Die Menschen, die beispielsweise aus Albanien kommen, erleben dann die Realität. Sie erleben eine Enttäuschung, die ich ihnen lieber ersparen möchte, indem wir ihnen von vorneherein sagen, dass sie keine Bleibeperspektive haben.
(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Mathias Wag- ner (Taunus) und Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Dann zum dritten Punkt, Florian Rentsch, und dabei will ich es bewenden lassen. Thema: sichere Herkunftsstaaten. Ja, wir haben am nächsten Freitag im Bundesrat wichtige Entscheidungen zu treffen, nicht nur diese; deswegen nehme ich den Plural.
„Aber auch“ ist zu Recht ein Zwischenruf von Ihnen, schafft aber nicht das Problem zur Seite, dass es weitaus wichtigere Fragen gibt. – Nicht nur der Kollege Wagner, auch CDU-Politiker wie beispielsweise der hessische Innenminister sagen, das löst noch kein Problem. Darüber diskutieren muss man allerdings; da bin ich durchaus bei Ihnen. Vielleicht ist das auch Ihr Grund, das Thema aufzurufen. Vielleicht geht am Ende davon auch eine gewisse Signalwirkung aus, die man nicht unterschätzen darf.
Wenn man sich einmal die Daten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft anschaut und vergleicht, was nach der Deklaration sicherer Herkunftsstaaten im Bundesrat im September 2014 passiert ist – Bosnien-Herzegowina und Serbien als Stichwort –, wenn man nur die Zahlen der Asylanträge 2014 und 2015 vergleicht, dann kann man auf den ersten Blick auf die Idee kommen, zu sagen, das hat eine Wirkung gehabt. Denn die Zunahme der Zahl der Asylanträge aus diesem Bereich ist deutlich geringer geworden als aus den Bereichen, über die wir wahrscheinlich am Freitag dieser Woche reden, z. B. aus Albanien und Kosovo. Das ist aber nur der erste Blick auf die kalte, nüchterne Statistik, die völlig außer Acht lässt, dass es nur um die Antragsteller geht und noch nicht um diejenigen, die hier im Land sind, aber noch gar keinen Antrag gestellt haben; und da reden wir über einige Hunderttausend.
Ich will an der Stelle einfach deutlich machen: Man muss schon genau hinschauen, um festzustellen: Was hat eine Wirkung? Ich akzeptiere, dass GRÜNE in solchen Fragen politisch sehr kritisch aufgestellt sind – Stichwort: Individualrecht – und auch die Frage stellen: Hat es eine Wirkung, oder hat es keine? – Da kann ich nur Herrn Kretschmann zitieren, der seinerzeit schon gesagt hat: Wenn es am Ende so sein wird, dass man daraus eine positive Wirkung im Sinne der Lösung des Gesamtproblems ableiten kann, dann bin ich der Letzte, der am Ende die Zustimmung verweigert. – Darüber wird in dieser Woche noch ganz intensiv gesprochen und gestritten, und da dürfen noch gute Argumente ausgetauscht werden.
Ich bin zuversichtlich, dass am nächsten Freitag neben dem eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten im Bundesrat gefunden wird und entschieden wird und wir dann einen erheblichen Schritt weiter sind.
Wir beide sind uns einig, dass die Ausweisung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten keinen Einfluss auf den individu
ellen Rechtsanspruch auf Asyl hat? Das heißt, wenn jemand aus solchen Staaten einen Antrag stellt, dann ist dieser erst einmal nach den Regeln des deutschen Asylrechts zu behandeln.
Ich weiß auch, worauf Sie möglicherweise anspielen, beispielsweise auf die Äußerungen des Bundesinnenministers. Ich sehe durchaus, dass es auch dem Bundesinnenminister schwerfällt, zu erklären: Wie bekomme ich dieses individuelle Recht auf Asyl und natürlich auf Zugang zum Verfahren einerseits und die von ihm berechtigterweise angeführte Diskussion über die Frage von Quoten, insbesondere mit Blick auf die Europäische Union, anderseits unter einen Hut? Da gibt es einigen Klärungsbedarf.
