Protocol of the Session on December 13, 2016

Es gibt drei Bereiche, die ich identifiziert habe – vielleicht sind es noch mehr –, wo es wirklich gelungen ist, so möchte ich einmal sagen, einen Knoten zu durchschlagen.

Der erste Punkt, den ich da aufzählen möchte, ist die Bereitstellung der Mittel für die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst von insgesamt 100 Millionen € für den Umzug auf den Kulturcampus in Frankfurt. Das macht den Weg frei für eine gute städtebauliche Entwicklung und einen Kulturcampus, auf dem Kultur tatsächlich auch großgeschrieben wird. Da ist wirklich ein Knoten durchschlagen worden.

An zweiter Stelle möchte ich die Aktivitäten – der Minister hat es schon erwähnt – der Landesregierung für das documenta-Archiv nennen. Ich weiß nicht, wie lange es schon im Gespräch war, dass da etwas passieren muss. Dieses documenta-Archiv soll zu einem unabhängigen Forschungsinstitut umgewandelt und weiterentwickelt werden, damit die weltbekannte documenta zwischen den Ausstellungen erforscht werden kann und damit sie besser sichtbar wird, usw. Sie haben das noch viel besser ausgeführt, als ich das jetzt in aller Kürze tun kann. Wie lange ist das gefordert worden? – Wir haben es endlich in dieser Legislaturperiode umgesetzt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Dritter Punkt. Hier habe ich wirklich das Gefühl, dass sich da bei allen Beteiligten etwas löst und dass alle froh sind, dass da endlich etwas passiert. Das ist die Hessen Film und Medien GmbH. Ich glaube, das muss noch zu Udo Corts‘ Zeiten als Kunstminister gewesen sein, dass versucht wurde, diese GmbH aufs Gleis zu setzen. Warum hat man das versucht, und warum haben wir das jetzt gemacht – Jahre später? – Weil wir eine Filmförderung aus einer Hand wollen, weil wir eine Filmförderung haben wollen, die eine gute Struktur hat, weil wir eine Filmförderung haben wollen, die in den übergreifenden Dachverband Focus Germany aufgenommen werden soll, um Hessen als Filmland national und international besser vermarkten zu können. Auch das ist geschafft worden. Auch das ist in dieser Legislaturperiode in diesen drei Jahren umgesetzt worden. Auch hier konnte der Knoten durchschlagen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich will nicht sagen, dass alles wunderbar und alles schon am Ende ist. Das ist nicht so, und es kann sich wirklich noch viel mehr verbessern. Das ist doch ganz klar.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das freut mich!)

Aber ich wollte wirklich diese paar Punkte aufzählen, bei denen sich etwas verändert und verbessert hat.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja, akzeptiert!)

Ich finde, es ist doch legitim, dass man das bei einer Regierungserklärung macht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Aber erschöpfen sollte man sich darin nicht!)

Dass sich etwas verändert hat, merkt man, so glaube ich, auch ein bisschen bei der Stimmung in der Kulturszene. Klar, mehr Geld ist immer gut. Die ungleiche Finanzierung der staatlichen Theater gegenüber den freien – geschenkt, darüber müssen wir reden. Das ist so. Die Situation von Künstlerinnen und Künstlern in Hessen muss weiter verbessert werden, aber natürlich. Aber auch da hat sich etwas getan. Die Künstlerförderung wurde verdoppelt, und die Landesregierung hat nun einen Beauftragten, der hilft, Räume für Kreative und Kulturschaffende zu vermitteln. Es ist ganz wichtig für die Menschen, dass sie ein Atelier finden, dass sie Proberäume finden und dass sie einen Ort finden, wo sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen können. Dafür gibt es jetzt einen Landesbeauftragten. Hier hat sich also einiges getan.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Auf der Homepage des Deutschen Kulturrates – wahrlich kein unkritisches Gremium – kann man unter der Überschrift „Das Land hat kulturpolitisch einen Lauf“ lesen: „In Hessen bewegt sich was, und zwar nach vorne.“

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

In diesem Sinne arbeiten wir engagiert weiter für eine vielfältige und experimentierfreudige Kultur, die allen Menschen offensteht, die niedrigschwellige Zugänge hat, die barrierefrei ist und Toleranz und Freiheit atmet. Vielfalt ist unsere Gemeinsamkeit in Hessen und ist unsere Stärke in der Kultur.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Feldmayer. – Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abg. Wissler das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Entfremdet und entwürdigt ist nicht nur der, der kein Brot hat, sondern auch der, der keinen Anteil an den großen Gütern der Menschheit hat.

