg. Walter. Frau Walter hat 2:30 Minuten Zeit zur Verfügung. Bitte schön, Sie haben das Wort.

(Zuruf: Sie ist auch Frauenbeauftragte!)

Herr Präsident, liebe Kollegen! Als Frau begrüße ich, dass sich der Hessische Landtag für die Bekämpfung häuslicher Gewalt einsetzen möchte. Die Regierungskoalition hat sich mit einem Dringlichen Antrag der Forderung der LINKEN angeschlossen, die Istanbul-Konvention umzusetzen.

Leider wurde in beiden Anträgen ein sehr wichtiges Thema nicht benannt, nämlich die Verstümmelung weiblicher Genitalien, worauf sich Art. 38 der Istanbul-Konvention bezieht.

(Zuruf DIE LINKE: Haben Sie das denn gelesen?)

Ich habe das gelesen, danke. – Wie der Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD vom 24.11.2017 zu entnehmen ist, lag die Zahl der Verstümmelungen weiblicher Genitalien 2016 in Hessen bei 572 registrierten Fällen. Die wirklichen Fallzahlen dürften um ein Vielfaches höher liegen.

Wenn Eltern ihre minderjährigen Töchter zu einer Beschneidung zwingen, fällt dies sehr wohl in den Bereich der häuslichen Gewalt. Sie können dieses Thema also weder totschweigen noch aussparen. Seit Jahren existieren Parallelstrukturen in ganz Deutschland – offensichtlich auch in Hessen –, die die sogenannten Hinterhofbeschneidungen ermöglichen. Leider fällt der Nachweis schwer, da Beschneidungen fast nie zur Anzeige gebracht werden. Eltern und Beschneider decken sich stillschweigend gegenseitig. Häufig werden Mädchen zur Beschneidung in ihre Heimatländer verbracht, weil der Eingriff dort gängige Praxis ist. Der Begriff „Beschneidungsferien“ beschreibt diese von den eigenen Eltern organisierte Körperverletzung.

Bereits 2005 bestätigten befragte Frauenärzte, dass Beschneidungen auch in Deutschland durchgeführt werden. Viele Ärzte wollen sich zu diesem Thema nicht äußern, aus Angst vor den Konsequenzen, die aus einer Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht resultieren könnten. Seit 2013 stellt § 226a StGB die Verstümmelung weiblicher Genitalien unter Strafe. Trotzdem nimmt die Zahl der Betroffenen weiter zu. Die Organisation Terre des Femmes spricht von 65.000 betroffenen Frauen und 15.500 von Beschneidung bedrohten Mädchen in Deutschland. Das ist ein Anstieg um 12 bzw. 17 % im Vergleich zum Vorjahr.

Ich würde gerne sowohl von den LINKEN als auch von der Regierungskoalition wissen: Wie wollen Sie Mädchen vor Genitalverstümmelung schützen? Wie wollen Sie Frauen, die selbst beschnitten sind und ihre Töchter beschneiden lassen wollen, an diesem Vorhaben hindern? Wie wollen Sie auf uralte Traditionen, die so stark wirken, aber mit unseren Gesetzen unvereinbar sind, Einfluss nehmen? – In beiden Anträgen finde ich keine Antwort darauf.

Wie am 3. September 2018 in der Presse zu lesen war, fördert das Land Hessen ein Präventionsprojekt gegen weibliche Genitalverstümmelung mit 100.000 €. Fortbildungen und Informationsveranstaltungen sollen durchgeführt und Netzwerke geschaffen werden. Ich sage Ihnen: Das reicht nicht. Mit Ihren Maßnahmen werden Sie an die Parallelstrukturen in Deutschland, die ein massives Problem darstellen, nicht herankommen. – Vielen Dank.

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Walter. – Nächste Rednerin ist die Abg. Lisa Gnadl für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich eben der Rede der GRÜNEN-Abgeordneten Brünnel gefolgt bin, hatte ich den Eindruck, als ob SchwarzGrün nicht fünf Jahre in Hessen regiert hätte.

(Marius Weiß (SPD): Das stimmt!)

Wir hatten fünf Jahre lang eine schwarz-grüne Regierung, und ich muss sagen, in dem Bereich ist recht wenig passiert.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wenn Dinge wie die Istanbul-Konvention im Koalitionsvertrag stehen, ist das durchaus positiv. Das begleiten wir sicherlich konstruktiv. Wir werden an der Stelle nachhaken, welche Fortschritte Sie machen. Aber es ist nicht so, dass Sie die letzten fünf Jahre in diesem Bereich nichts hätten tun können.

(Beifall SPD und DIE LINKE – Zuruf BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Wir haben etwas gemacht!)

Ich habe mir in Vorbereitung auf die heutige Debatte noch einmal intensiv die Große Anfrage der SPD-Fraktion aus der letzten Legislaturperiode angeschaut, die im August 2018 im Sozialpolitischen Ausschuss behandelt wurde. Dort wurde die inhaltliche Debatte geführt. Allerdings musste ich auch feststellen, dass das ohne inhaltliche Auseinandersetzung und Beteiligung des damaligen Sozialministers Grüttner passiert ist.

Spannend war allerdings beim Nachlesen auch, dass alle parteiübergreifend der Auffassung waren, dass das Thema intensiv bearbeiten werden müsse. Frau Erfurth von den GRÜNEN sagte damals, insofern sei jeder Antrag willkommen, der zu einer Verbesserung der Situation beitrage. – Den Antrag hat die Fraktion DIE LINKE heute vorgelegt. Ich finde, es spricht eigentlich nichts dagegen, dem Antrag zuzustimmen, wie es Frau Erfurth im August 2018 noch gesagt hat.

