Protocol of the Session on November 24, 2016

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Häuser des Jugendrechts gehören mit schöner Regelmäßigkeit auf die Tagesordnungen unserer Plenarsitzungen, nur fehlt mir heute Morgen so ein bisschen der Bezug zur Aktualität dieses Themas.

(Michael Boddenberg (CDU): Wie aktuell hätten Sie es denn gern?)

Sei es drum. Ich bin sehr erfreut, dass mittlerweile auch die Justizministerin dieser Debatte lauscht. Ich war etwas überrascht, dass der Sozialminister in dem Moment, als die Debatte begann, die Kabinettsbank verlassen hat.

(Minister Stefan Grüttner: Die Justizministerin ist da!)

Der Innenminister wurde zwar schon einmal gesehen, sodass ich sage: Diese Zusammenarbeit, die gerade gelobt wurde – – Sie sind wieder da, Herr Grüttner.

(Unruhe)

Wir haben die Zusammenarbeit hier gerade so lobend dargestellt bekommen.

Einen Moment. Es kann doch jeder einmal hinausgehen und wieder hereinkommen. Das ist doch in Ordnung.

(Unruhe – Holger Bellino (CDU): Er war doch gar nicht draußen! Er war im Plenarsaal!)

Meine Damen und Herren, wir wollen doch gar nicht schauen, wer drinnen oder draußen ist. Sie wissen doch: Wenn drei drinnen sind und fünf hinausgehen, müssen zwei hereinkommen, damit niemand mehr drinnen ist.

(Heiterkeit)

Kollege Dr. Wilken, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident, für die mathematische Richtigstellung. – Mir geht es um einen politischen Hinweis: Wenn die Zusammenarbeit von Innenressort, Justizressort und Sozialressort thematisiert wird, dann wird erwartet – zumindest erwarte ich das –, dass die Köpfe dieser Ressorts die Debatte auch verfolgen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Heike Hof- mann (SPD) – Zuruf des Ministers Stefan Grüttner – Unruhe)

Zweite Bemerkung. Was Sie, Herr Serke – – Herr Grüttner, bitte lassen Sie mich jetzt reden.

(Lachen bei der CDU – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Zu dem, was Herr Serke von der CDU hier gerade dargestellt hat und was Frau Hofmann von der SPD in Auszügen verstärkt hat, will ich ganz deutlich sagen: Das sollte der Standard einer guten Justiz in unserem Land sein. Das sollte es nicht nur in einzelnen Häusern des Jugendrechts geben.

(Beifall der Abg. Willi van Ooyen und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Wir sind da sehr wohl einer Meinung. Wenn jemand straffällig wird, insbesondere wenn Jugendliche straffällig werden, muss es darum gehen, dass wir möglichst rasch reagieren, um – das ist selbstverständlich – die Gesellschaft zu schützen, vor allen Dingen aber auch um diesem Jugendlichen einen neuen Ansatz für ein erfolgreiches und straffreies Leben zu geben. Da sind wir alle einer Meinung.

Sie bleiben aber immer wieder und auch heute den Beleg dafür schuldig – Sie sagen es aber –, dass insbesondere die Häuser des Jugendrechts einen Beitrag zu der gesunkenen Kriminalitätsrate leisten. Belegen Sie das bitte einmal. Sie kennen keine entsprechende Statistik, wir kennen keine entsprechende Statistik. Die ganzen Menschen, die in der Kriminalitätsforschung und der Präventionsforschung arbeiten, wären sehr froh, wenn wir das belegen könnten. Wir haben diese Belege aber nicht. Das heißt nicht, dass wir diese Anstrengungen nicht unternehmen sollten. Aber seien Sie bitte mit solchen Behauptungen vorsichtig.

Wir alle wissen, dass trotz aller Anstrengungen, die wir unternehmen, um Jugendliche von Straftaten fernzuhalten, gerade die Jugend der Zeitraum ist, in dem die Grenzen ausgetestet werden. Wir werden es deswegen nie schaffen, dass diese Grenzen ausgetestet werden, ohne dass Strafta

ten begangen werden. Auch das sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen.