Dieser Satz stammt von Rosa Luxemburg und sollte ein Leitmotiv in der Kulturpolitik sein.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Zugang zu Kunst und Kultur bedeutet gesellschaftliche und demokratische Teilhabe und muss jedem Menschen garantiert sein. „Kultur für alle“ hat das der ehemalige Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann genannt.

Kultureinrichtungen sollten so konzipiert und finanziell ausgestattet werden, dass sie Ort des Austauschs und der Beschäftigung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit sein können. Sie sollen Kenntnisse vermitteln. Sie sollen aber auch durch kulturelle Aneignung und Bildung eine emanzipierte Sicht auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eröffnen. Oder, wie es Antonio Gramsci ausdrückte: Kultur ist die – Zitat – „Inbesitznahme der eigenen Persönlichkeit und die Erlangung eines höheren Bewusstseins“.

Kunst und Kultur müssen die Freiheit haben, das Bestehende infrage zu stellen, kritisch und unbequem zu sein. Für uns sind Kunst und Kultur kein Beiwerk und schon gar kein Standortfaktor, als der sie manchmal genannt werden.

Im Schlussbericht der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ ist zu lesen:

Kultur ist kein Ornament. Sie ist das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft steht... Es ist Aufgabe der Politik, dieses zu sichern und zu stärken.

In diesem Sinne ist es gut, dass wir heute einmal ausführlich über Kulturpolitik sprechen. Aber, Herr Minister, Kulturpolitik bedeutet nicht, dass man einen Reiseführer vorliest. Es bedeutet nicht, dass man ein paar Vorzeigeprojekte und Renovierungen benennt und dann noch ein paar Zahlen einstreut.

Trotz punktueller Verbesserungen z. B. beim Kulturkoffer, bei den freien Theatern und ganz besonders bei der Soziokultur bleibt die hessische Kulturförderung leider weit hinter dem zurück, was eigentlich nötig wäre.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fördermittel in der institutionellen Förderung der verschiedenen Verbände und Kultureinrichtungen sind zum Teil seit zehn Jahren nicht mehr angehoben worden. Sie sollen auch in diesem Jahr nur für ganz wenige Einrichtungen angehoben werden. Die Kosten für Energie, Bauunterhaltung, Dienstleistungen und Gehälter steigen aber kontinuierlich. Die Kultureinrichtungen werden also von der Landesregierung damit alleingelassen, und häufig haben sie überhaupt keine andere Möglichkeit, als Angebote zu kürzen oder zu streichen oder die Belastungen auf die Beschäftigten abzuwälzen.

Insgesamt muss man davon sprechen, dass wir in Hessen eine schleichende Aushöhlung der kulturellen Förderung erleben. Das gilt leider auch für die drei Staatstheater. Viele Einrichtungen bekommen nur kurzfristige Förderzusagen im Rahmen der Projektförderung, was zu Unsicherheit führt und jede langfristige Planung erschwert. Die Leidtragenden dieser Unterfinanzierung sind die Menschen, über die Sie leider gar nicht gesprochen haben, Herr Minister. Sie haben sie nicht einmal erwähnt. Das sind nämlich die Kulturschaffenden selbst: die Künstlerinnen und Künstler.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn immer stärker marktwirtschaftliche Prinzipien in Kultureinrichtungen Einzug halten und das Ziel ist, mit weniger Geld Leistungsfähigkeit und Effizienz zu steigern, sind für die Kunst- und Kulturschaffenden die Folgen fatal, nämlich die kontinuierliche Verschlechterung der Arbeitsund Lebensbedingungen.

Es gibt gerade eine Aktion – Kollege Schäfer-Gümbel hat sie bereits angesprochen –: „40.000 Theatermitarbeiter treffen ihre Abgeordneten“. Ich habe mich in dem Zusammenhang mit zwei Schauspielerinnen getroffen. Ich habe gesehen, einige von Ihnen haben das auch gemacht. Ziel der Aktion ist es, auf die oft prekären und nicht angemessen bezahlten Beschäftigungsverhältnisse aufmerksam zu machen. Unter 1.500 € netto für eine 48-Stunden-Woche sind Realität für viele Schauspielerinnen und Schauspieler in diesem Land – trotz abgeschlossenem Studium. Herr Minister, ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie auch dazu etwas sagen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Eine Umfrage der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung unter Beteiligung von über 2.000 Künstlerinnen und Künstlern kam zu dem Ergebnis, dass das Nettoeinkommen bei 40 % unter ihnen unter 10.000 € pro Jahr liegt. 70 % der Musiker, Tänzer und Schauspieler müssen unbezahlte Leistungen erbringen, besonders zu Beginn ihrer Karriere.

