Ich glaube, jeder ist zunächst dafür, das zu unterschreiben. Wenn es aber um die Frage geht, was das denn heißt, dann werden wir in diesem Land fröhliche Debatten haben; ich sage sogar: sehr ernsthafte und tief greifende Debatten. Heute Morgen habe ich es bereits in der Landtagsfraktion gesagt – nicht, weil ich das alles besser weiß, sondern weil das einfach diskutiert werden muss –: Vor 20 Jahren waren wir in Europa in einer Situation – ich erinnere an das, was wir in Ex-Jugoslawien erlebt haben –, in der am Ende sehr, sehr viele gesagt haben: „Wie lange haben wir dort zugeschaut?“, bei diesem Völkermord, beim Abschlachten von Menschen, die auch nicht mehr wollten als leben, die ein Leben in Freiheit gesucht haben. Viele Jahre lang haben wir zugeschaut.
Jetzt will ich deutlich sagen: Ich weiß, wir haben heute eine andere Situation. Die Krisenherde sind nicht mehr so genau zu lokalisieren. Ich weiß, immer muss zuerst die Diplomatie stehen. Ich gehöre auch zu denen, die mittlerwei
le sagen – obwohl es manchmal schwerfällt –, wir müssen mehr mit denen reden, die auch helfen können, die Probleme zu lösen. Dazu gehört beispielsweise sicherlich auch, dass man in Dialog mit Putin tritt, mit den Chinesen – denn es ist immer noch nicht so, dass wir ein Mandat der UN bekommen. Dabei geht es mir gar nicht nur um die Frage einer militärischen Intervention. Zunächst bin ich da bei einer klaren Ansage der Weltgemeinschaft und des Sicherheitsrates, dass alle der festen Auffassung sind, dass wir nicht mehr weiter zuschauen dürfen. Dann wären wir schon einen großen Schritt weiter. Denn ich glaube, das macht bei denen mehr Eindruck, die für den Völkermord und für das Morden in Syrien, im Irak und wo auch immer verantwortlich sind, als wenn immer noch das Gefühl mitschwingt: Da sind einige im Konzert der ganz Großen, die doch ein wenig zuschauen und am Ende aus strategischen Gründen nicht dabei sind, wenn es um eine klare Erklärung der Staatengemeinschaft geht, endlich mit diesen schlimmen Ereignissen dort Schluss zu machen.
Über diese Frage werden wir aber sicherlich sehr lange diskutieren. Mathias Wagner, ich erinnere mich immer noch an – ich nehme ihn einmal als Kronzeugen – Daniel CohnBendit, mit dem ich einige Zeit im Magistrat der Stadt Frankfurt gesessen habe. Der war damals einer derjenigen – und das ist schwergefallen –, der in der Jugoslawienfrage irgendwann einmal sehr deutlich erklärt hat: Jetzt ist ein Punkt gekommen, an dem wir unsere Grundsätze leider und mit großem Schmerz einmal zur Seite schieben und eingreifen müssen. – Ich weiß, welche Zerreißprozesse das bei den GRÜNEN hatte und auch heute hat. Aber ich sage genauso, dass solche Debatten auch in anderen Parteien die gleiche Zerreißprobe bedeuten;
denn die Menschen in unserem Land wollen keinen Krieg. Doch am Ende des Tages sagen auch immer mehr: Wir können nicht weiter zuschauen. – Zwischen diesen beiden Positionen, Gefühlen und guten Absichten
müssen wir versuchen einen Weg zu finden, der am Ende von unserer Gesellschaft auch in einer breiten Mehrheit getragen wird.
Da ich auch zu denen gehöre, die natürlich das Wort der Ultima Ratio nutzen, will ich sagen: Ich bin sehr bei dem, was die Bundesregierung in Person von Herrn Entwicklungshilfeminister Müller in den letzten Tagen sehr konkret gesagt hat.