Kriminalitätsforscher weisen übrigens darauf hin, dass, selbst wenn man nichts täte – ich sage nicht, dass wir nichts tun sollen –, sich das Problem auswachsen würde. Auch das müssen wir berücksichtigen, wenn wir fragen, wie wir intervenieren sollen und wie erfolgreich diese Intervention ist.

Vorletzte Bemerkung. Wenn wir behaupten, dass durch eine besondere Intervention die Kriminalitätsrate gesunken ist, dann ist das eine wirklich steile These. Denn Kriminalitätsforscher haben schon bei einer Veränderung in der Polizeilichen Kriminalstatistik Schwierigkeiten, nachzuverfolgen, ob sich nicht einfach das Anzeigeverhalten oder ob sich wirklich die Delinquenz verändert hat. Seien Sie also bitte ein wenig vorsichtiger mit Ihren Behauptungen, wie erfolgreich oder nicht erfolgreich das ist.

(Beifall bei der LINKEN)

In einem stimmen alle, alle Kriminalitätsforscher und alle Präventionsforscher, überein. Ich hoffe, da stimmen auch alle hier im Haus überein. Prävention muss im Sozialen geschehen. Menschen eine Perspektive zu geben, Menschen ein soziales Umfeld zu geben, in dem sie selbst Perspektiven entwickeln können, ist ein Präventionsansatz, der funktioniert. Das sollte klar sein. Ich wünsche mir da deutlich mehr Anstrengungen, um es den Jugendlichen überall in unserem Land zu ermöglichen, eine Perspektive für ein auskömmliches Leben und für einen guten Arbeitsplatz zu haben. Diese Anstrengungen möchte ich deutlich verstärkt sehen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zu meiner Schlussbemerkung und möchte das Ganze noch einmal zusammenfassen. Ja, wir betonen, dass wir das Prinzip guter und schneller Arbeit der Justiz, gute und schnelle Ermittlungsarbeit und gute und schnelle Intervention durch Sozialarbeiter und durch die Jugendgerichtshilfe brauchen. Aber das brauchen wir immer und überall und nicht nur in einzelnen Häusern des Jugendrechts. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Dr. Wilken, vielen Dank. – Das Wort erhält Herr Abg. Florian Rentsch, der Vorsitzende der FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Häuser des Jugendrechts sind nicht zum ersten Mal das Thema. Aber sie sind zu Recht ein Thema. Denn das ist eine gute Institution.

Ich will mich zunächst einmal bei Herrn Kollegen Banzer bedanken, der das als erster Justizminister in Hessen auf den Weg gebracht hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Konzept wurde dann von Herrn Kollegen Hahn übernommen und umgesetzt. Frau Kühne-Hörmann führt das

fort. Damit hat sie recht. Denn was richtig ist, sollte auch fortgeführt werden.

Die Verzahnung in dem Bereich ist dringend erforderlich. Frau Kühne Hörmann, Sie wissen wie jeder Jurist, dass wir den Grundsatz des Strafrechts, die Strafe solle auf dem Fuß folgen, oftmals nicht einhalten können. Die Verfahren dauern sehr lange. Gerade bei Jugendlichen entsteht dann der Eindruck, ihre Tat bleibe folgenlos.

Es ist eine Tatsache, dass das Strafrecht vor allen Dingen nachgelagert zum Tragen kommt. Natürlich ist auf der anderen Seite die Bildungspolitik besonders wichtig, also das, was wir mit frühkindlicher Bildung machen können und müssen. Da müssen wir besser werden. Aber natürlich ist in diesem Gleichgewicht auch ein effektives Jugendrecht besonders notwendig.

Kolleginnen und Kollegen, die Zusammenarbeit der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Jugendhilfe soll in den Häusern des Jugendrechts besser verzahnt werden, und zwar mit den gesamten Möglichkeiten, die wir mit diesem Konzept haben. Das ist notwendig und richtig.

