Zur elektronischen Akte. Auch die Justiz wird auf die elektronische Akte umgestellt, d. h., die papiergebundene Kommunikation wird zu Recht bis zum Jahr 2022 abgelöst. Das sieht ein entsprechendes Bundesgesetz vor.
Uns als SPD ist es ganz wichtig, diesen Prozess konstruktiv zu begleiten. Wir sagen aber auch: Dafür bedarf es der notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen. Nach Ihren eigenen Angaben bedarf es dafür bis zum Jahre 2020 37 Millionen €, ohne die laufenden Unterhaltungskosten. Meine Damen und Herren, diese Mittel müssen natürlich auch zur Verfügung gestellt werden. Hier darf es kein Stückwerk geben.
Der zweite Punkt ist das Personal. Es reicht nicht aus, an dem einen oder anderen Gericht einen IT-Experten einzusetzen, falls ein solcher überhaupt vorhanden ist. Sie muten der Mitarbeiterschaft zu, bei dem Personalabbau, den ich beschrieben habe, noch die elektronische Akte on top einzuführen. Meine Damen und Herren, das wird schiefgehen und zu großen Problemen führen. Das sage ich Ihnen.
Ein weiterer Aspekt, den Sie konsequent vernachlässigen, ist: Wenn Sie Umstrukturierungsprozesse vornehmen, müssen Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen. Das tun Sie nicht. Es gibt keine echte Mitbestimmung. Sie haben erst sehr viel später einen sogenannten Projektbeirat eingesetzt; der wird angehört – mehr aber nicht. Mitbestimmung sieht anders aus. Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie das anders gemacht hätten, dann hätten Sie sich auch Ihren Akzeptanzmanager sparen können.
Frau Justizministerin, noch ein weiterer Aspekt ist wichtig, Sie haben ihn auch angesprochen: Das ist die Hasskriminalität im Internet. Extremistische Handlungen, wie z. B. Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, sind oft das Ergebnis einer längerfristigen Radikalisierung, auch über die sozialen Netzwerke. Hier finde ich es ganz wichtig, viel stärker grenzübergreifend zu agieren. Wir benötigen dazu eine Ausweitung von § 86 StGB, insbesondere des Abs. 1, um die Kompetenzen in diesem Bereich zu erweitern.
Ich bin froh darüber, dass Bundesjustizminister Heiko Maas eine Taskforce eingerichtet und mit Google und anderen gesellschaftlichen Gruppen dazu Vereinbarungen getroffen hat.
Ich komme zum letzten Punkt, der uns sehr wichtig ist. Frau Justizministerin, Sie haben Ihre Rede damit angefangen, dass die digitale Agenda und das digitale Recht für den Bürger sein muss. Am Ende Ihrer Rede haben Sie davon gesprochen, dass Sie die verdeckte Onlinedurchsuchung vermissen. Was ich bei Ihnen vermisse, ist, dass Sie Aussagen zu der Frage treffen, wie das Vertrauen in die Sicherheit der digitalen Welt für den Bürger gesichert werden kann. Meine Damen und Herren, man kann über Digitalisierung nicht reden, ohne das Thema Datenschutz anzusprechen.
Zu diesem Punkt will ich hier einige zentrale Aussagen festhalten, die für uns besonders wichtig sind. Für uns bedingt Datenschutz das effektive Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das muss gerade in Zeiten der Digitalisierung gestärkt werden, und es darf nicht ausgehöhlt werden. Das Potenzial für Wirtschaft und Gesellschaft kann erst dann entfaltet werden, wenn Sicherheit und Schutz im Netz in einem ausreichenden Maß hergestellt sind. Dazu bedarf es auch der Betrachtung von aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen wie Fintech. Der Bürger muss seine Datensouveränität wieder zurückerhalten, die er jetzt in vielen Fällen nicht mehr hat.
