Protocol of the Session on May 17, 2016

Wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass es insgesamt weniger Auszubildende gibt. Neben dieser Herausforderung haben wir eine weitere. Diese war einer der Anlässe dafür, dass wir uns seit langer Zeit wieder mit dem Handwerk insgesamt, auch in der Politik der Europäischen Union, beschäftigen. Es gibt aufgrund der Transparenzrichtlinie eine Prüfung in der Europäischen Union – Stichwort: zulassungspflichtige Handwerke, Meisterprüfung als Voraussetzung für die Selbstständigkeit –, ob die heutigen Regelungen bleiben können oder ob man grundsätzlich infrage stellen muss, dass wir in Deutschland nach wie vor 41 Bereiche und Berufe haben, in denen es notwendig ist, eine Meisterprüfung abzulegen, wenn man sich selbstständig machen will.

Ich will vorwegnehmen: Wir sind zu 100 % davon überzeugt – das teilen wir mit der Landesregierung; in diesem Bericht gibt es sehr klare Aussage –, dass das Beibehalten der Meisterprüfung eine volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch dringend notwendige Maßnahme ist. Wir werden mit allem, was uns zur Verfügung steht, für den Erhalt dieser Situation kämpfen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben nach der Novelle im Jahr 2004, wonach in der Anlage B1 der Handwerksordnung 53 Berufe als nicht mehr meisterprüfungspflichtige Berufe deklariert worden sind, die Situation erlebt, dass es in diesen Betrieben zum

Teil zu regelrechten Einbrüchen kam – in jedweder Hinsicht.

Wenn wir uns überlegen, dass wir in den 41 zulassungspflichtigen Handwerksberufen von 2004 bis 2014 einen leichten Rückgang an Auszubildenden hatten – von ca. 64 auf 55 Auszubildende pro 100 Betriebe – und es zu dramatischen Einbrüchen der Ausbildungszahlen bei den nicht zulassungspflichtigen Berufen kam – von 20 auf 5 Auszubildende pro 100 Betriebe –, stellen wir fest, das ist ein Rückgang von 75 %.

Ich sage es ganz deutlich: Das ist eine katastrophale Entwicklung, die wir dort leider hinnehmen und verzeichnen müssen. Dem gilt es entgegenzutreten, indem wir sagen: Wir bleiben dabei, dass diese jetzt noch 41 Berufe, bei denen eine Meisterprüfung verpflichtend ist, in jeder Hinsicht – das betrifft nicht nur die Ausbildungsleistung dieser Unternehmen, sondern auch die ökonomischen Leistungen – in der Anlage A der Handwerksordnung verzeichnet bleiben müssen. Es ist auch dadurch begründet, dass wir bei diesen Unternehmen eine sehr viel höhere Stabilität haben.

Wenn Sie sich die Verbleibedauer auf dem Markt anschauen, stellen Sie fest, wir haben fünf Jahre nach der Existenzgründung die Situation, dass immerhin 70 % der Betriebe, die mit Anlage-A-Berufen – das sind diese 41 – in Zusammenhang stehen, noch existieren. Wir wissen, dass eine Existenzgründung immer mit einem Risiko verbunden ist und dass die eine oder andere auch nicht funktioniert. Aber ich glaube, man darf sagen, dass es eine sehr erfreuliche Entwicklung ist, dass 70 % der Betriebe nach fünf Jahren noch existieren. Ich meine, sie existieren dann auch auf Dauer.

Kollege Boddenberg, Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen.

Ich bin gleich fertig. – Das genaue Gegenteil haben wir bei den Berufen, die in der Anlage B aufgeführt sind und die ich eben beschrieben habe. Dort haben wir einen Rückgang von 70 % innerhalb der ersten fünf Jahre bzw. eine Nichtmehr-Existenz von 75 %. Meine Damen und Herren, das soll heißen: Die wirtschaftliche und ökonomische Stabilität der Betriebe mit Meisterprüfung ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass sich dieser Kampf lohnt.

Eine letzte Bemerkung. Meine sehr geehrten Damen und Herren und liebe Frau Präsidentin, ich will ausdrücklich Dank sagen: Was im Handwerk geschieht, ist, was die Strukturen anbelangt, in allererster Linie Ehrenamt. Wir reden hier im hessischen Handwerk häufig über das Ehrenamt. Ich glaube, es bedarf einer besonderen Würdigung derjenigen, die sich im Handwerk ehrenamtlich engagieren – an der Spitze der Kammern, in den Prüfungsausschüssen und überall dort, wo es nötig ist, damit das Handwerk funktioniert.

