Protocol of the Session on December 17, 2015

(Florian Rentsch (FDP): In welcher Anhörung waren Sie denn?)

Ich war in derselben Anhörung wie Sie. Wenn ich mir die Liste anschaue, stelle ich fest, es waren nicht nur Vertreter der Gewerkschaften und der Kirchen anwesend, sondern auch die einer ganzen Reihe anderer Verbände. Aufseiten der Industrie und des Handels ist auch nicht gerade Hurra geschrien worden. Aber lassen wir es so stehen.

Meine Damen und Herren, bei dem, was Sie vorhaben, gibt es in der Tat ein Problem: Sie bleiben dabei, dass es sich um vier Sonntage handelt. Das soll im Gesetz stehen bleiben. Das Problem sind aber die Flexibilisierung und die Ausdehnung auf die verschiedenen Stadtteile. Ich habe Ihnen damals am praktischen Beispiel der Stadt Kassel vorgerechnet, was in einer Stadt mit mehreren Stadtteilen da

bei herauskommen kann. Das ist bisher nicht entkräftet worden.

Den Braten haben auch viele der Anzuhörenden gerochen, und deshalb war die Front der Ablehnung so breit. Vielleicht waren wir wirklich in verschiedenen Anhörungen. Aber wir können uns in der dritten Lesung – wenn Sie die wirklich beantragen wollen – gern noch einmal damit befassen.

Die zweite Änderung – die wollen wir hier nicht außer Betracht lassen – ist ebenfalls elementar: Sie wollen die Regelung zur anlassbezogenen Öffnung aus dem Gesetz herausnehmen. Das heißt, es gibt dann keinen Anlass mehr. Jeder kann nach seinem Gutdünken sagen: Ich mache jetzt einen verkaufsoffenen Sonntag. – Früher war das immer an ein marktkonformes Ereignis gebunden. Das ist auch heute noch so. So etwas ist auch immer ein wunderbares Event.

Jetzt will ich Ihnen noch eines sagen: Sie haben gesagt, wie wichtig das für die Entwicklung der Städte ist. Ich komme aus Kassel. Kassel hat sich prächtig entwickelt, aber nicht, weil wir mehr verkaufsoffene Sonntage haben. Das hat ganz andere Hintergründe – jedenfalls nicht den. Das ist wohl ziemlich klar.

Ich sage Ihnen das, was die SPD-Fraktion auch schon in vielen anderen Debatten dazu erklärt hat. Wir hatten immer gleich gelagerte Debatten dazu. Es waren die Debatten über die Sonntagsarbeit, es war die Debatte über die Bedarfsgewerbeverordnung, und es gab auch mehrfach Debatten im Zusammenhang mit Amazon in Bad Hersfeld. Die hatten zwar andere rechtliche Hintergründe, weil es sich da um Tarifauseinandersetzungen handelte; aber immer ging es letztendlich um den verkaufsoffenen Sonntag bzw. um das Thema „Arbeit an Sonntagen“.

Eine aktuelle Ergänzung dazu: Der RP Kassel hat vor wenigen Tagen verfügt, dass man bei Amazon aufgrund der Tarifauseinandersetzung in diesem Weihnachtsgeschäft nicht sonntags arbeiten kann. Das galt für den vorangegangenen Sonntag, und es gilt auch für Sonntag, den 20. Dezember.

Auch nicht außer Acht lassen dürfen wir bei der Bewertung des Gesetzentwurfs, dass es eine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, die den Sonntag ausdrücklich unter Schutz stellt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das wollen wir beibehalten. Ich meine auch, wir sollten in diesem Hause nicht permanent mit demselben Kopf gegen dieselbe Tür laufen. Lassen Sie uns doch einfach einmal die Menschen respektieren, die die ganze Woche über arbeiten.

