Protocol of the Session on May 19, 2016

In besonderem Maße ist dies Kardinal Lehmann gelungen. Dafür dankt ihm das ganze Haus – für seine Arbeit, die er dort geleistet hat.

(Allgemeiner Beifall)

Er hat vielen Menschen Orientierung gegeben, aber er hat auch seiner katholischen Kirche oft Orientierung gegeben. Er hat auch Debatten mit seiner katholischen Kirche geführt. Er war ganz maßgeblich jemand, der die Ökumene vorangetragen hat – weshalb es vielleicht auch ein sehr schönes Zeichen ist, wenn heute ein Mitglied der evangeli

schen Kirche den katholischen Kardinal würdigt. Er hat sich für geschiedene Wiederverheiratete eingesetzt, ein in der katholischen Kirche sehr schwieriges Thema. Auch hier kam Kardinal Lehmann von dem Gedanken her, für die Menschen einzustehen und Glauben für die Menschen erfahrbar zu machen und auch die Probleme, die Menschen mit ihrem Glauben haben, zu adressieren, etwas für die Menschen zu tun und den Glauben und die Lehre der Kirche an die Menschen heranzubringen.

Das hat er im ganz besonderen Maße getan, als es um die Schwangerschaftskonfliktberatung gegangen ist.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Da hat er gesagt: Meine Kirche – die Kirche von Kardinal Lehmann – darf Frauen in einer solch schwierigen Situation nicht alleine lassen. – Er hat sich mit seiner Kirche, mit dem damaligen Papst angelegt. Für dieses Engagement für Menschlichkeit, für einen Glauben, der von den Menschen und von der Lebenssituation der Menschen her gedacht ist, gebührt dem Kardinal großer Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Auch wenn es um den Einfluss von Frauen in der katholischen Kirche geht, hat er immer seine Stimme erhoben; und auch wenn es um Schwule und Lesben in der katholischen Kirche geht, war Kardinal Lehmann immer jemand, der gesagt hat: Denkt den Glauben, denkt die Orientierungslehre, die unsere Kirche, die die katholische Kirche gibt, immer von den Menschen, von der Liebe her, die Menschen einander spenden, und gebt Antworten, mit denen die Menschen auch etwas anfangen können, mit denen sie sich identifizieren können, sodass sie sich auch mit ihrem Glauben identifizieren können.

„Orientierung in einer orientierungslosen Zeit“ war der Titel der Laudatio auf Kardinal Lehmann. Wie zutreffend das war, hat man gespürt, wenn man am Pfingstmontag in Mainz bei den Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag war und auf den Domplatz kam. Da sah man eine Großbildleinwand aufgebaut, vor dem Dom. Auf diesem Domplatz waren sehr viele Plätze für Bürgerinnen und Bürger aufgebaut. Diese Plätze waren nicht nur aufgebaut, sondern sie waren auch voll besetzt. Es ging nicht um ein Konzert, um den Auftritt eines Popstars oder eines sonstigen Stars, sondern es ging darum, dass viele Menschen der Zivilgesellschaft in Mainz an diesem 80. Geburtstag teilhaben wollten, weil sie ihren Kardinal – egal, ob sie gläubig, katholisch oder in der Kirche sind – Danke sagen wollten für den Beitrag zur Zivilgesellschaft. Diesen Dank, dieses Signal der Wertschätzung hat Kardinal Lehmann verdient. Es ist gut, dass wir im Hessischen Landtag das heute auch nochmals sagen. Diese Arbeit muss man würdigen. In unserer Zeit brauchen wir Menschen und Institutionen, die die Gesellschaft zusammenhalten, und weniger Personen und Institutionen, die diese Gesellschaft spalten wollen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Vielen Dank, Kollege Wagner. – Das Wort hat Frau Abg. Nicola Beer, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieses Jahr habe ich mich ganz besonders auf den Pfingstmontag gefreut – auch wenn ich als überzeugte Protestantin diesen zugegebenermaßen noch nie in einer katholischen Messe und schon gar nicht in einem Dom gefeiert habe.

