Protocol of the Session on December 15, 2016

Ich glaube, er bezweckt damit das, was man auch LINKEN gemeinhin unterstellt. Frau Wagenknecht könnte ich mit weiteren Zitaten belegen. Das wäre Ihnen dann peinlich. So viel Zeit habe ich jetzt aber nicht. Das kommt aber sicherlich noch.

Das ist der Versuch vieler in dieser Republik, auf eine große Verunsicherung in unserer Gesellschaft zu reagieren. Viele dieser Versuche sind nach meiner Auffassung völlig untauglich. Auch die Versuche von Herrn Gabriel sind untauglich.

(Beifall bei der CDU)

Schauen wir uns einmal die Wählerwanderungen der vergangenen Jahre an. Schauen wir uns einmal die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin an. Wir Demokraten müssen gemeinsam feststellen, dass es eine Wählerwanderung zur AfD

aus allen Lagern gibt, und zwar von GRÜNEN über LINKE, über die SPD bis hin zur CDU.

(Mürvet Öztürk (fraktionslos): Sie lenken vom Thema ab!)

Ich schlage vor, dass wir uns mit der Ursache dieser Wählerwanderung beschäftigen. Die Ursache ist – darauf sind Sie auf Ihrem eigenen Landesparteitag eingegangen, Herr Schäfer-Gümbel –, dass es zunehmend mehr Menschen gibt, die sagen: Die etablierten Parteien wähle ich nicht mehr, weil sie alle ein und dasselbe sind.

Deswegen haben Sie völlig zu Recht auf Ihrem Parteitag gefordert, dass Parteien klare Profile und Kante zeigen müssen. Wenn Sie das völlig zu Recht feststellen, dann wundere ich mich über manchen Debattenbeitrag hier im Landtag, wenn es um genau diese Frage geht.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Was ist denn jetzt die klare Kante?)

Über die Qualität der Auseinandersetzung können wir ja streiten. Ich rede über Herrn Irmer. Ich rede über Wahlkämpfe. Ich rede auch über zukünftige Wahlkämpfe. Ich rede übrigens auch über Parteitage. Wenn wir nach draußen die Botschaft senden, dass Parteien noch nicht einmal auf Parteitagen mit Mehrheit Beschlüsse fassen können,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ich will nur wissen, wo Sie stehen!)

die auf rechtsstaatlichem Grund stehen, wie es der Ministerpräsident vorhin am Beispiel des von Ihnen aufgerufenen Themas angesprochen hat, wenn wir den Menschen sagen, dass solche Beschlüsse nicht mehr gefasst werden dürfen, wohin sind wir dann in dieser Parteiendemokratie gekommen, wenn wir das kritisieren, was im ureigenen Interesse aller Demokraten sein muss?

(Beifall bei der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, genau das dürfen wir nicht machen. Ich sage sehr deutlich: Es wird und es muss auch zukünftig Wahlkämpfe geben, in denen Tacheles geredet wird.

(Zurufe von der SPD: Ha, ha, ha!)

Ich bin doch schon bei Ihnen, Frau Faeser. Bleiben Sie doch ganz ruhig.

Ich bin vorhin bemüht worden als jemand, der als Generalsekretär für den einen oder anderen Text zuständig war. Das kann man kritisieren. Mir ist manches unterstellt worden, was ich als unverschämt erachte. Das lassen wir jetzt aber einmal weg. Ich habe hier auch im Zusammenhang mit anderen Themen schon mehrfach gesagt: Ja, in Wahlkämpfen wird zugespitzt. Manchmal ist man auch einen Tick über dem, was man drei Wochen später auf das gleiche Plakat schreiben würde.

(Nancy Faeser (SPD): Aber nicht zulasten von Menschen!)

Ich entschuldige mich nicht ausdrücklich dafür, sondern ich sage nur, dass das möglich sein muss. Es ist menschlich und auch politisch zu rechtfertigen, dass man in Wahlkämpfen zuspitzt, eine klare Meinung hat und sich auch klar zu dieser Meinung positioniert.