Deswegen sage ich für meine Fraktion noch einmal: Für uns kommt dem Sonntag nach wie vor eine große Bedeutung zu: Bedeutung für die Familie, Bedeutung für Kultur, für Vereine, für den Sport und natürlich auch für die Kirche. Er hat natürlich auch für jeden Einzelnen Bedeutung; denn jeder ist einmal froh, von der Hetze des Alltags Abstand zu nehmen. Wer die ganze Woche über gearbeitet hat, ist froh, wenn er zumindest an einem Tag in der Woche entspannen kann. Deshalb sage ich ganz klar: Die Sonntagsruhe sollten wir den Menschen nicht ohne Not nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Zum Schluss noch etwas: Wissen Sie – Herr Kollege Rentsch weiß es; er kommt aus Nordhessen –, wie wir „Ladenschluss“ in Nordhessisch übersetzen? Das klingt ein bisschen wie Chinesisch: Hon schon zu. – Das ist witzig; aber es ist viel dran, und dabei bleiben wir. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kollege Schaus, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Lenders, um mit Herrn Deckers Worten zu sprechen und das aufzugreifen: Sie haben uns mit der dritten Lesung wirklich überrascht. Ich sage einmal, Sie wollen Ihren verstaubten Ladenhüter über Weihnachten und Neujahr wieder einstauben lassen. Ich hoffe, dass Sie keine Hustenanfälle bekommen, wenn Sie ihn Ende Januar wieder herausholen und er so viel Staub angesetzt hat. Insofern denke ich da sehr wohlwollend an Ihre Gesundheit.

(Florian Rentsch (FDP): Herr Schaus! Großer Gott!)

Aber Spaß beiseite.

(Florian Rentsch (FDP): Ach, das war Spaß?)

Herr Rentsch, so grimmig, wie Sie die ganze Zeit schauen, bin ich nicht sicher, ob Sie überhaupt Spaß verstehen.

(Zurufe von der LINKEN: Oh!)

Meine Damen und Herren, der Sonntag ist kein Tag wie jeder andere.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hast du beim letzten Mal auch gesagt!)

Genau, warte doch einmal ab.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann aus dem Manuskript mitlesen!)

Mach das mal. – Der Sonntag ist kein Tag wie jeder andere. Das Grundgesetz erklärt in Art. 140 deshalb ausdrücklich den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage „als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ für „gesetzlich geschützt“. Darauf habe ich bereits eingangs meiner Rede in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs hingewiesen.

(Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Genau. Kollege Bocklet hat es gemerkt. – Ich bin sehr froh, dass diese Verfassungsnorm von vier Fraktionen dieses Hauses grundsätzlich geachtet wird. – Das hast du nicht mehr in dem Manuskript stehen. – Nur die FDP, die sich selbst gerne als Verfassungspartei darstellt, steht diesbezüglich weiterhin abseits und versucht immer wieder eine Aufweichung vorzunehmen. Das war schon zu Regierungszeiten so, als die Sonntagsöffnung absurderweise für Videotheken und Bibliotheken durchgesetzt werden musste.

Längst wird aber nicht nur in Krankenhäusern, in Altenheimen, bei der Polizei und der Bahn, an Tankstellen und in der Gastronomie auch sonntags gearbeitet: Mittlerweile arbeiten mehr als 25 % regelmäßig sonntags. 11,5 Millionen

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind weit mehr als diejenigen, die für die Aufrechterhaltung der Versorgung, des Verkehrs, des Gesundheitswesens oder der Sicherheit unserer Bürger benötigt werden.

Zunehmend kritisieren Kirchen, Gewerkschaften, soziale Verbände und auch Einzelpersonen, dass zahlreiche Veranstaltungen nur als Beiwerk ins Leben gerufen werden, um das Erfordernis des Gesetzes formal zu erfüllen. Mehrere Gerichte haben deshalb vor Ort beantragte Ladenöffnungswünsche bereits als nicht zulässig beurteilt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat diese Entscheidungen inhaltlich voll bestätigt.

Immer wieder wird von Teilen der Bevölkerung gefordert, auch an Sonntagen die Möglichkeit zu haben, alles einzukaufen. Ist die kritiklose Hingabe an den grenzenlosen Konsum für uns wirklich unverzichtbar? Soll das modern und zeitgemäß sein? Ich sage: Nein.

(Beifall bei der LINKEN)

Ohne Sonntag gibt es nur noch Werktage, lautet der Slogan der Allianz für den freien Sonntag, in der sich Kirchen, Gewerkschaften und Verbände zusammengeschlossen haben, um gegen die ausufernde Sonntagsarbeit vorzugehen. Und sie haben zwischenzeitlich auch einige Erfolge erzielt, insbesondere vor den Gerichten.

