Protocol of the Session on March 23, 2023

(Beifall DIE LINKE)

Die Kolleginnen und Kollegen pflegen unsere Angehörigen, sie sorgen für unsere Mobilität, wir vertrauen ihnen unsere Kinder an, sie reinigen die Straßen und entsorgen unseren Müll. Ihre Arbeit kommt uns allen tagtäglich zugute. Dafür haben sie eine faire Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen verdient. Ihre Arbeit ist systemrelevant.

(Beifall DIE LINKE)

Wissen Sie eigentlich, was Beschäftigte im öffentlichen Dienst verdienen? In den untersten Entgeltgruppen wird aktuell nur noch der gesetzliche Mindestlohn gezahlt. Beispielsweise liegt der Lohn von Busfahrern häufig nur

knapp darüber. Manche sind auf zwei Jobs oder auf Transferleistungen angewiesen. Manche Busfahrerinnen und Busfahrer haben so miese Arbeitsbedingungen, dass sie während ihrer Arbeitszeit nicht einmal zur Toilette gehen können. Ich finde, das ist eine Schande für den Staat, der bei der Entlohnung und bei den Arbeitsbedingungen eigentlich Vorbild sein sollte.

(Beifall DIE LINKE)

Als LINKE unterstützen wir die Forderungen der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften nach 10,5 % mehr Lohn – mindestens 500 € mehr – sowie 200 € mehr für die Auszubildenden. Preissteigerungen bei den Mieten, bei Energie, bei Lebensmitteln und die hohe Inflation lassen auch den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes immer weniger Lohn zum Leben übrig. Deshalb sind diese Forderungen nicht überzogen. Nein, sie sind mehr als berechtigt.

(Beifall DIE LINKE)

Für diese Forderungen gehen die Kolleginnen und Kollegen seit Wochen auf die Straße. Allein in Hessen haben sich in der letzten Zeit landauf, landab viele Tausende Beschäftigte an vielfältigen Warnstreikaktionen beteiligt. Was machen die Arbeitgeber in dieser Situation? Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber und Bundesinnenministerin Faeser bieten gerade einmal eine Erhöhung der Löhne um 5 % – bei einer Laufzeit von 27 Monaten. Das ist eine verdammt lange Laufzeit. Die erste Erhöhung, um 3 %, soll erst Ende 2023 kommen, die zweite Erhöhung, um 2 %, sogar erst Mitte 2024. Das bedeutet für die Beschäftigten doch nichts anderes als saftige Reallohnverluste in einer Zeit hoher Inflation.

(Beifall DIE LINKE)

Der Mindestbetrag, der gerade für die unteren Lohngruppen so wichtig ist, ist gar nicht vorgesehen, und Einmalzahlungen helfen doch gar nicht langfristig. Viele Beschäftigte empfinden dieses Angebot deshalb als Unverschämtheit und Frechheit. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Respekt und Anerkennung sehen wirklich anders aus.

(Beifall DIE LINKE)

In diesen Tagen wird in der Gesellschaft, aber auch im Hessischen Landtag, viel über Fachkräftemangel gesprochen. Im öffentlichen Dienst fehlt es überall an Personal: In den Krankenhäusern fehlen Pflegekräfte; Kindertagesstätten müssen die Öffnungszeiten verkürzen, wenn Erzieherinnen und Erzieher krank werden; in Städten, z. B. in Marburg, müssen Busfahrpläne ausgedünnt werden, wenn Busfahrerinnen und Busfahrer krank werden; und im Rhein-Main-Gebiet findet man überhaupt keine Busfahrerinnen und Busfahrer mehr. Jetzt rächt sich das, was wir als LINKE immer kritisiert haben: die viel gepriesene Vorstellung vom schlanken Staat. Privatisierung, Deregulierung, Lohnsenkungen und Personalabbau haben im öffentlichen Dienst ihre Spuren hinterlassen. Der deutsche Staat ist im Übrigen nicht schlank, er ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern schlichtweg unterbesetzt. Diese Idee des „schlanken Staates“ gehört deswegen in die Geschichte verwiesen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Gesellschaft braucht die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Sie streiken für uns alle, auch wenn mancher Streik im alltäglichen Leben für die Bevölkerung Einschränkungen bringt. Sie streiken für uns: für Kinder, für die Eltern,

für Fahrgäste in Bussen und Bahnen und auch für die Patientinnen und Patienten in den Gesundheitseinrichtungen.

