Frau Präsidentin! Lieber Frank Kaufmann, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich glaube, dass eine Aussage hier so nicht stehen bleiben kann. Die Aussage – wenn ich Sie richtig verstanden habe – lautete, die SPD-Fraktion solle eher gegen die Atomindustrie statt gegen die Ministerin vorgehen. Im Kern ist die Frage, gegen die Atomindustrie vorzugehen, angesichts unserer politischen Geschichte völlig klar beantwortet.
In einem Rechtsstaat, in dem selbst ein Straftäter ein Recht auf Verteidigung hat, hat aber jeder, der von einer negativen Entscheidung betroffen ist, ein Recht darauf, dass die Spielregeln des Rechtsstaates eingehalten werden.
Das Gleiche gilt für die Androhung der Folgen. Selbstverständlich hat die Ministerin politisch entschieden; aber wenn man auch nur andeuten würde, dass politische Entscheidungen rechtsstaatliche Mechanismen aushebeln können, wäre das ebenfalls ein ziemliches Problem.
Ich will das gar nicht unterstellen, aber ich würde bitten, das hier deutlich klarzustellen. Um es auf den Punkt zu bringen: Rechtsstaat und Demokratie hängen untrennbar zusammen. Wer den Rechtsstaat einschränkt, der schränkt auch die Demokratie ein.
Erstens. Ich bin beruhigt, dass ich Ihren Worten entnehmen konnte, dass Sie weiterhin zum Atomausstieg und gegen die unverschämten Ansprüche der Atomindustrie stehen. Das finde ich gut.
Zweitens. Wenn innerhalb der vom Rechtsstaat geschaffenen Instrumente – in dem Fall ist es das Verwaltungsverfahrensgesetz – der Verzicht auf eine Anhörung möglich ist, dann kann es an der Stelle nicht um die Frage gehen, die Sie gerade angesprochen haben; denn es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Rechtsstaat und Demokratie untrennbar zusammengehören.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „Wer gegen VW klagt, darf Ministerin Puttrich nicht aus der Verantwortung nehmen“. Das ist der vielleicht nicht ganz selbst erklärende Titel des Antrags der SPD, über den wir hier sprechen.
Deswegen noch ein paar Ausführungen dazu, um was es geht: Die damalige Umweltministerin und heutige Europaministerin Puttrich soll für die rund 3 Millionen € Gerichtsund Anwaltskosten zur Rechenschaft gezogen werden, die allein die Formfehler bei der Biblis-Abschaltung im Jahr 2011 bisher gekostet haben.
Im Titel nimmt die SPD dabei Bezug auf eine kürzlich angekündigte Klage des Landes Hessen gegen Volkswagen, weil das Land VW-Aktien besaß, die aufgrund der Abgasaffäre im Kurs gefallen waren. Das sind zwei interessante Sachverhalte, auf die ich eingehen möchte, weil sie eines verbindet: In beiden Fällen geht es um ein grob fahrlässiges Verhalten von Regierungen. Das wäre die wohlmeinende Interpretation. Man könnte auch sagen: In beiden
Fällen geht es um bewusstes Wegschauen, Vertuschen und organisierte Verantwortungslosigkeit auf Kosten der Steuerzahler.
Die Biblis-Stilllegung infolge des sogenannten Atom-Moratoriums hat bereits einen Untersuchungsausschuss beschäftigt. Das damalige Atom-Moratorium war ein rechtlich unhaltbares Wahlkampfmanöver der CDU nach Fukushima, weil man den Atomkonzernen das Geschäft eigentlich gar nicht vermiesen wollte. Man hatte gerade die Laufzeiten verlängert. Es wurde kein rechtssicheres Abschaltgesetz ausgearbeitet, sondern ein wackeliges dreimonatiges Abschalten für Sicherheitsüberprüfungen.
So sollte nach dem Fukushima-Schock und kurz vor anstehenden Landtagswahlen Aktionismus simuliert werden, ohne den Interessen von RWE, E.ON und Co. wirklich zu schaden. Dieses Vorgehen wurde damals mit den Ministerpräsidenten im Kanzleramt abgesprochen. Es wurde vereinbart, und es wurde in Hessen von der damaligen Umweltministerin umgesetzt. Es gab damals viele kritische Stimmen: von Verfassungsrechtlern, aus der Opposition, ja sogar von den Experten aus den eigenen Ministerien. Es gab kritische Stimmen, dass ein solches Vorgehen den Klagen Tür und Tor öffnet.
Aber all diese Warnungen wurden ignoriert, mit dem erwartbaren Ergebnis, dass RWE gegen die Stilllegung von Biblis geklagt hat – und zwar mit Erfolg.
Mittlerweile hat das die Steuerzahler 3 Millionen € gekostet, und über die Schadenersatzansprüche wurde überhaupt noch nicht entschieden. 235 Millionen € will RWE vom Land. Das ist, angesichts der Tatsache, dass sich die Atomkonzerne über Jahrzehnte hinweg auf Kosten der Bevölkerung bereichert haben, zweifelsohne eine Frechheit.
