Protocol of the Session on March 13, 2014

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Sozialminister, Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In den Redebeiträgen eben haben wir sehr deutlich mitbekommen, dass wir uns hier mit einem Thema auseinandersetzen, das eine bundesgesetzliche Grundlage hat. Darauf kann man auch ein Stück weit Rücksicht nehmen. Wenn man Formulierungen hört wie die, gewisse Maßnahmen seien „unglücklich“, dann mag man das seinerseits beurteilen. Ich bin jedoch der festen Überzeugung: Wenn wir das auf die Fragestellung bringen, welche Auswirkungen das auf das Land Hessen hat, und wir uns als Hessischer Landtag damit auseinandersetzen, dann sind Worte wie „gesellschaftspolitischer Skandal“ oder „unglückliche Regelung“ beide nicht akzeptabel.

(Manfred Pentz (CDU): Absolut!)

Vielmehr muss man das an dieser Stelle einmal unter dem Gesichtspunkt beurteilen: Was bedeutet eigentlich dieses Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetz im Hinblick auf Handwerk und Mittelstand, speziell bezogen auf unsere hessische Situation?

Gleich zu Anfang möchte ich hier ein Missverständnis ausräumen, das in dieser Debatte eben auch wieder zum Ausdruck gekommen ist. Mit der Regelung im Entwurf des Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetzes wird eine Möglichkeit geschaffen, dass bestimmte Personenkreise nicht früher, sondern nur zu besseren Konditionen – nämlich abschlagsfrei – die Rente in Anspruch nehmen können.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wie fast alles im Leben hat das eine gute und vielleicht auch eine etwas weniger gute Seite.

Ich kann es gut nachvollziehen, wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer nach 45 Jahren im Beruf eine Rente ohne Abschläge in Anspruch nehmen möchte.

(Beifall des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Dies sollte man in Anbetracht der erbrachten Lebensleistung honorieren und den vorzeitigen, abschlagsfreien Renteneintritt ermöglichen.

Gleichzeitig ist aber auch darauf zu achten, dass dieser positive Ansatz nicht ausgehöhlt wird, indem gleichzeitig falsche Anreize formuliert und gesetzt werden. Ich persönlich glaube, dass eine Anrechnung von Zeiten, in denen die Betroffenen Entgeltersatzleistungen und Ähnliches erhalten haben, auf diese 45-jährige Wartezeit ein falscher Ansatz ist. Einen Vorschlag, um dieses Dilemma zu lösen, hat im Übrigen die Fraktion der CDU/CSU im Bundestag vorgelegt.

Aber zurück zu Hessen. In Hessen sind zum Stichtag 30. Juni 2013 130.971 Personen im Alter ab 60 Jahren erwerbstätig gewesen. Im gleichen Zeitraum waren 56.543 über 50 Jahre arbeitslos gemeldet, und insgesamt 2.291.732 Personen waren in Hessen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Übrigens ist diese Zahl enorm. Sie zeigt, welche guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wir haben und wie stark die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gestiegen ist.

Diese Zahlen kommen vom Statistischen Landesamt und von der Bundesagentur für Arbeit. Wenn ich diese Zahlen ins Verhältnis setze und die Zugangsvoraussetzungen zur vorzeitigen Rente ins Gedächtnis rufe, dann kann ich die

Befürchtungen, die Kollege Rentsch hier eben geäußert hat, schlicht und einfach nicht teilen. Deswegen ist das auch kein „gesellschaftspolitischer Skandal“.

(Beifall bei der CDU und der SPD – Wolfgang Decker (SPD): Richtig, genau so ist das!)

Das entlässt uns allerdings nicht aus unserer Verantwortung, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Betrieben ermöglichen, auch über das 63. Lebensjahr hinaus einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Auch das muss unser Anspruch sein. Der demografische Wandel wird uns dazu zwingen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um gerade dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen. Wir – damit meine ich alle Hessen – brauchen jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer so lange wie möglich an ihren Arbeitsplätzen, wenn der Wohlstand in unserem Land auf Dauer gewahrt bleiben soll.

Dieser gemeinsamen Aufgabe stellt sich die Hessische Landesregierung und bringt auch ihren Anteil in das Gesamtkonzept Fachkräftesicherung ein. Wir haben es eben schon gehört: Wir sind das einzige Land, das eine solche Kommission hat und diesbezügliche Empfehlungen erarbeitet und auch umgesetzt hat. Unter der Überschrift „Potenzialorientierte Arbeitsmarktpolitik“ werden dort verschiedene Projekte genannt, die auf den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit durch altersgerechte Arbeitsplätze sowie auf die Förderung einer frühzeitigen Gesundheitsfürsorge abzielen.

Deswegen halte ich nichts davon, wenn man wieder auf Nebenkriegsschauplätze ausweicht, wie das Kollege Decker getan hat.

(Wolfgang Decker (SPD): Was?)

Betrachten Sie die Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland. Früher haben wir in die skandinavischen Länder geschaut und gesagt, es wäre gut, wenn wir das einmal erreichen könnten. Die letzten Zahlen zur Frauenerwerbstätigkeit zeigen eine Quote von über 71 %. Das ist ein historischer Höchststand und zeigt, dass unsere Politik der Schaffung von Rahmenbedingungen – dazu gehören auch Kinderbetreuungseinrichtungen – an dieser Stelle Früchte trägt und wir hier auf einem guten Weg sind, den wir weitergehen müssen.

(Beifall bei der CDU – Wolfgang Decker (SPD): Aber es ist noch Luft nach oben da!)

