Das sind die Fragen, die wir uns stellen müssen. Dazu brauchen wir eine Stärkung des Verbraucherschutzes. Frau Ministerin, auch dazu haben Sie nichts gesagt.
Sie wie auch die Regierungsfraktionen sprechen in dem heute vorgelegten Antrag vom Internet als dem größten Tatort. – Ja, das ist wahrscheinlich richtig. Aber ist alles Cyberkriminalität, was dort passiert?
Gute Beispiele hierfür hat uns schon vor Jahren die Seite „Spiegelverkehrt“ nahegebracht: Ein Mann wird Opfer krimineller Machenschaften im Internet. Das Beispiel war: Auf der Suche nach einem Flachbildfernseher stößt er im Internet auf ein äußerst attraktives Angebot; das Gerät, das im Laden 1.000 € kosten sollte, wird im Internet zum Spottpreis von 400 € angeboten. Er greift zu, selbstverständlich Vorauskasse – und dann kommt kein Fernseher. – Hat da jetzt die Cybermafia zugeschlagen?
Ich erzähle diese Geschichte nochmals anders: Da geht jemand in einen dunklen Hinterhof in einer Stadt, in der er noch nie war. Dort wird ihm von zwielichtigen Gestalten ein Fernseher zu 40 % des üblichen Ladenpreises angeboten – ein Angebot, das er auch nach intensiver Recherche sonst nirgendwo finden kann. Der Mann soll das Geld, in einer Tüte verpackt, am nächsten Tag im Nordpark vergraben – was er natürlich genau so tut; der Fernseher soll ihm schließlich direkt im Anschluss nach Hause geliefert werden.
wer so etwas macht, der wäre ein Depp. – Und Sie haben recht. Nur: Im Internet machen Menschen genau diesen Blödsinn und verhalten sich wie Trottel – das aber ist noch nicht Cyberkriminalität.
Oder: Niemand von uns käme auf die Idee, morgens aus dem Haus zu gehen und die Haustüre offen zu lassen.
Im Internet aber lassen wir nicht nur die Tür auf, sondern wir sagen gleich allen Bescheid, dass wir jetzt erst einmal für ein paar Wochen außer Haus sind.
Dank Facebook haben wir mehrere Hundert „Freunde“, und die informieren wir: Jeder soll es wissen. Sicherheitshalber stellen wir täglich ein paar Urlaubsfotos auf unsere „Pinnwand“, als Beweis dafür, dass wir im Urlaub und nicht zu Hause sind.
Meine Damen und Herren, es wird Zeit, dass wir alle wieder mehr Verantwortung übernehmen – vor allen Dingen, was unsere Datensparsamkeit anbelangt. Da will ich auch nicht nach Staat und Überwachung schreien, aber ich schreie nach Medienkompetenz – und auch dazu brauchen wir mehr Initiativen.
Frau Ministerin, Sie bezeichnen in Ihrer Regierungserklärung beispielsweise fehlende gesetzliche Regelungen für die E-Mail-Überwachung und für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung als ein Rechtsproblem. Ich will für meine Fraktion an dieser Stelle deutlich sagen: Uns geht es darum, Grundrechte zu schützen und die Privatsphäre zu achten. Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung ist nach wie vor kein adäquates rechtsstaatliches Mittel und stellt eine allgemeine Gefahr für die Integrität informationstechnischer Systeme dar. Wir lehnen diese Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung ab.
Stattdessen brauchen wir einen besseren Schutz der Urheberrechte. Auch das ist ein Punkt, zu dem Sie heute nichts gesagt haben. Wir müssen endlich das Urheberrecht an die veränderten Bedingungen der Verbreitung von Musik, Texten, Bildern und Filmen anpassen. Das gehört in eine digitale Agenda, aber auch dazu haben Sie hier und heute nichts gesagt.
Meine Damen und Herren, angesprochen wurden die Problembereiche Cybercrime und Verbreitung von Rassismus und Hass im Netz, die bekämpft werden müssen. Dabei stehen wir an Ihrer Seite. Aber nicht nur uns, sondern sicherlich auch Ihnen wird in den letzten Wochen eine Plakatkampagne in unseren Städten – nicht nur in hessischen Städten – aufgefallen sein, bei der es um die Bekämpfung von Cybercrime geht und die mit dem Slogan wirbt: „Deutschlands Freiheit wird auch im Cyberraum verteidigt“. Meine Damen und Herren, hierfür brauchen wir die Bundeswehr nicht. Die Bundeswehr ist der Versuchung erlegen, mit einem sicherlich allgemein zustimmungsfähigen Thema, dass wir nämlich unsere Freiheit und den Cyberraum verteidigen müssen, zu werben. Das finde ich vollkommen unzulässig, insbesondere in Erinnerung an Verteidigungsminister Peter Struck, der damit die Beteiligung Deutschlands am Krieg in Afghanistan verteidigt hat.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir haben ein wichtiges Thema angesprochen. In Ihrer Regierungserklärung gibt es aber große Lücken bei den Themen, die damit im Zusammenhang stehen und die notwendigerweise angesprochen werden müssen. Ich hoffe, wir werden in den
nächsten Diskussionen an der Stelle weiterkommen, denn Sie haben recht: Wir leben inmitten einer Revolution.
