Protocol of the Session on November 26, 2015

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Dr. Wilken! Ach nee!)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Klein hat mich gerade schon aus der

Haushaltsberatung zitiert, und ich möchte mit dem Gedanken anfangen. Denn mit Blick auf die Dinge, die Sie in dem Gesetzentwurf gut regeln, fehlt mir bis heute auch noch die entsprechende Unterlegung z. B. mit Stellen im Justizvollzug, die eine gute Umsetzung dieses Gesetzentwurfs garantieren würden.

Darüber hinaus – das kann ich Ihnen leider nicht ersparen – gibt es selbstverständlich auch Dinge in diesem Gesetzentwurf, die Sie nicht gut regeln und die in der Anhörung deutlich geworden sind. Ich will in aller Kürze und stichwortartig auf ein paar Dinge hinweisen.

Das erste Problem, auf das ich Sie aufmerksam machen möchte, ist das Problem der Fixierung in einer Anstalt. Die Fixierung eines Menschen finde ich prinzipiell unerträglich und lehne sie ab. Aber Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf nicht vorgesehen, dass ein Mensch, der fixiert ist, ständig und in unmittelbarem Sichtkontakt beobachtet werden muss. Wenn es zu gesundheitlichen Problemen kommt, ist das überlebensnotwendig. Das haben Sie leider nicht geregelt.

Ein zweiter Hinweis, und auch das ist eine für mich eigentlich unverständliche und unerträgliche Problematik: die Durchsuchung bei der Aufnahme, vor und nach Kontakten mit Besuchspersonen sowie vor und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt, die seitens des Anstaltsleiters angeordnet werden kann und mit einer vollständigen Entkleidung verbunden ist.

Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf noch nicht einmal die Begrenzung bei Gefahr im Verzug eingefügt. Auch das ist ein Kritikpunkt, den ich Ihnen nicht ersparen kann. Eine solche Regelung muss bei einer so hohen Bedeutung des betroffenen Grundrechts dringend in so ein Gesetz hinein.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass jetzt explizit das Vollzugsziel Resozialisierung wieder aufgenommen worden ist. Ich habe bei der ersten Lesung gesagt, Hessen kehrt in den Kreis der zivilisierten Länder zurück. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass Resozialisierung das Vollzugsziel ist. Allerdings haben wir auch da in der Konkretisierung dieses Gesetzes ein paar Probleme, nämlich mit den vollzugsöffnenden Maßnahmen.

Denn Sie ändern in diesem Gesetz nicht die Bedingungen, unter denen ein offener Vollzug notwendig ist. Sie wissen aber alle, dass der prozentuale Anteil der Gefangenen im offenen Vollzug in Hessen äußerst gering ist. Zum 31.03.2015 lag der Anteil der Gefangenen im offenen Vollzug in Hessen bei etwas über 9 % – gegenüber 19 % im Bundesdurchschnitt.

Das liegt daran – das ändern Sie eben nicht in diesem Gesetz –, dass Sie den offenen Vollzug an viel zu enge Voraussetzungen knüpfen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass für eine gelingende Resozialisierung von zentraler Bedeutung ist, das Leben in Freiheit zu erproben und die Voraussetzungen für eine neue Existenz ohne Straftaten zu schaffen. Da springen Sie zu kurz.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine allerletzte Bemerkung. Das Problem, dass sich Menschen während ihrer Zeit im Gefängnis mit HIV infizieren, weil Sie die Drogenproblematik nicht angehen, sondern eine restriktive, eine von dem Problem wegschauende Drogenpolitik weiter verfolgen. In anderen Bundesländern gibt

es sehr viel bessere Beispiele, wie man mit dem Problem umgehen kann. Auch so etwas wünschen wir uns zukünftig, dass es in Hessen Realität wird, damit Menschen, wenn sie aus dem Gefängnis kommen, nicht mit einer schweren, lebensbedrohenden Krankheit weiterleben müssen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Hofmann für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich werde Ihnen zu Beginn meiner Ausführungen das Abstimmungsvotum der SPD-Fraktion zu diesem Gesetzentwurf mitteilen. Wir werden diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Ich begründe das auch gleich.

Ich darf an das anknüpfen, was Herr Dr. Wilken gesagt hat: dass das Ziel des Gesetzes ganz klar ist – das ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, es ist auch ganz klar formuliert –, die Resozialisierung zu stärken und die Resozialisierung als ausdrückliches Vollzugsziel im Gesetz zu verankern. So weit, so gut. Dagegen hat, glaube ich, niemand in diesem Hause etwas.