(Ernst-Ewald Roth (SPD): Da wurde es aber Zeit! Es ist nie zu spät!)

Offensichtlich teile ich das mit dem Kollegen Mathias Wagner. Aber es war für mich ein besonderes Kompliment, zu dieser Geburtstagsfeier persönlich eingeladen worden zu sein – die dann etwas traurig auch ein Abschied aus dem aktiven Amt des Bischofs und Kardinals, von Karl Kardinal Lehmann, war. Mir ganz persönlich, aber auch den Freien Demokraten insgesamt war es ein Anliegen, nicht nur zu gratulieren, sondern auch Dank zu sagen für ein beeindruckendes, für uns alle in seinen Auswirkungen, seinen Beeinflussungen – mögen sie bei dem einen oder anderen manchmal auch nur indirekt gewesen sein – wichtiges Lebenswerk.

Neben all den Punkten, die die Kolleginnen und Kollegen schon aufgeführt haben, steht für mich in all den Begegnungen und Gesprächen mit Karl Kardinal Lehmann eigentlich eines im Mittelpunkt, was mir in Erinnerung bleiben wird: dass er einfach ein großartiger Mensch ist,

(Beifall bei der FDP, bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel und Heike Hofmann (SPD))

ein Mensch mit sicherlich unglaublich vielen Facetten, ein herausragender Theologe, blitzgescheit, dem man am Blitzen in den Augen ansieht, welche Freude er am intellektuellen Diskurs hat, nicht nur, aber gerade auch dann, wenn es um Glaubensfragen geht, um Glaubensfragen, die er als Wissenschaftler, als Theologe häufig an der Grenze, im Spannungsfeld zwischen Wissen und Glauben zu beantworten hat, um nachher doch immer wieder den Glauben als Basis und Ergebnis stehen zu lassen. Als Christenmensch ist er ein überzeugter Kirchenmann, aber Kirchenmann in dem Sinne – das ist schon angeklungen –, dass er dort deutliche Worte fand, wo er Missstände in seiner Kirche ausmachte, in der Beharrungskraft dieser Institution. Genau deswegen versuchte er auch beharrlich, Reformen in der katholischen Kirche voranzutreiben, um durch Einbeziehen der aktuellen Lebenswelten von Menschen diesen auch weiter Raum und Heimat in ihrer, in seiner Kirche zu bieten.

Damit wurde er vielfach Hoffnung für einzelne Gruppen und Menschen in der katholischen Kirche: Frauen, Geschiedene, Homosexuelle – aber auch für uns, die wir anderen Religionsgemeinschaften angehören, z. B. im Hinblick auf die Fragen der Ökumene. Ich fand es immer wieder beeindruckend, in welcher Balance er auf der einen Seite Widerständen nie aus dem Weg gegangen ist – gerade die Zeit des deutschen Papstes Benedikt hat es ihm da nicht sehr einfach gemacht, diese Reformen zum Erfolg zu führen –, auf der anderen Seite aber diese Widerstände immer auch ausgehalten hat, ohne jemals zum Revoluzzer zu werden. Er setzte auf den Weg des langen Atems, der in kleinen Schritten letztendlich immer wieder zum Erfolg geführt hat. Gerade die aktuelle Diskussion um das Diakoninnenamt lässt bei vielen, auch außerhalb der katholi

schen Kirche, Hoffnung aufkommen, dass sich in nächster Zeit und dann darüber hinaus in weiteren Schritten diese Reformen Bahn brechen werden.

