Gesamtschulen sind schon durch Erlass seit 2013 – wer sich nicht daran erinnert: das war in der letzten Wahlperiode – verpflichtet, ein Curriculum zur Berufs- und Studienorientierung zu erstellen und dieses im Schulprogramm auch zu verankern. In der Antwort auf Frage 12 hat Kultusminister Lorz noch einmal an diese wichtige Tatsache erinnert. Seit dem letzten Jahr müssen nun auch die Gymnasien entsprechende Maßnahmen zur Berufs- und Studienorientierung durchführen.
Ich will an dieser Stelle anmerken, dass es angesichts der Übergangsquoten in den gymnasialen Bildungsgang – die Eltern haben sich bisher dafür entschieden und entscheiden sich täglich neu für den gymnasialen Bildungsgang – schlichtweg unumgänglich geworden ist, dass sich auch die Gymnasien verstärkt dieses Themas annehmen.
Ich sage sehr deutlich, weil es Menschen und Organisationen gibt, die sagen, man solle den Weg zum Abitur weniger attraktiv machen: Ich halte das nicht für den richtigen Ansatz. Das Abitur als solches ist ein wertvoller Bildungsabschluss. Das soll er auch bleiben. Auch sage ich – das ist der Unterschied zu der Argumentation, mit der wir es zu tun haben –: Das Abitur darf nicht einseitig nur als Weg in das Studium ausgerichtet sein, sondern es muss möglich sein, mit dem wertvollen Schulabschluss des Abiturs auch andere befriedigende Bildungs- und Berufswege zu finden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wäre niemandem damit gedient, wenn die Maßnahmen zur Berufsorientierung die zwingend unterschiedlichen Ziele der unterschiedlichen Bildungsgänge völlig ausblenden und außer Acht lassen würden. Es bleibt dabei, dass es unrichtig ist, alle Schulen über einen Kamm zu scheren. Das würde kaum ein Beitrag dazu sein, die Akzeptanz der Maßnahmen zur Berufsorientierung bei Schülerinnen und Schülern, aber auch generell bei den Gymnasien und den dort tätigen Lehrern zu befördern. Deswegen muss man sehr sorgfältig arbeiten und bewusst darauf abstellen, was geht und was nicht geht.
Nichtsdestotrotz müssen wir in dem, was wir im Bereich der Berufsorientierung tun, noch deutlich erfolgreicher werden. Insbesondere muss die Berufsorientierung in den Schulen gelebt werden. Es genügt nicht, pflichtschuldig Zertifikate und Bescheinigungen auszustellen und sie abholen zu lassen. Dort muss mehr gelebt werden.
Ich will einen letzten Punkt ansprechen, weil mir dieser zunehmend Sorge macht. Dieser spielte in der Antwort des Kultusministers auf die Große Anfrage, soweit ich das gelesen habe, keine wesentliche Rolle. Ich sage sehr deutlich: Das Hessische Kultusministerium hat in der Vergangenheit bis zum Jahre 2014 – das war noch im Januar 2014 der Fall; danach verlor es sich – sehr positiv in dem Bereich Förderung der Orientierung an der Wirtschaftswelt gearbeitet sowie in Bezug auf die Fragen: Wie kann man selbstständig arbeiten? Welche Möglichkeiten der Gründung von selbstständigen Existenzen gibt es?
Ich habe nunmehr den Eindruck, und das macht mir Sorge, dass hierzu im Kultusministerium eine Volte zu beobachten ist – vielleicht nicht von der Spitze getragen, jedenfalls aber so, dass sie spürbar ist. Ich sage sehr deutlich: Die Themen Selbstständigkeit, Existenzgründung und wirt
schaftliche Betätigung sind sowohl für unsere Lebens- und Wirtschaftswelt als auch für die Schüler, mit denen wir zu tun haben, sehr zentral. Ich habe kürzlich eine Untersuchung in die Finger bekommen, die mich noch mehr erschreckt hat, weil dort festgestellt worden war, dass zwei Drittel der Lehrer ihren Schülern von dem Schritt in die Selbstständigkeit abraten würden. Das ist ein Unding. Hieraus spricht ein Geist, der nicht akzeptabel ist.
