Protocol of the Session on December 17, 2015

(Beifall bei der FDP)

Es ist eine Zeit, in der notgedrungen andere Lebensstrukturen aus der Situation, die die Menschen vorher erlebt haben, gekommen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, verstehen Sie uns Freie Demokraten bitte nicht falsch. Wir reden nicht gegen den Inhalt dieser Verfassung. Sie ist einmalig. Sie hat eine Grundlage für die Entwicklung dieses Landes gestellt. Georg August Zinn ist hier als derjenige zitiert worden, der nicht nur lange Ministerpräsident, sondern fast genauso lange Justizminister dieses Landes gewesen ist.

Ich bitte uns deshalb, dass wir das mit einer großen Gelassenheit diskutieren. Denn eines sollten wir uns abgewöhnen. Die Hessen können sich nicht immer damit zufriedengeben, dass Bundesrecht Landesrecht bricht. Ich finde, das ist eine passive Einstellung. Das ist eine Einstellung: Da macht einer etwas mit uns.

Das war übrigens der Auslöser der Debatte. Mein ältester Sohn war damals 14 oder 15. Im Gymnasium haben sie dort die Todesstrafe durchgenommen, und er kam nach Hause und sagte: Vater, du bist doch im Landtag, mach etwas dagegen. – So entspann sich die Diskussion auf einmal zwischen Armin Clauss und mir.

Dann zu antworten: „Alles nicht schlimm, Bundesrecht bricht Landesrecht“, dafür sind wir Hessen viel zu selbstbewusst. Dafür ist auch dieser Hessische Landtag viel zu selbstbewusst. Die Todesstrafe ist natürlich, weil Bundesrecht Landesrecht bricht, nichts mehr wert in der Verfassung. Trotzdem ist es eine symbolhafte Diskussion, die wir

da immer wieder führen müssen, die wir insbesondere mit Schülerinnen und Schülern führen müssen, die unsere Verfassung Gott sei Dank in unseren Schulen immer wieder gelehrt bekommen.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich deshalb zum Abschluss sagen: Ich freue mich auf die Diskussion, ich freue mich auch auf die wissenschaftliche und die intellektuelle Auseinandersetzung, auch mit Ihnen, Herr van Ooyen, oder mit dem Vertreter der LINKEN. Ich weiß nicht, wer in die Kommission kommen wird. Ich bestreite mit allem Nachdruck den Satz, dass ein sozialistisches Wirtschaftssystem mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist. Nach meiner Auffassung schließt sich das aus.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Wo steht denn das?)

Es steht z. B. in einer Reihe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. – Ich freue mich auf die intellektuelle Diskussion. „Wo steht das?“, ist eine platte Diskussion. Ich freue mich auf die intellektuelle Diskussion, und da sage ich: Soziale Marktwirtschaft und Rechtsstaat und Demokratie bedingen einander.

(Beifall bei der FDP)

Entweder habe ich Rechtsstaat und Demokratie – dann habe ich eine soziale Marktwirtschaft –, oder nicht. Das sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille.

(Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)

Aber es wird Spaß machen, sich darüber zu unterhalten. Sie wissen, dass die FDP-Fraktion mich als ihren Vertreter benannt hat, und ich mache das sehr gerne in der Nachfolge von Dieter Posch.

Für uns ist das Eigentum – neben den Grundrechten, die in der Hessischen Verfassung besser formuliert sind als im Grundgesetz – ein ganz besonders zentraler Kernpunkt. Wir werden darum kämpfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden uns bei dem Thema Eigentum sehr stark daran orientieren, dass dies eine der Grundlagen unserer Demokratie, unseres Rechtsstaats und der sozialen Marktwirtschaft ist. Was nicht heißt, dass Eigentum nicht verpflichtet. Das haben wir beim Grundgesetz alles schon diskutiert und können es nachlesen.

Lassen Sie mich deshalb – früher, als es die Zeit notwendig macht – mit einer Feststellung enden. Der Start dieser Kommission erschien erst ganz schlecht. Er erschien deshalb ganz schlecht, weil zwei Parteien in einem Koalitionsvertrag vereinbart hatten, es müsse eine Verfassungsänderung geben, und wir dies im Plenum immer „vorgebetet“ bekommen. Ein Kollege sagte, das stehe in der „Bibel“ von CDU und GRÜNEN. Ich hatte große Bedenken, dass dies schon wieder ein schlechter Start für eine Novellierung sein könne.

Ich bin aber sehr dankbar dafür, dass die Fraktionsvorsitzenden der CDU und der GRÜNEN auf ihre Kollegen zugegangen sind und sie in das Verfahren eingebunden haben, sodass wir nunmehr einen gemeinsamen Start wagen, wagen müssen und wagen können. Aber bitte: jeder mit Lockerheit im Herzen und in der Argumentation. Wer jetzt schon Pfähle einrammt, schadet der Kultur in unserem Lande. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht Staatsminister Wintermeyer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unsere am 1. Dezember 1946 in Kraft getretene Verfassung ist – wie hier schon betont wurde – nicht nur die älteste noch heute geltende Landesverfassung in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist mit ihren inzwischen acht Verfassungsänderungen immer noch die am seltensten geänderte Verfassung der alten Bundesländer.