Vielen Dank, Herr Dr. Wilken. – Als Nächster hat Herr Abg. Rentsch für die Freien Demokraten das Wort. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann das, was die Kolleginnen und Kollegen schon gesagt haben, nur unterstreichen: Es handelt sich um ein extrem wichtiges Thema. Das Thema Digitalisierung betrifft alle Lebensbereiche – Frau Kollegin Hofmann hat völlig recht – und damit auch die Justiz.
Frau Ministerin, ich habe mir einmal angeschaut, zu welchen Themen die hessische Justizministerin bereits Regierungserklärungen gegeben hat: zum Präventionstag, der letztes Jahr stattgefunden hat, und zum Thema Salafismus. Ich will jetzt nicht in Details gehen, aber ich habe versucht, nachzuvollziehen, was nach diesen Regierungserklärungen eigentlich geschehen ist.
Wir sind uns sicher einig, dass das, was Sie hier und heute vorgetragen haben, in der Sache sehr gut ist. Deshalb will ich es einmal so formulieren: Ich hoffe, aus diesem Anliegen wird mehr als aus den Anliegen, auf die sich die letzten Regierungserklärungen bezogen. Das wäre für die Sache gut.
Wir diskutieren heute über ein sehr komplexes Themenfeld. Botnetze führen in vielen Fällen zu sehr schwierigen Situationen: Computer von Bürgern werden „entführt“ und für kriminelle Handlungen missbraucht. Frau Kollegin Müller, ich habe mir in diesem Jahr bei der Firma, von der Kollege Wilken gerade gesprochen hat, der Firma Microsoft in Seattle, anschauen dürfen, wie das Honeypot-Verfahren funktioniert: Ein Computer wird ins Netz implementiert und von Dritten gehackt. Microsoft versucht dann, die Technologie, die beim Hacken eingesetzt worden ist, zu nutzen, um den Schutz ihrer eigenen Technologie weiterzuentwickeln. Das ist extrem spannend. Ich glaube, dass es auf diesen Feldern nur dann vorangeht, wenn wir uns auch ein Stück weit auf die Unternehmen verlassen, die dort aktiv sind.
Es gibt aber keinen Dissens in der Frage – zumindest zwischen den Freien Demokraten und der Landesregierung –, dass wir dafür auch die rechtlichen Voraussetzungen brauchen. Frau Kollegin Kühne-Hörmann hat recht: Diese rechtlichen Voraussetzungen gilt es jetzt zu schaffen.
Ich will bei der Frage, über die wir diskutieren, einen Schritt zurückgehen. Meine Damen und Herren, zur öffentlichen Verwaltung zählt die Justiz. Auch wenn die Kollegen Wagner und Hahn in diesem Bereich viel gemacht ha
ben – es wurde schon gesagt: beispielsweise war die Einführung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft richtig –, gibt es, glaube ich, parteiübergreifend Einigkeit darüber, dass wir in der öffentlichen Verwaltung Lichtjahre hinterherhinken, was den Stand der Technik und der Technologie angeht. Das können Sie daran sehen, wie die öffentliche Verwaltung aufgebaut ist. Sie kennen das Beispiel, dass man heutzutage in Deutschland ein Fahrzeug immer noch quasi händisch zulassen muss und das nicht auf digitalem Weg machen kann.
Diesen Rückstand kann man auch im Bereich der Justiz wahrnehmen. Frau Ministerin, es geht um die Ausstattung der Justiz, die Frage der Verfügbarkeit der elektronischen Akte und um die notwendige Infrastruktur, die elektronische Akte verwenden zu können. Ich denke, auch in Ihren Gesprächen mit den Richterinnen und Richtern sowie den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten ist ein Thema, dass wir an der Stelle deutlich Luft nach oben haben.
Das trifft nicht nur die Gerichte, sondern auch andere öffentliche Institutionen. Ich glaube, wenn die öffentliche Hand in der Frage, was die Wirtschaft vorantreibt, Schritt halten will, muss sie in diesen Angelegenheiten auf einem Stand sein, der state of the art ist, und darf nicht deutlich hintanstehen. Frau Ministerin, da haben Sie mit Sicherheit noch eine ganze Reihe von Themen, die Sie bewältigen müssen.