Herr Kultusminister, deshalb ist es extrem wichtig, dass wir auch die Angebote Privater und von Verbänden nutzen, auch von solchen, die uns Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellen. Ich sage sehr deutlich: Das beste Unterrichtsmaterial zur Aufklärung über die Themen wirtschaftliche Selbstständigkeit, Existenzgründung usw. stammt eben nicht aus einem Schulbuchverlag, sondern von einer privaten Organisation, die dies mit Sponsorengeldern finanziert hat. Aber das ist auch gut so. Was spricht denn dagegen?
Im Gegenteil, wir wollen das auch in Zukunft – Herr Kollege Arnold stimmt mir zu; das freut mich sehr – nutzen. Dieses Unterrichtsmaterial ist gut. Deswegen, Herr Kultusminister: Achten Sie bitte darauf, dass diese private Initiative nicht abgewürgt wird.
Herr Kultusminister, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, das bringt es eigentlich auf den Punkt: Was wir in Deutschland brauchen, und hierzu muss auch Berufsorientierung im Unterricht führen, ist mehr Gründergeist.
(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD: Oh! – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der gesetzliche Bildungs- und Erziehungsauftrag der hessischen Schulen umfasst gerade auch die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf eine erfolgreiche Teilhabe an der Gesellschaft, wobei die erfolgreiche Teilhabe in den allermeisten Fällen durch die versierte Ausübung eines Berufs realisiert wird. Das hat übrigens schon Alexander von Humboldt festgestellt. Er hat gesagt:
Ich bedanke mich daher ausdrücklich für die Gelegenheit, anlässlich der Beantwortung dieser Großen Anfrage noch einmal darlegen zu können, wie viel an unseren Schulen bereits in Sachen Berufsorientierung geleistet wird. Auch das Kultusministerium und die Hessische Landesregierung
betrachten es als eine prioritäre Aufgabe, alle hessischen Schülerinnen und Schüler durch abgestimmte und qualifizierte Maßnahmen zur Berufs- und Studienorientierung so auf die Berufswelt vorzubereiten, dass sie am Ende ihrer Schulzeit eine Berufswahlentscheidung treffen können, die ihren eigenen Interessen und Talenten am besten gerecht wird und sie dann sowohl in eine duale Ausbildung als auch in ein Studium führen kann.
Meine Damen und Herren, wir sollten aber die Begriffe sorgfältig wählen; denn wenn wir – das wäre eine unzulässige Vereinfachung – Berufsorientierung als Weg in die duale Ausbildung einerseits und Studienorientierung andererseits gegenüberstellen, dann tragen wir selbst zu der Verfestigung eines Bildes bei, das der heutigen Realität schon lange nicht mehr entspricht. Für unsere Schülerinnen und Schüler geht es nämlich keineswegs mehr um eine Entscheidung zwischen Beruf und Studium. Zum einen – das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit – führt auch ein Studium zu dem Ziel, einen Beruf auszuüben. Insofern ist Studienorientierung immer auch eine Form der Berufsorientierung.
Auf der anderen Seite ermöglicht vor allem die Durchlässigkeit unseres hessischen Schulwesens nach dem Abschluss einer dualen Ausbildung vielfältige Anschlussmöglichkeiten – auch an Hochschulen und Universitäten. Diese Anschlussmöglichkeiten haben wir als Landesregierung gerade in dieser Legislaturperiode noch weiter verbessert.
Deswegen ist es völlig richtig, was hier gesagt wird, und dem kann ich mich nur anschließen: Es gibt keinen notwendigen Zusammenhang zwischen Abitur und Studium. Das Abitur gibt direkt die Möglichkeit, zu studieren. Aber es kann genauso gut in eine duale Ausbildung führen; und es kann über eine duale Ausbildung in ein Studium führen. Es gibt eben eine Vielfalt von Wegen, so wie es auch eine Vielfalt von individuellen Fähigkeiten und Talenten in unserer Gesellschaft gibt.
Das Hessische Kultusministerium setzt deswegen auf eine individuell ausgerichtete Berufsorientierung, die in jedem Fall das Ziel hat, den jungen Menschen im humboldtschen Sinne zur erfolgreichen Ausübung eines Berufs zu führen, und zwar entweder über eine duale Ausbildung oder über ein wissenschaftliches Studium oder eben über eine Kombination von beidem.