Es kann aber nicht sein, dass man auf das Ganze nur ein Namensschild draufklebt und es nicht mit Leben füllt. So einfach können Sie es sich nicht machen.

(Beifall bei der SPD)

Ich werde das auch gleich begründen. Ich kann Ihnen sogar ganz klar sagen, und das haben wir in der ersten Lesung schon deutlich gemacht: Ja, Sie haben bei der Gesetzesberatung die Praktiker einbezogen, viele Anregungen aus der Praxis in das Gesetz einfließen lassen. Das ist gut so. Vielleicht hätten wir unter diesen Rahmenbedingungen dem Gesetz sogar zustimmen können, aber nicht, wenn Sie von sich aus sagen, der Schwerpunkt des Gesetzes sei die Stärkung der Resozialisierung, aber das Gesetz – Herr Klein, davon können Sie die Personalfrage mitnichten trennen – nicht mit Leben ausfüllen. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei der SPD)

Was bedeutet gelungene Resozialisierung? Das wissen alle Fachleute in diesem Hause: Gelungene Resozialisierung bedeutet, dass man sich mit den Gefangenen intensiv, und zwar personell intensiv auseinandersetzt – durch den allgemeinen Vollzugsdienst, aber auch durch die besonderen Fachdienste wie die Sozialpädagogen, die Psychologen, Psychiater und sonstige Fachdienste. Dazu gehört übrigens ausdrücklich auch die Seelsorge.

Meine Damen und Herren, die Resozialisierung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Es ist anachronistisch, wenn Sie solch ein Gesetz auf den Weg bringen und im gleichen Atemzug im Haushalt 2016 allein im allgemeinen Vollzugsdienst 89 Stellen streichen. So geht das nicht.

(Beifall bei der SPD)

Von den Fachdiensten habe ich noch gar nicht gesprochen. – Nein, gelungene Resozialisierung bedeutet, dass man mit einer ausreichenden Personaldecke in den Gefängnissen die Gefangenen dazu bringt, dass sie sich intensiv mit der

Straftat, die sie begangen haben, mit ihrem eigenen Leben, mit ihren eigenen Verhaltensweisen, mit ihrer Persönlichkeit, mit ihrer Perspektive, die sie vielleicht noch haben, die sie hoffentlich haben, auseinandersetzen. Dafür brauchen sie professionelle Begleitung durch den allgemeinen Vollzugsdienst und die Fachdienste, und das braucht erhebliche Anstrengungen. Das ist ein weiter Weg, und dafür braucht man vor allem erheblich Fachpersonal.

Meine Damen und Herren, in der Einleitung Ihres Gesetzentwurfs heißt es sogar, dass durch das Gesetz keine finanziellen Mehraufwendungen entstehen. Mit dieser Erklärung entlarven Sie sich selbst. Ich kann Ihnen nur sagen: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Insofern ist dieses Gesetz für uns eine große Enttäuschung und führt in die Irre.

Weitere Aspekte. Wenn man jetzt schon den Ansatz macht – die Vollzugsgesetze laufen aus; sie sind befristet –, Vollzugsgesetze zu novellieren, dann müsste man Anstrengungen unternehmen, fachliche Impulse zu setzen, die für einen gelingenden Strafvollzug notwendig sind. Ein Ansatz, den Sie im Vollzugsgesetz selbst benannt haben, ist der Wohngruppenvollzug, den Sie weiter ausbauen wollen. Das ist eine gute Sache, aber man braucht auch hier wieder das entsprechende Personal.

Wir brauchen auf jeden Fall neue Ansätze. Ich habe es schon bei der Einzelplanlesung gesagt und werde es immer wieder sagen, soweit es erforderlich ist: Notwendig sind neue Behandlungskonzepte für die immer auffälliger werdenden Gefangenen, gerade in psychischer Hinsicht. Wir wissen, dass die Anzahl der psychisch auffälligen Gefangenen, der dissozialen Gefangenen zunimmt. Das braucht neue Antworten, neue Konzepte. Es gibt solche bereits im Vollzug, etwa in einer entsprechenden Behandlungsstation in der JVA Weiterstadt oder auch in der Sozialtherapeutischen Anstalt in Kassel, aber nicht für den gesamten Vollzug.

Unsere Rückmeldung aus der Praxis ist, dass sich viele Bedienstete mit dieser Situation völlig überfordert fühlen, alleingelassen fühlen und dringendst darauf warten, dass für diese große Gruppe der psychisch auffälligen Gefangenen nicht nur in einzelnen Bereichen, in einzelnen Behandlungsstationen Angebote gemacht werden, sondern dass es ein durchgreifendes Konzept gibt.

