Protocol of the Session on June 23, 2016

Kolleginnen und Kollegen, wir müssen nicht nur diesen Spitzen der Gewaltexzesse entgegentreten. Ich glaube, es

kommt ganz wesentlich darauf an, hier und heute ein gemeinsames Signal zu setzen, dass gerade im Alltag die Rettungskräfte und die Polizei bei ihrer Arbeit geschützt werden müssen, also diejenigen, die unsere Sicherheitsarchitektur für uns tagtäglich verteidigen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michael Bod- denberg und Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Das ist ein ganz wesentlicher Bereich. Der ist mir heute in der Debatte ein bisschen zu kurz gekommen. Denn die Rednerinnen und Redner haben sich wieder auf Blockupy konzentriert.

Wir brauchen aber gerade im Alltag ein anderes Schutzverhalten, das an den Tag gelegt werden muss. Denn allein bei der Polizei haben wir in Hessen im Alltag über 3.000 Straftaten zu verzeichnen. Umgerechnet sind das täglich ca. acht tätliche Übergriffe auf Polizeibeamte. Kolleginnen und Kollegen, das dürfen wir so nicht hinnehmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU)

Ja, man kann über eine Maßnahme, nämlich die Strafverschärfung, nachdenken. Das gehört aber auch zur heutigen Debatte dazu. Ich hoffe, der Innenminister sagt etwas dazu. Es gab im Jahr 2011 bereits eine Strafverschärfung. Da wurde der Strafrahmen angehoben.

Das hat heute leider noch keine Rolle gespielt. Die Innenministerkonferenz hat diese Strafverschärfung evaluiert und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sie leider nichts gebracht hat. Vielmehr haben wir nach wie vor eine Erhöhung der Zahl der Straftaten gegen Polizeibeamte, Soldaten sowie Einsatz- und Rettungskräfte. Deswegen müssen wir heute hier darüber reden, was wir ansonsten dagegen tun müssen. Es reicht nicht aus, allein über die Strafverschärfung zu reden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Herr Kollege Bauer, ich will Ihnen das noch einmal zurufen. Wir sind uns durchaus einig, dass die Strafverschärfung ein Mittel sein kann. Bei Straftaten, wie sie beispielsweise bei Blockupy begangen wurden, aber auch in dem Fall des Polizeibeamten an Weihnachten, reden wir nicht über Sonderstrafrecht. Vielmehr reden wir über das normale Strafrecht, mit dem wir selbstverständlich die Bestrafung der gefährlichen Körperverletzung, des versuchten Mordes oder des Mordes, wie im Fall von Herborn, schon zur Verfügung haben.

Darüber hat heute noch keiner geredet. Eine Strafverschärfung könnte beispielsweise bedeuten, dass man sich von einem Schutzparagrafen abwendet und eine Strafverschärfung bei Straftaten gegen Amtsträger oder Rettungskräfte bei der normalen Körperverletzung oder beim Totschlag vornimmt. Auch darüber könnte man sprechen. Das hat der Innenminister aber nicht initiiert. Das steht auch nicht in der Initiative, die übernommen wurde.

Herr Kollege Frömmrich, es ist in der Tat leider nicht so, dass die hessische Initiative einfach übernommen wurde.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich gar nicht gesagt!)

Sie haben hier aus dem Beschluss zitiert. Das soll Berücksichtigung finden. Wir werden abwarten müssen, was dabei herauskommt. Heute in der Aktuellen Stunde so zu tun,

als sei Hessen da erfolgreich, ist, glaube ich, grundlegend gescheitert.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE)) )

Wir brauchen deutlich mehr umfangreiche Maßnahmen. Wir brauchen eine Kultur des Respekts und der Wertschätzung. Da müssen Sie noch ein bisschen nachholen. Man hat in der Debatte, die heute Morgen stattgefunden hat, gesehen, dass die Wertschätzung gegenüber den Beamten dieses Landes gerade nicht die oberste Priorität dieser Landesregierung hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Kollegin Faeser, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss meiner Rede. – Wir brauchen umfangreiche Maßnahmen. Dazu gehören auch Maßnahmen der Gewaltprävention in Kindergärten und Schulen. Dazu gehören Schutzmaßnahmen, die für die Rettungskräfte und die Polizei ergriffen werden müssen. Wir haben da gemeinsam viel Arbeit zu erledigen. Wir stehen für eine andere Kultur des Respekts und der Wertschätzung gegenüber denjenigen, die unsere Sicherheit gewährleisten.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Herr Kollege Wilken für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die hessische CDU fordert – sie hat die Innenministerkonferenz zumindest davon überzeugt, dass aus dem Bund jetzt etwas kommen soll –, bei Angriffen auf Polizisten und Rettungskräfte eine Mindeststrafe von sechs Monaten einzuführen. Herr Bauer hat es heute hier so vorgetragen.

Herr Beuth, insbesondere Sie argumentieren, dass die Täter die Konsequenzen ihres Tuns deutlich spüren müssen.

(Manfred Pentz (CDU): Genau!)

