Lassen Sie mich aber zunächst an den Ausgangspunkt zurückkommen. Erinnern wir uns an das schlimme Unglück in Fukushima. Wenn man heute zurückblickt, mehr als fünf Jahre nach Fukushima, ist mancher schlauer und ernüchterter – manch einer auch, was die beschleunigte Energiewende anbelangt. Ich denke da weniger an die damals bevorstehenden Wahlkämpfe und deren Ergebnisse als an die damalig allgegenwärtig spürbare und übergreifende Aufgeregtheit und Angst, die weite Teile der Bevölkerung in Deutschland ergriffen hatte. Man war im höchsten Maße verunsichert. Das gipfelte sogar darin, dass innerhalb kurzer Zeit in den Apotheken die Jodtabletten ausverkauft waren. Diese Verunsicherung wurde ernst genommen, und das war sicher richtig.
In Gedanken waren wir bei den vielen Tsunamiopfern in Japan. Das war geboten. Wir sorgten uns um die Sicherheit des Kernkraftwerks in Japan. Auch dies war leider notwendig. Manche waren auch ungehalten besorgt ob der planerischen, technischen und ablauftechnischen Fehler, die vor und nach dem Tsunami in Japan gemacht wurden. Auch das war leider berechtigt. In Deutschland kam es in der Folge zu schnellen Entscheidungsprozessen. Deren Auswirkungen spüren wir noch heute – oder, anders formuliert: Nicht jeder, der damals wusste, wo er raus will – Kernenergie –, weiß heute, wo er rein will.
Gerade bei diesem Punkt dürfte mittlerweile eine gewisse Ernüchterung eingetreten sein. Das ist keine Kritik; denn auch das gehört dazu. Energie einsparen, wo es geht, ist in Ordnung und wichtig. Aber woher kommt der restliche Strom? Aus Kohle, Erdöl und Erdgas? – Möglichst wenig. Atomstrom aus dem Ausland? – Nein, danke. Windräder? – Ja, bitte; aber nicht vor meiner Haustüre. Windräder im Norden? – Klar, aber keine Stromtrasse durch unsere Region. Dies gehört leider auch ein Stück weit zur Realität der Jahre 2011 ff.
Damals wurde innerhalb von fünf Tagen in Berlin die beschleunigte Energiewende eingeleitet. Die acht ältesten Kernkraftwerke wurden vom Netz genommen. Die anderen neun sollten während des laufenden Betriebs sicherheitsüberprüft werden. Die Änderung des Atomgesetzes, die zum Ausstieg aus der Kernenergie führen sollte, wurde in drei Wochen durch den Bundestag geleitet.
Deshalb dürfen wir auch in der Nachschau nicht vergessen: Alle – die Bevölkerung, die Politiker – wollten raus aus der
Kernenergie, und zwar schnellstmöglich. Manch einer hat dies heute vergessen. Auch manch einem in diesem Hause ging es damals noch nicht schnell genug.
Manche forderten schon in diesen Tagen das sofortige Abschalten von Biblis A und B und die endgültige Abschaltung, von der zunächst keine Rede war. In Hessen gab es wie in allen anderen beteiligten Bundesländern keinen Entscheidungsspielraum. In Hessen wurde wie in allen anderen beteiligten Bundesländern das umgesetzt, was die Bundesregierung in Berlin beschlossen hatte. Der Bund gab das Was – die Stilllegung –, das Wie – die Verfügung – und das Wann – nämlich sofort – vor.
Anders, als der frühere Bundesumweltminister und sein Abteilungsleiter heute behaupten, durften die Länder nicht von den Vorgaben abweichen. Die Zeugen der Fachebene des hessischen Umweltministeriums und des Bundesumweltministeriums haben ganz klar ausgesagt, dass der Bund einen unterschriftsreifen Entwurf liefern sollte und dass die Länder diesen 1 : 1 umzusetzen hatten. Dass ein einheitliches Vorgehen aufgrund des Schreibens des Bundesumweltministeriums vereinbart war, zeigt schon die Tatsache, dass alle Bundesländer die Begründung des BMU wortwörtlich übernahmen. Nicht ein Land ist von der materiellen Begründung abgewichen.
