Protocol of the Session on June 22, 2016

Der Ministerin wurden von der zuständigen Abteilung diese Bedenken vorgetragen. Daraufhin sagte die Ministerin nicht: „Okay, ich werde noch einmal mit dem Bund reden“, sondern sie sagte: Ich nehme das Verfahren an mich. Die zuständige Abteilung wird in dieser Sache von ihren Aufgaben entbunden und soll nur noch „Schreibarbeiten“ ausführen.

Dieser beachtliche Vorgang und die Bedenken der zuständigen Abteilung wurden in keiner Akte vermerkt. Als wir gefragt haben, warum es nicht vermerkt wurde, lautete die Antwort: Man habe es nicht vermerkt, weil man RWE kein Material für eine Schadenersatzklage liefern wollte. – Man war sich dieser Gefahr also bewusst. Trotzdem hat man auf eine Anhörung verzichtet, die natürlich obligatorisch gewesen wäre.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Herr Bellino, es ist schon putzig, wenn Sie betonen, dass Ihr Bescheid nicht nur formell, sondern auch materiell rechtswidrig gewesen wäre. Das spricht nicht für Sie. Rechtswidriger als das, was Sie gemacht haben, geht es nicht.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

RWE wollte freiwillig abschalten – wie Sie eben gesagt haben. Ich darf auf die Sitzung des Umweltausschusses am 18.03.2011 hinweisen, genau in dieser Woche. In dieser Sitzung wurde ein Artikel aus „Spiegel Online“ zitiert, in dem das damals zuständige Vorstandsmitglied von RWE, Herr Jäger, gefragt wurde: „Würden Sie Ihre Reaktoren Biblis A und B freiwillig schließen?“ Darauf antwortet Jäger: „Dafür gibt es keine Veranlassung.“

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Ich will Ihnen auch sagen, wer das im Ausschuss zitiert hat. Das war der heutige Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und der FDP)

Am Freitag, dem 18. März, eine Woche nach der Katastrophe in Fukushima, erlässt das Land eine Abschaltverfügung für das AKW Biblis. RWE reicht zwei Wochen später beim Verwaltungsgericht Klage ein und bekommt recht. Bis heute hat dieses Verfahren das Land schon Millionen gekostet, und es werden noch viel höhere Schadenersatzforderungen vor dem Landgericht Essen verhandelt.

Nachdem RWE jahrzehntelang hohe Profite mit Atomkraftwerken gemacht hat, die subventioniert wurden und für deren Folgekosten die Allgemeinheit noch lange wird aufkommen müssen, will man sich jetzt einmal mehr auf Kosten der Steuerzahler bereichern. Ganz klar: Das ist eine Frechheit seitens RWE, aber es ist eine Frechheit, zu der

Schwarz-Gelb die Konzerne leider ausdrücklich eingeladen hat.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich muss schon sagen: Das Bild, das fast alle Beteiligten in diesen zwei Jahren Untersuchungsausschuss abgegeben haben, ist verheerend. Man hatte das Gefühl, es ist die organisierte Verantwortungslosigkeit, die sich vor einem ausbreitet. Beim einen oder anderen wurde mir angst und bange bei der Vorstellung, dass er für die Sicherheit von Atomkraftwerken zuständig war oder ist.

Auf Bundesebene wurde ein wackeliges Verfahren angeschoben. Die Länder wurden mit ins Boot geholt, um die Verantwortung nicht alleine zu tragen. Warnende Stimmen von Mitarbeitern aus den Ministerien wurden einfach ignoriert. Beamte, die sich kritisch geäußert haben, wurden von ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung entbunden. Die Atomaufsicht wurde faktisch ausgeschaltet.

Diese Vorgänge erscheinen ganz anders, wenn man sich den mit schwarz-grüner Mehrheit beschlossenen Untersuchungsausschuss-Abschlussbericht durchliest, weil er vollkommen einseitig ist. Er kommt zu Bewertungen, welche Zeugenaussagen glaubhaft seien – Bouffier z. B., oh Wunder – und welche Zeugenaussagen unglaubhaft sein sollen. Ich finde, eine pauschale Entlastung von Ministerpräsident Bouffier und der damaligen Umweltministerin, Frau Puttrich, können wir natürlich nicht mittragen. Deswegen haben wir gemeinsam mit der SPD einen eigenen Bericht erstellt.

