Protocol of the Session on February 3, 2016

Kollege Schäfer-Gümbel, die zwei Sätze sind um.

Wir können viel über Kindergelderhöhung reden; aber am Ende wird sich die Familienentlastung dort entscheiden, und deswegen bitten wir herzlich um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Wiesmann, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach unserem gestrigen Aufgalopp haben wir heute also die zweite, vielleicht noch etwas ausgeschlafenere Debatte in Sachen gebührenfreie Kinderbetreuung. Diesmal geht es um den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben sehr eindrucksvoll dargelegt, warum Sie diesen Gesetzentwurf hier heute einbringen. Ich will vorab sagen: Die Entlastung von Familien ist uns natürlich immer ein Anliegen. Die Frage ist nur, wie man es macht.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind es fünf Prämissen, die Sie Ihrer Argumentation implizit oder explizit zugrunde legen. Auf die möchte ich eingehen.

Erstens. Sie sagen, viele Eltern in Hessen seien finanziell so gestellt, dass sie sich eine außerfamiliäre Kinderbetreuung nur schwer leisten könnten. Bereits gestern haben wir festgestellt – das ist keine Kleinigkeit, das ist auch nicht lächerlich –, dass es die Sache der Gemeinden ist, über die Ausgestaltung der Elternbeiträge zu entscheiden. Unser Gesetz regelt allerdings, dass diese nach der Höhe des Einkommens und der Geschwisterzahl gestaffelt werden können. Davon machen die Gemeinden üblicherweise auch einen klugen Gebrauch.

Zudem werden im Bedarfsfall die Elternbeiträge vom Jugendamt ganz oder teilweise übernommen. Das ist bei Harz-IV-Empfängern oder Sozialhilfebeziehern der Fall. Immerhin betrifft das 10 % der hessischen Eltern; sie sind per Gesetz von den Kitagebühren befreit. Wenn man bedenkt, um welche Beiträge, bezogen auf die Gesamtkosten, es sich insgesamt handelt – die 15 % sind zwar ein Durchschnittswert, und es mag Unterschiede geben; aber es ist insgesamt ein geringer Wert –, stellt man fest, es kann allenfalls ein schmales Segment von Eltern sein, dem mit einer weiter gehenden Gebührenfreiheit in Hessen bei der Frage der Kinderbetreuung entscheidend gedient wäre.

Ganz sicher wäre damit aber den Gutverdienern gedient, die mit den vollen Beitragssätzen, die sie zahlen, heute erheblich und sogar gern zur Finanzierung einer qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung beitragen. Dass es, wenn Sie dies ändern, die Chancengleichheit befördert, nach der Sie den Gesetzentwurf sogar benannt haben, oder die soziale Gerechtigkeit, die Sie so gern zur Richtschnur machen, bezweifle ich.

Zweitens. Sie behaupten, dass die Gebührenfreiheit im vorletzten Kindergartenjahr die Quote der Kinder, die einen Kindergarten besuchen, noch steigern könnte. Was sonst sollte der Sinn davon sein?

Lassen Sie uns dazu auch heute einen Blick über den Rhein werfen: In Rheinland-Pfalz, wo es, wie jeder weiß, ab dem zweiten Kindergartenjahr eine kostenlose Kinderbetreuung gibt, sind die Betreuungsquoten im U-3-Bereich – also da, wo Musik drin ist und die Eltern noch entscheiden – nicht signifikant höher als in Hessen. Die Gebührenfreiheit ändert also offenbar gar nicht viel an der Inanspruchnahme von Kinderbetreuung. Ich sage noch einmal: Es ist nicht primär eine Frage der finanziellen Barrieren, sondern es ist auch eine Frage des Elternwillens, den wir alle sicherlich erst einmal respektieren wollen.