Als Reaktion auf die Erfahrungen der Weimarer Republik und die totalitäre nationalsozialistische Gewaltherrschaft ist sie ein herausragendes Dokument. Sie spiegelt die besondere historische und identitätsstiftende Bedeutung der Verfassung für unser Bundesland und seine Bürgerinnen und Bürger wider.

Ist die Verfassung unseres Landes noch zeitgemäß? Ist sie noch modern? Darf, muss oder soll eine Verfassung überhaupt modern sein? Die Verfassung unseres Bundeslandes hat in ihrer wertleitenden Funktion – auch vor dem Hintergrund aktueller Bedrohungen wie durch den islamistischen Terror oder der außerordentlichen Herausforderung, die mit der Integration Schutz suchender Menschen verbunden ist – nichts an Bedeutung verloren.

Wesentliche Prinzipien des Grundgesetzes wie der Gleichheitsgrundsatz, die Freiheit des Einzelnen, die Meinungsfreiheit und das Recht auf freie Religionsausübung tragen auch unsere Verfassung. Der Grund für die große Beständigkeit der Hessischen Verfassung liegt sicher nicht nur in der hohen Hürde, die der Verfassungsgeber mit der nach Art. 123 für jede Änderung erforderlichen Volksabstimmung errichtet hat. Die Beständigkeit dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass sich die Hessische Verfassung als vitaler Ausdruck der Eigenstaatlichkeit unseres Bundeslandes im Hinblick auf die Gewährleistung eines stabilen, demokratischen und freiheitssichernden Gemeinwesens bewährt hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, damit hat unsere Verfassung auch maßgeblich zur politischen und sozialen Integration in unserem Land beigetragen. Unverkennbar ist aber auch, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber mit den bisherigen Einzeländerungen der Hessischen Verfassung dem rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel seit 1946 nur unzureichend Rechnung getragen hat.

Eine Vielzahl von Regelungen der Hessischen Verfassung, wie etwa die Todesstrafe oder das Aussperrungsverbot, haben durch das später erlassene Grundgesetz oder sonstige Bundesgesetze nach dem Grundsatz – er wurde schon erwähnt – „Bundesrecht bricht Landesrecht“ ganz oder teilweise ihre Wirkung verloren, auch wenn sie für den professionellen Rechtsanwender, somit auch unseren Staatsgerichtshof, keine ernsthaften Anwendungsprobleme aufwerfen.

Dennoch kann die formale Aufrechterhaltung unwirksamer Verfassungsnormen das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit unserer Verfassung infrage stellen. Das juristische Kuriosum der Todesstrafe kennt fast jeder. Auch im Hessischen Rundfunk und unter hessenschau.de erscheint heute als Erstes das Wort „Todesstrafe“. Aber nur die wenigsten verstehen es.

Meine Damen und Herren, so wird die heute durch das Parlament einzusetzende Enquetekommission vor der Frage stehen, in welcher Intensität die Verfassungsreform in Angriff genommen werden soll. Soll sie sich auf eine Bereinigung unter weitgehender Wahrung und Erhaltung des historischen Verfassungstextes beschränken? Soll sie einzelne Bestimmungen, die aufgrund des Verhältnisses des Landesverfassungsrechts und des Bundesrechts, durch Zeitablauf oder aus sonstigen Gründen obsolet geworden sind, aufheben oder anpassen? Oder soll sie eine Gesamtoder Totalrevision unserer Verfassung vornehmen? Aber es gibt schon mahnende Stimmen, die die Zulässigkeit einer Verfassungsänderung nach Art. 123 Abs. 1 unserer Hessischen Verfassung infrage stellen.

Der Einsetzungsantrag enthält zwar den ambitionierten Auftrag, „die Hessische Verfassung in ihrer Gesamtheit zu überarbeiten“ und hierzu dem Landtag einen beratungsund beschlussfähigen Gesetzesvorschlag zu unterbreiten. Die gleichzeitige Bezugnahme auf den Bericht der Verfassungsenquete 2005 und der Hinweis, dass die bisherige Verfassung organisatorisch, sprachlich und dem Geiste nach den Rahmen für die angestrebte Verfassungsänderung bilden soll, eröffnet dem Verfassungskonvent aber auch die Möglichkeit, sich auf eine Bereinigung oder Teilrevision der bisherigen Verfassung zu beschränken.

Meine Damen und Herren, als mit der Verfassungsenquete 2005 der erste Anlauf für eine umfassende Verfassungsreform genommen wurde, beging unser Bundesland gerade seinen 60. Geburtstag. Heute, nachdem wir inzwischen am 19. September dieses Jahres bereits des 70. Jahrestages der Proklamation des Landes Hessens gedenken konnten, wird die Verfassungsreform als Gedanke wieder aufgegriffen. Die Erwartungen der interessierten Öffentlichkeit und des Fachpublikums an einen erfolgreichen Abschluss einer zeitgemäßen Überarbeitung unserer Verfassung sind in dem vorgenannten Zeitraum sicher nicht kleiner geworden.

