Wenn ich den ersten Antrag lese, der uns für diese Debatte vorgelegt wurde, und ihn nicht nur lese, sondern – das Wort gebrauche ich hier gerne – eine ordentliche Exegese dieses Textes mache, dann stelle ich fest – ich glaube, die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE sehen das auch so –, dass es demnach überhaupt keine Abschiebungen geben soll.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, das ist nicht unsere Position – nicht deshalb, weil wir es toll finden würden, Menschen abzuschieben. Dazu hat Kollege Merz in der Kurzintervention schon deutlich etwas gesagt. Vielmehr tut es in der einen oder anderen Situation wirklich weh, das umzusetzen. Wer macht das schon gerne? Aber angesichts der Situation, in der wir leben, des Staates, in dem wir leben, und der Rechtsordnung, die wir haben, gibt es dazu keine Alternative.
Deshalb glauben wir, dass wir uns überhaupt keinen Gefallen damit tun – weder uns noch der Gesellschaft, noch denen, die einen Beitrag dazu leisten wollen, dass die Gesellschaft zusammenbleibt, aber erst recht nicht den Betroffenen. Wenn wir zu jedem Zeitpunkt alles und jedes diskutieren, in einen Topf werfen und glauben, damit Stimmung machen zu können, ist das nicht hilfreich – und schon gar nicht für die Betroffenen, um die es geht.
Deshalb haben wir uns in der Fraktion dazu entschieden, einen eigenen Antrag vorzulegen, der eine Konzentration auf eine bestimmte Frage innerhalb der Flüchtlingspolitik vornimmt. Mir ist aufgefallen, dass der Antrag der Koalition mit einer anderen Akzentuierung im Grunde den gleichen Weg gegangen ist. Unser Antrag hat die Überschrift „Abschiebungen nach Afghanistan“. Ich glaube, wir sollten auch bei diesem Thema – und nur bei diesem Thema – bleiben.
Dazu drei Punkte entlang unseres Antrags. Auch das ist vom Kollegen Merz kurz angesprochen worden. Wir beschreiben in Punkt 1 ganz bewusst, welche Verfahren wir haben und wie sorgsam wir mit diesen Verfahren umgehen, damit Punkt 3 am Ende nicht falsch verstanden wird. Es gibt viele Möglichkeiten, zu einer positiven Entscheidung zu kommen, die da heißt, dass jemand am Ende eines Asylverfahrens Anspruch auf Asyl, eine Anerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder eine Anerkennung auf subsidiären Schutz hat. Wenn das aber alles nicht geht und am Ende eine Ablehnung steht, dann gibt es genug Möglichkeiten – über eine Klage, aber auch parlamentarisch über den Petitionsausschuss, im Anschluss daran über das Härtefallverfahren –, diese Entscheidung immer wieder überprüfen zu lassen. Wer das wie ich so oft tut – ich bin jeden Tag mit diesen Fragen beschäftigt – und wer das mit so viel Leidenschaft macht – das darf ich sagen –, der kann nur schwer mit dem leben, was Sie, Frau Kollegin Faulhaber, heute hier von sich gegeben haben.
Wer um Menschen weiß, die wirklich deportiert worden sind – wenn ich mich nicht täusche, hatten wir in Deutschland ein paar davon –, der muss am Ende feststellen, dass
In einem zweiten Punkt unseres Antrags nehmen wir bewusst auf einen negativen Ausgang des Asylverfahrens Bezug, d. h. wenn es zu keinem positiven Ergebnis kommt. Wir nennen noch einmal all die Verfahrensschritte, die es dann gibt. Wir sagen zum guten Schluss, dass es oft keine andere Möglichkeit gibt als die Rückführung. Aber auch dann gilt es, noch einmal ganz genau darauf zu achten, nach welchen Kriterien das geschieht. Das haben wir gerade in der letzten Plenarrunde deutlich besprochen, als es um eine Abschiebung sozusagen aus der Schule heraus ging. Da sollten wir schon sehr genau aufpassen, was wir machen oder was wir nicht machen. Aber diese Kriterien müssen bekannt und vereinbart sein.