Vor allem aber – das ist wichtig – hat Hessen beim Kindergartenbesuch von Kindern der Altersspanne, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf ansprechen, überhaupt keine Defizite. Wie gestern vom Kollegen Bocklet zitiert wurde, nehmen 93 % der Kinder im entsprechenden Alter die Chance wahr, einen Kindergarten zu besuchen. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund sind es sogar über 94 %. Nicht einmal dieser Handlungsbedarf – den man hier vielleicht vermuten könnte – ist real. Worauf soll die gebührenfreie Kinderbetreuung denn dann eine Wirkung haben?

Drittens. Sie gehen implizit davon aus, dass es darum gehen müsse, möglichst viele Kinder möglichst früh und möglichst lange am Tag in die außerfamiliäre Kinderbetreuung zu geben, weil dort die eigentliche frühkindliche Bildung stattfinde. Ich will Ihnen gleich sagen: Wir können Ihnen darin ein ganzes Stück weit folgen, was das vorletzte Kindergartenjahr angeht; denn auch wir sind davon überzeugt, dass es in aller Regel den Kindern und ihrer Entwicklung förderlich ist, wenn sie im Alter von vier Jahren – auch schon vorher – täglich mehrere Stunden im Kindergarten verbringen, zumal dann, wenn dieser nach dem Bildungs- und Erziehungsplan arbeitet und umfassende Förderangebote parat hat, für die wir stetig sorgen.

Allerdings – auch das wurde gestern schon gesagt – sind wir deswegen noch lange nicht für eine Kindergartenpflicht zu haben; denn wir respektieren die Entscheidung der Eltern über ihr Lebensmodell und über das Maß an und die Form der Betreuung und Bildung für ihre Kinder. Kinderbetreuung darf deshalb nicht unbezahlbar sein; das ist völlig klar. Aber sie braucht auch durchaus nicht gebührenfrei zu sein, zumal sie elterliche Fürsorge, Erziehung und Bildung immer nur ergänzen, niemals aber komplett ersetzen kann. Auch aus diesem Grund hat der Einstieg in den Ausstieg – den Sie hier anpeilen – für uns keine Priorität.

Ich will Ihnen einen weiteren Hinweis geben. In der von Ihnen initiierten Enquetekommission haben wir mithilfe einschlägiger Sachverständiger festgestellt, dass erst familienähnliche Betreuungsbedingungen, z. B. eine Betreuungsrelation von 1 : 3, signifikante Bildungsvorteile für benachteiligte Kinder bringen. Eine nur mittelmäßige Kita hat diese Vorteile nachweislich nicht. Sie schadet nicht, aber sie schafft sie auch nicht. Es bedarf also eines besonders guten und deshalb auch teuren Qualitätsniveaus, damit Kita und Kindergarten wirklich Bildungsbarrieren überwinden helfen, wie Sie es in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs ausdrücken.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch deshalb ist für uns die Arbeit an weiteren Qualitätsfortschritten viel wichtiger als eine Gebührenfreiheit zum jetzigen Zeitpunkt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viertens. Im Vergleich zu dem der LINKEN sehen Sie Ihren Gesetzentwurf als moderat und vernünftig an; ich sage es mit meinen Worten. Es geht schließlich nur um 62 Millionen € – eine Kleinigkeit im Vergleich zu den gestern im Raum stehenden 500 Millionen €. Aber leider haben Sie auch für diese läppischen 62 Millionen € keine seriöse Gegenfinanzierung, schon gar nicht für das Jahr 2017, in dem Sie den Gesetzentwurf bereits gültig sehen wollen.

Noch weniger seriös ist der vorhin angesprochene Vorschlag, die Mittel, die eine Reform des Länderfinanzausgleichs – die wir uns wünschen – bringen könnte, hier vorsorglich einzuplanen. Ob überhaupt und, wenn ja, wann diese Mittel kommen werden, für die unser Ministerpräsident gekämpft hat, und das mit nicht allzu viel Unterstützung von Ihrer Seite, und welche Herausforderungen dann zu schultern sind, wird die Zukunft zeigen, und das wird auch in Zukunft entschieden werden müssen. Aber schon jetzt darf man zitieren, was Ihre eigene Bundestagsfraktion am 25. Januar zur Neuordnung der Finanzbeziehung zwischen Bund und Ländern beschlossen hat.