Wenn Herr Müller einmal eine Dimension der notwendigen finanziellen Hilfe aufruft – dazu haben Sie eben ge
sprochen – und sagt, er erwarte, dass die Europäische Union 10 Milliarden € in die Hand nimmt – was einmal zeigt, dass wir hier nicht über 20-Millionen-€-Beträge reden, wie wir es zurzeit gerade tun –, um damit 500.000 Flüchtlinge in den Lagern im Libanon und Jordanien gerade einmal mit dem notwendigsten Essen zu versorgen,
dann will ich doch nur sagen – über den Rest können wir doch streiten –, auch dies muss als Zeichen der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union, aber auch in die Staatengemeinschaft gehen.
Es ist ein Skandal – da stimme ich jedem zu, der das so formuliert hat –, dass dort die Mittel – im Gegensatz zu dem, was wir eigentlich bräuchten – mehr als halbiert worden sind.
Denn das war erst der letzte und, wie ich finde, völlig verständliche Grund für die Menschen, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Denn es war dort nicht nur deren Leben bedroht, sondern auch noch die Würde der Menschen – die mittlerweile in katastrophalsten Zuständen in diesen Lagern leben –, die in einer Art und Weise mit Füßen getreten wird, dass wir uns alle gemeinsam, die wir das zu verantworten haben, dafür schämen müssen.
Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen, ich gehöre zu denen, die am Ende sagen, die Politik hat einen Plan. Ich finde es wichtig, dass wir heute einmal die Dinge so links und rechts ein bisschen zur Seite geschoben haben, Herr Schäfer-Gümbel, auch wenn ich auf das eine oder andere eingehen könnte. An einer Stelle haben Sie über die Landespolitik gesprochen und eine Formulierung gewählt, die für mich ein bisschen entlarvend war. Sie haben nämlich vom „großen Schluck aus der Pulle“ gesprochen. Das kenne ich irgendwoher. Ich glaube, das war der frühere Bundeskanzler. Der hat das auch immer gesagt, wenn er gemerkt hat, die Gewerkschaften erwarten ein bisschen mehr von den Sozialdemokraten. Aber alles geschenkt.
Übrigens, was zum Katastrophenschutz und zu Krisenstäben gesagt worden ist, was vom Innenminister gerade dazwischengerufen wurde, das kann ich nochmals wiederholen: Das, was in den Kommunen an Mehraufwand dafür entsteht, wird vom Land getragen. Da gilt auch ein Wort des Ministers, und darauf können sich alle verlassen. Das war übrigens im Jahr 2006, bei der Fußballweltmeisterschaft, auch schon so.
Ich lasse also diesen Teil weg und will sagen: Wenn wir dies einmal zur Seite schieben, dann haben wir immer noch viel miteinander zu diskutieren und zu beraten, auch im Zuge der Haushaltsberatungen. Deswegen freue ich mich über die heutige Debatte. Sie hat gezeigt: Wir haben alle ein gemeinsames Problembewusstsein. Wir haben alle gemeinsam erkannt, dass wir mit den bisherigen Mitteln beileibe nicht dem gerecht werden, was erforderlich ist. Wir haben alle gemeinsam bei uns selbst angefangen und nicht nur in anderer Leute Richtung gezeigt. Das finde ich auch nicht ganz schlecht. Denn die Schuldfrage und die Besserwisserei nach dem Motto: „Ich habe das früher ge
vom Bund, vom Land und von den Kommunen gemeinsam. Ich glaube, darauf können wir uns an diesem Tag ganz gut verständigen. – Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, ich erteile der Abg. Öztürk das Wort. Sie haben für diesen Punkt zehn Minuten Redezeit. Bitte schön.
Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Debatte zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Bouffier wollten wir uns heute darüber austauschen, wie die Situation der Flüchtlinge und auch der Asylbewerber in Hessen ist und dass Hessen handelt. Ich muss ganz ehrlich sagen: Was das Handeln betrifft, so ist das relativ unkonkret geblieben. Bis heute habe ich nicht verstanden, welches der Plan dieser Landesregierung ist: wie wir bis zum Winter die Unterkünfte schaffen wollen, den Menschen Sprachkurse vermitteln wollen, die Ehrenamtler unterstützen wollen. Auf diese offenen Fragen ist die Landesregierung konkrete Antworten schuldig geblieben. Meine Damen und Herren, so schaffen wir das nicht.
