Protocol of the Session on October 12, 2016

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind uns darüber im Klaren, dass die Flüchtlingskrise im letzten Jahr eine noch nie da gewesene Herausforderung war, sowohl für Deutschland als auch für das Land Hessen, seine Städte und Kommunen. Hessen hat diese Herausforderung, wie ich meine, bisher gut meistern können. Wir wurden unserer humanitären Verpflichtung,

trotz der hohen Flüchtlingszahlen, gerecht. Mein Dank gilt allen Verantwortlichen und allen Ehrenamtlichen in diesem Lande.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Versorgung und Integration der Geflüchteten wird weiterhin eine Zukunftsaufgabe für uns alle sein. Wir wollen und werden unseren Beitrag dazu leisten, den Menschen eine Perspektive und Zukunft in Hessen zu geben. Der Zusammenhalt in unserem Land und die Wahrung von Rechts- und Werteordnung sind dabei von zentraler Bedeutung, genauso wie die Integration und das Ermöglichen von Zukunftschancen.

Deshalb hat die Landesregierung bereits gehandelt und einen Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts entwickelt. Damit wollen wir die Grundlage für eine erfolgreiche Integration legen. Dafür müssen wir aber jetzt die richtigen Weichen stellen. Mit diesem Plan wollen wir die Strukturen der Flüchtlingshilfe an die neue Dimension der Aufgabe anpassen. Der Aktionsplan beinhaltet zahlreiche Maßnahmen zu den Schwerpunkten Bildung, Integration, innere Sicherheit sowie Unterstützung von Kommunen und Ehrenamtlichen. Bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen erfolgen die Sprachförderung und die Vermittlung elementarer gesellschaftlicher Grundkenntnisse. Das Landesprogramm „MitSprache – Deutsch4U“, welches die Grundzüge der deutschen Sprache vermittelt, ist erfolgreich angelaufen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Anzahl der Intensivklassen zur Sprachförderung hat sich in diesem Jahr auf 1.200 vervierfacht. Als erstes Land baut Hessen mit dem Programm „Wirtschaft integriert“ eine nahtlose Förderkette für den Spracherwerb auf, von der Berufsorientierung bis hin zum Ausbildungsabschluss. Mithilfe des Asylkonvents konnten viele weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. In jedem Staatlichen Schulamt wurden Beratungszentren für ehrenamtliche Helfer eingerichtet. Es wurden 28 Arbeitsmarktbüros mit Beratern aus Jobcentern der Agentur für Arbeit und den Ausländerbehörden geschaffen.

Ein Fragebogen zur Soforterfassung von Flüchtenden mit medizinischer Vorqualifikation wurde entwickelt, um dem Fachkräftemangel im Gesundheitswesen entgegenzuwirken. Dank des Aktionsplans wurden die Mittel für die Salafismusprävention versechsfacht und das Personal für den Verfassungsschutz um 20 % erhöht. 100 neue Stellen für die Wachpolizei und insgesamt 300 neue Stellen für den Polizeivollzug wurden geschaffen. Zudem wurde die physiologische Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen gestärkt. Der Aktionsplan und die Ergebnisse des Asylkonvents beinhalten noch zahlreiche weitere Maßnahmen. Mit diesem Überblick wird deutlich, dass die Landesregierung umfassend und nachhaltig reagiert. Sie wird auch weiterhin an neuen Ideen und Konzepten arbeiten, um die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge zu optimieren. Die Mittel für den Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik wurden dafür auf über 1 Milliarde € erhöht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der FDP fordert, einige Punkte umzusetzen, die schon auf den Weg gebracht wurden. Das Land Hessen ist sehr gut aufgestellt. Wir haben, wie ich finde, frühzeitig reagiert und Maßnah

men ergriffen. Denn, wie wir alle wissen, ist Integration nichts, was von heute auf morgen passiert. Sie erfordert einen langen Atem aller Beteiligten und bedarf vieler Maßnahmen. Wir sorgen mit unserem Antrag dafür, dass die Projekte, die bereits funktionieren und greifen, weitergeführt werden können. Dazu dienen neben dem Aktionsplan die Treffen des Asylkonvents, deren Teilnehmer die Perspektiven und das Fachwissen aus allen gesellschaftlichen Bereichen einbringen. Mit alldem legen wir die Grundlage für eine erfolgreiche Integration, für den Zusammenhalt und die Sicherheit in unserem Land. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Tipi. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Kollegin Cárdenas von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die menschenwürdige Aufnahme und die schnelle Integration der seit Mitte 2015 nach Hessen gekommenen Flüchtlinge in die Kommunen, in das Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt ist eine der größten Herausforderungen seit Jahren. Ich habe keine Zweifel, dass ihre Integration gelingen wird, wenn jetzt die Voraussetzungen hierfür geschaffen werden. Integration setzt gut funktionierende Aufnahmestrukturen voraus und ein gesellschaftliches Klima, in dem sich Neubürgerinnen und Neubürger willkommen und sicher fühlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Leider spricht die Politik der Bundesregierung eine andere Sprache. Der aktuelle rechtliche Rahmen der Flüchtlingsaufnahme zielt nicht auf effektiven Flüchtlingsschutz und gute Aufnahme, sondern auf Abschreckung, Ausgrenzung und Entwürdigung.