Ihre Bundespolitiker – ich muss das interpretieren, aber ich kann es auch lesen – wollen viele Änderungen vornehmen, die die Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes stärken. Die tollste darunter ist die Aufhebung des Kooperationsverbots. Aber darüber müssen wir heute nicht reden. Aber von höheren bei den finanzstarken Ländern verbleibenden Mitteln liest man kein einziges Wort. Vielleicht haben Sie noch etwas anderes dazu besprochen. Zu lesen ist es dort nicht.

Die Rede ist vielmehr von dem – ich zitiere – „Rückzug der ausgleichspflichtigen Länder aus dem bisher solidarischen Ausgleich zwischen den Ländern“, welcher „durch den Bund kompensiert werden“ solle.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

„Eine Einigung um jeden Preis allein auf der Basis des Vorschlags der Länder kann es deshalb nicht geben.“

Mit Verlaub, Herr Schäfer-Gümbel, vielleicht sollten Sie sich erst einmal in Ihrer eigenen Bundestagsfraktion dafür verwenden, dass in Berlin die Voraussetzungen für diejenigen Wohltaten geschaffen werden, die Sie hier in Hessen wahlkampfwirksam einfordern.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend: Sie sehen in dieser Initiative einen bahnbrechenden Fortschritt für moderne Familienpolitik. Ich möchte noch einmal zu bedenken geben, wohin eine solche Priorität führen würde. Es fehlte erstens den Kommunen das Geld für einen weiteren Ausbau und weitere Qualitätsverbesserungen. Es fehlte den Eltern der Maßstab dafür, welche Gegenleistungen sie mit Fug und Recht erwarten können.

Letztlich würde auch der Umgang mit einer kostbaren Ressource ein ziemlich sorgloser werden. Wenn Kita nichts kostet, bucht jeder das Maximum, schon aus Sicherheitsgründen. Dafür gibt es auch Beispiele aus der hessischen Praxis, dass dann alle alles wollen, aber nicht alles wahrnehmen. Familienfreundliche Arbeitsregeln sind dann ganz überflüssig. Kluges Auslastungsmanagement von Alteinrichtungen, Platzsharing oder dergleichen sind gar nicht

mehr notwendig. Zahlen wird es am Ende das Land müssen und damit natürlich die Steuerzahler. Das ist ein teures Vergnügen und ganz gewiss kein Weg, jedenfalls in Zeiten wie diesen mit großen finanzpolitischen Herausforderungen, mit knappen Gütern klug umzugehen.

Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf der SPD will ein Problem, Eltern können sich den Kindergartenbesuch nicht leisten, beseitigen, das es in dieser Schärfe gar nicht gibt.

(Zuruf von der SPD: Das hat keiner gesagt!)