Natürlich muss man an einem gemeinsamen Strang ziehen und versuchen, die Menschen, die zu uns nach Hessen kommen, humanitär und vernünftig unterzubringen. Wenn wir aber seit dem Jahr 2012 über genau diese Fragen im Hessischen Landtag immer wieder in unterschiedlichen Rollen diskutieren, seit dem Jahr 2014 sogar in einer neuen Regierungskoalition, dann wird es Zeit, dass wir nicht nur darüber diskutieren, sondern auch konkrete Vorschläge machen. Meine Damen und Herren, dieses Jahr im Sommer hat uns die Situation in Hessen gezeigt: Das bloße Reden bringt uns nichts, weil uns die Realität längst eingeholt hat und wir in Hessen kein Konzept haben, wie wir die Menschen human unterbringen können. Daher müssen Sie wirklich mit diesem Vorwurf leben, und es ist wichtig, dass Sie jetzt endlich zuhören und auch handeln.
Meine Damen und Herren von der Landesregierung, Sie können natürlich immer wieder darauf hinweisen, dass die 15-prozentige Erhöhung der Pauschalen erreicht worden ist, dass Sie die InteA-Sprachklassen eingeführt haben. Sie können immer wieder auf die Dinge, die Sie erreicht haben, hinweisen. Aber wenn wir uns die Situation anschauen, was in diesem Sommer los war, wenn wir uns die Erstaufnahmeeinrichtung in Hessen und die Außenstellen anschauen – ich will ganz klar Wetzlar als Beispiel nennen –, dann ist das, was wir bisher geschafft haben, nicht ausreichend.
Die Ehrenamtler fühlen sich im Stich gelassen. Die Flüchtlinge, die in Erstaufnahmeeinrichtungen ausharren und auf Verfahrensberatung warten, bekommen keine Informatio
nen. Vor allen Dingen gibt es auch keine ausreichenden Strukturen in der Gesundheitsversorgung. Wir reden über Willkommenskultur, aber wir haben bis heute keine Willkommensstruktur geschaffen. Das kann nicht bloß mit Worten geschehen; wir brauchen hier finanzielle Mittel und Personalstellen.
Während wir in Hessen eine Menge Hausaufgaben nicht erledigt haben, habe ich mich sehr darüber gewundert, dass auf der Bundesebene die Verschärfung des Asylrechts wieder aus der Mottenkiste der Neunzigerjahre geholt wurde, dass schon wieder darüber diskutiert wird, die Zahl der sicheren Herkunftsstaaten auszuweiten, dass darüber diskutiert wird, das Sachleistungsprinzip einzuführen, und dass darüber diskutiert wird, dass die mögliche Dauer des Aufenthalts in Erstaufnahmeeinrichtungen von drei auf sechs Monate erhöht werden soll.
Das führt zu vorprogrammierten Katastrophen und vorprogrammierten Konflikten. Deshalb muss die Landesregierung einen solchen Asylkompromiss auf der Bundesebene am Donnerstag, dem 24. September, definitiv ablehnen und verhindern, auch wenn die Bundesebene bei Annahme des Kompromisses 6 Milliarden € in Aussicht stellt. Es darf nicht geschehen, dass das Grundrecht auf Asyl durch das Versprechen finanzieller Leistungen ausgehöhlt wird. Das ist ein falsches Spiel, das ist die falsche Art der Verhandlung. Menschenrechte darf man meiner Meinung nach nicht auf dem Verhandlungstisch verhökern. Das ist schon einmal geschehen, nämlich im September letzten Jahres. In diesem Jahr muss Hessen meiner Meinung nach auf der Bundesebene definitiv Nein sagen.
Es gibt Menschen in Hessen, die Sorge haben, dass es zu einer Überfremdung kommen wird. Das stimmt. Es gibt auch Menschen, die die Sorge haben, dass wir mit der Zahl der Asylanten nicht zurechtkommen werden. In der Situation sollten wir aber nicht versuchen, die Stammtische mit falschen Antworten zu beruhigen, sondern es ist wichtig, dass wir den Menschen die Zahlen und Fakten nennen.