Seit Monaten erleben wir einen beispiellosen gesetzgeberischen Kahlschlag auf dem Gebiet der Flüchtlingsrechte. Innenpolitiker überbieten sich mit immer schäbigeren Vorschlägen, wie Schutzsuchenden das Leben erschwert werden kann. Das deutsche Asylrecht – es war vorher schon nur noch ein Rumpfgrundrecht – ist inzwischen ein reines Trümmerfeld.

Einer der schlimmsten Auswüchse der vergangenen Monate ist die Einschränkung des Familiennachzugs für sogenannte subsidiär Schutzberechtigte. Es sind immer mehr Menschen, die unter diesen Schutzstatus fallen. Sie dürfen Familienangehörige erst Jahre später nachholen. Bei Syrerinnen und Syrern beträgt dieser Anteil inzwischen 30 % gegenüber gerade einmal 0,6 % im Jahr 2015.

Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen kaum erklären, was es bedeutet, wenn Familien über Jahre hinweg getrennt bleiben müssen. Es ist menschlich eine Katastrophe und für die gesellschaftliche Integration absolut kontraproduktiv.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos) – Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)

Flüchtlinge müssen mit ihren Familien zusammen sein können. Daher fordern wir die Hessische Landesregierung auf, das hessische Aufnahmeprogramm für Familienangehörige syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge wieder aufzunehmen. Es ist unverständlich, dass dieses Programm sangund klanglos in der Schublade verschwand. Hessen kostet das Programm keinen Cent, weil die hier lebenden Familienangehörigen für alle Kosten aufkommen müssen. Das Sozialministerium sollte endlich erklären, warum dieses Programm nicht fortgeführt wird.

Die letzten Asylrechtsverschärfungen haben ein Zweiklassenasylrecht hervorgebracht. Es unterscheidet danach, ob Geflüchtete eine gute oder keine gute Bleibeperspektive haben. Ob eine gute Bleibeperspektive gegeben ist, hängt nicht vom individuellen Schicksal ab. Maßgeblich ist allein, ob ein Mensch aus einem Herkunftsland stammt, das eine Schutzquote von über 50 % aufweist. Nur Asylsuchende aus Syrien, dem Irak, dem Iran und Eritrea erfüllen derzeit diese Voraussetzungen. Nur sie haben Anspruch auf Integrationsmaßnahmen während des Asylverfahrens.

Alle anderen Asylsuchenden, immerhin rund 40 % aller Geflüchteten, unter ihnen Asylsuchende aus Afghanistan, bekommen in Deutschland keine Sprachkurse und kaum Arbeitsangebote. Meine Damen und Herren, so kann Integration nicht funktionieren.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Aus diesem Grund können wir dem FDP-Antrag – von der FDP ist im Moment nur Herr Greilich übrig geblieben; ah, Herr Rentsch ist auch da – nicht zustimmen, obwohl er viele gute Aspekte aufgreift. Er ist aber durchzogen von der Denkweise des Zweiklassenasylrechts.

Meine Damen und Herren, eines der größten ungelösten Probleme der hessischen Aufnahmepolitik ist und bleibt die Praxis der Lagerunterbringung. Diese Massenunterkünfte isolieren die Menschen, befördern Konflikte und behindern eine gesellschaftliche Teilhabe. Trotzdem sehe ich seitens der Landesregierung keine Bemühungen, dass die Betroffenen vernünftig untergebracht und gut betreut werden.

(Claudia Ravensburg (CDU): Das sehen Sie falsch!)

Die Landesregierung weigert sich auch weiterhin, allgemeingültige Standards für eine menschenwürdige Unterbringung Asylsuchender aufzustellen. Nicht einmal eine Betriebserlaubnis nach dem Kinder- und Jugendhilferecht – ansonsten ein Muss in jeder Einrichtung, in der Kinder untergebracht werden – ist in Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende erforderlich. Das wissen Sie auch.

Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen und der Hessische Flüchtlingsrat haben erst Ende September in einem Memorandum auf dieses Versäumnis des Landes hingewiesen.

Meine Damen und Herren, wer es ernst meint mit der Integration, der muss menschenrechtskonforme Mindeststandards in der Flüchtlingsaufnahme einführen. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Bocklet, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, sehen Sie den Kollegen Rentsch? – Ah, da ist er. Ich will gleich auf ihn eingehen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Er hat die Fraktion gewechselt!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von der FDP, lieber Kollege Rentsch, Sie haben einen Antrag vorgelegt, in dem Sie einige Anregungen zur Verbesserung der Situation von Flüchtlingen vorschlagen. Es mag Sie überraschen: Einige Ihrer Vorschläge sind tatsächlich überdenkens- und überprüfenswert. Es wird Sie aber auch nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass all diese Vorschläge, die Sie unterbreitet haben, im Wesentlichen schon längst in der Diskussion und in Vorbereitung der Umsetzung sind.