Hessen handelte somit aufgrund klarer Vorgaben des Bundes und im Geleitzug aller anderen Länder. Da bedurfte es auch keiner formellen Weisung, so klar war die Lage für alle. Später haben die Konzerne von ihrem Recht Gebrauch gemacht, gegen diese Entscheidung zu klagen. Zuvor hatte aber – das wurde bei dem Vorredner vergessen zu erwähnen – die RWE auf Hessen bezogen erklärt, alles umzusetzen, was seitens der Politik beschlossen werde. Es gab sogar Pressemitteilungen dazu. Die Mitarbeiter wurden auf einer Betriebsversammlung hierzu informiert. Das gehört auch zur Klarheit und Wahrheit, wenn wir diesen Abschlussbericht besprechen.
Es ist richtig, die Gerichte haben Jahre später festgestellt, dass die zeitweise Stilllegung materiell und formell rechtswidrig war, formell – darauf wurde hingewiesen – wegen der fehlenden Anhörung und materiell wegen der nicht ausreichenden Rechtsgrundlage. Ich betone deshalb: rechtswidrig vor allem, weil das Gericht keine materielle Gefährdungslage gesehen hat, die eine Abschaltung nach dem Atomgesetz ermöglicht hätte.
Vereinfacht gesagt, Biblis war dem Gericht für eine Abschaltung zu sicher. Für Hessen heißt dies aber im Umkehrschluss: Auch bei einer Anhörung hätte sich am Ergebnis nichts geändert. Auch dies muss an dieser Stelle gesagt werden dürfen.
Wir sind uns einig oder sollten uns einig sein, dass das schnelle Abschalten des Kernkraftwerks Biblis richtig und notwendig war, dass Hessen keinen Entscheidungsspielraum hatte und dass es jetzt im Schadenersatzprozess gilt – meine Damen und Herren von der Opposition –, vom Land jeden Schaden abzuwenden.
Zu den Vorwürfen der Opposition. Sie werfen uns vor, die damalige Regierung aus CDU und FDP hätte dies nur aus wahltaktischen Gründen gemacht. Das ist falsch, und das wurde von allen politischen Verantwortungsträgern im Zeugenstand deutlich gemacht. Die Entscheidung fiel vielmehr in Verantwortung für die Sicherheit unserer Bevölkerung. Dass Sie diesen Vorwurf wider besseres Wissen und allen Aussagen zum Trotz aufrechterhalten, zeigt, dass Sie es sind, die hier wahltaktisch denken und handeln. Vielen von Ihnen ging es damals doch nicht zu schnell.
Sie behaupten, der Verzicht auf die Anhörung sei ursächlich für die Rechtswidrigkeit des Bescheids. Das ist eindeutig und klar erkennbar falsch. Der Bescheid war formell und materiell rechtswidrig.
(Lachen bei der SPD und der LINKEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Das haben Sie jetzt super hingekriegt! So rechtswidrig muss man das erst einmal hinbekommen!)
Das heißt: Die Rechtsgrundlage und die Begründung, die der Bund geliefert hat, waren rechtswidrig. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, eine Anhörung hätte an der Entscheidung nichts geändert. Auch deshalb hat kein Bundesland eine Anhörung durchgeführt.
Sie unterstellen, die Landesregierung hätte die Anhörung aus Fahrlässigkeit oder gar bösem Willen vergessen oder unterlassen. Diese Unterstellung wurde im Untersuchungsausschuss eindeutig widerlegt. Im Gegenteil, man hat sich sehr intensiv mit der Frage beschäftigt, ob man eine Anhörung machen und damit entsprechende Zeitverluste bis zur Abschaltung akzeptieren sollte oder ob man schnell sein will und deshalb verzichtet. Es war damals doch auch im Sinne der Opposition, diese Entscheidungen so schnell wie möglich zu treffen.