Herr Kollege Boddenberg, bitte ein letzter Satz.

Dafür sage ich am Schluss ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Frau Kollegin Barth für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mir die Beantwortung Ihrer Großen Anfrage aufmerksam durchgelesen. Insgesamt ist das eine sehr informative und ausführliche Situations- und Markbetrachtung, für die ich mich bedanken möchte. Das will ich auch gleich zu Beginn sagen, damit die SPD hier klar verstanden wird: Die Inhalte der Pressemitteilung von Herrn Boddenberg, die das Handwerk als zentralen Motor für die hessische Wirtschaft beschreibt, mit einem uneingeschränkten Bekenntnis zum Meisterbrief als Garant für Qualität und Ausbildung sehen wir genauso und können das 1 : 1 unterschreiben.

(Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber die Ausführungen der Landesregierung enthalten auch Erkenntnisse, die uns aufhorchen lassen. Wenn wir nur das Positive sehen, dann hätte sich die Landesregierung mit ihrer 49-seitigen Beantwortung umsonst bemüht. Insofern ist auch eine konstruktiv-kritische Lektüre angebracht.

Schon auf Seite 3 und 4 wird man stutzig. Während das Handwerk im Zeitraum von 2010 bis 2014 einen Umsatzzuwachs von insgesamt 5,3 % aufweist – zu Zeiten einer normalen Inflation würde man hier fast von Stagnation reden –, entwickelt sich das hessische Bruttoinlandsprodukt doppelt so stark, nämlich mit einer Steigerung von 10,4 %. Während im Handwerk der Beschäftigtenzuwachs in diesem Zeitraum, in diesen fünf Jahren, mit 1,1 % zu verzeichnen war, nahm die Zahl der Erwerbstätigen in Hessen insgesamt um 4,1 % zu.

Meine Damen und Herren, ich will das nicht schlechtreden, aber so rosig sieht das nicht aus. Zitat: „Beide gesamtwirtschaftlichen Kenngrößen“ – also BIP und Gesamterwerbstätigenzahl in Hessen – „zeigen für den Betrachtungszeitraum einen günstigeren Verlauf als die entsprechenden Daten beim Handwerk.“

Es scheint also Faktoren zu geben, die für das Handwerk Wachstumshemmnisse sind – obwohl die Binnenkonjunktur angezogen hat, obwohl die Auftragslage hervorragend ist, obwohl die Kaufkraft steigt und auch die Zuwanderung dem Handwerk neue Aufträge sichert und hoffentlich auch neue Mitarbeiter.