Für uns ist auch der Grundsatz der Datensparsamkeit wichtig. Daten, die erst gar nicht erhoben worden sind, können nicht missbräuchlich verwendet werden.
Wenn aber Daten gespeichert werden, muss klar sein, zu welchem Zweck und aus welchem Anlass dies geschieht.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Digitalisierung unserer Welt, unserer Gesellschaft und der Justiz bedarf der Gestaltung für unsere Bürger. Dazu bedarf es keiner Selbstbeweihräucherung dieser Landesregierung und keiner Initiativen, die bereits umgesetzt sind, sondern richtiger Antworten und richtiger Konzepte für die Zukunft. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Justizministerin, die Landesregierung hat heute hier ein auch für uns sehr wichtiges Thema zum Inhalt ihrer Regierungserklärung gemacht. Nur leider hat sie wenig Handfestes gesagt und viel Blümchenrhetorik dazu verbreitet. Vor allen Dingen ist mir unklar geblieben, warum wir diese Erklärung gerade heute brauchen, wo doch so viele von Ihnen bangend auf 18 Uhr schauen.
Frau Ministerin, nun ist mir klar, dass nicht jede Ihrer Initiativen – egal ob im Bundesrat oder in der Justizministerkonferenz – hier en détail von Ihnen vorgetragen werden kann. Aber bezogen auf eine umfassende Information für uns Abgeordnete ist da noch viel Luft nach oben, auch aus Ihrem Haus; denn wir sind der Gesetzgeber.
Bei Teilen Ihrer Rede ist mir um diese Bundesrepublik wirklich angst und bange geworden, wenn es uns Hessen nicht gäbe – weil doch alles hier passiert.
Ich bin dann einmal hinausgegangen und habe nachgeschaut, und jetzt bin ich ganz beruhigt: Auch in anderen Bundesländern passiert etwas, auch in Europa und bei Europol. Die Welt ist also nicht nur auf uns Hessen angewiesen.
Zum Zweiten. Sie erwähnen neu geschaffene Behörden. Sie loben die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden. Da muss ich Ihnen aber in aller Deutlichkeit sagen: Es ist doch nicht so, dass diese Straf- und Ermittlungsbehörden personell, finanziell und sächlich gut genug ausgestattet sind, um der Probleme Herr zu werden, die Sie hier angesprochen haben.
Meine Damen und Herren, aber angesichts dieses Themas müssen wir hier über viele Dinge sprechen, zu denen Sie, Frau Ministerin, nichts gesagt haben. Zwar sprechen Sie die Modernisierung von Zivil- und Strafrecht an, und prinzipiell gebe ich Ihnen dabei recht: Es gibt vieles, was da angepasst werden muss, auch im Strafgesetzbuch.
Aber Sie regieren doch, in wechselnden Konstellationen, im Bund und auch im Land: Wieso passiert denn da nichts?
Ja, an einigen Stellen sehen wir deutlichen Klärungsbedarf: Wie sichern wir die informationelle Selbstbestimmung? Wem gehören meine Daten? Und so weiter. Da muss noch einiges passieren und klargestellt werden.
Frau Ministerin, in Ihrer Kritik an dem einen oder anderen Unternehmen gebe ich Ihnen deutlich recht. Es kann nicht sein, dass Anbieter sozialer Medien zwar in Deutschland ihr Geld verdienen, dann aber mit den Strafverfolgungsbehörden nur schlecht zusammenarbeiten. Frau Ministerin, wie aber wollen wir das ändern? Wir schaffen es doch noch nicht einmal, diese Unternehmen hier zu Steuerzahlungen zu verpflichten.
Sie sagen zu Recht, hier geht es auch darum, dass Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung stärker als bisher wahrnehmen. Das aber reicht mir hinten und vorne nicht. Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die solche Unternehmen zur Rechtstreue verpflichten.