Eines dieser Kriterien – das ist dann der dritte Punkt in unserem Antrag – ist die Einschätzung der Sicherheitslage in dem betroffenen Land. Wir haben guten Grund, anzunehmen, dass dies für Afghanistan – nur darum geht es uns heute – nicht in vollem Umfang gegeben ist. Auch die Konferenz der Innenminister hat sich vor wenigen Tagen oder Wochen in Saarbrücken nicht ohne Grund mit der Frage beschäftigt – dazu wird der Innenminister nachher vielleicht selbst den einen oder anderen Satz sagen. Man muss in der Tat feststellen, dass die jüngsten Anschläge auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-e Scharif auch deutlich machen, wie die Lage vor Ort ist. Das Generalkonsulat ist nun nicht irgendeine Einrichtung. Wie wird es dem einen oder anderen Flüchtling gehen, den wir in dieses Land zurückschicken?
Solange die aktuelle Lage und die Sicherheitsfrage nicht abschließend geklärt sind – auch das ist in Punkt 3 klar benannt –, und zwar nicht nur nach der Einschätzung des Bundesinnenministeriums, sondern ganz bewusst auch in Absprache mit UNHCR und IOM – auch das haben wir benannt; wenn die Analyse vorliegt, ist die Frage neu zu bewerten –, solange sie aber nicht vorliegt – gute Gründe sprechen dafür, dass die Analyse des Bundesaußenministeriums deutlich differenzierter und vorsichtiger mit der Einschätzung umgeht – und ich das alles zusammennehme – das hat meine Fraktion so getan –, verbietet sich derzeit eine Abschiebung nach Afghanistan. Das haben wir in Punkt 3 deutlich beschrieben. Dazu bitten wir um Ihre Zustimmung.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gegenstände dieser Initiative der LINKEN liegen uns jedes Jahr um diese Zeit wieder auf dem Tisch. Das ist ein buntes Potpourri wohlfeiler Forderungen, die offensichtlich dazu dienen, dass linke Vorweihnachtsgefühl zu befrieden.
(Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist ein bisschen zynisch angesichts dessen, was heute passiert ist!)
Frau Kollegin Wissler, es fällt mir schwer – nach dem, was Ihre Fraktionskollegin Faulhaber hier vorgetragen hat –, in aller Ruhe dazu Stellung zu nehmen, wenn man auf der anderen Seite vor Augen hat, wie Ihre Kollegin, Ihre Vorturnerin Sahra Wagenknecht, an der einen oder anderen Stelle zeigt, dass sie versucht, die AfD rechts zu überholen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Frau Kollegin Wissler, Sie können das doch nicht wegdiskutieren. Es wird doch immer deutlicher, wie sich das Gedankengut, die Positionen und das Wählerpotenzial von der Linkspartei und der AfD mehr und mehr überschneiden.
(Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
und rechtmäßige Abschiebungen in einem Rechtsstaat als „Deportationen“ bezeichnet, dann ist das schlichtweg unerträglich, und ich möchte hier so etwas nicht mehr erleben.
Aber zurück zu Ihrem Antrag. Was haben Sie dort gemacht? Sie haben drei linke Dauerschlager ein wenig vermischt und uns zur Abstimmung präsentiert: Keine Abschiebung nach Afghanistan – das hatten wir zuletzt Ende 2015. Winterabschiebestopp für die Balkanstaaten bzw. alle Staaten, in denen es im Winter kalt wird – das haben wir in der einen oder anderen Form jedes Jahr. Zudem fordern Sie einen generellen Verzicht auf die Abschiebung von Kindern.
Ich will das der Reihe nach ernsthaft abarbeiten. Nehmen wir zunächst einmal das Thema Afghanistan. Natürlich – das kann ich für uns Freie Demokraten uneingeschränkt bestätigen – schauen auch wir seit Jahren mit Sorge auf die innenpolitische Situation in Afghanistan und in der ganzen Region, für die wir uns auch angesichts der großen Investitionen und des Einsatzes der Bundeswehr, gegen den Sie im Übrigen auch sind – das finde ich in diesem Zusammenhang auch immer spannend –, engagieren. Im Rahmen der NATO-Mission wünschen wir uns dort eine positivere Entwicklung. Wir wünschen uns vor allem mehr Stabilität und Sicherheit. Dafür haben auch unsere Soldaten in Afghanistan im wahrsten Sinne des Wortes ihr Leben eingesetzt. Auch daran sollte man an dieser Stelle denken.