Ich hätte mir gewünscht, dass man in der Regierungserklärung unter der Überschrift „Digitale Agenda für das Recht“ einen etwas ganzheitlicheren Ansatz wählen würde, der das Ganze ein bisschen weiter spannt als die Initiative, die Sie gestartet haben, plus Ihre Initiative „Fußfesseln für Fußballhooligans“, die Sie vorangetrieben und mithilfe der Zeitschrift mit den vier Buchstaben vermarktet haben. Ich komme darauf noch zurück, weil es unter Juristen eine spannende Diskussion gibt, was an der Stelle rechtlich möglich oder nicht möglich ist.
Klar ist aber: Wenn wir über die Frage diskutieren, wie wir Straftaten im Internet unterbinden, wie wir Straftatbestände schaffen, müssen wir ganz vorne anfangen. Das betrifft das Thema Datenschutz, Frau Kollegin Müller. Es hat mich gewundert, dass die GRÜNEN nichts dazu sagen, dass die Datenschutz-Grundverordnung, die im Mai beschlossen wurde und ab dem 25. Mai 2018 gilt, einen extremen Anpassungsbedarf für Bundes- und Landesgesetze vorsieht. Das ist aber die Grundlage dafür, bei der Preisgabe von Daten sparsam vorzugehen. Kollege Wilken hat völlig recht: Daten, die nicht in das Internet eingestellt werden, die nicht verfügbar sind und damit auch nicht missbraucht werden können, sind die beste Form der Prävention auf diesem Feld. Das gilt es voranzutreiben. Aber: kein Wort der Landesregierung zu dieser Frage.
Frau Ministerin, ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie das Spiel lassen, es so darzustellen, als ob der böse Justizminister im Bund von der Landesjustizministerin, die auf einem weißen Pferd reitet, vorangetrieben werde. Ich habe manchmal das Gefühl, Sie von der CDU und der SPD regieren in Berlin gar nicht zusammen. Es ist ja eine erfolgreiche Koalition, in vielen Bereichen zwischen der Kanzlerin und dem Vizekanzler sehr harmonisch verlaufend. Ich würde mir wünschen, dass diese Harmonie auch zwischen der Landesjustizministerin Hessens und dem Bundesjustiz
minister herrschte. Das wäre sinnvoller, als sich immer wieder zu fragen – das beschäftigt uns im Rechtsausschuss ja sehr ausführlich –, wer bestimmte Ideen zuerst hatte, ob das die Frau Ministerin und ihre Mitarbeiter oder ob es der Bundesjustizminister war. Wer hat wem den Anstoß gegeben, initiativ zu werden? Diese Fragen spielen in der hessischen Landespolitik eine wichtige Rolle. Ich habe aber große Zweifel daran, dass das den Bürgern wirklich nützt. Diese Diskussion hat uns nämlich weiß Gott noch kein Stück weitergebracht.
Ein weiterer Punkt sind die Ausführungen zu den Themen Cyberterrorismus und Botnetze, die wir schon gestern im schriftlichen Konzept nachlesen konnten. Ich war überrascht, dass in dieser Frage die Kompetenz des Landes, die wir mit dem CASED-Institut in Darmstadt – das ist der ehemaligen Wissenschaftsministerin sicherlich ein Begriff –, das sich mit Datenschutz und Datensicherheit intensiv beschäftigt, nachweislich haben, kaum eine Rolle spielt.
Ich sage: Wenn wir schon im eigenen Land diese Kompetenz auf wissenschaftlicher Ebene haben, sollte das auch von unserer Seite vorangetrieben werden. Mit „uns“ meine ich das Land Hessen.
Ich hätte mir gewünscht, wir würden dort mehr auf diese Institutionen setzen; denn eines ist klar: Wir brauchen, was den Aufbau einer effektiven Kriminalitätsbekämpfung angeht, technisches Know-how bei den Verfolgungsbehörden. Wir brauchen eine vernünftige Finanzierung – das ist angesprochen worden –, aber wir brauchen vor allen Dingen eine Aufrüstung der digitalen Infrastruktur. Dabei kann das Know-how, das wir in diesen Bereichen haben, helfen. Am Ende brauchen wir neben der juristischen Terrorabwehr im Internet auch eine kriminalistische und technische.
Meine Damen und Herren, in dieser Regierungserklärung und mit dem heute vorgelegten Antrag wurde nicht die Frage beantwortet, was das Land Hessen konkret macht, damit wir auf diesem Gebiet wirklich besser werden.