Lassen Sie uns aufhören, hier einen einsamen gemeinsamen politischen Brei zu rühren, der nur dazu führt, dass sich Menschen von dieser Parteiendemokratie abwenden.

Ich sage noch einmal und komme damit zum Schluss: Es gibt Grenzen. Ich sage für mich und für die hessische und für die Bundes-CDU: Auch auf dem Parteitag haben wir alle diese Grenzen eingehalten. Das wird auch zukünftig so sein. Da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Die CDU und die CSU werden aber auch in dem anstehenden Bundestagswahlkampf sagen, wozu sie stehen. Das halte ich für geboten, und das rate ich Ihnen gleichermaßen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Kollege Schaus, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Beitrag des Ministerpräsidenten, den wir hier heute erlebt haben, würde ich klassischerweise als eine Angriffsverteidigung bezeichnen. Diese Angriffsverteidigung ist in zwei Funktionen zu unterteilen, weil Sie, Herr Ministerpräsident, in Ihrer Rede sehr fein säuberlich unterschieden haben zwischen Ihren Äußerungen als Ministerpräsident und Ihren Äußerungen als CDU-Landesvorsitzender.

Es geht aber nicht an, uns und der Öffentlichkeit weiszumachen, Sie wären zwei Personen. Sie sind Volker Bouffier. Insofern gilt das, was Sie hier sagen, auf jeden Fall für beide Funktionen, also für Sie als Ministerpräsident und auch für Sie als CDU-Landesvorsitzender. Bei beiden Funktionen nehmen wir Sie in die Pflicht und beim Wort.

Herr Ministerpräsident, in Richtung Opposition haben Sie eine sorgfältige Sprache angemahnt. Das fand ich schon sehr bemerkenswert. Gleichzeitig haben Sie davon gesprochen, dass die Opposition Herrn Irmer ausgrenzen würde, wenn ihr nichts mehr einfalle. Es ist also offenbar die Position der CDU, dass wir Herrn Irmer ausgrenzen. Sie reden offenbar nicht mit Herrn Irmer über sein Pamphlet und über seine ausländerfeindliche Hetze, die monatlich im „Wetzlar Kurier“ stattfindet.

(Zurufe von der CDU)

Eigentlich wäre es Ihre Aufgabe, das anzusprechen. Nun tun wir das. Insofern ist doch klar, welche Doppelstrategie hier gefahren wird. Auf der einen Seite ist er der väterliche Ministerpräsident, der vorgibt, bei allen eine sorgfältige Sprache anzumahnen; aber auf der anderen Seite lässt er die Kleingeister in der eigenen Partei den rechten Rand bedienen. Das erleben wir doch seit Jahr und Tag, aber nicht nur durch Herrn Irmer und durch Frau Steinbach, sondern jetzt auch durch Herrn Willsch und die Anbiederung an die AfD als jüngstes Moment dieser parteipolitischen Strategie.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Dr. Daniela Sommer (SPD))

Herr Ministerpräsident und Herr Landesvorsitzender der CDU, meine Damen und Herren von der CDU, der Beschluss Ihres Bundesparteitags, der sicherlich außerhalb der Regie gefallen ist, drückt die Geisteshaltung der Mehr

heit der CDU aus. Das fällt natürlich zurück auf Hessen, wo diese Doppelpass-Diskussion ihren Anfang genommen hat in den Jahren 1998 und 1999, als hier Landtagswahlen stattfanden. Insofern sind Sie als Urheber auch verantwortlich für das, was da passiert. Dieser Verantwortung können Sie sich auch nicht entziehen.

Meine Damen und Herren, ich finde, dass es nicht angeht, dass Sie in Ihrer Doppelfunktion, Herr Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzender Bouffier, den Sittenwächter – da will einmal Ihren eigenen Begriff verwenden – geben, wenn es sogar Ihre Strategie ist, den rechten Rand entsprechend zu bedienen.