Sie sprechen beispielsweise an, dass wir eine bessere Erfassung der Berufsqualifikationen brauchen. Sie sprechen an, dass wir eine verbesserte Zuweisung an die Kommunen brauchen. Sie sprechen an, dass man den Flüchtlingen vor Ort noch bessere Hilfen geben muss. Das alles ist im Wesentlichen unstrittig. Liebe Kollegin und liebe Kollegen der FDP, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Das alles ist auch eingeleitet.

Das kann man in dem Zusammenhang auch einfach einmal sachlich diskutieren. Es gibt ein paar Sachen, die Sie vorschlagen, die sind Quatsch. Ich möchte beispielsweise nicht den Wohlfahrtsorganisationen einen ungehinderten Zugang zu den Einrichtungen gewährleisten. Das hat zwei praktische Gründe. Wir haben das erlebt. Es führt zu totalem Chaos, wenn jeder ein- und ausspaziert. Es geht auch um den Schutz der Flüchtlinge. Auch sie haben eine Privat- und Intimsphäre.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Doch, genau so ist es. – Natürlich gibt es überhaupt kein Problem, dass jede Organisation, die das wünscht, auf Anmeldung Zugang hat und mit den Flüchtlingen arbeiten kann. Ungehinderter Zugang heißt jedoch, dass jeder, der sich dazu berufen fühlt, durchs Tor marschiert und meint, irgendetwas zu tun. Mit Verlaub, das bedeutet „ungehinderter Zugang“.

(Widerspruch der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LIN- KE))

Doch, Kollegin, das war genau der Streit in vielen Einrichtungen. Einrichtungsleiter haben berichtet, es stünden plötzlich irgendwelche Organisationen vor der Tür, die erbost den ungehinderten Zugang gefordert hätten.

So kann man das nicht machen. Zum einen haben die Menschen in den Einrichtungen selbst einen Tagesablauf, der zu beachten ist, und sie haben eine Intim- und Privatsphäre. Natürlich haben die Organisationen einen Zugang, aber keinen ungehinderten. Das wird in den Einrichtungen längst so gehandhabt. Die Forderung des ungehinderten Zugangs halte ich für nicht klug.

Beachtlich finde ich bei dem Antrag der FDP auch, dass Sie 16 Punkte haben – – Herr Kollege Rock, Sie hören we

nigstens zu. Ihr eigener Redner scheint das nicht nötig zu haben.

(Wolfgang Greilich (FDP): Ei, ei, ei!)

Es ist doch so. Man kann nicht eine Rede halten und sich dann nicht dafür interessieren, was ein Mitglied der Regierungsfraktionen dazu sagt. Das ist eine Stilfrage. Der eine hat es, der andere nicht.

Ich finde es witzig, dass Sie 16 Punkte haben und dabei 15 detaillierte Vorschläge unterbreiten, um dann im 16. Punkt zu fordern: „Der Landtag fordert die Landesregierung dazu auf, ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Integration der Flüchtlinge zu erarbeiten“. Sie wussten aber schon, was dazu gehört. Das ist eigentlich ein Widerspruch.

(Florian Rentsch (FDP): Sie werfen uns vor, wir hätten kein Konzept! Wenn wir eines vorschlagen, ist es auch nicht richtig!)

Sie haben ein Sammelsurium von Einzelpunkten, und dann fällt Ihnen am Ende ein, dass es vielleicht ganz gut wäre, ein Gesamtkonzept zu erarbeiten.

Deswegen beantworte ich Ihnen gerne, was bisher dazu passiert ist. Offensichtlich waren Sie nicht ganz auf dem Stand der Dinge. Wir haben im letzten Jahr einen Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen verabschiedet. Dieser Aktionsplan hat ein Volumen von 1,3 Milliarden €. In diesem Aktionsplan steht ziemlich genau das, was Sie fordern. Das heißt aber nicht, dass man nicht über Ihre Vorschläge weiter nachdenken kann. Aber Sie tun so, als ob da nichts passiert wäre. Offensichtlich gibt es bei Ihnen eine größere Informationslücke. Ich möchte Ihnen deshalb in den verbleibenden 48 Sekunden sagen:

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Es sind Beispiele der Verbesserung der Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen: Sprache, Kinderbetreuung, ärztliche Versorgung, psychologische Versorgung. Der Ausbau der Sprachförderung hat in allen Bereichen stattgefunden. Die verbesserte Betreuung und auch Beschulung von Kindern – Letzteres haben wir nachher noch – ist verbessert worden. Die erhöhte Förderung des Wohnungsbaus, die Integration in den Arbeitsmarkt, auch bei der Sicherheit und Prävention, ehrenamtliche Strukturen, Gemeinwesenarbeit – das ist alles gemacht worden.