Zum Stichwort Mitarbeiter: Ausdrücklich dankbar sind wir an dieser Stelle für die Initiative des Handwerks – Herr Ehinger, ich meine, das ging auf Sie zurück –, nämlich die jetzt in das Asylpaket II eingeflossene Initiative, dass Asylbewerber, die eine Ausbildung begonnen haben, diese auch zu Ende bringen durften und darüber hinaus zwei Jahre in ihrem Beruf weiter arbeiten dürfen, unabhängig vom Stand des Asylverfahrens. Das ist eine Win-win-Situation für das Handwerk und diese jungen Menschen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das Thema passt aber auch zu dem, was ich jetzt als einen der Gründe nennen möchte, weshalb es dem hessischen Handwerk vielleicht doch nicht so gut geht, wie es ihm gehen könnte. Sie schreiben in der Beantwortung: „Bis zum Stichtag 31.12.2014 konnten 9.515 neue Lehrverträge … eingetragen werden.“ Es fehlt aber die Auskunft: Zum Stichtag 30.09.2015 – das ist traditionell der Stichtag, zu dem die eingetragenen Ausbildungsverträge und offenen Lehrstellen erstmals gemeldet werden – waren hessenweit etwa 2.000 Lehrstellen im Handwerk unbesetzt. Gleichzeitig gab es auch viele unversorgte Schulabgänger – deutschlandweit 81.200. Das sind Zahlen, die nachdenklich machen. Angebot und Nachfrage scheinen hier nicht gut zusammenzukommen. 65 % der Neuverträge im hessischen Handwerk konzentrieren sich zudem auf die zehn am stärksten besetzten Handwerksberufe – das ist in Ihrer Beantwortung zu lesen –, und das bei über 100 Ausbildungsberufen im Handwerk. Ich zitiere erneut: „Jugendliche orientieren sich sehr stark an Vorbildern und greifen auf bekannte Berufs- und Rollenbilder zurück.“ Das heißt: Hier hat das Handwerk einen Einfluss. Ich denke, dass wir diesen Einfluss stärker nutzen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Gerade MINT-Projekte an den Schulen werden von der Landesregierung hier hervorgehoben. Fast eine ganze Seite widmen Sie diesem Thema. Das finde ich jetzt aber geradezu zynisch. Denn solche Projekte leiden besonders unter Ihren derzeitigen Stellenkürzungen an den Oberstufen. Es hängt eben alles mit allem zusammen. Wenn wir die Berufsorientierung verbessern möchten, was gerade im Sinne des Handwerks dringend erforderlich ist, dürfen wir eben nicht bei der Bildung sparen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Sorge machen muss uns auch die große Zahl an Handwerksbetrieben, bei denen in den Jahren bis 2018 eine Unternehmensübergabe ansteht. Das sind 10.600 Betriebe in Hessen. Jeder vierte Inhaber plant, in den nächsten fünf Jahren seinen Betrieb zu übergeben oder zu schließen. Die größte Hürde dabei ist die Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Zu 26,8 % wird das als Grund genannt. Machen wir uns nichts vor: Ein Teil davon – wobei 6,6 % bereits explizit die Schließung angeben – wird den Markt verlassen. Hier kann man zwar beraten und unterstützen, wenn ein Nachfolger gefunden ist. Aber meist hängst es daran, dass keiner in Sicht ist. Hier müssen wir unbedingt mit dem Handwerk im Dialog bleiben.

In diesem Zusammenhang ist auch bedenklich, dass die Existenzgründungen im Handwerk schwächeln. Nur im Bereich – das haben Sie, Herr Boddenberg, auch erwähnt – der zulassungsfreien Gewerke, den B1-Handwerken ist das gestiegen. Dort ist aber leider die Überlebensrate auch am geringsten. Über die Gründe sind wir uns einig.

Acht Förder- und Beratungsmöglichkeiten werden hier aufgeführt. Oft ist es aber auch die Unübersichtlichkeit – ich nenne es einmal „Förderdschungel“, und das gilt auch an anderen Stellen der Ausführungen der Landesregierung –, die Unternehmen abschrecken, gerade wenn es um kombinierte Förderungen mit Förderungen von der EU geht.

(Beifall bei der SPD)

Interessant sind auch die Ausführungen zum Sektor öffentlicher Aufträge. Normalerweise sind die Aufträge im Handwerk gedrittelt: ein Drittel gewerblich, ein Drittel privat und ein Drittel öffentliche Aufträge. Das letzte Drittel aber schwächelt. Die Kommunen, so der Hessische Handwerkstag in seinen Forderungen zur Kommunalwahl, sind wichtige Auftraggeber für das Handwerk. Da ist doch klar, dass das Fehlen öffentlicher Investitionen durch die schlechte Finanzlage der Kommunen auch das Handwerk schwächt.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Was ist denn mit dem Konjunkturprogramm?)

Ja, das hilft sehr viel, vor allem denen, die unter dem Schutzschirm stehen.

Die Ausschreibungen nach Fach- und Teillosen zur Sicherung einer angemessenen Beteiligung kleiner und mittlerer Betriebe – auch dies ist eine Forderung der hessischen Handwerksbetriebe – scheitert oft daran, dass in den Kommunen die Fachabteilungen so ausgedünnt sind, dass man dann doch auf Generalunternehmer ausweicht. Ihre kommunalfeindliche Politik, meine Damen und Herren von CDU und GRÜNEN, ist mittelstandsfeindlich und damit auch handwerksfeindlich.

(Beifall bei der SPD)

Es sind der starke gewerbliche und der private Bereich, die viel herausreißen. So viel zu Ihrer mittelstandsfreundlichen Handwerkspolitik. Auch die Verkehrsinfrastruktur spielt eine Rolle – zum einen natürlich, weil sich das Handwerk hier Aufträge erhofft, aber auch weil eine leistungsstarke Verkehrsinfrastruktur wichtig ist, damit das Handwerk seine Kunden schnell erreichen kann und erreichbar ist. Das ist ein Zitat aus den Forderungen zur Kommunalwahl.