(Zuruf von der CDU: Sagen Sie doch auch etwas zum linken Rand!)

Meine Damen und Herren, es ist schon darauf hingewiesen worden, dass diese Kampagne im Wahlkampf 2008 mit einer weiteren Diffamierung fortgesetzt wurde: „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen!“, was ja ganz zweifelsohne nichts anderes war, als eine klare Anspielung und Ausgrenzung von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern in Hessen.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist eine Unverschämtheit! – Gegenruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich wiederhole es gerne noch einmal. Es war nichts anderes als der Versuch, im Wahlkampf mit der Ausgrenzung von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern Gelände zu gewinnen: So führen Sie in Hessen Wahlkampf.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Das haben Sie 1999 getan, das haben Sie 2008 getan, und Sie werden das auch weiter tun. Dafür sind die Irmers, die Steinbachs und die Willschs nur diejenigen, die den Vorreiter dafür geben, damit Sie sich einen bürgerlichen Deckmantel geben können, aber im Hintergrund sozusagen andere die Drecksarbeit machen lassen. – Das ist das Thema hier.

(Zuruf von der CDU: Das ist eine Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der CDU)

Das alles steckt in diesem Doppelpass-Beschluss des Bundesparteitags der CDU drin. Da können Sie sich nicht aus der Verantwortung herausziehen.

(Beifall der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) – Holger Bellino (CDU): Unglaublich!)

Wir als LINKE haben im Kommunalwahlkampf ein Plakat herausgegeben – das im Übrigen auch prämiert wurde, und damit will ich auch schließen –, auf dem stand: „Flüchtlingen helfen. Rassismus bekämpfen. Kriegsursachen beseitigen.“ – Das ist unsere Ansage, auch gegenüber unseren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Diese steht in der Tat im Gegensatz zu dem, was Sie tagtäglich tun und was Sie tagtäglich sagen.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Was ist denn mit Ihrer Frau Wagenknecht?)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Wagner, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Anlass für diese Debatte ist der Beschluss des CDU-Parteitags zur Optionspflicht in Bezug auf den Doppelpass. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass, als ich die Nachricht von diesem Parteitag gehört habe, meine erste Reaktion war: nicht schon wieder. – Das war meine erste Reaktion, weil wir in Hessen Erfahrung haben, wenn das Thema doppelte Staatsbürgerschaft und eine Kampagne gegen den Doppelpass Gegenstand des Wahlkampfes wird. Deswegen war meine Reaktion: nicht schon wieder.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Die Kampagne 1999 hat tiefe Wunden in unserem Land geschlagen. Sie hat – und ich hoffe, darin sind sich alle einig – nicht zur Integration beigetragen, sondern zur Spaltung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Ich habe nichts von damals vergessen. Ich weiß auch, wie meine Partei zu diesem Thema steht, und zwar unverändert seit 1999: Wir sagen Ja zur doppelten Staatsbürgerschaft, zur Mehrstaatigkeit, weil der deutsche Pass für uns Ausdruck gelungener Integration ist und wir niemanden zwingen wollen, seinen bisherigen Pass abzugeben, der mit dem deutschen Pass zum Ausdruck bringt, dass er sich zu unserem Land bekennt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

„Hier geboren, hier zu Hause“, das war das Wahlplakat der GRÜNEN zur Bundestagswahl 1998 und auch in vielen anderen Wahlkämpfen. Wir waren sehr froh, dass es uns gelungen ist, in der rot-grünen Koalition auf Bundesebene zu vereinbaren, dass der Doppelpass geht. Es hat uns wehgetan, einen Kompromiss eingehen zu müssen, nach dem es im Alter zwischen 18 und 23 Jahren diese Optionspflicht geben würde. Es hat uns wehgetan, aber wir sind diesen Kompromiss eingegangen, weil es uns unserem Ziel, die Doppelstaatigkeit zu ermöglichen und das Prinzip „Hier geboren, hier zu Hause“ zu verwirklichen, ein gutes Stück näher gebracht hat.