Frau Justizministerin Kühne-Hörmann, mit diesem Problem lassen Sie das Personal in den Anstalten allein.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Ich will einen letzten Aspekt benennen, der bei einer gelungenen Resozialisierung von zentraler Bedeutung ist: dass die baulichen Rahmenbedingungen in den Anstalten stimmen müssen. Wenn man in völlig sanierungsbedürftigen Anstalten untergebracht ist, wo vielleicht sogar das Wasser hineintropft oder große bauliche Mängel vorhanden sind, wo das Personal gar nicht mehr vernünftig arbeiten kann, Bedienstete nicht nur aufgrund der Stimmung in der Anstalt bedrückt sind, sondern auch wegen der baulich beklemmenden Situation, und man sieht, was alles ansteht, ist ganz klar zu fragen: Was tun Sie da?

Wir fordern seit Jahren ein Sanierungskonzept für die längst sanierungsüberfälligen Anstalten in Hessen. Die meisten sind sanierungsbedürftig. Keine der Anstalten ist in baulich einwandfreiem Zustand. Auf mehrfaches Drängen von uns hat der Staatssekretär jetzt endlich ein paar In

formationen herausgegeben, aber eher scheibchenweise und lückenhaft. Wir brauchen ein wirkliches Sanierungskonzept für die Anstalten, das finanziell hinterlegt ist und das auch umgesetzt wird.

Das brauchen wir nicht nur für die Bediensteten in unseren Anstalten, sondern auch für die Gefangenen. Es ist ein wichtiger Bestandteil einer gelungenen Resozialisierung, dass die Gefangenen vernünftig untergebracht sind und keine Hospitalisierungsschäden oder sonstige Schäden erleiden und dass sie unter vernünftigen Rahmenbedingungen fachlich gut behandelt und betreut werden. Auch dieses Thema verschläft diese Landesregierung.

Mithin kann ich leider nur sagen: Obwohl es gute fachliche Ansätze in der Praxis gibt, die in dem Gesetz aufgenommen worden sind – das will ich anerkennen –, muss ich Ihnen klar sagen, dass dieser Gesetzentwurf unter dem Titel Resozialisierung leider fehlgeht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Wort hat Frau Kollegin Müller (Kassel), Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir beraten heute die Änderung der hessischen Vollzugsgesetze in der zweiten Lesung. Offensichtlich haben viele Abgeordnete Freigang, denn es ist nicht mehr so ganz voll in den Reihen.

(Heiterkeit – Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich werde mich bemühen, dass auch Ihr Freigang näher rückt, ich nutze nicht die ganze Redezeit aus.

Herr Kollege Klein hat schon erwähnt, dass vieles aus der Evaluierung bereits Eingang in den ersten Entwurf gefunden habe. Es wurden Anregungen aus der Praxis aufgenommen. Die NSU-Expertenkommission hat Hinweise gegeben.

Zum Thema Hospitalisierung: Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe hat den Hinweis gegeben, dass das Höchstmaß des disziplinarischen Arrests abgesenkt werden sollte. Frau Hofmann, das ist auch aufgenommen worden. Alle Hinweise sind aufgenommen worden. Es ist klar, dass wir mit einem Gesetz nicht gleich die ganze Vollzugswelt ändern können. Aber wir können Einfluss auf den inhaltlichen Rahmen nehmen. Der ist gesetzt, und ich denke, das ist uns und der Landesregierung ziemlich gut gelungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir haben das Vollzugsziel Resozialisierung extra mit aufgenommen, weil es sich direkt aus der Verfassung ableitet. Die Würde des Menschen ist unantastbar – und damit sind Resozialisierung, Eingliederung und Sicherheit auf derselben Seite der Medaille. Alles gehört zusammen. Das ist eine Klarstellung gewesen, und das war immer unsere Forderung. Wir haben nicht behauptet, bisher habe keine Resozialisierung in den Justizvollzugsanstalten stattgefunden.

Ganz im Gegenteil: Es gab auch richterliche Urteile, die schon zu weiteren Resozialisierungsmaßnahmen geführt haben.

Sie haben eine Große Anfrage gestellt. In der Antwort wurden Arbeitsbedingungen, Resozialisierungsmaßnahmen, die Ausführung, und was noch alles im Vollzug stattfindet, detailliert dargestellt. Da ist eine Menge passiert, und es wird noch viel passieren. In dem Gesetzentwurf haben wir noch einmal eine Klarstellung vorgenommen.

Sie behaupten immer wieder, es werde im Vollzug nicht besser, da 86 Stellen eingespart worden sind

(Heike Hofmann (SPD): 89!)