Das ist schlicht und einfach kein Dilemma. Sie sehen doch: Es gibt keine Klagen und keine Fragen im Hinblick auf nicht vorhandene Kinderbetreuungsplätze.

(Wolfgang Decker (SPD): Das stimmt doch gar nicht!)

An dieser Stelle muss man endlich einmal die Kirche im Dorf lassen und darf nicht auf Nebenkriegsschauplätze ausweichen.

Deswegen sage ich: Ja, wir müssen die Betriebe dahin gehend unterstützen – was sie jetzt schon tun –, dass sie Maßnahmen ergreifen, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so lange wie möglich im Unternehmen zu halten. Dazu gehört lebenslanges Lernen. Dazu gehören gesundheitsfördernde Maßnahmen.

(Wolfgang Decker (SPD): Richtig!)

Dazu gehören alternierende Arbeitszeitgestaltungen, und dazu gehört letztendlich auch die Zuwendung zu älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Die Wirtschaft hat das längst begriffen, von Handwerksbetrieben bis zu den Unternehmen, und praktiziert das schon lange.

Trotzdem muss man demjenigen, der 45 Jahre lang gearbeitet hat, eine Chance geben, für diese Lebensleitung abschlagsfrei in Rente zu gehen. Ich glaube, dieses Dilemma können wir durchaus gemeinsam lösen, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten und hier von „gesellschaftspolitischem Skandal“ zu reden.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Wolfgang Decker (SPD))

Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen mehr. Damit ist auch Tagesordnungspunkt 40 behandelt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 41 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Drei Jahre nach Fuku- shima – Energiewende in Hessen verwirklichen) – Drucks. 19/172 –

Das Wort hat die Frau Kollegin Dorn.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Nach der Atomkatastrophe von Fukushima sind jetzt drei Jahre vergangen. Leider ist der Ausnahmezustand noch lange nicht zu Ende.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Täglich dringt Grundwasser in die zerstörten Atomkraftwerke ein. Mittlerweile sind weit über 1.000 Tanks mit radioaktivem Wasser gefüllt. Derzeit gibt es keine Entsorgungsmöglichkeit, noch viel schlimmer: viele Tanks lecken, und es tritt radioaktives Wasser aus.

Die Lage bei diesen Atomkraftwerken ist so instabil, dass ein weiteres Beben dieselbe Katastrophe erneut hervorbringen würde.

Die körperlichen Folgen durch die Verstrahlung sind noch lange nicht klar. Das Risiko für Krebserkrankungen ist um teilweise bis zu 70 % erhöht. Das psychische Leid aber ist dort schon allgegenwärtig. Es gibt Containersiedlungen der Evakuierten. Menschen flüchten sich in Alkoholismus und Depression und nicht selten auch in Suizid.

Fukushima hat uns eines leider erneut vor Augen geführt: Wenn bei der Atomkraft ein Unglück passiert, ist niemand in der Lage, Schäden von Mensch und Natur abzuwenden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Timon Gremmels (SPD) und Janine Wissler (DIE LINKE))

Deswegen brauchen wir den Ausstieg aus der Atomkraftnutzung, nicht nur hier in Deutschland, sondern weltweit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN)

Auf uns kommt eine gewaltige Aufgabe und Verantwortung zu; denn wir in Deutschland müssen beweisen, dass die Energiewende nicht nur möglich ist, sondern dass wir uns als wirtschaftsstarkes Land mit dieser Energiewende auf Erfolgskurs halten können. Wir müssen deswegen auch hier in Hessen alle Kraft darauf verwenden, die Energiewende zu einem Erfolg zu bringen. Ich bin sehr froh, dass wir mit dem Koalitionsvertrag sehr wichtige Weichen gestellt haben, um die Energiewende zu einem Erfolg zu führen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir – bis auf die Linksfraktion – haben uns gemeinsam die maßgeblichen Ziele auf dem Energiegipfel gesetzt. Jetzt geht es darum, diese maßgeblichen und ehrgeizigen Ziele umzusetzen. Wir brauchen einen Plan, ein Gesamtkonzept für die Energiewende. Die wichtigsten Eckpfeiler dafür haben wir im Koalitionsvertrag festgehalten. Wir wollen den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis zum Ende der Legislaturperiode verdoppeln.

(Timon Gremmels (SPD): Das ist wenig ambitioniert!)

Das ist ein durchaus ehrgeiziges Ziel. Sie können ja auf Bundesebene gern mithelfen, dass dieses ehrgeizige Ziel umgesetzt wird. Darüber würde ich mich sehr freuen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir sehen uns die drei Aufgabenbereiche an: Einsparung, Effizienz und Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir wissen, dass es nicht darum geht, einzelne Windräder aufzustellen – allein das ist schon eine riesige Herausforderung –, sondern es geht um die Transformation eines ganzen Energieerzeugungssystems. Es geht um den Netzausbau, um die Frage der Speicherung von Energie, es geht darum, wie man das System bestmöglich auf die volatilen erneuerbaren Energien anpassen kann. Optimal geeignet sind hier beispielsweise Gaskraftwerke.

Wir wollen außerdem eine ganzheitliche Energiewende. Auch das hat sich die Koalition zum Maßstab gesetzt. Wir wollen den Energiegipfel im Bereich Verkehr weiterführen, also eine wirklich ganzheitliche Energiewende voranbringen. Das ist ein sehr ehrgeiziger Plan, aber ich freue mich sehr, dass die Koalition hier entschlossen gemeinsam vorangeht.