Er war aber auch immer und ist auch weiterhin ein Mann der Verständigung – nicht nur zwischen den Religionen, aber auch da. Aus persönlichem Erleben möchte ich daran erinnern, wie sehr er uns bei den Diskussionen um die Einführung des islamischen Religionsunterrichts in unseren hessischen Schulen geholfen hat. Er war eine große Hilfe, weil er aus seinem Glauben heraus mit uns die Überzeugung teilte, dass der eigene Glaube – mag es eben der muslimische oder ein anderer sein – die Wertebasis vermittelt, Stütze ist und Orientierung gibt. Daher liegt es im Interesse von uns allen – mögen wir religiös sein oder nicht –, dass diese Orientierung auf der Basis solchen Wissens und solcher Toleranz und nicht auf der Basis von Verführung und Verblendung geschieht und gegeben wird.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Astrid Wall- mann (CDU) und Heike Hofmann (SPD))

Er war selbstbewusst genug, aus dieser Überzeugung heraus die Verantwortung der Religionsgemeinschaften, auch der muslimischen, für eine solche Entwicklung anzumahnen: Orientierung und Werte zu vermitteln und nicht Extremismus. Dass der Mensch Orientierung in einer komplexen, sehr schnellen und auch sehr schnell zu Überforderung führenden Welt braucht, das war und ist für ihn auch jenseits seines Amtes weiterhin die Basis dafür, nicht nur immer wieder auf die Richtschnur unseres Handelns zurückzukommen – gerade jetzt auch wieder sehr aktuell beim humanitären Umgang mit Flüchtlingen, mit Fremden und deren Unterstützung –, sondern diese Orientierungsgebung auch anzumahnen, auch bei uns in der Politik.

Frau Kollegin Beer, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich fand es beeindruckend, wie er uns immer wieder wichtige, schwierige, teils auch schmerzliche Fragen gestellt hat, um – über die Tagesaktualität hinaus – als wertvoller Ratgeber für die Politik und für die Wirtschaft zu wirken.

Herr Präsident, lassen Sie mich ganz zum Schluss noch einmal sagen: Ich denke, die Wurzel seines Handelns war sein Interesse an, seine Liebe für die Menschen in seinem Bistum und darüber hinaus. Seine Volkstümlichkeit ist schon erwähnt worden. In dem Sinne war er ein guter Hirte, ein Bischof im wahrsten Sinne des Wortes. Ich fand es beeindruckend, wie sehr er im Hier und Jetzt lebt. Ein Beispiel hierfür war sein Geburtstagsgeschenk: eine Webcam hoch oben auf dem Mainzer Dom.

Frau Kollegin, es geht zwar um einen Kardinal, aber ich möchte Sie wirklich bitten, jetzt zum Schluss zu kommen.

Ich wollte nur sagen: Der Kardinal wird mit der Karls-Cam auch weiterhin den Überblick über sein Bistum behalten.

Deshalb: einen herzlichen Dank auch seitens der Freien Demokraten für einen großartigen Menschen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir waren bei der Redezeit sehr großzügig. Da es aber um unseren Kardinal geht, können wir das tun. – Kollege Hermann Schaus, Fraktion DIE LINKE, ist der nächste Redner.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke der CDU-Fraktion für diese Aktuelle Stunde, bietet Sie mir doch die Möglichkeit, auf die Arbeit unserer Landesarbeitsgemeinschaft Linke Christinnen und Christen in Hessen aufmerksam zu machen, der auch ich selbst angehöre. Manche nennen unsere LAG auch „die roten beten“.

(Heiterkeit)

Kardinal Lehmann ist auch für uns ein Mann des Dialogs. Er war und ist stets Brückenbauer – darauf hat Herr Utter schon hingewiesen – und steht für ein weltoffenes, lebensbejahendes Christentum. Innerhalb der katholischen Kirche gehört er sicherlich zum liberalen Flügel, der stets auf Dialog gesetzt hat.