Aber ich sehe am Ende keinen Widerspruch – darüber haben Sie gesprochen, Herr Schäfer-Gümbel, und andere auch –, wenn alle Partnerländer und Mitgliedstaaten dieser Europäischen Union ihren Verpflichtungen nachkommen. Das sehe ich nicht so einseitig, wie Sie, Frau Wissler, gesagt haben. Denn auch schon 2011 und 2012 haben wir über Italien und darüber gesprochen, dass sehr viele einfach nicht erfasst wurden und nach Deutschland, Österreich und Schweden weitergeleitet worden sind.
Hören Sie auf, die jüngere Geschichte zu verdrehen. Das ist ein Ammenmärchen, was Sie erzählt haben.
Ich erwarte und wir erwarten, dass diese Europäische Union, die nicht nur eine Vertragsgemeinschaft auf Basis der ökonomischen und sonstigen Harmonisierungen ist, die wir Gott sei Dank seit vielen Jahrzehnten haben, die eine Wertegemeinschaft ist, die ein Dublin-Abkommen hat, die einen Vertrag hat, zunächst einmal Verträge einhält und sie nicht dauernd infrage stellt – was aber nicht heißt, und da bin ich bei Mathias Wagner, dass man diese Verträge nicht nacharbeiten und weiterentwickeln kann. Alles das gehört doch zu diesem Prozess dazu. Aber zunächst einmal sind Verträge einzuhalten, und das erwarte ich von jedem einzelnen Mitgliedstaat, unabhängig von der Frage, dass das sicher nicht heißt, dass wir nur über Einwohner quotieren, sondern dass selbstverständlich die Leistungsfähigkeit mit berücksichtigt werden muss.
Aber kurze, knappe Sätze wie die des britischen Premierministers mit Verweis auf das 2017 anstehende Referendum sind mir ein bisschen wenig, um sich aus einer gemeinschaftlichen europäischen Verantwortung zu stehlen.
Ich würde gern noch auf einen weiteren Aspekt eingehen. Er betrifft die von mehreren Rednern angesprochene Frage des Klimas in unserem Land und der Ängste und Sorgen, die viele Menschen haben. Ich finde es zunächst einmal gut und wichtig, und ich bedanke mich bei allen, die das so gesagt haben – auch da nehme ich einmal Frau Wissler aus –, dass wir die Menschen sehr ernst nehmen müssen, die uns dabei beobachten, wie wir mit dieser Krise umge
hen, aber die insgesamt auch mit großer Sorge auf die Dimension dieser Krise schauen. Ich will nur sagen, worum es am Ende im konkreten Fall geht. Da geht es um die Sorge von Menschen, dass sie in einer Art und Weise mit Fremdem konfrontiert werden – das werte ich nicht in gut oder böse –, dass sie einfach mit neuen Dingen konfrontiert werden, die sie jedenfalls in dieser Dimension glauben nicht bewältigen zu können, also Angst vor Überfremdung, Angst vor anderen Kulturen, vor anderen Lebensweisen usw.
Ich nehme dies sehr ernst und sage: Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Situation, die wir jetzt haben, unsere Gesellschaft verändern wird. Aber ich sage auch: Hinter diesem Satz, der richtig ist, muss ein zweiter Halbsatz kommen, der da lautet: Wir müssen diese Veränderung aber auch gestalten. Zu diesem Gestalten gehört auch – das ist nicht nur die Meinung der Christdemokraten, sondern, ich hoffe, gemeinsame Haltung in diesem Hause –, dass wir denjenigen, die hierherkommen, sagen, dass wir ein Rechtsstaat sind, dass wir eine Verfassung haben, dass wir in diesem Land Regeln haben, die sich aus dieser Verfassung ableiten, an die sich gefälligst alle zu halten haben.
Bei aller Notwendigkeit, Akzeptanz und Toleranz zu leben – das tun wir; ich finde, da sind wir seit vielen Jahren, um nicht zu sagen, Jahrzehnten gerade in diesem Bundesland ein gutes Beispiel –,
muss es so sein, dass wir nicht etwa zur Disposition stellen, was hier über Jahrzehnte, über Jahrhunderte an Gemeinsamem, an Grundkonsens in dieser Gesellschaft gewachsen ist.