(Beifall SPD und DIE LINKE – Jan Schalauske (DIE LINKE): Das erlaubt die CDU nicht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Gewalt gegen Frauen ist in der Tat ein Problem, das oft hinter verschlossenen Türen stattfindet – in den eigenen, vermeintlich sicheren vier Wänden.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, dass der überwiegende Teil der Täter – das sind rund 68 % – keinen Migrationshintergrund hat. Ich will an der Stelle nichts beschönigen oder verheimlichen in Bezug auf Themen wie Genitalverstümmelung. Aber ich finde, man sollte auch beachten, dass das im Bereich der häuslichen Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Problem

(Janine Wissler (DIE LINKE): Genau, ja!)

und kein Problem einer einzelnen gesellschaftlichen Gruppe ist.

(Beifall SPD, DIE LINKE und vereinzelt CDU)

Laut dem Bundesfamilienministerium waren 2017 mehr als 138.000 Personen von Gewalt in Paarbeziehungen betroffen. 82 % der Betroffenen sind Frauen. Insgesamt starben 147 Frauen durch sogenannte Partnerschaftsgewalt in Deutschland. Die Zahl der Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt steigt stetig an. Deswegen verschärft sich die Problematik im Hinblick auf die Frauenhausplätze. Wenn wir stetig steigende Zahlen in diesem Bereich haben, ist doch offensichtlich, dass bei diesen alarmierenden Zahlen endlich seitens der Landesregierung verstärkt gehandelt werden muss, was in den letzten Jahren aus unserer Sicht so nicht erfolgt ist.

Ein entscheidendes Problem ist, dass es zu wenige Frauenhausplätze und Schutzwohnungen gibt. Im September 2017 hatte die Frauenhauskoordinierung e. V. in einem offenen Brief die dramatische Situation in Deutschland geschildert. Sie kommt mancherorts faktisch einem Aufnahmestopp in Frauenhäusern gleich. Über Hessen stand in dem Schreiben:

In Hessen gibt es schon seit Wochen einen Notstand bei freien Frauenhausplätzen, schon seit März sind wir voll belegt. Wenn wir versuchen, eine Frau innerhalb von Hessen zu vermitteln, ist dies so gut wie nicht möglich. Wir haben in Baden-Württemberg, in Bayern und Nordrhein-Westfalen versucht, einen

Platz zu bekommen, ohne Erfolg. Für die Frauen und Kinder ist das eine Katastrophe und für uns eine große psychische Belastung, dass wir den Frauen und Kindern keinen Schutz anbieten können.

Ich habe in den letzten Jahren immer wieder viele Gespräche zusammen mit meinen Fraktionskolleginnen mit den Aktiven in den Frauenhäusern und in den Beratungseinrichtungen geführt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was da im offenen Brief geschildert wurde, ist weder neu noch veraltet. Das ist die derzeitige Situation in Hessen.

Deswegen finde ich es wichtig, dass Bundesfamilienministerin Giffey angesichts dieser bundesweiten Zahlen angekündigt hat, die Anzahl der Frauenhäuser mithilfe von Bundesmitteln auszubauen und mitzufinanzieren. Ich finde, dieses Engagement vonseiten der Bundesregierung ist ein wichtiges Signal auch für die Frauenhäuser hier in Hessen.

(Beifall SPD und Claudia Ravensburg (CDU))

Darauf kann sich diese Landesregierung nicht ausruhen. Wir müssen hier unsere eigenen Hausaufgaben machen. Wenn man sich den Landesaktionsplan gegen häusliche Gewalt anschaut, weiß man: Er ist nicht mehr aktuell. 2004 gab es den ersten, 2011 den zweiten. Mittlerweile gibt es die Istanbul-Konvention schon länger. Im Oktober 2017 hat die Bundesregierung sie unterschrieben und ratifiziert. Demzufolge sind alle staatlichen Organe verpflichtet, die Konvention umzusetzen. An der Stelle frage ich mich schon, warum seit Oktober 2017 hier in Hessen nichts passiert ist.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Genau, genau!)

Andere Bundesländer wie Baden-Württemberg oder Berlin sind ihrer Verpflichtung schon nachgekommen und haben ihre Aktionspläne erneuert bzw. neu aufgestellt. In Hessen warten wir noch darauf. Das findet sich zwar jetzt im Koalitionsvertrag, aber es ist seit 2017 nichts passiert. Sie haben Ihre Hausaufgaben an dieser Stelle nicht gemacht.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ein hessisches Problem ist, dass uns eine tatsächliche Datengrundlage fehlt, wie es hier wirklich aussieht – auch im Hinblick darauf, wie viele Personen oder sogar Familien an einem Frauenhaus oder einer Schutzwohnung abgewiesen werden mussten, wie viele weitervermittelt werden mussten und wo eine Weitervermittlung möglicherweise nicht funktioniert hat. All diese Daten fehlen uns hier in Hessen. Deswegen begrüßen wir auch diesen Teil im vorliegenden Antrag, dass wir endlich ein aktuelles Monitoring brauchen und dass diese Fragen einbezogen werden müssen.

Selbst die schwarz-grüne Landesregierung hatte in der Antwort auf unsere Große Anfrage gesagt, dass es verbindlich vereinbarter Bemessungskriterien als Basis für eine adäquate Finanzierung in Hessen bedürfe und dass geeignete Instrumente zur Feststellung des Schutz- und Beratungsbedarfs seitens der Landesregierung entwickelt werden müssten. Das steht in der Antwort der schwarz-grünen Landesregierung auf unsere Anfrage, und das zeigt: Es gibt eine solche Datengrundlage nicht. An dieser Stelle ist bisher in Hessen nichts geschehen. Hier sehen wir dringenden Handlungs- und Nachbesserungsbedarf.