Sie werden mir zustimmen: Wenn wir uns gegen politisch eingesetzte Taskforces in irgendwelchen Hinterzimmern aussprechen, die mit Facebook und Co. verhandeln, welche Kommentare aus dem Netz genommen werden und welche
im Netz bleiben, dann muss ganz klar sein: Grenzen der Meinungsfreiheit müssen mit demokratisch entstandenem Recht gezogen und dürfen nicht in irgendwelchen Hinterzimmern vereinbart werden.
Dann stellt sich natürlich die Frage: Wie wollen wir das machen? Wie legen wir uns mit diesen Konzernen an?
In dieser Woche nimmt die Enquetekommission zur Änderung der Verfassung Hessens ihre Arbeit richtig auf. Deswegen möchte ich nochmals an die Modernität unserer Hessischen Verfassung erinnern. In Art. 39 formuliert sie:
Jeder Missbrauch der wirtschaftlichen Freiheit – insbesondere zu monopolistischer Machtzusammenballung und zu politischer Macht – ist untersagt.
Wenn wir das ernst nehmen – und wir nehmen das ernst –, dann bleibt die Frage: Wie brechen wir die Macht der Konzerne? Schaffen wir das über eine Anpassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs? – Wahrscheinlich nicht. Deswegen zitiere ich Sie nochmals, Frau Ministerin: „Wir befinden uns inmitten einer Revolution.“
Sie haben nichts dazu gesagt, was die Datenkontrolle usw. anbelangt; darauf hat bereits meine Vorrednerin hingewiesen. Sie haben nichts zur Gefahr des gläsernen Bürgers, der gläsernen Bürgerin gesagt. Big data is watching you. Wem gehören die Daten, die mein Auto sammelt und ohne mein Zutun an Hersteller oder Versicherungsträger übermittelt? Werde ich demnächst gezwungen, meinen Blutdruck durch ein an mir herumgetragenes Messgerät permanent an meine Krankenversicherung zu übermitteln? Bekommt, wer sich weigert, keine Versicherung mehr oder nur teurere? – All das sind Fragen, die nicht nur mich, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land interessieren.
Kundinnen und Kunden interessieren natürlich auch die Fragen des Haftungsrechts, z. B. beim Internet der Dinge: Was ist denn mit dem Kühlschrank, der die Milch bestellt? Von mir aus kann er das in Zukunft tun. Zunächst einmal ist das für mich überhaupt kein Problem: Auch schon früher habe ich meiner Bank Aufträge erteilt, Daueraufträge auszuführen; oder andere haben Einzugsermächtigungen. Das ist alles schön und gut. Aber was passiert eigentlich, wenn mein Kühlschrank auf einmal 1.000 l Milch bestellt hat? Wer haftet denn dann?
(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Michael Siebel (SPD): Was haben Sie denn für einen Kühlschrank?)
Meine Damen und Herren, mein Vertrauen in die Hersteller ist durch meine jahrzehntelange Erfahrung nicht sehr ausgeprägt. Sie alle erinnern sich: Als ein Unternehmen, dessen Namen man auf Deutsch als „Winzig-weich“ übersetzen müsste, angefangen hat, unsere gesamten Rechner mit Software auszustatten, hat auf einmal nichts mehr funktioniert. Die mussten zehn Nachlieferungen machen,
Wir haben damals alle gesagt: Wenn solche Produkte von Autoherstellern auf den Markt geliefert würden, dann würden alle aufschreien. Von Microsoft aber haben wir uns das gefallen lassen. Und jetzt sollen diese Softwarehersteller Dinge ausstatten? Sie planen sogar, Autos herumfahren zu lassen. Woher sollten wir das Vertrauen nehmen, dass das nicht extrem fehlerbehaftet ist? – Dann aber lautet die Frage: Wer haftet dafür?
Das sind die Fragen, die wir uns stellen müssen. Dazu brauchen wir eine Stärkung des Verbraucherschutzes. Frau Ministerin, auch dazu haben Sie nichts gesagt.