Wir müssen den Menschen diese Angst nehmen und ihnen sagen: Das gilt weiter, bei allen Veränderungsprozessen, die eine Gesellschaft, egal wie sie zusammengesetzt ist, immer wieder automatisch und zwangsläufig hat. Das muss die Botschaft sein, um den Menschen, die Sorge haben, dass sich dieses Land verändert, ohne dass wir das gestalten, diese Sorge zu nehmen.
Wenn wir schon bei den Sorgen sind, will ich noch zwei Punkte herausgreifen. Viele Menschen lesen in diesen Tagen, dass die Unterbringung, die medizinische und sonstige Versorgung eines Asylbewerbers oder eines betroffenen Flüchtlings so irgendetwas um die 1.100 € pro Monat kosten. Das schreibt beispielsweise die „FAZ“, und viele sagen, das ist so eine Größenordnung, die wahrscheinlich stimmt.
Was ich nur immer wieder vor Augen führe, ist: Was denkt eigentlich derjenige, der ein sehr niedriges Einkommen hat?
Was denkt denn die Rentnerin oder der Rentner, der mit Grundsicherung noch zusätzlich alimentiert werden muss, weil die Rente nicht reicht? Da bin ich einmal ganz Sozialdemokrat, Herr Schäfer-Gümbel. Ich will doch nur sagen: Bei allem Streit, den wir dort sonst häufig haben, auch was
finde ich es völlig in Ordnung und verständlich, dass Menschen, die ihre eigene Situation vor dem Hintergrund sehen, was da gerade an Kosten auf uns zuläuft, also mehr als das, was dort an Rente pro Monat auf dem Konto landet, in Teilen jedenfalls sehr kritisch auf das schauen, was wir da gerade machen.
(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Dann müssen die mehr kriegen! – Janine Wissler (DIE LINKE): Die armen Rentner interessieren euch doch sonst auch nicht!)
Ich will das nicht weiter ausführen. Ich könnte über die Frage des knappen Wohnraums in einigen Regionen reden. Ich vergesse nicht, darauf hinzuweisen, dass es sicherlich Bedarf an Wohnraum gibt, aber eher in den Ballungsräumen, in anderen Regionen außerhalb des Ballungsraums eher weniger. Auch das gehört zur Debatte.
Kurzum: Wir müssen nicht nur sagen, dass wir es ernst nehmen, sondern im konkreten Einzelfall zunächst einmal unterstellen, dass jeder, der auf seine persönliche Sicht der Dinge hinweist, auch das Recht hat, das zu artikulieren.
Herr Schäfer-Gümbel, ich bin sehr dankbar, dass wir uns in der kleinen Runde in der letzten Woche, glaube ich, darauf verständigt haben. Das heißt aber nicht, dass wir jeden Unsinn, der da geredet wird, unkommentiert lassen. Das will ich gleich dazusagen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich vielleicht noch einen Punkt ansprechen, der hier ebenfalls von vielen diskutiert worden ist, und damit will ich auch zum Ende kommen.
Ich glaube, jeder ist zunächst dafür, das zu unterschreiben. Wenn es aber um die Frage geht, was das denn heißt, dann werden wir in diesem Land fröhliche Debatten haben; ich sage sogar: sehr ernsthafte und tief greifende Debatten. Heute Morgen habe ich es bereits in der Landtagsfraktion gesagt – nicht, weil ich das alles besser weiß, sondern weil das einfach diskutiert werden muss –: Vor 20 Jahren waren wir in Europa in einer Situation – ich erinnere an das, was wir in Ex-Jugoslawien erlebt haben –, in der am Ende sehr, sehr viele gesagt haben: „Wie lange haben wir dort zugeschaut?“, bei diesem Völkermord, beim Abschlachten von Menschen, die auch nicht mehr wollten als leben, die ein Leben in Freiheit gesucht haben. Viele Jahre lang haben wir zugeschaut.