Meine Damen und Herren, das Streikrecht ist ein Grundrecht. Deswegen weisen wir jegliche Forderung nach einer Einschränkung entschieden zurück. Das wäre ein Abbau von Demokratie.

(Beifall DIE LINKE)

Vonseiten der kommunalen Arbeitgeber ist nun zu hören: Wenn sie die Beschäftigten besser bezahlen müssten, würden sie die öffentliche Daseinsvorsorge nicht mehr finanzieren können. Deswegen will ich zum Schluss sagen: Nein, ich finde diese Darstellung falsch. Ich finde es falsch, die Dinge gegeneinander auszuspielen. Für dieses Problem gibt es eine Lösung. Das Land Hessen sollte die Kommunen finanziell besser ausstatten. Wenn wir die Superreichen und Spitzenverdiener gerechter besteuern würden, dann wäre auch genug Geld da, um die Beschäftigten vernünftig zu bezahlen.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Kollege Schalauske. – Jetzt spricht der Kollege Rüdiger Holschuh, SPD-Fraktion. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte für unsere Fraktion zu Beginn der Rede gleich klarstellen: Für uns ist die Tarifautonomie ein ganz hohes Gut. Eigentlich gehört diese Diskussion auch heute nicht in den Hessischen Landtag.

(Beifall SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Tarifautonomie bedeutet, dass beide Tarifpartner, die Gewerkschaften und die Arbeitgeber, den Tarifvertrag autonom, d. h. ohne dass jemand auf die Verhandlungen Einfluss nehmen darf, verhandeln und abschließen. Ver.di schreibt dazu auf ihrer Homepage:

Die Belastungen durch die hohe Inflation sind unbestreitbar – darauf braucht es jetzt Antworten.

So der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke.

Klar war und ist: Die Gewerkschaften wollen sich nicht von der Politik in die Tarifautonomie hineinreden lassen. Lohnverhandlungen sind nicht Sache der Politik.

(Beifall SPD – Axel Gerntke (DIE LINKE): Und was ist mit der konzertierten Aktion? – Elisabeth Kula (DIE LINKE): Doch!)

Meine Damen und Herren, wir haben es absehbar mit dauerhaft steigenden Preisen zu tun. Die müssen auch mit dauerhaft wirkenden Tariflöhnen ausgeglichen werden; alles andere führt unterm Strich zu Reallohnverlust. Dass ver.di deshalb in den aktuellen Tarifverhandlungen klar mit dem Ziel antritt, durch eine Tariflohnsteigerung die Preisentwicklung auszugleichen, hat unsere volle Zustimmung. Ver.di ist erfahren, klug und groß genug, um in den Verhandlungen für ihre Mitglieder genau das zu erreichen. Dazu braucht es nicht den Hessischen Landtag und schon gar nicht das Betteln der LINKEN um Stimmen.

(Beifall SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN – Jan Schalauske (DIE LINKE): Da hätte ich von Ihnen aber mehr erwartet! Wir betteln nirgendwo!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Hessische Landtag ist aber an anderer Stelle gefragt. Jan Schalauske ist ja am Ende seiner Rede noch einmal darauf eingegangen: Landauf, landab werden derzeit die Haushalte der Städte und Gemeinden sowie der Kreise beraten. Dort stecken eben die Gehälter der Beschäftigten drin. Die kommunale Familie muss aber ausreichend finanziert werden, damit die Mittel zur Verfügung stehen, um dieses Personal angemessen zu bezahlen.

(Beifall SPD)

Da hilft auch nicht das ständige Wiederholen der Mär, die Kommunen seien so finanzkräftig wie noch nie, wie wir sie heute Morgen schon bei der Diskussion über den ländlichen Raum gehört haben, sodass wir fast glauben könnten, dass wir es bei der Landesregierung mit Wahrnehmungsstörungen zu tun haben. Gerade in diesen Verhandlungen muss das wie Hohn klingen.