Ich sage ganz offen: Das haben wir nicht erfunden. Das Pilotprojekt war damals in Baden-Württemberg. Das alles hat eine lange Vorgeschichte. Der Streit, wer es erfunden hat, kann eine lange Debatte füllen. Fakt ist, dass es auf jeden Fall richtig ist, dass wir es haben. Deshalb ist es auch richtig, dass die Landesregierung an dieser Stelle weiterarbeitet und dieses Konzept fortsetzt. Das geschieht im Interesse der jungen Menschen. Das geschieht aber auch im Interesse der inneren Sicherheit, die wir dringend benötigen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich will einmal auf die Zahlen zu sprechen kommen. In der Rede des Ministerpräsidenten, die das Motto hatte: „Ich war noch nie so gut wie heute“, ist eines ein bisschen unter den Tisch gefallen. Das richtet sich auch an den Innenminister. Die Zahlen zum Thema innere Sicherheit sind nicht wirklich so gut, wie wir das gerne von der Landesregierung in ihren Statements hören. Gerade beim Thema Jugendstrafrecht haben wir erheblichen Bedarf.

Wer sich anschaut, dass die Zahl der Tatverdächtigen bei den Menschen bis 21 Jahre um rund 10 % angestiegen ist, kann nicht negieren, dass es da eine Entwicklung gibt, die uns nicht gefallen kann. Wer sieht, dass im Jahr 2015 der Anstieg bei den tatverdächtigen Kindern um fast 20 % – es sind 19,3 % – besonders auffallend ist, der muss doch sagen: Ja, da haben wir einen Bedarf. – Deswegen ist es richtig, dass das Land stärker in ein solches Modell investiert. Denn ehrlicherweise müssen wir sagen, dass die Zahlen nichts für eine positive Pressemitteilung sind. Vielmehr sollten sie uns alle darauf aufmerksam machen, dass wir da besser werden müssen.

(Beifall bei der FDP)

Wir sehen natürlich auch, dass diese Zahlen in einem Zusammenhang mit dem starken Anstieg der Fälle der ausländerrechtlichen Verstöße stehen. Da geht es z. B. um Beförderungserschleichung und andere Delikte. Das ist ein Thema, bei dem wir dringend Instrumente brauchen.

Ich will offen sagen, dass wir gerade bei den linken und rechten Gewalttaten durch radikalisierte Jugendliche ein Problem haben. Das ist sowohl bei linken wie auch bei rechten Gewalttaten der Fall. Insofern will ich gar nicht

über die Frage diskutieren, bei welchem Extremismus es wichtiger ist, ihn zu bekämpfen. Jede Form des Extremismus ist von unserem Staat mit hoher Anstrengung zu bekämpfen. Deshalb müssen wir da einen besonderen Schwerpunkt setzen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Herr Innenminister, ich glaube schon, dass das Violence Prevention Network die richtige Initiative ist. Das muss sozusagen gemeinsam gesehen werden. Wir müssen beim Thema Salafismus und dem, was wir dort an Entwicklungen haben, nämlich dass sich junge Menschen dem Heiligen Krieg verschreiben, besonders genau hinschauen. Wir müssen da einen besonderen Schwerpunkt bei unserer Innen- und Rechtspolitik setzen. Denn es darf nicht sein, dass diese jungen Menschen einen Weg gehen, von dem sie nur schwer wieder abzubringen sind.

Wir erleben, welche Bindungswirkung diese Ideologie anscheinend auf diese jungen Menschen hat. Das geschieht aus welchen Gründen auch immer. Das kann Perspektivlosigkeit sein. Es kann sein, dass sie sich aufgrund der Nähe zu einer besonderen Form einer Religion gebunden fühlen. Wir müssen da besonders hinschauen und auch besonders agieren. Es dürfen eben nicht nur Lippenbekenntnisse sein, wenn wir sagen: Wir wollen da etwas tun. – Das hören wir von jedem Politiker jeden Tag. Da geht es um konkrete Maßnahmen, die da richtig angesiedelt sind. Deshalb werden wir dieses Projekt auch weiterhin unterstützen.

(Beifall bei der FDP)

Frau Ministerin, in diesem Sinne glauben wir, dass die Häuser des Jugendrechtes ein wichtiger Mosaikstein in einer Kette von Maßnahmen sind, um in unserem Land jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Persönlichkeit so zu entwickeln, dass sie ein eigenes Leben ohne Fremdeinflüsse führen können. Der Kontakt zum Strafrecht soll nicht wieder aufleben.