Deshalb müsse in jedem Fall eine Mindeststrafe von sechs Monaten verhängt und jeder Umweg zu einer Geldstrafe über die Strafzumessungsvorschriften versperrt werden.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig!)

Meine Damen und Herren, nach geltendem Recht kann jetzt schon eine einfache Körperverletzung oder auch nur deren Versuch nach § 223 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren belegt werden. Hier ist keine Mindeststrafe vorgesehen; es können auch Geldstrafen verhängt werden.

Meine Damen und Herren, heute hat noch niemand darauf hingewiesen: Bei dem zu schaffenden § 112 StGB geht es gar nicht um Körperverletzung oder deren Versuch. Viel

mehr geht es darum, einen Tatbestand und dessen Strafrahmen so zu normieren, dass nunmehr in geringfügigeren Fällen ausnahmslos eine mindestens sechsmonatige Freiheitsstrafe verhängt werden muss.

Die Möglichkeit der Gerichte, einen Strafrahmen zwischen einer Geldstrafe und einem Gefängnisaufenthalt entsprechend dem Einzelfall auszuschöpfen und auf eine schuldangemessene Strafe zu erkennen, soll ausgerechnet für Bagatellfälle aufgehoben werden.

(Michael Boddenberg (CDU): Was sind den Bagatellfälle aus Ihrer Sicht? Blockupy, oder wie war das?)

Die Gerichte sollen gezwungen werden, ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls bei Bagatellfällen Freiheitsstrafen zu verhängen, um damit durch drakonische Strafen Stärke und Härte zu zeigen. Offenbar sind bei Ihnen die Gerichte der eigentliche Störfaktor, der mit dem Gesetz überwunden werden soll.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Was sind den Bagatellfälle? Sagen Sie es doch einmal!)

Meine Damen und Herren, Sie wissen genauso gut wie ich, dass Sanktionen nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache stehen dürfen – so die ständige Rechtsprechung von BGH und Bundesverfassungsgericht. Wenn bei einer Demonstration eine Rangelei oder ein Eierwurf eine halbjährige Gefängnisstrafe nach sich zieht und niedrigschwelligere Sanktionsmöglichkeiten entfallen, dann kann von Verhältnismäßigkeit keine Rede mehr sein.

Meine Damen und Herren, auch schon das jetzt geltende Recht gewährt Polizeibeamten und anderen Einsatzkräften Schutz bei ihrer rechtmäßigen Aufgabenerfüllung. Es ist vollkommen fraglich, ob die Straferhöhung, gerade bei Bagatelldelikten, diesen Schutz wirklich verbessert – meine Vorrednerin hat darauf hingewiesen.

Das Verständnis der Polizei als Freund und Helfer wird in Richtung eines im wahrsten Sinne des Wortes „unberührbaren Staatssymbols“ verschoben, dem der Bürger untertan zu sein hat. Das ist nicht gut, auch nicht für die Polizei. Wenn man diesen Weg weitergeht, kann es zu einer Kluft zwischen Bürger und Polizei kommen, wie wir es aus einigen anderen Ländern in krasser Form kennen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Personen wegen einer Polizistenberührung oder einer eher harmlosen Rangelei wirklich ins Gefängnis müssen, kann das Hass und eine sinnlose Eskalation vorantreiben.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sorgen Sie sich um Ihre Klientel, oder was? – Unruhe – Glockenzeichen der Präsidentin)

Alle meine Vorredner mussten selbstverständlich darauf hinweisen, dass der unmittelbare Auslöser für die hessische schwarz-grüne Initiative

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sorgen Sie sich um die Antifa und die ganzen Linken?)

die gewalttätigen Auseinandersetzungen waren, die zeitlich vor der Blockupy-Protestdemonstration lagen.

Meine Damen und Herren, Sie können sich darauf einstellen: Die sozialen Spannungen werden durch die Politik der

letzten Jahrzehnte verschärft. Sie werden zunehmend auch Deutschland erreichen.

(Michael Boddenberg (CDU): Kommt jetzt wieder Ihre Rechtfertigung, Herr Vizepräsident?)

Ich warne Sie davor, die sich daraus ergebenden Probleme durch drakonische Strafverschärfung, verschärfte Repression und den Abbau demokratischer Rechte beantworten zu wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, was Sie hier vorhaben, fördert auch keine Kultur des Respekts innerhalb der Bevölkerung. Auch der angestrebte Abschreckungseffekt läuft ins Leere. Herr Beuth weist in seiner Erklärung darauf hin – ich zitiere –:

90 % der Übergriffe auf Polizeibeamte finden im Übrigen im normalen Einzeldienst statt, vor allem in den Abendstunden, und wenn Alkohol im Spiel ist. Oftmals spielen da die zu bedauernde Respektlosigkeit und auch Imponiergehabe eine wichtige Rolle.

Die Erwartung, dass gerade in solchen Fällen Personen vor der Tat einen Blick in ein Gesetzbuch werfen, sich über die Höhe des Strafmaßes informieren, daraufhin ihr Verhalten kritisch reflektieren und von der Ausführung einer Gewalthandlung absehen, ist nun wirklich abenteuerlich und überhaupt nicht lebensnah.