Es gab auch gute rechtliche Gründe für den Verzicht. Das hat unter anderem der bewusst eingeschaltete Fachanwalt de Witt dargelegt und empfohlen. Außerdem führten die bereits angesprochenen Vorfestlegungen von RWE durch die angesprochene Pressemitteilung und die entsprechenden vorgelagerten Gespräche der Fachabteilung mit RWE in der Phase der Anordnungserstellung zu dieser Einschätzung. Das fällt also alles zusammen wie ein Kartenhaus. Ich erinnere noch einmal daran: Man darf nie vergessen, dass keines der anderen betroffenen Länder eine Anhörung durchgeführt hat. Meinen Sie denn, die hätten alle fahrlässig oder aus bösem Willen gehandelt?
Sie behaupten zwar immer, dass auch Sie vom Land Schaden abwenden wollen, unterstellen aber gleichzeitig, dass das Land die Verantwortung trägt und nicht der Bund. Das ist nicht nur ein Widerspruch; es schadet auch den Landesinteressen, was Sie hier machen.
Für uns steht fest – um diese Frage dreht sich auch die ganze Debatte –, dass der Bund die Sachkompetenz an sich ge
zogen hat. Es ist eigentlich für jeden klar ersichtlich: Der Bund ist schon laut Verfassung für die Fragen des Atomrechts zuständig. Die Bundesregierung hat das Moratorium öffentlich verkündet, bevor mit den Ländern gesprochen wurde. Sie hat den Ländern die Rechtsgrundlage und Begründung für das Moratorium übermittelt. Sie hat die Länder aufgefordert, das genau so umzusetzen, und zwar schnell; und das ist erfolgt.
Eine solche Vorgabe im Nachhinein – ich muss es leider sagen – als „freundliche Bitte“ umzudeuten, ist nicht angemessen.
Meine Damen und Herren, was hätte denn der Bund gemacht, wenn Hessen gesagt hätte: „Wir machen da nicht mit“? – Was hätte damals vor allem die heutige Opposition gesagt, wenn wir als einziges Bundesland bei der Kernenergie geblieben wären bzw. den Ausstieg beispielsweise durch eine lange Anhörung verzögert hätten? Dann hätten Sie doch schon wieder gesagt, wir wären auf der Seite der sogenannten Atomlobby. Das hätten Sie gemacht. Heute stellen Sie sich aber hin und kritisieren die fehlende Anhörung. Das passt nicht.
Zur Frage: Weisung, ja oder nein? Die Rechtshistorie zeigt eindeutig, dass eine Weisung nicht so genannt werden muss. Die formelle Weisung war in diesem Fall nicht erforderlich, weil der Bund die Sachkompetenz eindeutig an sich gezogen hatte. Das liegt mit dem Schreiben des BMUB an das hessische Ministerium mit Datum vom 16. März 2011 eindeutig vor.
Das liegt eindeutig vor, und das wissen Sie genauso gut wie ich. – Vor diesem Hintergrund fordern Sie ein Amtshaftungsverfahren gegen Staatsministerin Puttrich. Das ist so an den Haaren herbeigezogen, dass es eigentlich fast keiner Erwiderung bedarf. Amtshaftung – das sollte jeder wissen – kommt in Betracht, wenn jemand in grober Fahrlässigkeit, d. h. in grober Verletzung der Sorgfalt, einen Fehler gemacht hat.
Aber hierzu – auch wenn Sie das beklatschen – hat der Untersuchungsausschuss eindeutig gezeigt: Die Entscheidungen sind bei aller Eilbedürftigkeit sehr sorgfältig diskutiert und abgewogen worden; und Handlungsalternativen der Ministerin waren praktisch nicht gegeben, weil der Bund den Text vorgegeben hat.
Vor diesem Hintergrund eine grobe Fahrlässigkeit zu unterstellen, ist keine sachliche und faire Auseinandersetzung mehr. Sie unterstellen eine bewusste Schädigung unseres Landes durch die Ministerin, die einen Eid auf die Verfassung geschworen hat.
beispielsweise in Richtung Bund. Wir haben hierzu eine klare Meinung – trotz parteipolitischer Verbundenheit: Der Bund hat angewiesen, er hatte die Sachkompetenz an sich gezogen und war und ist zuständig. Das habe ich dargelegt.