Hierzu ist es erforderlich, den Investitionsstau in der kommunalen Infrastruktur konsequent abzubauen und ausreichende Haushaltsmittel für Verkehrsinvestitionen in Instandhaltung und einen bedarfsgerechten Ausbau des Straßennetzes sicherzustellen.

Meine Damen und Herren von CDU und GRÜNEN, einen Investitionsstau sehen Sie ja derzeit nicht. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Diesem Arbeitsauftrag des Handwerks kommt die Landesregierung derzeit leider kaum nach.

(Beifall bei der SPD)

Ich fasse zusammen: Die SPD steht voll hinter dem hessischen Handwerk als Antriebsmotor der Wirtschaft und für den Mittelstand. In Richtung Brüssel sagen wir: Hände weg vom Meisterbrief. – Aber wir lesen aus der Beantwortung der Landesregierung auf die Große Anfrage, dass wir uns mitnichten zurücklehnen dürfen und dass es noch eine Menge Handlungsbedarf gibt: Fachkräfte- und Nachwuchsmangel, der schwächelnde öffentliche Auftragssektor und das nach wie vor verbesserungswürdige Vergabegesetz.

Nicht nachlassen dürfen wir vor allem bei der Berufsorientierung junger Menschen, die immer noch meinen – meine Damen und Herren oben auf der Besuchertribüne, das auch an Sie –, mit Studium, egal welchem, hätte man mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt als mit einer soliden Ausbildung im Handwerk, was falsch ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Müller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch ich grüße das Handwerk und freue mich, dass Sie heute zu unserer Plenardebatte gekommen sind. Vielen Dank, dass Sie da sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich dachte, wir reden am Mittwochmorgen über ein positives Thema. Jetzt höre ich, dass es durchaus auch Kritik gibt, an vielen Stellen auch berechtigte. Aber insgesamt können wir doch sagen, das Handwerk ist auf einem guten Weg, das Handwerk hat goldenen Boden, und – wie wir sagen – das Handwerk hat auch einen grünen Boden; es deckt nämlich viele Zukunftsbereiche ab, die auch für uns wichtig sind. Ich nenne nur die Themen erneuerbare Energien, Frauenförderung, Integration von jungen Menschen in den Arbeitsmarkt – alles grüne Themen, die auch Zukunft haben. Mit grünen Ideen kann man schwarze Zahlen schreiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Das Handwerk ist als ältester Wirtschaftsbereich mit eigener kultureller Entwicklung das Kernstück der mittelständischen Wirtschaft in Hessen. Ich denke, das ist uns allen – auch der Hessischen Landesregierung – sehr bewusst. Das Handwerk ist im fünften Jahr in Folge in ungetrübter Stimmung. Ich habe gerade heute in der „HNA“ vernommen, dass die Betriebe das auch so sehen: 82,5 % der Betriebe in Hessen sind zuversichtlich. Das liegt im Moment auch an der Stimmung. Es gibt geringe Zinsen, es wird in das sogenannte Betongold investiert und der Sanierungsstau wird aufzuarbeiten versucht.

Im Handwerk haben wir 25.000 Auszubildende. Es ist schon genannt worden: Das Handwerk macht einen Umsatz von 33 Milliarden € im Jahr – das sind Zahlen von 2015 –, also eine Menge Geld. Das liegt zum einen an der Konsumfreude, an dem Betongold – ich habe es eben schon gesagt –, aber zum anderen auch an neuen Trends. Es gibt immer mehr eine Rückbesinnung auf das gute Handwerk und auf die gute Handwerksarbeit. Es gibt immer mehr Handwerksmärkte, die den Bürgerinnen und Bürgern auch eine hohe Qualität anbieten. Es gibt viele Projekte zum Thema Handwerk und Tourismus – gerade in Nordhessen gibt es dazu ein Projekt, bei dem man an bestimmten Tagen Handwerksbetriebe besichtigen kann. Es gibt Aktionswochen zum Thema Handwerk und Tourismus. In dem Bereich tut sich also ganz viel. Dafür ist natürlich in erster Linie das Handwerk verantwortlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)