Der öffentliche Dienst steht in unglaublichem Wettbewerb um die Fachkräfte in unserem Land. 30 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand. Je größer der Mangel an Arbeitskräften in einem bestimmten Berufsfeld ist, desto weniger konkurrenzfähig ist der öffentliche Dienst aufgrund seiner niedrigen Bezüge. Dementsprechend müssten doch die Kommunen in die Lage versetzt werden, wettbewerbsfähige Löhne und Gehälter zu zahlen. Genau da kommen auch wieder die Landesregierung und die Landespolitik ins Spiel, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Rüdiger Holschuh (SPD): Ja, gerne!)

Auf gehts, Kollege Gerntke.

Herzlichen Dank. – Zum Thema Eingriff in die Tarifautonomie: Wenn auf Bundesebene der Bundeskanzler Gewerkschaften und Arbeitgeber einlädt und hinterher eine steuer- und sozialversicherungsfreie Prämie auslobt, um bestimmte Ergebnisse im Rahmen der Tarifverhandlungen zu erzielen, dann ist das für Sie kein Eingriff in die Tarifautonomie. Aber hier darüber zu sprechen, wie wir die Kommunen finanziell ausstatten, das halten Sie nicht für richtig.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist da jetzt die Frage?)

Was halten Sie davon? – Das ist hier die Frage, nicht wahr?

(Allgemeine Heiterkeit)

Danke schön, Herr Präsident, dass Sie noch die Kurve gekriegt haben.

Der Bundeskanzler und insbesondere die Verhandlungen im Bund sind hier nicht unser Thema,

(Beifall SPD – Elisabeth Kula (DIE LINKE): Oh! – Weitere Zurufe)

aber der kluge Ansatz an dieser Stelle, mit den Gewerkschaften auch so etwas zu diskutieren, ist vollkommen in Ordnung. Allerdings ist das kein Eingriff, sondern es ist eine Diskussion auf Augenhöhe. Was Sie machen, ist ja keine Diskussion, sondern Sie fordern einfach irgendwas aus der Politik heraus, und das ist eine ganz andere Voraussetzung.

(Beifall SPD)

Aber lassen Sie mich zum Thema zurückkommen, weil ich auch noch einige Beispiele anführen möchte, wie es im Moment in den Kommunalverwaltungen aussieht. Teilweise hat hier Jan Schalauske schon auf die Problematik hingewiesen, und da bin auch ganz bei Ihnen. Wenn man sieht, dass gerade in den Kindertagesstätten Notprogramme laufen: Wenn wir wieder mehr Leute in den Beruf bekommen wollen, wenn wir etwas gegen den Fachkräftemangel tun wollen, dann müssen wir auf der anderen Seite die Erzieherinnen und Erzieher so bezahlen, dass die Menschen auch finanziell den Anreiz haben, diesen Beruf zu ergreifen oder aus der Teilzeit zurückkehren, sodass es nicht zu Notbetreuungen kommen muss.

Aber wir haben auch in Ausländerbehörden ein Problem. Wenn wir Fachkräfte aus dem Ausland akquirieren wollen und die entsprechenden Ausländerbehörden personell nicht ausreichend besetzt sind, wie das derzeit landauf, landab der Fall ist, dann haben wir an dieser Stelle natürlich ein Problem. Wenn wir von oben immer mehr Aufgaben in die Verwaltungen durchgedrückt bekommen und das entsprechende Personal nicht ausreichend und ordnungsgemäß bezahlen können, dann haben wir auch da ein Problem.

Heute Morgen haben wir von der Ministerin in einer Aufzählung, bei der sie kaum noch zu Atem kam, gehört, wie viele Projekte laufen. Die Mittel für diese Projekte müssen von den Städten und Gemeinden beantragt werden. Diese Anträge müssen Menschen in den Verwaltungen stellen. Wenn sie eine Kommunalverwaltung mit lediglich zehn oder zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben, wer soll denn das dort machen? Wer soll denn am Ende die Verwendungsnachweise schreiben?

(Beifall SPD)