Ich will noch eine Sache klarstellen, auch wenn sie hier nirgendwo falsch aufgeschlagen ist: Es geht uns nicht um die Deckung irgendwelcher aktueller volkswirtschaftlicher Bedarfe; das wäre sozialistische Planwirtschaft. Wir wollen die Potenziale der einzelnen Kinder und Jugendlichen entwickeln, und dann ergibt sich ihr Platz in der Gesellschaft und das Funktionieren unserer Gesellschaft schon von ganz allein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, in diesem Zusammenhang gleich noch ein anderes Missverständnis auszuräumen: Berufsorientierung ist nämlich ausdrücklich nicht Berufsberatung im Sinne einer Art von Berufskunde. Das wäre auch völlig aussichtslos. Wenn man bedenkt, dass allein im Bereich der Metalltechnik – ich nehme jetzt als Beispiel gerne etwas, was dem Kolle
gen Klein naheliegt – mindestens 14 verschiedene Berufe in Industrie und Handwerk in ihren jeweiligen Ausprägungen und Berufsbildern vorgestellt werden müssten, es allein sechs verschiedene Mechanikerberufe und insgesamt 350 bundesweit anerkannte Ausbildungsberufe gibt, die sich dann noch einmal in ungefähr 1.000 spezielle Lernfelder aufspreizen, und dass jedes Lernfeld ein eigenes Curriculum hat – Studiengänge gibt es noch viel mehr –, dann stellt man fest: Das kann man alles überhaupt nicht in irgendeiner Form sinnvoll vorstellen und präsentieren, sondern der Ansatz muss umgekehrt lauten. Es geht darum, junge Menschen zu befähigen und ihnen die Möglichkeit zu geben, quasi in sich selbst hineinzuschauen und festzustellen: Welche Richtung ist für mich wahrscheinlich die richtige? Welchen Weg gehe ich denn am besten? Welcher wird mir am ehesten gerecht? – Dann kann man das im Einzelnen durchaus weiter aufarbeiten, bis man am Ende bei der jeweiligen Ausbildung, dem Studium oder der Berufswahl ankommt.
Berufs- und Studienorientierung in der Schule bedeutet neben der Vermittlung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen vor allem die Verdeutlichung, dass die in der Schule erworbenen Kompetenzen mit bestimmten Berufsbildern korrespondieren und die Schulfächer kein Selbstzweck sind, weil sich das Berufsleben auch nicht nach Unterrichtsfächern ordnet. Es gibt keinen Beruf Englisch oder Geschichte. Aber es gibt natürlich eine ganze Menge an Berufsbildern, die sich mit dem einen oder anderen Fächerprofil enger oder weiter verbinden.
Meine Damen und Herren, ich kann ein weiteres Element unterstreichen, das hier benannt worden ist, dass nämlich auch der Kontakt zu dem schulischen Umfeld wichtig ist. Ich betone immer, dass Schulen sich mit ihrem Umfeld verzahnen sollen, damit sie ihre Schülerinnen und Schüler schon frühzeitig an die Lebenswelt und damit auch an die Berufswelt gewöhnen und hin zur Ausbildungsreife und Berufswahlkompetenz führen können. Das ist eine Aufgabe aller Lehrkräfte, aller Schulformen, aller Fächer. Die Schule muss die gesamte Linie der Bildungsbiografie ihrer Schülerinnen und Schüler in den Blick nehmen.
Auf dieser Grundlage ist das Kultusministerium die Umsetzung der Forderungen der Allianz für Aus- und Weiterbildung 2015 – 2018 engagiert angegangen. Sie können das im Detail alles in der Antwort auf die Große Anfrage nachlesen, wozu ich Sie ganz herzlich einlade. In den verbleibenden Minuten möchte ich nur noch ein paar Schlaglichter benennen.
Ich nenne, was schon gesagt worden ist, die Zusammenarbeit der hessischen Regionen im Zuge der OloV-Strategie. Sie ist mittlerweile Vorbild für andere Bundesländer geworden. Das darf man auch einmal sagen. Diese Strategie ermöglicht eine zielgerichtete Akquise der in der Region verfügbaren Ausbildungs- und Praktikumsplätze.