Meine Damen und Herren, es ist aber eine Frechheit, zu der die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung und die schwarz-gelbe Landesregierung diese Konzerne eingeladen haben, indem sie einen nicht rechtssicheren Weg beschritten haben.
Es war eben nicht einfach nur ein Formfehler. Man hat diesen Schaden offenbar ganz bewusst in Kauf genommen. Da muss man schon sagen: Frau Ministerin, nach normalen Maßstäben würde eine Ministerin nach einem solchen Desaster zurücktreten.
Aber Frau Puttrich sitzt nach wie vor auf der Regierungsbank. Da muss man schon einmal über Verhältnismäßigkeiten reden: Während jeder kleine Verein Probleme bekommt, wenn eine Abrechnung nicht stimmt, während Erwerbslosen bei der kleinsten falschen Angabe mit Sanktionen gedroht wird, nimmt es die CDU mit Law and Order nicht so genau, wenn es um sich und ihre Buddies geht. Da
(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Horst Klee (CDU): Ei, ei, ei! Was träumen Sie denn nachts?)
Herr Klee, so ist es doch. Ob Schwarzgeld, Vetternwirtschaft oder Schäden in Millionenhöhe, Ihr Motto ist: legal, illegal, grad egal. – Das ist Ihr Motto, wenn es um Sie selbst geht.
Dafür, dass der Kampf gegen die Atomindustrie einmal ein grünes Herzensthema war, unterwerfen sich die GRÜNEN auch bei diesem Thema auffallend leise der Koalitionsdisziplin. Auch das sei einmal angemerkt.
Meine Damen und Herren, da die SPD in der Überschrift ihres Antrags die VW-Klage des Landes Hessen erwähnt, will ich auch dazu ein paar Worte verlieren; denn das Land Hessen hat kürzlich angekündigt – wie andere Länder auch –, gegen den Volkswagen-Konzern klagen zu wollen, weil der Aktienkurs durch den sogenannten Abgasskandal drastisch gesunken ist. Dem Land Hessen sind rund 4 Millionen € Schaden entstanden, weil das Land für seine Beamtinnen und Beamten in einem Fonds Pensionsrücklagen, unter anderem mit VW-Aktien, angelegt hatte. Es ist das Recht der Landesregierung, VW zu verklagen, aber es ist auch ein bisschen skurril. Das Bundesverkehrsministerium müsste man gleich mit verklagen,
denn das sogenannte „Dieselgate“ ist eigentlich kein VWSkandal, sondern es ist auch ein politischer Skandal, wenn die Aufsichtsbehörden jahrelang bewusst weggeschaut und die Manipulationen damit gedeckt haben.
Gutachter haben gegenüber dem Untersuchungsausschuss des Bundestages genau diesen Vorwurf bekräftigt: Die Bundesregierung, insbesondere das CSU-geführte Verkehrsministerium und das ihm unterstellte Kraftfahrtbundesamt, hätten nicht nur seit Jahren von den Manipulationen gewusst und nichts unternommen, sie seien auch – oh Wunder – eng mit der Automobilindustrie verwoben.
Immer wieder kommt die Autoindustrie mit lächerlichen Testverfahren, laxen Grenzwerten und fragwürdigen Argumenten davon. Die Umwelt und die Interessen der Kunden werden systematisch den Interessen von Konzernen nachgeordnet. Man muss sagen: Ginge es nach den deutschen Behörden, wüsste die Öffentlichkeit noch heute nichts von diesem Betrug.
Natürlich stellt sich auch die Frage, ob VW wirklich das einzige Unternehmen war oder ob deutsche Behörden noch sonst wo wegschauen. Deshalb: Der richtige und zukunftsfähige Weg für den Erhalt der Arbeitsplätze der deutschen Automobilindustrie wäre, die deutsche Automobilindustrie zu regulieren und zu überwachen, sodass sie gezwungen ist, zukunftsfähige Produkte zu entwickeln und die Interessen der Natur und der Gesellschaft zu berücksichtigen.
Nun hat das Land 4 Millionen € verloren, weil es Pensionsrücklagen in Aktien angelegt hat. Auch dazu ein paar grundsätzlich kritische Worte: Natürlich ist es riskant, Geld für die Altersvorsorge in Aktien anzulegen, weil ein Unternehmen eben schnell den Anschluss an die Zukunft und damit auch an Wert verlieren kann. Es ist für die private Altersvorsorge jedes Einzelnen und auch für den Staat riskant, weil man damit rechnen muss, dass man Geld verliert.
Dieses Problem liegt in der Logik der kapitalgedeckten Altersvorsorge. In den Pensionsfonds sammelt sich weltweit viel Kapital an, das gerade bei den herrschenden Niedrigzinsen kaum noch sinnvolle Anlageformen findet. Ständig neue Blasen und Finanzkrisen werden zwangsläufig die Folge sein. Deswegen: Die Altersvorsorge der Menschen ist zu wichtig, um das Geld den Schwankungen der Finanzmärkte auszusetzen. Wir brauchen eine starke, umlagefinanzierte gesetzliche Rente, die auch Beamte und Selbstständige einbezieht. Bei einem umlagefinanzierten System gäbe es viele Probleme und Risiken erst gar nicht.