Er will die Chancengleichheit von Familien unterstützen, die bereits durch gut funktionierende andere Mechanismen unterstützt wird – im Hinblick auf ein Ziel, den allgemeinen Kindergartenbesuch, das bereits weitestgehend verwirklicht ist. Das Ganze geschieht mit einer Perspektive, die einer großartigen Zielsetzung, nämlich der Bildungsgerechtigkeit, folgt, dafür aber die falschen Prioritäten setzt, nämlich Gebührenfreiheit vor Qualitätsentwicklung. Dann ist das auch noch gegen originäre Entscheidungsrechte von Eltern und Kommunen gerichtet. Und dann geschieht das mit einer Finanzierungsidee, die nicht einmal – jedenfalls nicht heute – von den eigenen Leuten in Berlin geteilt wird.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Schäfer-Gümbel, dies ist eine großartige Initiative. Ich bin sicher, Sie werden sie uns noch näher erklären.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für eine Kurzintervention hat Kollege Merz für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ja, da können Sie sicher sein, Frau Wiesmann, dass Ihnen das der Kollege Schäfer-Gümbel noch näher erklären wird. Aber bis dahin erklären Sie mir Folgendes, liebe Frau Kollegin: Wenn das alles richtig ist, was Sie hier sagen, wenn es sich hier um ein Problem handelt, das gar nicht existiert oder das nicht in dieser Schärfe existiert – das habe ich gehört, und darüber müssten Sie sich einmal mit sich selbst verständigen –, wenn das alles so ist, warum haben Sie dann eigentlich Ihrem Ministerpräsidenten nicht widersprochen, als er genau das und mehr versprochen hat, was wir hier vorschlagen?

(Beifall bei der SPD)

Das ist doch der ungelöste politische Widerspruch. Warum haben Sie und all die anderen, die da unten sitzen, ihm nicht widersprochen, als er gesagt hat, wie er den noch nicht vollzogenen Länderfinanzausgleich und den Gewinn für Hessen verbinden will? Das erklären Sie uns bitte. – Das war Punkt eins.

Punkt zwei. Erklären Sie uns bitte bzw. nicht mir, sondern den Menschen, die ein Kind im ersten oder im zweiten Kindergartenjahr haben, worin die Gerechtigkeit besteht, dass das dritte Kindergartenjahr weiterhin beitragsfrei bleibt, aber es unter keinen Umständen weiterhin hinnehmbar ist, dass das erste und zweite Kindergartenjahr beitragsfrei wird. Das erklären Sie einmal den Menschen, die in dieser Situation sind.

(Beifall bei der SPD)

Das ist vielleicht keine Frage der Teilnahmeförderung, aber es ist eine Frage der Gleichbehandlung und insofern der sozialen Gerechtigkeit und der finanziellen Entlastung von Familien, die nicht auf Rosen gebettet sind wie wir Landtagsabgeordnete oder wie mancher in manchen Gebieten von Frankfurt.

(Beifall bei der SPD)

Es mag sein, Frau Kollegin, dass wir im dritten Kindergartenjahr keine Anreize mehr brauchen. Da ist die Quote in der Tat bei 98 %. Sie ist aber im ersten Kindergartenjahr noch bei 92 %. Wenn es aber im dritten Jahr schon gar keinen mehr gibt, dann erklären Sie mir einmal, warum Sie das unter gleichen Voraussetzungen Ihrer eigenen Logik nach dann aufrechterhalten wollen.

Drittens. Ich weiß gar nicht, woher Sie Ihre Informationen über die Inanspruchnahme von Staffelgebühren haben.

Kollege Merz, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ich bin sofort fertig. – Wir hatten hier einmal vor einigen Jahren einen Berichtsantrag, wo genau diese Frage erörtert werden sollte. Die Auskunft der Landesregierung war: Wir wissen dazu gar nichts. Sie wissen auch deswegen dazu gar nichts, weil die Masse der Kindergartenbetreiber die Kinder aus Familien mit geringen Einkommen, nämlich SGBII-Einkommen, zur Wirtschaftlichen Jugendhilfe der Landkreise schickt. Deswegen gibt es das fast nirgendwo. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Kollegin Wiesmann, zur Erwiderung.

Lieber Kollege Merz, ich fange einmal mit der sozialen Gerechtigkeit an. Ich weiß nicht, ob die zwei Minuten ausreichen. Aber ich versuche es einmal. Sie haben ja so viel angesprochen.

Ich muss Sie fragen: Worin besteht die soziale Gerechtigkeit einer Maßnahme, die zunächst einmal die Gutverdiener entlastet? Können Sie mir das erklären? – Ich glaube, das können Sie mir sehr schlecht erklären.