Besonders hervorheben möchte ich sein intensives Engagement für die Ökumene. Als erster Katholik ist er dafür mit der Martin-Luther-Medaille, einer Auszeichnung der evangelischen Kirche, geehrt worden.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass es Kardinal Lehmann war, der angesichts des drohenden Ausstiegs der Kirche aus der Schwangerschaftskonfliktberatung an das Gewissen jedes einzelnen Bischofs appellierte. Konsequent beharrte er auf der Position der bundesdeutschen katholischen Kirche, nicht aus der Schwangerschaftskonfliktberatung auszusteigen, bis in Rom dann leider anders entschieden wurde.

Als andere Kirchenmänner und Politiker sich noch jeder Begegnung und jedem Gespräch mit den LINKEN verweigert haben, hat er Gregor Gysi und Oskar Lafontaine zum Gespräch eingeladen.

Doch er kennt auch Grenzen. Unmissverständlich hat er anlässlich seiner Verabschiedung vor wenigen Tagen klargestellt, dass er mit der AfD kein Gespräch führen würde. Der Grund: das Grundmuster der Partei und das nationalistische „Gerüchlein“, das ihm zu groß sei. – Damit bestätigte er die Grundlinie auch des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, das die AfD vom Katholikentag in Leipzig ausgeladen hat.

Als Liberaler tut sich Kardinal Lehmann aber auch manchmal schwer mit neuen Tönen in Rom. Das zeigt sich z. B. an seiner Einschätzung der klaren Worte, die Papst Franziskus zum Kapitalismus fand. „Wir leben in einem Imperium des Geldes“, sagte Papst Franziskus zu Recht. Ich darf zitieren:

Wir sagen Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der sozialen Ungerechtigkeit, wo das Geld

regiert, anstatt zu dienen. Diese Wirtschaft tötet. Diese Wirtschaft schließt aus. Diese Wirtschaft zerstört die Mutter Erde.

Leider versuchte Kardinal Lehmann, diese klaren Aussagen des Papstes danach zu relativieren. Man müsse den Papst mit diesen Worten vor dem Hintergrund seiner lateinamerikanischen Erfahrung verstehen, doch Deutschland sei anders, die Kritik des Papstes am Kapitalismus sei wohl nicht wirklich auf bundesdeutsche Verhältnisse übertragbar, meinte er. Das sehen wir als LINKE anders. Da sind wir inhaltlich eher beim Papst.

Dennoch ist Kardinal Lehmann in positivem Sinne stets ein Liberaler geblieben, einer, der den Dialog sucht, der Argumente ohne allzu große ideologische Scheuklappen vor seine Entscheidungen und Positionen setzt.

Wir danken ihm für sein langjähriges engagiertes Wirken in Kirche und Gesellschaft und wünschen ihm persönlich alles Gute.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Kollege Schaus. – Das Wort hat der Abg. Ernst-Ewald Roth, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! All das, was die Kolleginnen und Kollegen vor mir gesagt haben, ist zutreffend. Aber eine Feststellung hierzu: Der Kardinal lebt noch.

(Heiterkeit – Beifall bei der SPD sowie bei Abge- ordneten der CDU und der LINKEN)

Deshalb an dieser Stelle kein Nachruf, sondern die Erwähnung einer Eigenschaft, die ich aus vielen, vielen persönlichen Begegnungen mit ihm kenne und die, wenn man ihn würdigt, nicht zu kurz kommen darf: sein grenzenloser Humor. Ich brauche nicht zu wiederholen, was gesagt worden ist, deshalb von diesem Blickwinkel aus ein paar Gedanken zu Kardinal Lehmann.

Zutreffend ist, dass er gewünscht hat, dass Martin Schulz einer der Laudatoren war. Er hat ihm geschrieben: Reden Sie aber bitte nicht über mich. – Ich will dies trotzdem versuchen und nehme Anleihe bei meinem Namensvetter Eugen Roth:

Ein Mensch nimmt guten Glaubens an, er hab das Äußerste getan. Doch leider Gotts versäumt er nun, auch noch das Innerste zu tun.