Protocol of the Session on November 23, 2016

(Abg. Gabriele Faulhaber (DIE LINKE) fährt das Rednerpult herunter.)

Ihr seid alle so groß.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Lang! Größe hat nichts mit Länge zu tun!)

Das ist wahr.

Bevor ich beginne, möchte ich mich für die nette Begrüßung bedanken. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie an Ihren eigenen Ansprüchen messen. Herr Frömmrich und Herr Schwarz, Sie haben sich gewundert, dass es außerhalb dieser Hallen noch ein anderes Land geben soll. Zu diesem Land komme ich in meiner Rede. Vielleicht kann ich Ihnen das ein bisschen näherbringen.

(Armin Schwarz (CDU): Wir sind aber hier in Hessen!)

Ich bin auch in Hessen, aber woanders, glaube ich.

(Zuruf von der CDU: Das ist auch gut so!)

Sie haben Ziele formuliert, um bei der Inklusion, bei der Beschulung von Flüchtlingen und Seiteneinsteigern sowie bei der Ganztagsschule voranzukommen. Die Frage ist aber, wie das real aussieht.

Prof. Lorz lobt sich für seine Erfolge bei den Modellregionen zur Inklusion. Der Ministerpräsident sprach sogar davon, Inklusion mit Augenmaß zu betreiben. Die Zahl der inklusiv beschulten Kinder ist tatsächlich deutlich angestiegen. Derzeit werden 23 % der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Regelschulen beschult. Dazu sind aber ein paar Anmerkungen erforderlich.

Erstens. Dass Kinder mit Behinderungen eine Regelschule besuchen, sagt noch nichts über die tatsächliche Qualität der Inklusion aus. Dazu bedarf es nämlich einer wirklich guten Förderung.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Inklusion in Hessen noch „gemeinsamer Unterricht“ hieß und an ausgewählten Grund- und Gesamtschulen stattfand, waren 18 Förderstunden pro Kind die Regel. Heute sind es durchschnittlich vier Stunden. Da kann man doch nicht von Inklusion reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Man kann nicht von Inklusion reden, wenn die Schülerinnen und Schüler in den Förderschulen eine viel weiter reichende Unterstützung erhalten als im inklusiven Unterricht an den Regelschulen. Man kann nicht von Inklusion reden, wenn aufgrund Personalmangels Schwerpunkte gesetzt werden müssen, wenn z. B. die Ressourcen weitgehend in den unteren Klassen eingesetzt werden und die Förderung in allen anderen Klassen minimal ausfällt. Natürlich ist die

Förderung in den unteren Klassen und im frühen Alter wichtig. Das darf aber nicht heißen, dass Kinder mit Behinderungen in den höheren Klassenstufen und besonders bei der Berufsorientierung unzureichend gefördert werden. Auch in den Berufsschulen und beim Übergang in die Arbeitswelt braucht es Förderung. Dieser Bereich findet bei Ihrem Verständnis von Inklusion aber recht wenig Beachtung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Man kann überhaupt nicht von Inklusion reden, wenn man an einem Ressourcenvorbehalt festhält. Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet und ist damit dem Menschenrecht auf Teilhabe verpflichtet. Deutschland hat aber nicht unterzeichnet, dass dieses Menschenrecht nur so lange gilt, wie die Schuldenbremse dies zulässt.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Es ist keine inklusive Bildung, wenn Modellregionen oder inklusive Schulbündnisse geschaffen werden. Damit Inklusion in Hessen Realität wird, muss das Kultusministerium ein inhaltliches Gesamtkonzept und verbindliche Standards erarbeiten. Auch wie Sie diese Schulbündnisse inhaltlich ausgestalten wollen, vergaßen Sie zu sagen, Herr Minister.

Von der Organisation her sehe ich diese Schulbündnisse nur als Tarnkappe an; denn darunter findet nichts anderes statt als zuvor auch. Wenn die sächlichen, räumlichen oder personellen Möglichkeiten an einer Regelschule nicht gegeben sind, wird das Kind nicht inklusiv beschult. Dieses Mal ist nur ein größerer Personenkreis da, der das den Eltern klarmachen muss.

Mir kommt es überhaupt sehr seltsam vor, dass Sie, Herr Kultusminister, und auch der Ministerpräsident in seiner Rede und auch jetzt der Kollege Schwarz die Schullandschaft so darstellen, als sei Inklusion schon längst Alltag. Ich sage: Inklusion ist bei uns noch Zukunftsmusik. Mit diesem Haushalt bleibt das auch noch eine Weile so.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Zahl der schulischen Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger in den hessischen Bildungseinrichtungen beträgt etwa 26.000. Die Integration dieser großen Zahl junger Menschen wird nur gelingen, wenn jetzt die Voraussetzungen für eine chancengleiche Teilhabe an allen hessischen Bildungseinrichtungen geschaffen werden. Deswegen muss die Sprachförderung in größerem Umfang ausgebaut werden, als dies im Haushalt vorgesehen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Die von der Landesregierung genannten zusätzlichen 1.100 Lehrerstellen werden nicht ausreichen, zumal gleichzeitig die Stundenzahl der Intensivklassen an den Grundschulen von 20 auf 18 und an den anderen Schulformen von 28 auf 22 Stunden gekürzt wurde. Diese Kürzungen müssen zurückgenommen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir gehen davon aus, dass noch 900 zusätzliche Stellen benötigt werden, um eine bedarfsgerechte Sprachförderung anbieten zu können.