Wenn wir uns anschauen, wie viele Asylbewerber Deutschland bisher aufgenommen hat, dann sehen wir: Wir stehen in Europa nicht an der ersten Stelle, sondern an sechster Stelle. An erster Stelle kommt Schweden; dann folgen Luxemburg, Malta, Italien und Griechenland. Wenn wir weltweit vergleichen, wie wir unserer humanitären Verantwortung gerecht werden, dann finden wir uns an 13. Stelle. Nur rund 0,24 % der Asylanträge landen bei uns in Deutschland – und zwar deswegen, weil wir in den letzten Jahren durch das Dublin-Abkommen und durch die Verschärfung des Asylrechts dafür gesorgt haben – Frau Wissler hat es schon gesagt –, dass fast kein Asylbewerber legal in dieses Land kommen kann. Von daher gesehen, sind die anderen europäischen Länder jetzt genauso unsolidarisch mit uns, wie wir uns in den Jahren zuvor ihnen gegenüber unsolidarisch verhalten haben. Von daher ist es sehr wichtig, wenn wir jetzt mehr Flüchtlinge aufnehmen als in den letzten Jahren, dass uns bewusst ist, dass wir immer noch nicht die Vorreiter sind. Deswegen muss man den Leuten in unserem Land erklären: Wir haben eine humanitäre Verpflichtung, wir werden sie wahrnehmen, und wir müssen auch dafür sorgen, dass entsprechende Strukturen geschaffen werden.
Wie sehen diese Strukturen aus? Ich möchte ganz klar sagen: Anstatt das Asylrecht auf Bundesebene zu verschärfen, haben Sie die Möglichkeit, das Asylrecht auf Bundesebene zu liberalisieren, indem Sie die Balkanflüchtlingen, die hierherkommen, nicht in das Asylverfahren drängen, sondern ihnen eine Duldung für sechs Monate erteilen – mit Zugang auf den Arbeitsmarkt und vor allen Dingen mit einer Aufhebung der Vorrangprüfung, um diesen Menschen eine reale Möglichkeit zu geben, eine Arbeit zu finden. Wenn sie Arbeit gefunden haben, dann sollten sie bleiben können. Aus den Balkanländern sind viele hoch qualifizierte Menschen mit ihren Familien zu uns gekommen. Sie versuchen, hier eine Arbeit zu finden, und es gibt auch Arbeitsplatzangebote, Arbeitgeber, die diese Menschen gerne anstellen würden. Sie scheitern aber daran, dass es eine Vorrangprüfung gibt, und sie scheitern daran, dass sie keinen legalen Status bekommen. Warum schieben wir diese Menschen ab? Lassen wir sie doch einfach mit einer Duldung hier. Lassen wir sie einen Arbeitsplatz suchen. Wenn sie ihn finden, sollen sie ihres Glückes Schmied werden und nicht abgeschoben werden.
Auf der anderen Seite geht es auch darum, was wir mit den Asylbewerbern machen, die seit Jahren in Deutschland sind. Wir wollen sie integrieren und warten die ganze Zeit darauf, ob auf Bundesebene genug Geld für Sprachkurse zur Verfügung gestellt wird. Warum machen wir kein eigenes Landessprachprogramm, mit dem wir die Arbeitsmarktintegration und die soziale Integration dieser Menschen unterstützen? Warum öffnen wir das WIR-Programm, das mit 3,1 Millionen € ausgestattet ist, nicht auch für Flüchtlinge und Asylbewerber? Warum wird da zwischen Menschen mit gesichertem Aufenthalt und Menschen mit ungesichertem Aufenthalt unterschieden? Das ist eine Politik von gestern, nicht aktuell und nicht vorausschauend. Deshalb muss Hessen auch hier seine Haltung ändern.
Wir haben darüber diskutiert, wie viel Geld im Haushalt zur Verfügung gestellt wird. Ungefähr 680 Millionen € werden im Haushalt zur Verfügung gestellt, um diese Menschen erst einmal zu versorgen und unterzubringen. Es gibt aber immer noch keine Diskussion darüber, wie eine unabhängige Verfahrensberatung und eine Traumaberatung für diese Menschen denn aussehen sollen. Es gibt überhaupt keine Idee, wie beispielsweise auch auf kommunaler Ebene die Koordinierung der Unterbringung und Versorgung der Menschen gewährleistet werden soll.