Einen Punkt will ich noch einmal aufgreifen: Besonders schäbig seitens der Regierungsfraktionen ist es, dass die Schuld nicht nur auf den Bund geschoben wird – das war so weit erwartbar –, sondern dass Sie die Schuld auch auf die Beamten in Ihren eigenen Ministerien schieben. Ich muss sagen, das halte ich schon für schäbig.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Zum einen haben diese Beamten klar zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dem Verfahren nicht einverstanden sind. Zum anderen trägt immer noch die zuständige Ministerin die Verantwortung für das, was in ihrem Haus passiert, und nicht die Beamten. Es ist doch ein fatales Signal, das Sie an die eigenen Mitarbeiter in den Ministerien aussenden. Man kann jedem Beamten in den Ministerien nur noch empfehlen, dass er bei der kleinsten Unstimmigkeit sofort remonstrieren soll, damit es aktenkundig wird und er am Ende nicht solchen Vorwürfen ausgesetzt ist.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Die Kanzlerin hat in ihrer Zeugenvernehmung in Berlin abgestritten, dass parteipolitische, wahlkampftaktische Überlegungen irgendwie zu dieser Entscheidung beigetragen haben. Ich finde, das ist nicht glaubwürdig. Es waren nur Ministerpräsidenten der Union bei diesem Treffen. Die Kanzlerin konnte noch nicht einmal erklären, warum sie das Moratorium ausgerechnet auf drei Monate festgelegt hat und nicht auf einen anderen Zeitraum. Auch die Aussage der Kanzlerin, man habe nicht mit Klagen der Atomkonzerne gerechnet, ist hanebüchen. Die Frau war Bundesumweltministerin, und man konnte damals in jeder Tageszeitung nachlesen, dass die Konzerne eine Klage vorbereiten.

Ich muss schon sagen, dass sich jetzt ausgerechnet die GRÜNEN in Hessen daran beteiligen, diese ehemalige atomfreundliche Landesregierung reinzuwaschen, das ist angesichts ihrer Geschichte und ihrer früheren Verbundenheit mit der Antiatombewegung schon bemerkenswert. Den GRÜNEN ist offensichtlich Loyalität oder, besser gesagt, Vasallentreue zu Bouffier und der hessischen CDU wichtiger als ihr einstiges Herzensthema.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Ich finde, wir haben in diesem Untersuchungsausschuss so manche bedenkliche Verstrickung zwischen Politik und Atomwirtschaft gestreift. Wir konnten sie nicht erschöpfend behandeln. Wir haben gehört, dass Ronald Pofalla, damals Kanzleramtsminister, sich mit RWE-Chef Großmann zum Abendessen getroffen hat, privat bei Herrn Großmann in der Villa. Ich will noch auf die schillernde Figur des Gerald Hennenhöfer hinweisen, der offensichtlich als Vorlage für Mr. Burns bei den Simpsons gedient hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Das ist in der Serie bekanntlich der Besitzer eines Atomkraftwerks, der die Sonne verdunkelt hat, um mehr Strom zu verkaufen. Dieser Herr Hennenhöfer hat noch 2002 mit Gerhard Schröder den Atomkonsens ausgehandelt, als er beim E.ON-Vorgänger VIAG beschäftigt war. Später wurde er unter Schwarz-Gelb Chef der Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium.

Die Nähe zwischen Politik und Atomwirtschaft war schon immer bedenklich eng. Deswegen sage ich: Wir brauchen eine Energiewende. Wir brauchen sie nicht nur, um die Energieträger auszutauschen, sondern auch um die Energiewirtschaft umzubauen und diese Konzerne mit ihren Verflechtungen in die Politik endlich zu entmachten und zu zerschlagen. Auch das hat dieser Ausschuss sehr deutlich gemacht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Kollegin Wissler, Sie müssen zum Schluss kommen.

Das ist äußerst bedauerlich. – Ich finde, es ist schwer vorstellbar, dass das alles nur Pannen sind, über die wir hier reden. Dazu ist die Juristendichte in den Ministerien zu groß. Es gab zu viele Warnungen. Man hat den Eindruck gehabt: Alle Beteiligten wussten, es würde nicht gut gehen. Aber statt einen rechtssicheren Weg einzuschlagen, haben alle Beteiligten frühzeitig damit begonnen, die Verantwortung auf die jeweils andere Ebene abzuschieben. Deswegen ist es zumindest fahrlässig, wie hier gehandelt wurde.

Die Verantwortlichkeit in Hessen liegt bei Ministerpräsident Bouffier und der damaligen Umweltministerin, Frau Puttrich. Ich sage, in jedem anderen Bundesland würden für so etwas Menschen zurücktreten. In Hessen haben wir leider die Situation, dass die hessische CDU die Grenzen des Anstands so weit verschoben hat, dass keiner mehr Verantwortung für irgendetwas übernimmt, sondern man

im Zweifelsfall versucht, die Verantwortung abzuschieben – zur Not auf die eigenen Mitarbeiter.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Das Wort hat der Kollege René Rock aus Seligenstadt, FDP.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Untersuchungsausschuss war mein erster Untersuchungsausschuss. Es war ein interessanter Untersuchungsausschuss, und es war ein Untersuchungsausschuss, der, glaube ich, in einem guten Klima und unter guten Voraussetzungen hat arbeiten können. Hierzu ist heute schon viel Dank ausgesprochen worden. Auch ich möchte dem Vorsitzenden für die gute Zusammenarbeit danken. Ich möchte auch den anderen Fraktionen danken für den vernünftigen Umgang, den wir in diesem Untersuchungsausschuss hatten. Ich glaube, das muss auch einmal gesagt werden, auch wenn die Bewertung an dieser Stelle vielleicht unterschiedlich ist.