Meine Damen und Herren, minderjährige Flüchtlinge haben oftmals eine langjährige Flucht hinter sich und müssen

vielfach traumatische Erlebnisse verarbeiten. Das erfordert neben der Sprachförderung aber auch die Ausweitung der Schulsozialarbeit und mehr schulpsychologische Angebote.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb muss die Schulsozialarbeit um 250 Stellen aufgestockt werden. Ebenso brauchen wir 250 Schulpsychologen mehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch ein Thema ansprechen, das derzeit in Hessen leider ein Mauerblümchendasein führt. Ich spreche vom herkunftssprachlichen Unterricht. Bei der kindlichen Identitäts- und Sprachbildung spielt dieser eine nicht zu unterschätzende Rolle. Seit dem Schuljahr 1999/2000 entzieht sich das Land aber schleichend seinem Bildungsauftrag in diesem Bereich. Auslaufende Lehrerstellen werden nicht mehr durch Landesbedienstete, sondern durch von Konsulaten vermittelte Lehrkräfte ersetzt. Heute stehen 108 Lehrkräften im Dienste des Landes Hessen bereits 82 Lehrkräfte in den Diensten der Herkunftsländer gegenüber. Darunter sind 56 Konsulatslehrkräfte aus der Türkei.

Meine Damen und Herren, wir brauchen in diesem Bereich dringend eine Kehrtwende, wenn wir nicht wollen, dass der Bereich der schulischen Sprachbildung nun teilweise vom türkischen Erziehungsministerium aus Ankara geleitet wird, wo bekanntlich ein nicht besonders vertrauenswürdiger Herr Erdogan herrscht. Insofern muss der herkunftssprachliche Unterricht wieder zurück in die Verantwortung des Landes.

(Beifall bei der LINKEN)

Nichts hat sich getan beim Ausbau echter Ganztagsschulen nach dem Profil 3. Von diesen gibt es in Hessen nach wie vor nur 5 % – und im Grundschulbereich sogar weniger als 1 %. Die wenigen Stellen, die 2017 im Ganztagsschulbereich geschaffen werden sollen, reichen längst nicht aus.

Loben Sie sich doch nicht dauernd selbst für Ihren Pakt für den Nachmittag, werte Landesregierung. Diese Mogelpackung ist doch völlig unzureichend. Kleckern Sie nicht weiterhin halbherzig bei der Schulentwicklung, sondern arbeiten Sie einen konkreten Plan aus, wie mindestens 100 Schulen pro Jahr in echte Ganztagsschulen umgewandelt werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Ganztagsschulen – das ist längst Allgemeinwissen – bieten bessere Möglichkeiten, Bildungsbenachteiligungen auszugleichen. Inklusion bezieht sich nämlich nicht nur auf Menschen mit Behinderungen, sondern auch soziale Deklassierung führt zu geringeren Bildungschancen. Alle Kinder, egal wie gebildet oder vermögend ihre Eltern sind, brauchen gleiche Chancen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie diese Chancengleichheit erreicht werden kann, sagen wir Ihnen beispielsweise mit zwei unserer Haushaltsanträge konkret. Wir fordern eine echte und umfängliche Lernmittelfreiheit. An vielen Schulen wird für Arbeitshefte oder kopierte Arbeitsblätter ganz offen Geld eingesammelt. Auch müssen Schulbücher oder Unterrichtsmaterialien selbst angeschafft werden, die es den Schülerinnen und Schülern erst ermöglichen, im Unterricht mitzuarbeiten. Es gibt Arbeitsgruppen am Nachmittag, die Kostenbeiträge er

heben. Teilweise müssen die Eltern sogar die schulverantwortliche Betreuung bis 14:30 Uhr bezahlen. Dabei soll diese Betreuung angeblich in der Verantwortung des Landes liegen. Es darf doch überhaupt nicht sein, dass dafür Beiträge erhoben werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit tatsächlicher Lernmittelfreiheit hat auch die Schülerbeförderung zu tun. Wie kann es denn angehen, dass schon die Fahrt zu einer Bildungseinrichtung Kosten verursacht? Sie haben den Vorschlag gemacht, die Mittel für die Schülerbeförderung aufzustocken. Die neuen Schülertickets kosten aber immerhin 365 €. Das mag Ihnen als gut situierten Bürgerinnen und Bürgern preiswert erscheinen, aber für jemanden, der wenig verdient, der vielleicht sogar seinen schmalen Lohn beim Jobcenter aufstocken muss oder gar arbeitslos ist, ist das ein erheblicher Betrag. Wir finden, dass die Schülerbeförderung bis zum Abitur kostenlos zu sein hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollegin Faulhaber, die angemeldete Redezeit ist zu Ende.

Das trifft sich gut; ich komme zum Schluss. Aber eine Sache muss ich noch kurz erwähnen.

(Dirk Landau (CDU): Freibier für alle!)