Wir unterstützen diese Allianz nach Kräften und werden das Thema Sonntagsarbeit auch weiter im Landtag auf die Tagesordnung setzen. Zu den Erfolgen der Gewerkschaft ver.di zählen wir auch, dass die – Kollege Decker hat es eben angesprochen – von der noch immer bestreikten Firma Amazon in Bad Hersfeld für den 13. und 20. Dezember beantragte Sonntagsarbeit vom Regierungspräsidium Kassel abgelehnt wurde. Meine Damen und Herren, es hat lange gedauert, bis die Landesregierung eingesehen hat, dass sie mit der Genehmigung von Sonntagsarbeit ihre Neutralitätspflicht im Streikfalle verletzt.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Die gleiche Entscheidung wäre uns allerdings bereits bei der Genehmigung der Sonntagsarbeit beim Poststreik im Sommer dieses Jahres wichtig gewesen.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wenige Wochen nach dem großen Erfolg der Gewerkschaft ver.di und der Kirchen beim Bundesverwaltungsgericht hat die FDP ihren Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem Ziel, den Sonntagsschutz, der gerade erst durch die Gerichte bekräftigt wurde, wieder aus den Angeln zu heben. Die FDP-Landtagsfraktion fordert hierin, die Ladenöffnungszeiten in Hessen neu zu regeln, und tut nach wie vor so, als wären ihre vorgeschlagenen Änderungen nur von geringer Auswirkung.

Der vorgelegte Gesetzentwurf stellt aber einen Generalangriff auf den verfassungsrechtlich geschützten freien Sonntag dar. Die FDP versucht damit, die festgestellten Rechtsgrundsätze wieder aufzuweichen – unter Umgehung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die jüngst sogar nochmals in einem Verfahren aus Bayern bestätigt wurde, und unter Umgehung der Rechtsprechung zur hessischen Bedarfsgewerbeverordnung.

Die vorgesehene Streichung des „Erfordernisses eines Sonderereignisses“ – also einer Kerb, einer Messe oder eines großen Stadtfestes – im derzeit geltenden Gesetz verfolgt

einzig und allein den Zweck, die großen Einzelhandelsunternehmen zu begünstigen. Die Möglichkeit, Sonntagsöffnungen nun viermal pro Jahr anlassfrei sogar für einzelne Stadtteile und nicht nur für eine Stadt in ihrer Gesamtheit zu genehmigen, führt in allen großen Städten quasi zu uneingeschränkten Öffnungszeiten an allen Sonntagen des Jahres. Ein Beispiel: Frankfurt hat 56 Stadtteile. Dort könnte also an jedem Wochenende in einem anderen Stadtteil eine Ladenöffnung stattfinden, wenn man der FDP folgt. Das wollen wir nicht.

Bei der durchgeführten Anhörung fand der FDP-Gesetzentwurf nur wenig Zustimmung, und zwar bei Verbandsvertretern des Einzelhandels und bei einzelnen Bürgermeistern, die allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten – genau das hat Herr Lenders vorgetragen, deshalb habe ich auf Art. 140 GG hingewiesen – einen unsolidarischen Wettbewerb mit ihren Nachbarkommunen austragen wollen. Genau das wollen Sie unterstützen: einen unsolidarischen Wettbewerb.

Bei allen anderen Verbandsvertretern, Vertretern der Kirchen und der Gewerkschaften fiel der Gesetzentwurf im Übrigen glatt durch. Der Beauftragte der Evangelischen Kirchen am Sitz der Landesregierung wies auch eindrucksvoll darauf hin, dass es das Sonntagsarbeitsverbot bereits seit 1.700 Jahren gibt.

(Michael Boddenberg (CDU): Nein)

Es ist also ein altes Recht aus dem Jahr Dreihundertnochetwas.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 321!)

321. Danke schön, Kollege Bocklet. – Die FDP-Forderung ist eine deutliche Kampfansage an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie auch an kleine und mittelständische Betriebe. Denn die großen Einzelhandelskonzerne, Herr Lenders, haben die Sonntagsöffnungen längst als ihr Instrument zur Verdrängung kleiner und mittelständischer Betriebe aus dem Markt genutzt und tun dies auch weiter. Deswegen unterstützen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf – wenn man so will – das Großkapital, also die Großen gegen die Kleinen. Das ist Fakt, und das ist belegbar.

(Beifall bei der LINKEN)