Ich nenne die Installation von Ansprechpersonen für Berufs- und Studienorientierung an den Staatlichen Schulämtern; übrigens mit Anrechnungsstunden vonseiten des Kultusministeriums. Es ist keineswegs so, dass vonseiten des Kultusministeriums keine Ressourcen hineingegeben werden.
Ich nenne die Installation von Koordinatoren für Berufsund Studienorientierung an Schulen. Ich nenne die Einfüh
rung des Kompetenzfeststellungsverfahrens KomPo7 an den Haupt- und Realschulbildungsgängen und auch an den Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Ich nenne die Implementierung des Gütesiegels zur Berufs- und Studienorientierung. Ich nenne die Schaffung eines fächerübergreifenden Curriculums zur Berufs- und Studienorientierung. Ich nenne den Abschluss einer Vereinbarung zur Berufs- und Studienorientierung mit der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit zur Schaffung einheitlicher Standards für die Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung. Natürlich nenne ich auch den neuen Erlass zur Berufs- und Studienorientierung vom Juni 2015, der hier schon mehrfach Gegenstand war.
Erstens. Dieser Erlass, das ist eine seiner wesentlichen Neuerungen, bezieht den gymnasialen Bildungsgang gleichberechtigt in die Berufs- und Studienorientierung ein, wie vorher schon die Haupt- und Realschulstudiengänge. Es war kein Versäumnis, dass das erst dann geschehen ist. Wir haben das in die Berufsorientierung hineingearbeitet, erst einmal über die Haupt- und Realschulbildungsgänge, aber immer mit der Zielvorstellung, dass der gymnasiale Bildungsgang dazukommen sollte. Das ist jetzt der Fall.
Das Gleiche gilt für das Gütesiegel Berufs- und Studienorientierung. Deswegen ist es klar, dass die Gymnasien rein zahlenmäßig im Moment etwas hinterherlaufen, weil sie auch zeitlich nachgelaufen sind. Wir haben das aber jetzt alles gemeinsam auf die Schiene gesetzt. Deswegen wird die Zahl der Gymnasien und Schulen mit gymnasialem Bildungsgang sowohl beim Gütesiegel als auch ansonsten bei der Umsetzung dieses Erlasses zunehmen.
Zweitens. Sie haben angesprochen, dass der Erlass vom Juni 2015 stammt; da waren wir in der Tat noch im Bildungsgipfel. Das war jedoch kein Versuch, den Bildungsgipfel zu präjudizieren. Es wurde im Bildungsgipfel explizit die Vereinbarung getroffen, die Berufs- und Studienorientierung noch deutlicher zu verankern, also im Schulgesetz und über eine Verordnung. Wir wissen aber alle, dass ein Gesetzgebungsverfahren ein bis zwei Jahre dauert. Deswegen bedeutete die Vereinbarung während des Bildungsgipfels, erst einmal einen Erlass zu erarbeiten. Das bringt die Angelegenheit weiter. Wir werden es aber nicht aus dem Blick verlieren, das auch gesetzlich und verordnungsmäßig zu verankern. Bei dieser Gelegenheit soll die Thematik auch noch weiter ausgebaut und ausdifferenziert werden.
Drittens. Sie haben angesprochen, dass das Fach Politik und Wirtschaft, das neben dem Fach Arbeitslehre das Ankerfach für die Berufs- und Studienorientierung ist, weniger Stunden als das Fach Arbeitslehre hat. Das ist richtig in der Sekundarstufe I.
Diejenigen, die sich im gymnasialen Bildungsgang befinden, legen es aber normalerweise darauf an, auch die Sekundarstufe II, die gymnasiale Oberstufe, zu absolvieren. Die Berufs- und Studienorientierung für jemanden, der bis zum Abitur durchgeht, fängt sinnvollerweise später an oder findet ihren Schwerpunkt erst in der Oberstufe. Es macht keinen Sinn, jemandem, der noch sechs Jahre in die Schule geht, in der 7. Klasse eine Berufsorientierung angedeihen zu lassen. Der Unterricht in Politik und Wirtschaft findet schwerpunktmäßig in der Oberstufe statt. Die Schwerpunktsetzung der Zeitschiene muss aber zwischen dem