Die Enquetekommission 2005 unter dem damaligen Vizepräsidenten Lothar Quanz, der ich als damaliger Obmann der CDU-Fraktion angehören durfte, hatte seinerzeit unter rechtswissenschaftlicher Begleitung nach einer aufwendigen und mühevollen Diskussion intensiv um das Zustandekommen eines Kompromissvorschlags für eine Verfassungsänderung gerungen. Dieser wurde am Ende immerhin von drei der seinerzeit vier im Landtag vertretenen Parteien mitgetragen.

Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass die neue Verfassungsenquete nach dem Einsetzungsauftrag auf den Erfahrungen und umfangreichen Vorarbeiten ihrer Vorgängerin aufbauen soll, ohne an ihre Vorschläge gebunden zu sein. Meine Damen und Herren, dieses Vorgehen dürfte sich mit Blick auf die äußerst schwierigen – und das ist mir noch sehr gut in Erinnerung – verfassungsrechtlichen Fragen sicherlich ein richtiger Weg sein.

In Anbetracht der integrativen und wertevermittelnden Funktionen der Verfassung begrüßt die Landesregierung, dass der Verfassungskonvent mit der Einbindung von

Schulen und Hochschulen, der Benennung eines „Beratungsgremiums Zivilgesellschaft“ – so wie es im Einsetzungsantrag steht – und der Veranstaltung mindestens eines Bürgerforums in jedem Regierungsbezirk auf einen breiten politischen Diskurs mit den hessischen Bürgerinnen und Bürgern angelegt ist.

Möge – das sei mir gestattet – dieser Diskurs auch vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen dazu beitragen, dass sich möglichst viele Menschen in unserem Land der grundlegenden Werte unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung, ihrer historischen Wurzeln und ihrer Bedeutung für unser zukünftiges Zusammenleben und das Wohlergehen jedes Einzelnen in unserem Land bewusst werden.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Landesregierung begrüßt es, dass sich alle im Hessischen Landtag vertretenen Parteien, die bereits Regierungsverantwortung für unser Land wahrgenommen haben, auf die Einsetzung einer Enquetekommission verständigt haben. Damit unterstreicht der Landtag, welch außerordentliche Bedeutung er dem Vorhaben einer zukunftsfähigen Gestaltung unserer Verfassung beimisst.

Der Einsetzungsantrag sieht vor, dass eine Vertreterin oder ein Vertreter der Landesregierung dieser Enquetekommission mit beratender Stimme angehört. Ich darf Ihnen versichern, dass die Landesregierung die für die Zukunft unseres Gemeinwesens außerordentlich wichtige Arbeit der Enquetekommission nach besten Kräften unterstützen und vor allen Dingen konstruktiv begleiten wird. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nicola Beer (FDP))

Vielen Dank. – Ich habe keine weiteren Wortmeldungen.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Zunächst lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE, Drucks. 19/2982 abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmt, bitte das Handzeichen. – Das ist die Fraktion DIE LINKE. Gegenstimmen? – Das ist der Rest des Hauses. Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. – Bitte? Entschuldigung: abgelehnt gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE und der Kollegin Öztürk.

Nun rufe ich zur Abstimmung den Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend Einsetzung einer Enquetekommission „Verfassungskonvent zur Änderung der Verfassung des Landes Hessen“, Drucks. 19/2566, auf. Wer ist dafür? – Das sind die Fraktionen CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP sowie Kollegin Öztürk. Wer ist dagegen? – Das ist die Fraktion DIE LINKE. Damit ist der Antrag Drucks. 19/2566 angenommen, und die Enquetekommission ist eingesetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Etwas verspätet, aber.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 12:

Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes zum Vollzug von Aufgaben in den Bereichen der Landwirtschaft, der Landschaftspflege, der Dorf- und Regionalentwicklung und des ländlichen Tourismus – Drucks. 19/2831 zu Drucks. 19/2635 –

Ich bitte um die Berichterstattung für Kollegin Feldmayer, die erkrankt ist.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Der Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt dem Plenum einstimmig, den Gesetzentwurf in zweiter Lesung unverändert anzunehmen. – Vielen Dank.

(Florian Rentsch (FDP): Sehr gut!)

Vielen Dank für die Berichterstattung. – Die erste Wortmeldung kommt von Kollegin Löber, SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich ein paar Worte zu dem vorliegenden Gesetzentwurf sagen, auch wenn diese Gesetzesänderung notwendig ist und wir ihr zustimmen werden. Aber es ist nicht uninteressant, einmal darzustellen, was unsauberes Arbeiten einer Landesregierung gerade bei der Veränderung von Gesetzen an zeitlichem Aufwand für die personellen Ressourcen bedeutet.