Auf der anderen Seite ist die äußerst diffizile Situation in Afghanistan und daraus folgend für die Menschen, die in diesem Land leben und diesem Land aus absolut nachvollziehbaren Gründen den Rücken gekehrt haben, eben nicht
Eine seriöse Herangehensweise anhand der Zahlen zeigt, dass Afghanistan ein besonderer Fall unter den Hauptherkunftsländern der Asylbewerber in Deutschland ist. Die bereinigte Schutzquote, d. h. die tatsächliche Quote nach Entscheidung ohne formale Nichtentscheidung, lag für Flüchtlinge aus Afghanistan im zweiten und dritten Quartal 2016 bei etwa 50 %. Nur jeder Zweite aus Afghanistan erhält damit vorübergehend Flüchtlingsschutz oder Asyl.
Die anerkannten Asylfälle lagen bei nur 0,6 % bzw. 0,2 %. Flüchtlingsschutz und subsidiärer Schutz mit entsprechendem Abschiebungsverbot lagen entsprechend höher. Um es konkret zu sagen: Fast alle Bleibeberechtigten aus Afghanistan genießen diesen subsidiären Schutz.
Sie bezweifeln, dass individuell geprüft wird. Die Bearbeitungsdauer für Asylanträge aus Afghanistan wird jetzt zwar allmählich kürzer. Im dritten Quartal lag sie bei durchschnittlich 8,8 Monaten. Im ersten Halbjahr lag sie mit durchschnittlich 18,2 Monaten im Vergleich noch sehr weit vorn.
Derzeit liegen auch die meisten noch unbearbeiteten Anträge, die schon über sechs Monate im Geschäftsgang sind, aus Afghanistan vor. Warum ist das denn so? Weil sie auf die Schnelle entschieden werden? Nein, natürlich nicht. Vielmehr wird der Einzelfall sehr sorgfältig geprüft. Das BAMF – es gibt oft genug Anlass dafür, das BAMF zu kritisieren – prüft offensichtlich sehr gewissenhaft und anhand individueller Kriterien, ob Asyl oder ob ein subsidiärer Flüchtlingsstatus für die Menschen, die aus Afghanistan kommen, gewährt werden kann.
Das ist auch richtig, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das ist absolut richtig. Denn in Afghanistan herrscht in der Tat eine andere Situation als etwa in Eritrea oder Syrien, also in Ländern, für die bereits 2015 beschlossen wurde, den Flüchtlingsschutz zur Regelannahme zu machen, was zu deutlich höheren Schutzquoten in beiden Ländern, nämlich zu einer Schutzquote von etwa 99 %, führt. Außerdem führt das natürlich auch zu entsprechend kürzeren Verfahrensdauern; denn dann muss man nicht den Einzelfall prüfen.
Die derzeitige Situation dort ist natürlich eine andere. Ich weiß nicht, wie Sie sich informieren. Ich schaue mir durchaus jeden Tag die Fernsehbilder aus Syrien an, aus Aleppo, die deutlich machen, dass dort eine andere Situation herrscht als in Afghanistan.
In Afghanistan ist es unbestritten nicht so – das habe ich bereits angedeutet –, dass wir von einem flächendeckend sicherem Land sprechen können.
Frau Wissler, hören Sie doch einmal zu. Vielleicht lernen Sie irgendwann doch noch etwas in der Sache dazu.
Taliban und regionale Warlords haben Teile des Landes in ihrer Gewalt. Exakt aus diesem Grund ist das gemeinsam mit der afghanischen Regierung abgestimmte Vorgehen richtig, nämlich über das Rückführungsabkommen vom Oktober gezielt und gestaffelt Personen, denen nach individueller Prüfung kein Asyl- oder Flüchtlingsschutz zugesprochen werden kann, in sichere Landesteile zu bringen.
Ich will in diesem Zusammenhang anmerken, dass ich der Koalition für ihren vorgelegten Antrag ausdrücklich dankbar bin, der die realen Bedingungen in unserem Land in ungewohnt korrekter Art und Weise beschreibt.
Ich weiß, dass Ihnen das nicht gefällt. Ungewohnt ist für uns, dass es an der üblichen Lobhudelei und an Beschönigungen fehlt, die sonst immer dabei sind.
Meine Damen und Herren von der Linkspartei, Sie mögen das Prinzip inländischer Fluchtalternativen für falsch halten. Aber das ist Teil unseres Migrationssystems, um Aufnahmeländer nicht zu überfordern und um Krisenländer nicht aus der Verantwortung zu entlassen, sich um ihre eigene Bevölkerung zu kümmern. Nicht umsonst unterstützt deshalb die internationale Gemeinschaft Afghanistan jährlich mit Milliardenbeträgen. Laut der letzten AfghanistanKonferenz waren es mehr als 3 Milliarden € für den Wiederaufbau.