Für mich ist es die Überlegung gewesen: Warum machen die Freien Demokraten einen eigenen, abweichenden Bericht zu diesem Untersuchungsausschuss? – Ich glaube, in der Debatte ist klar geworden, warum es notwendig ist, dass wir einen eigenen Bericht machen. Denn anders, als Herr Kaufmann es hier vorgetragen hat, gibt es keinen objektiven Bericht des Berichterstatters, sondern es gibt einen klar wertenden Bericht, einen Bericht, der die Fakten in einen für die Regierung guten Zusammenhang stellt. Darum ist es notwendig gewesen, unsere Bewertung dieser Fakten in einen Zusammenhang zu stellen, den wir für realistisch halten.

Herr Kaufmann, ich glaube, Sie sollten mit Ihren Vorträgen hier ein bisschen vorsichtig sein, gerade wenn Sie als grüner Politiker an dieser Stelle für Ihre Partei viel Glaubwürdigkeit verspielt haben, mit dem Finger auf andere zu deuten. Sie haben einen Bericht vorgelegt, dem man so nicht folgen kann, wenn man diesem Ausschuss gefolgt ist. Hier ist eine abweichende Stellungnahme zwingend notwendig, weil Sie die Fakten absolut verdrehen und in einen anderen Sachzusammenhang stellen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN)

Herr Bellino, noch eine kleine Bemerkung an Sie. Sie haben hier ausgeführt, der Untersuchungsausschuss könnte womöglich mit dem, was er herausfindet, dem Land Hessen schaden, dass sozusagen die Interessen von RWE bedient würden. Ich möchte deutlich sagen: In einem Rechtsstaat heiligt der Zweck niemals die Mittel. Das sollte auch Ihnen und Ihrer Fraktion klar sein. Unser Untersuchungsausschuss hat sich klar an den Vorgaben des Hessischen Landtags orientiert, und da ist klar: Wahrheit muss Wahrheit bleiben.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Jetzt ist natürlich jedem, der hier parlamentarisch tätig ist, und auch den Beobachtern klar: In einer Demokratie beschließt am Ende die Mehrheit die Wahrheit, zumindest die politische Wahrheit. Wir wissen natürlich auch, dass in ei

nem Rechtsstaat am Ende die Gerichte Recht sprechen und die Rechtsfolgen festlegen. Das ist wieder eine andere Ebene. Die dritte Ebene, die hinzukommt, ist die Ebene der öffentlichen Berichterstattung, die für die interessierte Öffentlichkeit deutlich macht, wie dort die Bewertung ist. Wenn diese Bewertungen sehr deutlich auseinanderfallen, muss dies die politische Mehrheit einmal hinterfragen.

Ich möchte ganz klar mit dem einsteigen, was wir im Untersuchungsausschuss an Vorgängen im Umweltministerium recherchiert und aufgedeckt haben. Ich muss ehrlich gestehen: Als jemand, der 2011 schon Mitglied des Hessischen Landtags war, und als jemand, der den Prozess im Hessischen Landtag – auch fachpolitisch interessiert – begleitet hat, war ich unglaublich davon überrascht, was ich dort erfahren musste.

Ich weiß nicht, wie es den anderen Kollegen ging. Es wurde vorgetragen, dass man im Ministerium die Fachabteilung zu einem „qualifizierten Schreibbüro“ herabgesetzt hat. Es gibt Vorgänge, die deutlich machen, wie groß die Befürchtung der Fachleute im Ministerium war, dass Schadenersatzansprüche entstehen könnten. Dass man das vor der politischen Öffentlichkeit im Hessischen Landtag verbergen konnte, ist schon an und für sich eine politische Botschaft.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Dazu kommt noch – das ist zumindest das, was wir im Untersuchungsausschuss erfahren konnten –, dass das Ministerium diese Tatsachen nicht nur gegenüber dem Hessischen Landtag verschleiert hat. Es hat das auch gegenüber der Staatskanzlei und dem Ministerpräsidenten getan. Das ist zumindest so, wenn man die Aussagen für glaubwürdig hält.

Das ist ein weiterer Vorgang, den wir interessiert zur Kenntnis genommen haben. Das ist die Grundlage, auf der wir alles andere bewerten mussten, was im Umweltministerium dann passiert ist. Das betrifft insbesondere die Frage des Verzichts auf die Anhörung.

Herr Kaufmann, Sie haben sich sehr ausführlich dem Thema gewidmet. Man muss sagen, dass genau da ziemlich deutlich wird, wie sehr unterschiedlich man doch die recherchierten Fakten darstellen kann. Das habe ich jetzt einmal so gesagt. Die Folgen des Verzichts auf die Anhörung kann man nicht groß genug einschätzen. Das zeigt sich, wenn man die rechtlichen Folgen betrachtet.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist die formale Ursache dafür, weshalb Hessen rechtlich unterlegen ist und warum Hessen rechtlich keine Möglichkeit hat, dieses Urteil zu überprüfen. Das ist aus den Stellungnahmen deutlich geworden, die uns zur Verfügung standen. Es ist also nicht möglich, den Verzicht auf die Anhörung in irgendeiner Weise zu relativieren oder zu bagatellisieren. Vielmehr ist das ein entscheidender Punkt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)