Die Hälfte der Künstler gibt an, dass Schutzvorschriften wie das Arbeitszeitgesetz teilweise nicht eingehalten werden. Tatsächlich – so sagt es diese Analyse – sei das sogenannte Normalarbeitsverhältnis im künstlerischen Bereich eher die Ausnahme. Die Anzahl der Selbstständigen ist in den Jahren stark gestiegen, und eine Folge dieser unsteten Beschäftigungssituation ist die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die 60 % der befragten Künstlerinnen und Künstler beklagen.

Ich habe vor drei Jahren im Frankfurter Mousonturm eine ziemlich spannende künstlerische Ausstellung über die soziale Situation von Künstlern insbesondere in der freien Theater- und Tanzszene gesehen, wo die Hälfte der Schauspielerinnen und Schauspieler und der darstellenden Künstler arbeitet. Diese Ausstellung, die unter anderem auch von ver.di unterstützt wurde, hat eine Studie visualisiert, die auf einer Befragung von 4.400 professionellen Tanz- und Theaterakteuren basiert.

Diese Ausstellung hatte den Titel „Brenne und sei dankbar“. Dort wurde sehr eindrücklich die soziale Situation vieler Künstlerinnen und Künstler dargestellt. Danach beträgt die Durchschnittsrente eines freiberuflichen Schauspielers oder Tänzers, der 45 Jahre lang in die Künstlersozialversicherung einbezahlt hat, sage und schreibe 427,50 €. Das ist, wohlgemerkt, keine Ausnahme. Es ist ein statistischer Mittelwert.

Das ist jetzt drei Jahre her; es kann sein, dass da 3,50 € draufgekommen sind. Aber im Grundsatz zeigt das, dass viele Künstlerinnen und Künstler das Problem haben, dass sie auf die Altersarmut zulaufen. Eine Durchschnittsrente von 427,50 € – dieser Wert ist nicht in Bulgarien erfasst worden, sondern in Deutschland, und zwar nach einem vollen Berufsleben, trotz überdurchschnittlicher Qualifikation. Knapp zwei Drittel dieser Menschen haben einen akademischen Abschluss. Ich finde, das sind Zustände, die überhaupt nicht hinzunehmen sind. Auch dazu hätten Sie in Ihrer Regierungserklärung wenigstens ein paar Worte finden können, Herr Minister.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Hinzu kommt, dass 80 % der Freiberufler neben ihrer Kunst teilweise dann noch einer anderen Arbeit nachgehen, dass Frauen demnach ein Drittel weniger als Männer verdienen und 85 % der Künstlerinnen und Künstler ihre Engagements mit Eigenmitteln unterstützen oder auf eine angemessene Entlohnung verzichten.

Deshalb: Wenn es im aktuellen Landeshaushalt Verbesserungen für die freie Kunst- und Theaterszene gibt, dann begrüßen wir das. Aber die Mittel sind immer noch viel zu knapp bemessen, damit diese Menschen zu vernünftigen Bedingungen ihrer sehr guten Arbeit nachgehen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Kulturschaffende brauchen eine soziale Absicherung, sie brauchen eine angemessene Bezahlung. Aber dazu brauchen wir natürlich auch Theater- und Kultureinrichtungen, die eine gute Finanzausstattung haben, damit solche Verbesserungen nicht zulasten des künstlerischen Etats gehen. Die Zuschüsse – das habe ich gesagt – sind oftmals seit vielen Jahren eingefroren und gleichen nicht einmal die Kostensteigerungen aus, die objektiv entstehen.

Daher liegt die Verantwortung natürlich auch beim Land, dass wir gut finanzierte Kultureinrichtungen haben, die wiederum dafür sorgen, dass sie ihre Beschäftigten gut bezahlen – unabhängig davon, ob das jetzt an den Staatstheatern ist oder in der freien Szene.

Mindesthonorare und soziale Kriterien bei der Kulturförderung wären darüber hinaus sinnvoll. Entscheidend ist aber die angemessene Finanzierung. Es ist gut, dass Kulturschaffende sich mittlerweile organisieren, dass sie anfangen, Netzwerke zu gründen, dass sich viele schon seit vielen Jahren in Gewerkschaften organisieren und dass sie jetzt das Ensemblenetzwerk gegründet haben, das Arbeitszeiterfassung, Gagentabellen, Freizeitausgleich, Überstundenbezahlung, aber auch künstlerisches Mitspracherecht fordert.

Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Mitglied des Deutschen Kulturrates und unter anderem mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet, schreibt zu diesem Thema:

… Kulturpolitik sollte nicht allein den Kulturdezernenten, Kulturverwaltern und Kulturräten überlassen werden. Und das gilt auch für die Theaterpolitik. Die Theaterlandschaft lebt von den Künstlern. Tanz- und Theaterschaffende vereinigt euch – und seid in der Kulturpolitik so mutig wie in der Kunst!